Pieter Cleppe, Gastautor / 20.03.2019 / 06:25 / Foto: dm / 24 / Seite ausdrucken

Brexit-Aufschub: Die Briten als Party-Pupser

Von Pieter Cleppe.

Protagonisten wie der EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk und der irische Außenminister Simon Coveney haben ihr Bestes getan, die Brexiteers im Parlament zu erschrecken. Sie wollten sie dazu bewegen, den Deal von Theresa May zu unterstützen, indem sie ihnen das Schreckbild einer sehr langen Verlängerung der EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs vorhielten. Anscheinend hat Tusk eine Verlängerung um ein Jahr im Sinn. Das bringt ihn in Übereinstimmung mit der rechten Hand von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Martin Selmayr, und entspricht genau der Strategie, die Theresa Mays oberster Brexit-Berater Olly Robbins in einer Brüsseler Bar skizzierte, wobei er belauscht wurde.

Bevor die EU ein solches Angebot macht, sollte sie es sich besser zweimal überlegen. Es lohnt sich, einmal intensiv darüber nachzudenken, was eine solche Verlängerung so mit sich bringen würde. 

Die erste Frage ist natürlich, ob das Vereinigte Königreich verpflichtet ist, die Wahlen zum Europäischen Parlament abzuhalten. Der EU-Vertrag schreibt vor, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments in „direkter allgemeiner Wahl“ gewählt werden. Aber es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, was das genau bedeutet und inwieweit Handlungen des Europäischen Parlaments ohne die britischen Abgeordneten dann noch legal wären. Jean-Claude Piris, der Anwalt, der die meisten der jüngsten Aktualisierungen des EU-Vertrags verfasst hat, ist der Ansicht, dass das Europäische Parlament in der Lage sein sollte, weiterzuarbeiten. Aber „wenn es eine lange Verlängerung gibt, müsste das Vereinigte Königreich an den Wahlen im Mai teilnehmen“.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass das Vereinigte Königreich noch da wäre, wenn der Nachfolger von Jean-Claude Juncker ernannt wird. Vor fünf Jahren geschah dies Ende Juni. Nun erwägen einige die Möglichkeit, die Juncker-Kommission ihre Arbeit als „Übergangs“-Kommission bis Januar 2020 fortsetzen zu lassen. Es wird davon ausgegangen, dass das Vereinigte Königreich bis dahin – hoffentlich – endgültig ausgeschieden sein wird, so dass ein rechtmäßig zusammengesetztes Europäisches Parlament, dem Mitglieder aus allen Mitgliedstaaten angehören würden, dann die neue Kommission genehmigen könnte.

Probleme bei der Auswahl des Juncker-Nachfolgers

Diese Art der Verlängerung der britischen Mitgliedschaft würde in der EU großes Kopfzerbrechen bereiten, da es keine genaue Definition dessen gibt, was von der Kommission zu erwarten wäre, solange sie noch den Status einer „Übergangs"-Kommission hat. Die verlängerte britische Mitgliedschaft würde auch Probleme bei der Auswahl des Juncker-Nachfolgers sowie der Nachfolger von Tusk und der „EU-Außenministerin“ Federica Mogherini verursachen, die beim letztes Mal Ende August stattfanden.

Zwar wurde beim letzten Mal das Vereinigte Königreich bei der Juncker-Ernennung stark überstimmt, obwohl der einzige andere Gegner seiner Kandidatur Ungarn war. Aber wenn es diesmal zwei oder drei ernsthafte Konkurrenten für eine dieser Spitzenpositionen gibt, kann das Vereinigte Königreich durchaus als Zünglein an der Waage fungieren. Wie attraktiv ist diese Perspektive für die EU27? Wenn die britische Regierung noch etwas Verstand bewahrt hat, wird sie ihren Einfluss in diesen Diskussionen als Druckmittel in den Brexit-Verhandlungen nutzen.

Laut aktuellen Meinungsumfragen ist es unwahrscheinlich, dass die auf dem ganzen Kontinent entstandenen euroskeptischen Anti-Establishment-Parteien bei den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament mehr als 200 der 705 Sitze erringen können. Ihr Einfluss wird jedoch zu geringeren Kontrollmöglichkeiten der zentristischen Verbündeten von Bundeskanzlerin Angela Merkel führen, die die Macht dann teilen müssen, vielleicht sogar mit den Grünen. Wenn das Vereinigte Königreich eine neue Abordnung von Europaabgeordneten nach Brüssel und Straßburg entsendet, zu der zweifellos viele Euroskeptiker gehören würden, würde die Möglichkeit weiter abnehmen, dass das Parlament einfach weitermacht wie gewohnt.

Manfred Weber, dessen Bewerbung um die Nachfolge von Juncker von der größten Fraktion unterstützt wird, hat davor gewarnt, dass der Europawahlkampf von der britischen Katastrophe „angesteckt“ werden würde, sollte Großbritannien daran teilnehmen.

