Annette Heinisch / 14.12.2023 / 14:00 / Foto: D. Franke / 91 / Seite ausdrucken

Braucht Deutschland neue Parteien? Und wenn ja – welche?

Wie also soll in Deutschland ein Politikwechsel gelingen? Anders ausgedrückt: Warum soll derjenige, der einen Wechsel möchte, die Union wählen? Sie hat praktisch alle Chancen auf einen wirklichen Wandel verspielt. Sehr viele Wähler sind inzwischen auch nicht mehr rückholbar. Da tut sich durchaus Raum auf für politische Fantasie.

Mittlerweile pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass sich etwas im liberal-konservativen Spektrum tut. „Jetzt laufen Vorbereitungen, die Kräfte im Spektrum zwischen CDU und AfD zu bündeln“, titelt die Welt. Sie berichtet:

„In den seit mehreren Monaten laufenden Gesprächen zwischen Einzelpersonen und bereits bestehenden Vereinen und Parteien aus diesem Spektrum steht sowohl die Gründung einer neuen Partei im Raum, als auch der gemeinsame Beitritt zu einer bereits bestehenden Partei wie dem im vergangenen Jahr gegründeten Bündnis Deutschland. Ob eine solche neue Vereinigung tatsächlich verwirklicht wird, ist noch nicht beschlossen. Ziel führender an den Verhandlungen beteiligter Personen ist der erstmalige Antritt bei der Europawahl im Juni. Inhaltliche Leitlinien sollen etwa eine restriktive Migrationspolitik und einen starken Rückbau der Kompetenzen und Institutionen der Europäischen Union beinhalten. Einen Ausschluss einer Koalition mit der AfD soll es nicht geben.“

Politisch Informierte wussten bereits früher mehr. Dass der Unternehmensberater, Publizist und ehemalige Degussa-Goldhandel-Chef Markus Krall eine Partei in diesem Spektrum gründen will, ist schon länger bekannt. Dass es darüber hinaus auch weitere Bestrebungen gibt, beispielsweise in Thüringen ein breiteres Bündnis zu schmieden und eine neue Wahlalternative für die EU-Wahl 2024 anzubieten, auch. Die Bürgerrechtlerin, ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Achse-Autorin Vera Lengsfeld hat auf ihrem Blog derartige Pläne kommuniziert. Sie hat bis Ende des Jahres ihren Blog auch als Kampagnenseite zu Verfügung gestellt, weil sie Deutschland an einem Scheideweg sieht, denn „durch jahrzehntelanges falsches Regieren und ein Mittun auf allen gesellschaftlichen Ebenen von Medien, über Wissenschaft, Industrie, Kirchen und anderen gesellschaftlichen Akteuren ist unser Land an einem Punkt, wo unser Wohlstand, unsere Zukunftsfähigkeit und unser sozialer Zusammenhalt massiv gefährdet sind.“

Die Union hat die Chance verspielt

Daher unterstützt sie ausdrücklich die Bemühungen für ein liberal-konservatives Bündnis für Europa und ein Bündnis für Thüringen, welche sich für die kommenden Wahlen rüsten. Die industriepolitischen Grundsätze für die EU-Wahl dürften nicht nur die Herzen von Unternehmern höher schlagen lassen, das Konzept der „Perikles“ Plattform ist zudem innovativ: „Perikles EU erfordert keine langfristige Parteizugehörigkeit und versucht, strukturinterne Schiebereien und Klüngeleien soweit es möglich ist gar nicht erst entstehen zu lassen.“

Natürlich kommt, kaum dass die Pläne publik werden, Gegenwind. Eine neue Partei zwischen Union und AfD sei absolut unnötig, meint Jacques Schuster in der Welt. Die Union habe sich geändert, wer Wandel wünsche, habe mit der Merz-Union die besseren Chancen.

Diese Ansicht teile ich nicht. Warum? Ganz einfach: Unterstellt, die Union habe sich tatsächlich zuverlässig gewandelt und würde auch stärkste Partei – mit wem will sie regieren? Unterstellt, die FDP käme wieder in den Bundestag, was derzeit eine optimistische Annahme ist, würde es für eine Koalition nicht reichen. Eine Koalition mit der AfD hat sie ebenso ausgeschlossen wie eine Tolerierung oder auch nur Duldung. Wie also soll ein Politikwechsel gelingen? Anders ausgedrückt: Warum soll derjenige, der einen Wechsel möchte, die Union angesichts dieser Lage wählen?

