Diese Krise begann vor dem Krieg

Zuletzt ging es beim politischen Umgang mit dem Nährstand eher um die Schaffung neuer weltverbessernder Regelwerke. Jetzt ist plötzlich, wie in ferner Vergangenheit, die grundlegende Versorgung mit allen wichtigen Lebensmitteln das Thema.

Überall steigen die Preise: An der Tankstelle wie im Supermarkt. Die politischen Verantwortungsträger bereiten die Bürger auf weitere Preissteigerungen vor. Normalerweise kann ein Politiker den Menschen nur schwerlich offen ankündigen, es werde ihnen jetzt nach und nach schlechter gehen und sie würden ärmer. Aber es gibt ja Putins verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine. Was den unbestritten dramatischen Kriegsfolgen zugeschrieben werden kann, dafür trägt logischerweise kein heimischer Regierender irgendwelche Verantwortung. Ein Verantwortungsträger, der eine Krise ohne Krieg und sein Krisenmanagement hätte erklären und rechtfertigen müssen, kann da der Versuchung kaum widerstehen, den Teil des Wohlstandsverlusts, der auch ohne Krieg gekommen wäre, dem Krieg zuzurechnen.

Und Zeichen für schwere Wirtschaftsverluste bis hin zu drohenden Notlagen gibt es gerade täglich neu. Am späten Sonntagabend berichtete orf.at beispielsweise:

„Auf den Preisschock bei Getreide folgt der Preisschock bei Dünger: Der Krieg in der Ukraine hat auch die Abhängigkeit der globalen Landwirtschaft deutlich gemacht. Denn Russland exportiert mehr Stickstoffdünger als jedes andere Land der Welt – und die russische Regierung hat die Hersteller bereits angewiesen, die Exporte auszusetzen. Das könnte eine wirtschaftliche Kettenreaktion auslösen.

Sollten die Düngemittelhersteller den Empfehlungen des russischen Handelsministeriums nachkommen und den internationalen Export tatsächlich stoppen, würde das in der Landwirtschaft weltweit erhebliche Probleme verursachen. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) war die Russische Föderation 2021 der größte Exporteur von Stickstoffdünger.“

Dramatisch klingende Nachrichten vor dem Krieg

Ohne Dünger, das kann sich jeder ausrechnen, gibt es niedrigere Erträge und schlechtere Ernten. Lebensmittel, die hierzulande für die Jüngeren wie selbstverständlich immer und überall zu kleinem Preis verfügbar waren, könnten nun knapp und teuer werden. Kaum einer weiß, welche Reaktionen es in der heutigen Bevölkerung auslöst, wenn es Versorgungskrisen bei manchen Lebensmitteln gibt. Aber solange die Schuld daran Putins verdammtem Krieg zuzuschreiben ist, fragt vielleicht niemand nach dem Anteil der heimischen Verantwortungsträger für die desaströse Lage. Aber den muss es geben, denn bereits im letzten Herbst, als kaum jemand ernsthaft damit rechnete, dass Wladimir Putin seine Truppen ganz offiziell in die Ukraine einmarschieren lässt, war die Düngemittelkrise schon Thema in deutschen Medien.

„Steigender Gaspreis: Düngerhersteller drosseln die Produktion“ titelte etwa handelsblatt.com Anfang Oktober des letzten Jahres. Und was die Kollegen damals schrieben, klang auch ohne Krieg hinreichend dramatisch.

„Der massiv gestiegene Preis für Erdgas setzt den Herstellern von Düngemitteln schwer zu. Jetzt drosseln auch die SKW Stickstoffwerke Piesteritz die Produktion. Die Chemiefirma aus Sachsen-Anhalt ist der größte deutschen Hersteller von Ammoniak, dem Grundprodukt von Düngern. Weitere große Anbieter aus ganz Europa haben bereits ihre Anlagen wegen des teuren Erdgases heruntergefahren.

Die Dynamik des Gaspreisanstiegs sei besorgniserregend, sagte Petr Cingr, Vorsitzender der SKW-Geschäftsführung, am Dienstagabend und ergänzte: „Das mittlerweile erreichte Niveau ermöglicht keine ökonomisch sinnvolle Produktion mehr.“ Unter diesen Bedingungen sehe man sich gezwungen, die Produktion um ein Fünftel herunterzufahren.