Ein viel schwierigerer Partner  als zuvor

All diese Störungen werden schwerwiegende Auswirkungen auf das Funktionieren der EU haben. Bereits jetzt, so der belgische Außenminister Didier Reynders, gestalten sich die Verhandlungen über den langfristigen Haushalt der EU 2021-2027 „sehr schwierig“. Die Abgeordneten versuchen verzweifelt, eine Einigung darüber zu erzielen, wie groß das Budget sein sollte und wie die Lücke geschlossen werden kann, die der Weggang des Vereinigten Königreichs hinterlassen wird.

Der Plan war, diese Fragen nach den Parlamentswahlen in Frieden zu regeln. (Wobei man davon ausging, dass das Vereinigte Königreich dann bereits ausgeschieden sein würde). Auf ein länger verbleibendes Vereinigtes Königreich, das dann in der Lage wäre, noch an den EU-Haushaltsgesprächen teilzunehmen, die auch so bereits sehr schwierig sind, dürfte sich die EU nicht besonders freuen.

Viele vergessen, dass das Vereinigte Königreich ein viel schwierigerer Partner wäre als zuvor, wenn es nun doch irgendwie länger in der EU bleiben würde. Rechtlich gesehen wäre es „business as usual“, da das Vereinigte Königreich alle seine Opt-out-Möglichkeiten behalten würde. Aber politisch würde keine britische Regierung die mehr als 17 Millionen Menschen ignorieren, die ihre Stimme erhoben und für Brexit gestimmt haben. 

Egal, ob es um Vorschläge für EU-Verordnungen, Steuerharmonisierung oder EU-Haushaltsgespräche geht: Das britische „No“ wäre lauter als je zuvor.

Pieter Cleppe leitet das Brüsseler Büro des Think Tanks Open EuropeDer Artikel erschien zuerst auf  telegraph.co.uk.

Foto: dm

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Johannes Schuster / 20.03.2019

Europa muß lernen auch ohne die Ordnungsfolge aus dem zweiten Weltkrieg klar zu kommen. Die gesamte Brexit - Debatte zeigt nur, daß sich Europa nie wirklich von seinem Entstehungsgrund emanzipiert hat. Für GB geht es um weit mehr als eine Clubmitgliedschaft - es geht um die Frage der letztlichen Haftungsfolgen für das Euro - Experiment - für eine Abwicklungslawine, die dereinst das Desaster der DDR - Angliederung weit übertreffen wird. Der Felssturz der Verbindlichkeiten könnte sogar die historisch bekannten Größenordnungen übersteigen.

Eckhard Pemsl / 20.03.2019

Man sieht an diesen Mauscheleien um was es denen eigentlich geht. Nicht um das Wohl und dem Besten für die Menschen, in diesem demokratisch unlegimitiertem und agierendem Konstrukt EU, sondern einzig um die Bewahrung der eigenen Pfründe.

Uwe Dippel / 20.03.2019

Anders Dairie, geht. Dr. Google hat bestimmt den Link. ich habe die 585 Seiten als PDF, den Link dazu schon lange vergessen. Und anhängen kann ich hier auch kein Dokument, sonst machte ich das gerne für Sie.

Silas Loy / 20.03.2019

Was soll nach zwei Jahren denn nun noch verhandelt werden? Das Unterhaus hat einen Fehler gemacht als es letzte Woche gegen einen Austritt ohne Abkommen votierte. Die Briten wollen Regeln auf Gegenseitigkeit in ausgewählten Bereichen (“Rosinenpicken”), die EU will diese Regeln nur im politisch geprägten Gesamtpaket. Das Vereinigte Königreich sollte sich jetzt erst mal ganz losreissen, um dann wieder aus einer souveränen Lage heraus völlig neu zu verhandeln. Die Grenzproblematik in Nordirland wird vollkommen überschätzt, wahrscheinlich mit Absicht. Zur allergrössten Not gibt es ja noch die WTO-Regeln oder auch einfach die simple Fortschreibung bestehender Regeln in ausgewählten Bereichen.

Thomas Taterka / 20.03.2019

Daß Millionen Menschen in Europa am liebsten den Gedanken ganz umgehen, von welchem Personal, besonders ganz oben, diese großartige Staatengemeinschaft gelenkt werden soll, ist es eine ganz schlechte Voraussetzung für deren tatsächliche Zukunft.

P.Steigert / 20.03.2019

Ich bin sicher, dass der Brexit zustandekommen wird. EU und GB haben sich schon zu weit voneinander entfernt. Die Briten werden sicher keinen Rückzieher machen, wenn ihnen klar wird, dass Themen wie EU-Armee, Migrantenverteilung, Sozialversicherung usw. anstehen. Und würde GB noch einmal an EU-Wahlen teilnehmen, so würde das toxisch für das EU-Parlament ausgehen. Mein Tip ist außerdem, dass die Niederlande als nächstes die Fliege machen wird. Dort gehen"anti-establishment” Parteien schon auf die 40% zu.

Burkhart Berthold / 20.03.2019

Es wird eine Verlängerung geben und dann ein zweites Referendum. Ob dann allerdings die Remainers siegen, ist fraglich. Die Engländer können ganz schön stur sein.

Marc Hofmann / 20.03.2019

Keine Sorge…die Briten sind ganz hell im Kopf….die Briten haben ALLE Trümpfe in der Hand…schließlich will die EU was von den Briten und nicht ungekehrt!

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