Der Moment, in dem der Vorschlag von Prof. Andreas Rödder empört zurückgewiesen wurde, die Inhalte an erste Stelle zu setzen, besiegelte das Schicksal der Union. Rödder brachte eine Minderheitsregierung ins Spiel, bei welcher die Union selbstbewusst eigene Positionen vertreten und Mehrheiten durch welche Stimmen auch immer akzeptieren solle. Ein konservativer Wandel und die glaubhafte Chance auf einen Neuanfang wären die Möglichkeit der Union gewesen, weitere politische Konkurrenten überflüssig zu machen; sie hat sie verspielt.

Nicht nur die Quantität der Entfremdung ist gestiegen, sondern auch die Qualität

Die obige Schilderung betrifft das Best-Case-Szenario aus Sicht der bisherigen Parteien. Sie unterstellt, dass die Parteien Wähler binden und/oder zurückgewinnen können. Dabei wird aber meines Erachtens der Umfang des Vertrauensverlustes verkannt. Schon vor Corona war das Vertrauen der Bürger in Parteien im Schwinden begriffen, der Umgang mit der Pandemie hat aber nicht nur die Quantität der Entfremdeten erhöht, sondern auch die Qualität der Entfremdung. Es kommt ja nicht nur darauf an, wie viele Wähler verloren wurden, sondern auch, wie stark der Widerwille ist.

Das nahezu einheitliche Verhalten der Parteien, jede rote Linie mit Schwung und voller Selbstgerechtigkeit zu überschreiten, hat nicht nur der AfD erheblichen Zulauf beschert, sondern auch zu einem unüberwindbaren Graben geführt. Es gibt zu viele Bürger, die definitiv auch die Union nie mehr wählen werden. Einige mögen zurückzugewinnen sein, falls die Union ernsthaft Einsicht und Reue zeigte und durch ehrliche Aufarbeitung beweisen würde, dass sie es ernst meint. Aber davon ist nichts in Sicht, und es bleibt ein durchaus erheblicher Rest, der dauerhaft verloren ist.

Die Union wird mithin weder alle potenziell möglichen Stimmen bekommen noch eine Mehrheit, die ihr allein das Regieren ermöglicht. Dann aber steckt Deutschland in einer Endlosschleife des Abschwungs. Allesamt, das heißt SPD, Union, Grüne und FDP haben es dermaßen vermasselt, dass sie wie eine Resterampe der Politik wirken. Ein Neuanfang scheint mit ihnen nicht möglich, auch das ist ein Grund des Zulaufs zur AfD. 

Die Schwäche des liberal-konservativen Lagers

Ganz allgemein hat das liberal-konservative Lager momentan erhebliche Orientierungsprobleme. In den USA würde eine Nikki Haley mühelos gegen Joe Biden gewinnen, wenn sie denn die Vorwahlen in der eigenen Partei, den Republikanern gewönne. Sie fährt nicht nur einen harten Kurs gegen „Wokis“ und illegale Migration, sondern auch gegen die Aggressionen von Russland und der Hamas. Die Mehrheit der US-Bürger würde sie dabei unterstützen. Ebenso wie sie ist der argentinische Präsident Javier Milei, der neue Stern am freiheitlichen Himmel, auf Seiten der Ukraine und Israels. Wer Freiheit, Rechtsstaat und Menschenrechte möchte, gibt diese nämlich weder nach innen noch nach außen preis.

Demgegenüber gibt es rechte Strömungen, die zwar die Feinde der Freiheit im Inneren sehen, nicht aber jene von außen. Angesichts der kriegerischen Zeiten ein Fehler, den sich die westliche Welt ganz sicher nicht leisten kann. Hierin liegt auch derzeit die Schwäche des liberal-konservativen Lagers: Aufgrund der Versäumnisse der Merkel-Jahre hat gerade Deutschland enormen Nachholbedarf im außen- und sicherheitspolitischen Spektrum. Eine klare Haley-Milei-Linie fehlt jedoch.

Die Union ist weder willens noch in der Lage, eine solche Linie zu vertreten. Ein klarer und einheitlicher Standpunkt, der den Schutz und den Wohlstand der Bürger in den Mittelpunkt stellt, ist derzeit in Deutschland nicht erkennbar. Hier wird sich manches noch sortieren müssen. Dennoch ist die Entwicklung ein Lichtblick und Lebenszeichen der Demokratie.

 

Annette Heinisch hat Rechtswissenschaften in Hamburg studiert, Schwerpunkt Internationales Bank- und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Sie ist seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.

Foto: D. Franke

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Leserpost

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M.Müller / 14.12.2023

Ergänzung: Alles Quatsch: dann wird sie doch lieber das Parteiorgan.