Dies könnte nur der erste Schritt sein, wenn sich die Lage auf dem Gasmarkt nicht bessert. „Wir fordern unverzügliches Handeln der Politik. Ohne staatliche Maßnahmen droht in Kürze ein Produktionsstopp“, warnt Cingr. Die Konsequenzen könnten weitreichend sein, vor allem für die deutsche Landwirtschaft, die auf die Düngemittel angewiesen ist.“

Bei fehlendem Gas gehts um mehr als ums Frieren

Das „unverzügliche Handeln der Politik“ musste allerdings warten, denn die musste sich in Deutschland nach der Bundestagswahl bekanntlich erst einmal um die Bildung einer neuen Regierung kümmern. Und das Problem wuchs, in der gesamten EU. Ende Oktober 2021 berichtete das Bayerische landwirtschaftliche Wochenblatt:

„Der skandinavische Düngemittelkonzern Yara hat am vorigen Mittwoch bestätigt, dass rund 40 Prozent seiner europäischen Ammoniakproduktionskapazität – das sind etwa 1,9 Mio. Tonnen/Jahr – aufgrund des Anstiegs der Erdgaspreise runtergefahren bleiben. Auch die Anlagen des größten spanischen Düngerherstellers Fertiberia, in Palos de la Frontera, die Ammoniak und Harnstoff produzieren, sollen aufgrund der hohen Erdgaspreise für einen weiteren Monat geschlossen bleiben, teilte der spanische Düngemittelhersteller vorige Woche mit.

Erdgas ist der wichtigste Rohstoff für die Produktion von Stickstoffdüngern wie Harnstoff und Ammoniumnitrat, auf den die Landwirte angewiesen sind, um ausreichend hohe Erträge zu erwirtschaften.

„Der Anstieg der Energiepreise ist der Hauptgrund für den Anstieg der Düngemittelpreise und kann sich auch auf die Lebensmittelpreise auswirken. Das ist natürlich ein sehr großes Risiko“, sagte EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski auf einer der EU-Ratssitzung. Die EU-Agrarminister diskutierten über ein von der polnischen Regierung in Umlauf gebrachtes Dokument, in dem befürchtet wird, dass die Düngemittelkrise „soziale Unruhen“ in der Europäischen Union auslösen könnte, wenn die politischen Entscheidungsträger die steigenden Erdgaspreise nicht stoppen.

In Polen haben Landwirte bereits eine Anlage des Düngemittelunternehmens Anwil blockiert, um zu protestieren, dass die Regierung den Export von Düngemitteln zulässt, während die Preise für die eigenen Bauern in Polen unbezahlbar sind.“

Der Bundeswirtschaftsminister sucht zu recht händeringend nach neuen Gaslieferanten, denn anhand dieser Nachrichten wird deutlich, dass es bei den Gaspreisen und eventuellen Lücken in den Gaslieferungen um mehr geht als „nur“ um das von manch einem beschworene „Frieren für den Frieden“. Und es zeigt sich, dass es das Problem schon gab, als man noch glaubte, dass es beim Gas nicht um Krieg und Frieden geht. Schnelle Lösungen wird es nicht geben, aber die Verantwortungsträger sollten wohl ganz schnell begreifen, wie wichtig es jetzt wäre, sich um die Bauernschaft und die landwirtschaftliche Produktion zu kümmern. Zuletzt ging es beim politischen Umgang mit dem Nährstand eher um die Schaffung neuer weltverbessernder Regelwerke. Jetzt ist plötzlich, wie in ferner Vergangenheit, die grundlegende Versorgung mit allen wichtigen Lebensmitteln das Thema.

