Die AfD-Fraktion und ihre Abgeordnete Enxhi Seli-Zacharias (Foto) wollte, dass der Landtag von NRW über den dramatischen Anstieg antisemitischer Vorfälle debattiert. Die anderen Parteien erklärten nur, warum sie nicht über Antisemitimus sprechen möchten, wenn die AfD unangenehme Fragen stellt.
„Ich möchte heute nicht über Antisemitismus sprechen, sondern über den Judenhass, durch den wir gegenwärtig erleben, wie ein planmäßiger Versuch der Auslöschung jüdischen Lebens in Deutschland und Europa ermöglicht werden soll. Und dieser Plan hängt maßgeblich mit dem Nahost-Krieg zusammen", begann die AfD-Abgeordnete Enxhi Seli-Zacharias am Donnerstag ihre Rede im nordrhein-westfälischen Landtag. Danach holte sie weit aus und zitierte Stellen aus der Charta der Terror-Organisation Hamas, in denen die Vernichtung Israels beschworen wird.
Kurz darauf sprach Seli-Zacharias von einer „mächtigen Bewegung außerhalb des arabischen Raums", die sich nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 gebildet habe: „Jetzt paktieren radikale Linksextremisten und radikale Islamisten." Zwischendurch verwies die AfD-Politikerin auf eine neue Studie, nach der mehr als eine Million der in Deutschland lebenden Muslime für Radikalisierung anfällig sind. „Aber der mörderische Hass wird nicht bei Juden haltmachen", sagte sie und sprach islamistische Anschläge der jüngeren Vergangenheit an. „Niemand ist mehr sicher in der westlichen Welt. Wir sind an einem Kipp-Punkt, ein Ort für einen Stellvertreterkrieg zu werden. Es geht längst nicht mehr nur um Juden."
„Was Sie da gerade vorgetragen haben, hat mit dem Thema, das Sie als AfD selbst beantragt haben, nichts zu tun gehabt", entgegnete ihr Günther Bergmann. Dann bedankte sich der CDU-Abgeordnete bei der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) und lenkte damit den Blick auf das Zustandekommen der Debatte: Vor einigen Tagen hatte RIAS-NRW seinen Jahresbericht für 2024 vorgelegt und darin insgesamt 940 antisemitische Vorfälle aufgelistet. Verglichen mit dem Vorjahr war dies ein Anstieg von 42 Prozent. Nach der Bekanntgabe der Zahlen hatte die AfD-Landtagsfraktion dazu eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Wie begegnet die Landesregierung der dramatischen Entwicklung?" beantragt.
Die entwickelte sich aber schnell zu einer Debatte darüber, ob eine „gesichert rechtsextreme Partei" wie die AfD, so mehrere Abgeordnete, überhaupt das Recht hat, Antisemitismus zu thematisieren. „Das Thema steht der AfD nicht zu", sagte Günther Bergmann. „Es dient ihr nur als Türöffner für pauschales Ausländer-Bashing." Aussagen von AfD-Politikern wie Björn Höcke oder Alexander Gauland hätten gezeigt, dass die AfD „nicht Problemlöser, sondern Teil des Problems ist".
Für die AfD tatsächlich unangenehme Punkte
Die SPD-Abgeordnete Elisabeth Müller-Witt bezeichnete es als „abstoßend", dass sich die AfD aus dem „vielfältigen" Antisemiten-Spektrum „ausgerechnet jene Teile herausgreift, die sich mit ihren Feindbildern decken". Dies sei eine „Instrumentalisierung" der RIAS-Studie, „um politische Hetze zu betreiben". Aber nur weniger als eine halbe Minute später sagte Müller-Witt: „Das Geschwür des Antisemitismus wächst von rechts." Die Lösung bestehe darin, „mehr Mit- und weniger Gegeneinander zu schaffen", fuhr die SPD-Politikerin fort. „Freude an der Vielfalt hinsichtlich Religion, Herkunft und Weltanschauung" sei eine Stärke und keine Schwäche. „Nur damit können wir den Antisemitismus angehen." Ihre Parteikollegin Christina Kampmann bezeichnete den Antrag der AfD-Fraktion auf die Aktuelle Stunde als „reine PR-Strategie", die „antimuslimischen Rassismus" befördere.
Der Grünen-Abgeordnete Tim Achtermeyer bezeichnete den Antrag der AfD auf die Aktuelle Stunde als „starkes Stück" und rief wild gestikulierend in deren Richtung: „Da sitzt der Resonanzraum von Antisemitismus in Deutschland." Im Gegensatz zur Polemik anderer Redner trug Achtermeyer mit der Nähe der AfD zu dem als israelfeindlich bekannten Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer sowie der Teilnahme einiger ihrer Mitglieder an sogenannten Corona-Demonstrationen, bei denen auch dem „Judenstern" der Nazis nachempfundene Zeichen mit der Aufschrift „Ungeimpft" verteilt wurden, aber auch für die Partei tatsächlich unangenehme Punkte vor.
