Von Jobst Landgrebe.
Seitdem Trolle in Social Media Nutzerdialoge unterwandern und Bots genutzt werden, um automatisch Beiträge zu posten, klagen unsere sogenannten Leitmedien über die Gefahren für die Demokratie, die von dieser Art von Internetpropaganda ausginge (zuletzt kurz vor der Wahl an prominenter Stelle hier im Spiegel. Selbstverständlich sind dabei „rechte“ oder rechtsextreme
Propagandainitiativen Hauptgegenstand der Berichterstattung. Abgesehen davon, dass hier oft mit denunziatorischer Absicht fehlklassifiziert wird, gibt es natürlich Internetpropaganda aller politischen Richtungen, und besonders Extremisten haben das Bedürfnis, andere Menschen von ihrer Meinung zu überzeugen: der Liberale möchte eher jedem Menschen seine Meinung lassen und sieht die öffentliche Meinungsvielfalt als wünschenswerten Zielzustand einer pluralistischen Gesellschaft - davon entfernen wir uns durch ein Ungleichgewicht der Werte (Humanitarismus nach Arnold Gehlen) immer mehr.
Doch wie gefährlich sind Trolle und Bots eigentlich, egal ob rechter oder linker Richtung?
Trolle als Propagandaklassiker
Trolle sind eine ganz klassische Form der Propaganda - es sind Text- oder Bildautoren, die sich auf der Basis eines gemeinsamen Interesses organisieren oder von interessierter Seite organisiert werden, um in Debatten Meinungen zu beeinflussen. Dies hat es sicherlich spätestens gegeben, seit Menschen in größeren, urbanen Siedlungseinheiten zusammenleben. Der Erfolg solcher Agenten hängt immer von der Empfänglichkeit der Rezipienten ab: Nachhaltige Bewusstseinsbildung erfolgt bei den meisten Menschen im Dialog mit anderen, und seine Meinung ändert ein Mensch nur, wenn er viele Faktoren bewusst und unbewusst nach einem bestimmten Muster verarbeitet hat.
Zu diesem Muster gehören emotionales Vertrauen oder Vermittlung des Dialogs durch Vertraute, Sympathie, Passung zu den eigenen Werten sowie Bedienung emotionaler Bedürfnisse, beispielsweise Verunsicherung, Angst, Zweifel oder auch Nähebedürfnis, Anerkennung und Zuwendung - erst dann folgen rationale Argumente, deren Bedeutung für die Meinungsbildung mit Bezug auf die meisten Menschen in unserer (noch) rationalistischen Kultur vollkommen überschätzt wird. Doch die Schwelle zur Änderung der eigenen Meinung ist hoch. Ändert nämlich ein Mensch seine Weise, die Welt zu sehen, ist das potentiell riskant: er ändert dann seine erprobten Beziehungen zu anderen und sein bewährtes Verhalten. Die meisten Menschen sind aber risikoavers. Die Zusatzwirkung von Trollen dürfte daher eher gering sein: bereits Überzeugten sagen sie nichts neues, und Andersdenkende werden unabhängig von der Masse der Kommunikationsinhalte skeptisch bleiben - so wie die Bildleser der Bild davonliefen, als Bild die „Willkommenskultur“ feierte – obwohl dabei Pseudofakten genutzt wurden: die wurden durch die Lebenswirklichkeit entlarvt.
Bots sind schon interessanter
Und was ist mit Bots? Die sind interessanter als Trolle, weil sie Kommunikationsinhalte automatisch verbreiten. Doch wie funktionieren sie?
Künstliche-Intelligenz-(KI)-Bots können nur zu sehr einfachen Sachverhalten automatisch Nachrichten erzeugen: zu Sportergebnissen, Börsenkursen, Wettermeldungen; auch einfache AP-Meldungen können Bots ein wenig umformulieren und wiedergeben. Bots können jedoch nicht eine willensnutzende Tätigkeit übernehmen, beispielsweise könnten sie niemals einen auch nur den einfachsten Leser überzeugenden Kommentar zu einem politischen Ereignis verfassen. Polit-Bots funktionieren daher eher als Verteilmaschinen: Trolle schreiben für die Bots Texte, die selbstverständlich auch Pseudofakten (nach Hanna Ahrendt die effektivste Form der politischen Lüge) enthalten. Nun kann ein guter Bot den Text leicht syntaktisch modifizieren oder durch Synonyme variieren und dann massenhaft in diesen Varianten verbreiten. Dadurch kann der Eindruck entstehen, eine Meinung würde oft von menschlichen Autoren vertreten. Die Chance dieser Meinung, sich auch durchzusetzen, ist allerdings wieder ähnlich wie bei Trollen: abhängig vom Rezipienten und dessen Verfasstheit und Neigung.
Insgesamt sind Trolle und Bots eine dem Internetzeitalter angemessene Form der Massenpropaganda - in ihrer Wirkung nicht anders als Ablasspredigten im Mittelalter oder Flugblattpropaganda, wie wir sie aus dem zweiten Weltkrieg kennen. Wer sich von einem Troll oder Bot beeinflussen lässt, kann sich eben auch von anderen Propagandainhalten beeinflussen lassen. Mündige Menschen, die sich auf der Basis komplexer Inhalte und Gedankenfolgen oder gar durch Sich-Hineinversetzen in Andersdenkende eine differenzierte Meinung bilden, waren schon immer selten und sind es auch heute.
Die wahre Gefahr
Die wahre Gefahr für die Demokratie sind nicht Trolle und Bots, sondern Leitmedien, die die Meinungsvielfalt nicht mehr abbilden, sondern sich einer neuen Religion verschrieben haben: dem Pseudoliberalismus (Jörg Baberowski). Sie haben eine viel höhere Reichweite als Bots und Trolle. Damit zersetzen sie die demokratische Gewaltenteilung, weil sie nicht mehr auf Verstöße gegen dieses Prinzip hinweisen und sich somit von ihrer Pflicht, die für unser Zusammenleben essentielle demokratische Öffentlichkeit zu konstituieren, weitgehend verabschiedet haben.
Über den Autor: Dr. Jobst Landgrebe ist Geschäftsführer der Cognotekt GmbH, einer auf die Automatisierung einfacher geistiger Tätigkeiten mit Künstlicher Intelligenz
spezialisierten Firma; er veröffentlicht regelmäßig zum Themenkreis „Technologie und Gesellschaft“.