Henryk M. Broder / 01.12.2006 / 17:44 / 0 / Seite ausdrucken

Boston Tea Party - 5

Während ich mit meinem blauen PT Cruiser durch New England rolle und mich über die immer längere Schlange in meinem Rückspiegel wundere, frage ich mich, warum ich mich hier so gut fühle, fast noch besser als in Island. Es gibt viele Gründe. Ich werde nicht angehupt oder zur Seite gedrängt, wenn ich langsam fahre. Wenn ich die Strasse überqueren will, halten die Autos an, sobald ich einen Fuß auf die Fahrbahn gesetzt habe. Ich kann jeden Laden betreten, mich umsehen, ohne dass mich jemand beobachtet, und wenn ich das Geschäft verlasse, ohne etwas gekauft zu haben, werde ich mit “Please, come again!” verabschiedet. Wenn ich bei “Stop ‘n Shop” den Houmus nicht finden kann, den ich unbedingt haben will, geht ein Mitarbeiter mit mir quer durch den Supermarkt, weil ich mich sonst verlaufen würde. Und an der Kasse werde ich nicht von einem Set von Spiegeln erwartet, die mich jedesmal an den Grenzübergang Dreilinden erinnern. Niemand verlangt, dass ich meinen Einkaufskorb anhebe, weil ich darunter eine Lammkeule versteckt haben könnte. Nicht zu reden davon, dass mir jemand beim Packen hilft und dabei ein freundliches Gesicht macht. Ich muss beim Gehen auch nicht die Augen auf den Bürgersteig richten, die primitiven, kulturlosen Amis sammeln die Scheiße ihrer Hunde ein, Patrick tut es sogar dann, wenn er seinen japanischen Shiba Inu in dunkler Nacht ausführt. Ich kann jeden fragen, woher er bzw. seine Familie kommt, ohne in den Verdacht der Xenophobie zu geraten. Weil das Zentrum jeder Kleinstadt die Public Library ist, in der man auch Zugang zum Internet hat. Und weil ich neulich bei einem Thai essen war, mit lauter Leuten, die sich vorher nie getroffen hatten: Paul, vor über 8o Jahren in Ungarn geboren; Kai, Student aus Deutschland; Sabine, Historikern aus Deutschland, Patrick, Ex-Franzose mit rumänischem Migrationshintergrund und seine Frau Helen, vor 5o Jahren aus Prag eingewandert; George aus Kanada, Rami aus Ägypten, Angel aus Kuba und seine Frau Flora aus Philadelphia. Es war eine typisch amerikanische Tischrunde. Und ich war der einzige am Tisch, der darüber staunte.

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