M.Müller / 14.12.2023

Komisch, jahrelang wurde jede Kritik an der AfD als Mainstream, Einheitsfront, antidemokratisch, grünversifft oder sonstwas hingestellt. Hinter Sesselmann stellte sich Broder mit der Feststellung, dies gebiete schon der politische Anstand, weil alle gegen ihn wären (den Wahlgewinner!!). Und nun, seit einigen Wochen? Ein Artikel über Alternativen, ohne die AfD als Option zu nennen? Ich lach mich kaputt. Zu spät aufgewacht. Der Zug rollt. Antidemokratisch, antisemitisch, prorussisch, völkisch. Und wenn sie die Macht ergriffen haben, wird Regierungskritik verboten. Bzw unliebsame Berichterstattung wird wie auf AfD Parteitagen einfach nicht zugelassen. Die Achse sägte erfolgreich auf dem Ast, auf dem sie saß,  wird das Fazit sein.

Wolfgang Richter / 14.12.2023

Die “Unionisten” haben doch erkennbar nichts verstanden, weder Lehren gezogen aus der merkelschen Idee der “Offenen Grenzen”, noch aus dem gesamten “Corona-Komplex”. Nicht nur daß es keinerlei Entschuldigung “für nix” gibt, es bleibt das selbe Personal in den parteiinternen Führungsebenen, egal ob Spahn oder wer auch immer, vom bayerischen Wendehals mit grünen Sprenkeln und seinem Corona-Zwangsregime ganz zu schweigen. Diese Truppe müßte sich dringend erst einmal selbst reinigen. Und die Chance ist vertan, die Einsicht dafür nicht vorhanden. Daher für mich unwählbarer als die Linke (SED).

B. Zorell / 14.12.2023

Die AfD beginnt doch nun im Westen Land zu gewinnen. Warum schnappt sich keiner dieser “virtuellen Parteigründer” die Chance, da mitzuschwimmen? Tja, Weidel und Chruppalla haben jetzt die Position, die diese “Parteigründungsgestalten” einnehmen könnten, wenn sie die Mühsal und Drangsal der paar Jahre, 7, auf sich genommem hätten. Nun wird es eben schwer, sie aus den Positionen zu verdrängen. Jetzt geht es nur noch damit, daß diese “Parteigründungsgestalten” ihre angeblichen Follower mit einbringen. Wer Deutschland liebt, wird das ohne Zögern tun. Auch wenn dann seine Follower bei der AfD hängenbleiben. Hauptsache Deutschland kommt aus dem Schlamassel raus. Und dann bitte alle Erfahrung, wie es mit Parteien nicht geht, einbringen, um das Grundgesetz so zu gestalten, daß nur das Wohl der Deutschen im Zentrum steht. Wichtig sind Volksentscheide in staatstragenden Punkten. Wieviel Geld und wofür ins Ausland geht. Und welche Strafen Gesetzesbrecher erwarten. Einiges muß strafbewehrt sein. Vor allem darf es kein EU-Parlament und keine EU-Kommission mit Ämtern ngeben. Die neue Europa-Verwatung hat nur noch Koordinierungs- und Beratungsstatus. Vor allem höchstens 10 000 Beschäftigte mit 10jähriger Berufserfahrung.

Dr. Klaus Jürgen Bremm / 14.12.2023

Ich sehe die Versuche, neue Parteien zu gründen, sehr kritisch. Sie werden selbst im Falle einer erfolgreichen Realisierung bei den Wahlen im nächsten Jahr die 5-Prozent-Marke kaum übersteigen. Das wären dann alles verlorene Stimmen, leider meist für die AFD. Besser wäre eine echte Bündelung aller vernünftigen Kräfte, und da dürfte eben kein Weg mehr an einem Parteieintritt bei den Blauen vorbeiführen. Zeit für Spielereien haben wir nicht mehr. Die Ampel dreht gerade voll durch.

RMPetersen / 14.12.2023

Eine neue Partei, die auch wieder zwischen guten schlechten Demokraten unterscheidet, d.h. die Ausgrenzung der AfD betreibt, ist nur schädlich. Wer von vornherein mitteilen sollte, mit der AfD nicht verhandeln oder koalieren zu wollen, betriebt das Geschäft der alten Parteien. Natürlich muss Abgrenzung der Positionen sein, aber die findet in Verhandlungen statt.

Tina Kaps / 14.12.2023

Die Deutsche Demokratische Republik feiert ihr Wiederauferstehen sobald die AfD verboten wird.

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