Zuvor hatte seine Fraktionskollegin Julia Eisentraut der AfD vorgeworfen, sie hätte in ihrem Antrag Hochschulen als Hort des Antisemitismus ausgemacht. Damit aber „diskreditiere" die AfD-Fraktion Hochschulen sowie „linke und migrantische Gruppen" und stelle diese „unter Pauschalverdacht". Eisentraut verwies auf ein „Maßnahmenpaket" der Hochschulkonferenz, das dazu führen soll, dass jüdische Studenten wieder „sicher und geschützt" sein werden. Die Grünen-Abgeordnete nutzte ihre Rede aber auch schnell dazu, um von der „katastrophalen humanitären Situation in Gaza" zu sprechen. „Es muss auch bei uns Räume geben, um über die verzweifelte Lage der Menschen in Gaza zu sprechen", sagte Eisentraut, fügte aber sofort hinzu: „Diese Räume müssen aber frei sein von Antisemitismus."
Als Enxhi Seli-Zacharias, die erst letzte Woche vom Landtagspräsidium gerügt wurde, weil sie die SPD-Fraktion als „Hamas-Freunde" bezeichnet hatte, erneut ans Rednerpult trat, wirkte sie aufgebracht: „Sie sind unglaubwürdig", warf sie den anderen Fraktionen vor. „Und Sie sind gefangen, weil Sie sich tagtäglich radikalen Islamisten unterwerfen und hier vorne gar nichts anderes mehr sagen können." Dann sprach Seli-Zacharias davon, dass sie sich erst kürzlich den Beginn des Prozesses gegen den Solingen-Attentäter Issa al-H. angesehen hätte. Dort habe sie gehört, dass der 27-jährige syrische Flüchtling, der drei Menschen auf einem Stadtfest getötet und laut Anklage zehn weitere in Mordabsicht schwer verletzt hatte, seine Tat damit erklärte, auf der Bühne anstelle der Musiker ein „von Hunden zerfetztes Baby aus Gaza" sowie einen darüber lachenden israelischen Polizisten gesehen zu haben. „Und diese Wahnvorstellungen, egal, ob er sich das nun ausgedacht hat oder nicht, und die Sie tagtäglich importieren, bringen deutsche Bürger um", warf die AfD-Abgeordnete den anderen Fraktionen vor.
CDU-Abgeordneter plötzlich ungewöhnlich kritisch
Aus deren Reihen war während Seli-Zacharias' zweiter Rede immer wieder lautes Geschrei zu vernehmen. Das steigerte sich noch, als sie die US-amerikanische Philosophin Judith Butler, die das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 als „bewaffneten Widerstand des palästinensischen Volkes" bezeichnet hatte, eine „grüne Vordenkerin" nannte. „Sie paktieren mit diesen Leuten", rief Seli-Zacharias. „Auch wir haben Mitgefühl mit den Menschen vor Ort. Aber wir wollen sie nicht importieren. Das unterscheidet uns." Von Politikern und Islamwissenschaftlern höre sie immer wieder, die palästinensische Bevölkerung müsse sich von der Hamas distanzieren. „Sie kann sich nicht von der Hamas abwenden. Sie ist die Hamas. Die Leute haben gar keine andere Möglichkeit", sagte die AfD-Abgeordnete. „Und genau das fällt uns auf die Füße, wenn wir das weiter importieren."
Daraufhin war neben erneutem Geschrei auch ein unverständlicher Zwischenruf aus der CDU-Fraktion zu vernehmen. „Reden Sie doch mal mit Polizisten über die Situation auf der Straße, Sie Möchtegern-Konservativer", antwortete Enxhi Seli-Zacharias. „Sie sind der Lage nicht mehr Herr und haben die Kontrolle verloren. Noch können Sie lachen. Aber der Kipp-Punkt ist ganz nah. Und dann werden Sie sehen, dass sich die Feindlichkeit dieser Gruppen gegen Sie selbst richtet."
„Frau Seli-Zacharias, ich bin sehr dankbar, dass Sie noch mal ans Rednerpult gegangen sind", antwortete Günther Bergmann. „Ich finde es phantastisch, dass Sie uns die Gelegenheit gegeben haben, Sie ohne Maske wahrnehmen zu dürfen. Was Sie hier an Gift und Galle versprüht haben, habe ich noch nicht erlebt." Es gebe einen Antisemitismus, der schon „immer da war" und „einen externen Antisemitismus", der diesen nun verstärke. Es mache ihn „wütend", wenn „Menschen vor dem Hintergrund unserer Geschichte hier Schutz suchen und ihr Gastrecht missbrauchen", fuhr der CDU-Politiker fort. Damit würden sie andere Mitbürger mit ausländischen Wurzeln diskreditieren und der AfD ihre Argumente liefern.