Foto: Von Reichsbankdirektorium Berlin Godot13, Gemeinfrei, Link

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Karl-Heinz Boch / 22.03.2022

Sehr geehrte Damen und Herren, Gas wird an der Börse gehandelt. Und damit ist der Gaspreis zum Spielball wilder Spekulanten geworden. Es gibt eine Lösung, nur die ist von einflussreichen Kreisen und auch politisch nicht gewollt: Aussetzung des Börsenhandels. Russland liefert Gas zum Preis von ca. 300 Euro. Gehandelt wird er, das ist mein letzter Kenntnisstand, mit 2000 Euro. Bitte berichtigen Sie mich, wenn ich falsch liege. Was hat Schopenhauer zum deutschen Volk gesagt? Es ist politisch das dümmste Volk der Welt. Mit freundlichem Gruß Karl-Heinz Boch  

HDieckmann / 22.03.2022

Der Gaspreis ist für Düngemittelhersteller unberechenbar geworden. Herstellern, die auf zu teuer produzierten Düngemitteln sitzen bleiben, droht die Insolvenz. Daher stellen sie die Produktion lieber ein, bis sie wieder besser abschätzen können, zu welchen Preisen ihre Produkte noch verkaufbar sind. Durch den Krieg ist aber noch unklarer geworden, wie sich der Marktpreis für Düngemittel entwickeln wird. Für Bauern kann es wirtschaftlicher sein, weniger zu düngen und Ertragseinbußen in Kauf zu nehmen. Die Misere ist in Deutschland zunächst durch die Folgen der Energiewende-Politik (CO2-Zertifikate, höherer Gasbedarf) verursacht worden und wird jetzt noch verschärft durch die (rechtswidrige) Embargopolitik der USA.

Claudius Pappe / 22.03.2022

Ich sag es nochmal: Düngemittelverordnung, Flächenstilllegung, Verbot von Pflanzenschutzmittel, Bioproduktionssubventionen, Herstellung von Energie und Treibstoffen aus Lebensmitteln, hat alles zu dem ” Hungern für den woken Frieden ” geführt. Und mind. 5 Millionen Menschen, die hier nicht hingehören, tragen auch noch zur Verknappung der Lebensmittel bei.

Hans Meier / 22.03.2022

Stimmt es, dass die russischen Gaslieferungen weiter zu den vereinbarten Preisen und Mengen Europa erreichen, allerdings dann von gewieften Zwischenhändlern mit Riesengewinn an die Kunden extrem verteuert verkauft wird? Die „Energie-Inflation“ hat sich doch weder Russland noch die OPEC als Erpressung der Bevölkerung ausgedacht, da stecken doch Leute in Tarnkleidung dahinter, die sich als noble Politiker in Szene setzen lassen. Eine Inflation erfolgt wenn das gedruckte Geld, ganz offensichtlich keine Kaufkraft mehr hat. Nicht das dem Westen plötzlich die Kaufkraft in Euro ganz zufällig implodiert, weil man was ganz Blödes angestellt hat.

Claudius Pappe / 22.03.2022

Der Gaseinkaufspreis lag im Februar 2021 bei 2 Cent. Schon Ende September 2021 bei 6 Cent. Ende Dezember schon bei 8 Cent. Das hat alles mit Putin zu tun, Herr Habeck ? Tja, hätte man im Mai 2021 die Gasspeicher gefüllt, dann…................

Hans Reinhardt / 22.03.2022

“Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral”. Galt und gilt überall auf der Welt. Außer in Deutschland. Hier wird man von Moral satt. Wir haben hier nämlich einen gewaltigen Standortvorteil: die rund 17% an Energie, die das Gehirn verbraucht, spart der gemeine Deutsche schon mal ein, ohne es überhaupt zu merken.

Bernd Meyer / 22.03.2022

Am Ende weiss der geschätzte Bundeswirtschaftsminister nicht mehr, an wen er 3/4 seiner Kohle überweisen soll. Das wäre allerdings tragischer als das Nibelungenlied - aus seiner Sicht.

Walter Weimar / 22.03.2022

Für die Krise jetzt trägt Deutschland indirekt und direkt die Schuld. Wo es in der Innenpolitik an Sachverstand fehlt(e), ist außenpolitisch, wie auch auf EU-Ebene nichts dazugekommen.  Die letzten 16 Jahre dummes Geschwafel oder Schweigen der Merkel und Co. Bald wird der Krieg in der Ukraine nicht mehr interessieren, im eigenen Land geht das Licht aus, um Nahrung und alles wird bürgerkriegsmäßig gekämpft.

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