Auch räumte Bergmann ein, dass die Situation an den Hochschulen „beängstigend" sei. Mit der Feststellung, dass die Ruhrtriennale 2020, die von der Teilnahme der antisemitischen BDS-Bewegung nahestehenden Künstlern gekennzeichnet war, so nicht hätte stattfinden dürfen, gab sich der CDU-Abgeordnete plötzlich auch ungewöhnlich kritisch. „Das sind falsche Rücksichtnahmen unter dem Deckmantel von Meinungsfreiheit und Toleranz, die wir da haben", sagte er. Dennoch kam auch er am Ende seiner Rede wieder auf die AfD zurück: „Wenn Sie Ihr Augenleiden, auf dem rechten Auge blind zu sein, behandelt und es heilen lassen haben, dann können Sie vielleicht noch mal wiederkommen und hier zum Thema Antisemitismus sprechen", riet er der Fraktion gönnerhaft.
„Kein Jude braucht Sie und ihre geheuchelte Solidarität."
Der danach sprechende SPD-Abgeordnete Rodion Bakum gab sich als „einziger jüdischer Abgeordneter" zu erkennen. „Haben Sie überhaupt ein Gefühl dafür, was Ihre Reden in Synagogen auslösen?", richtete er seine Worte sofort an die AfD. Bakum warf der Partei vor, sie würde Juden als etwas „Besonderes" sehen, aber nicht als Teil der Gesellschaft oder der Geschichte. Auch würde die AfD Juden „gegen Christen und Muslime" ausspielen sowie ihn und seine Kollegen anderer Fraktionen „mit dem Vorwurf, Islamismus zu importieren, in Sippenhaft nehmen". Mit weniger als zwei Minuten blieb seine Rede die kürzeste an diesem Tag. „Frau Seli-Zacharias, ich habe keinen anderen Wunsch, als hier als ganz normaler Mensch akzeptiert zu werden", kam Bakum schnell wieder zum Ende. „Kein Jude braucht Sie und ihre geheuchelte Solidarität. Sie sind die größte Gefahr für jüdisches Leben in Deutschland."
Nach dieser Rede beendete Landtagspräsident André Kuper (CDU) die ursprünglich auf 100 Minuten angesetzte Debatte mangels weiterer Wortmeldungen nach nur rund 65 Minuten jäh und unvermittelt. Der Blick auf die Rednerliste ergab, dass zu diesem Zeitpunkt lediglich die Fraktionen von AfD und SPD ihre Rederechte bereits ausgeschöpft hatten.
Aufgrund des Geschreis und der Beschimpfungen, die die Ausführungen von Enxhi Seli-Zacharias bis zum Schluss hervorgerufen haben, wirkte die Debatte streckenweise wie ganz großes Kino. Auf mögliche Maßnahmen gegen den dramatisch steigenden Judenhass reduziert, dürfte das Fazit jedoch eher trostlos ausfallen: So forderte Christina Kampmann zwar, der Kampf gegen Antisemitismus sei „zu wichtig, um ihn der AfD zu überlassen". Ihre SPD-Parteikollegin Elisabeth Müller-Witt stimmte dem zu und ergänzte: „Koste es, was es wolle!" Für die mögliche Nutzung der Mittel nannte sie jedoch nur von RIAS vorgeschlagene Maßnahmen zu „Prävention und Intervention". Einen ähnlichen Eindruck hinterließ Dirk Wedel (FDP), der zwar zu den wenigen Rednern gehörte, die mehr zum Thema als zur AfD sprachen - dann aber mit Bildung, Besuchen von Gedenkstätten und Austauschprogrammen hauptsächlich Instrumente beschwor, die beim Kampf gegen Judenhass bis heute ergebnislos geblieben sind.
Und auch bei den von Julia Eisentraut erwähnten und überwiegend aus „Aufklärung" und „Sensibilisierung" bestehenden Maßnahmen zur besseren Sicherheit von jüdischen Studenten blieb im Dunkeln, warum sich die Politik von diesen ebenfalls seit vielen Jahren angewendeten und bis heute ergebnislos gebliebenen Instrumenten nun plötzlich Besserung verspricht. Die von Enxhi Seli-Zacharias und der AfD indirekt erhobene Forderung nach einem Ende des „importierten Islamismus" dürfte trotz des Wiederaufwärmens längst gescheiterter Konzepte durch die anderen Parteien aber auch weiterhin keine Chance haben. Den Reden wie auch dem schon fast tumultartig anmutenden Geschrei, mit dem darauf reagiert wurde, war deutlich zu entnehmen, dass alle anderen Fraktionen darüber nicht einmal sprechen wollten.
Peter Hemmelrath arbeitet als Journalist und Gerichtsreporter.