Rainer Bonhorst / 11.06.2021 / 10:00 / 43 / Seite ausdrucken

Boris Johnson und der peinliche Besuch aus Amerika

Boris Johnson, der Oliver Cromwell des (noch?) vereinigten Brexitreichs, hat hohen, aber auch etwas peinlichen Besuch. Das planende Schicksal hat es so gewollt, dass am Wochenende ausgerechnet in England das Gipfeltreffen der G7-Länder stattfindet. Eine Begegnung, in der sich traditionell die sieben Reichsten in weltumspannender Harmonie üben. Das wird auch diesmal irgendwie gelingen. Aber das Lächeln des britischen Premierminister ist, wenn auch breit, so doch etwas gequält.

Der Grund heißt, wie so oft, wenn es im Königreich Probleme gibt, Nordirland. Das Treffen der glorreichen Sieben findet zwar in Cornwall statt, das wie Irland ein Restgebiet der einst halb Europa umspannenden keltischen Zivilisation ist. Aber der Knackpunkt der Begegnung in St. Ives ist die Grenzfrage in und um die große Kelteninsel. Dieser Knackpunkt ist entstanden, weil Boris Johnson beim Durchboxen seines harten Ausstiegs aus der Europäischen Union die Sache mit Nordirland eher als Nebensache angesehen beziehungsweise übersehen hat. Das ist sie aber nicht, wie die lange Geschichte der nordirischen Unruhen und die jüngere Geschichte des nordirischen Friedens zeigen.

Den fortgesetzten Frieden soll trotz Brexit ein neues Abkommen mit Brüssel sichern, das Johnson hat formulieren lassen. Es ist ein klassisch britisches Durchwurschtel-Abkommen: Nordirland wird um des lieben Friedens willen von der EU weiter wie ein Stück Irland behandelt. Also ohne Grenze zwischen der zur EU gehörigen Republik und dem Brexit-Teilstück Nordirland.

Aber Moment mal: Keine Grenze zwischen der EU und dem Brexit? Da würde der Handels-Gaunerei ja Tür und Tor aufgemacht! Also, eine Grenze braucht es schon. Kein Problem, so die von Boris Johnson entwickelte Lösung: Die Grenze muss dann eben zwischen der großbritischen Insel und Nordirland gezogen werden.

Eigentlich muss alles vermieden werden

Aber Moment mal: Eine Grenze mitten durchs Königreich? Da spielen die protestantischen Nordiren nicht mit. Die klammern sich ja an das Königreich als Schutzmacht vor den im Süden lauernden irischen Katholiken. Kein Problem, sagt Boris Johnson: Es wird eine unsichtbare Grenze werden. Und inzwischen handelt er auch entsprechend. Er tut so, als gebe es die vereinbarte Grenze tatsächlich nicht. Und sein Brexit-Minister David Frost hält den Brüsselern vor, sie sollen sich nicht so anstellen. Und er klagt: Das Nordirland-Protokoll tauge sowieso nichts. London würde es am liebsten vergessen und das Grenzloch zwischen Brexitland und EU einfach weit offen klaffen lassen. Pragmatisch eben.

Und warum zieht man die Grenze nicht einfach wieder zwischen Nordirland und der südlichen Republik? Oje. Nach Jahrzehnten einer friedlichen, offenen, grenzenlosen Insel jetzt zwischen Nord und Süd wieder alles dichtmachen? Die blutigen Krawalle in Nordirland würden von Neuem losgehen. Es hat schon, sozusagen als warnendes Vorspiel, die ersten Aufstände gegeben. Nein, das muss dringend vermieden werden. Eigentlich muss alles vermieden werden: Eine Grenze innerhalb des Königreichs treibt die nordirischen Protestanten auf die Barrikaden. Eine Grenze zwischen Nord und Süd treibt die nordirischen Katholiken auf die Barrikaden. Tja.

Und was hat das alles mit Joe Biden zu tun? Viel. Der Frieden in Irland ist das Ergebnis eines früheren Abkommens, das Washington seinerzeit ganz wesentlich formuliert und als Garantiemacht unterzeichnet hat. Dieses Good-Friday-Abkommen (Karfreitagsabkommen) von 1998 ist dem aktuellen US-Präsidenten eine Herzenssache. Erstens ist das politische Amerika, so angelsächsisch es tut, im Zweifel meist auf Seiten der Iren, deren Vorfahren einst in Massen eingewandert sind. Und zweitens oder vor allem: Joe Biden hat selbst tiefe Wurzeln in Irland. Er wird bei keiner englischen Trickserei mitspielen, die das Abkommen und den Frieden in Irland gefährdet.

Es brennt an allen Ecken und Enden

Und da haben wir Boris Johnsons Problem: Er braucht Amerika in einer anderen Sache, mit der sein Brexit-Erfolg steht und fällt. Zurzeit fällt er. Johnson braucht attraktive Handelsabkommen, um die Befreiung Englands aus den Fesseln der EU auch wirtschaftlich feiern zu können. Dazu reicht nicht ein bereits erzieltes, hübsches Abkommen mit Liechtenstein und anderen nicht sehr großen Nachbarn. Australien macht ihm Hoffnung. Aber weil er es so eilig hat, Erfolge vorzuweisen, wird das eine ziemlich einseitige Angelegenheit zugunsten der Australier werden. Englands Bauern bangen bereits um ihre Zukunft.

Da geht es ihnen wie den Fischern und anderen Unternehmern, deren Handel mit dem großen kontinentalen Nachbarn dabei ist, auszutrocknen. Der Tourismus leidet längst, weil britische Grenzer auf Anordnung der Innenministerin mit dem schönen Namen Priti Patel neuerdings Besucher vom Kontinent wie unwillkommene Eindringlinge behandeln. Sogar das Vorzeigestück „City“ mit seiner weltweit anerkannten Finanzkompetenz lässt Federn. Wichtige Zweige werden nach Frankfurt, Paris und anderen kontinentalen Standorten ausgelagert, um weiter ein Bein in „Europa“ zu haben.

Also, es brennt an allen Ecken und Enden, weil man sich für einen harten Brexit entschieden und die Möglichkeit einer norwegischen oder Schweizer Variante ausgeschlagen hat. Die meisten Probleme wären gelöst, wenn England in der Freihandelszone und der Zollunion geblieben wäre und den Brexit eher symbolisch gefeiert hätte.

Bitte, bitte, liebes Amerika, gib mir ein schönes Handelsabkommen!

Aber Johnson hat die große Freiheit gewählt und damit einen überwältigen Wahlsieg errungen. Und nun hat er den Kater nach der Party. Was wirklich helfen könnte: ein schönes und umfassendes Handelsabkommen mit der ökonomischen Supermacht USA. So was hat nicht einmal die EU. Aber auf so ein schmerzlinderndes Handelsabkommen mit den großen transatlantischen Sprach-Verwandten kann er lange warten, wenn das Nordirland-Problem nicht gelöst wird. Und solange die Zukunft einer friedlichen irischen Insel nicht gesichert ist.

Gesucht ist also ein Zaubertrick, der gleichzeitig eine Grenze herbeizaubert und hinwegzaubert. Angela Merkel und Ursula von der Leyen könnten ihm bei dem Taschenspielertrick ein wenig helfen. Aber sie neigen nicht dazu, ein gerade erst beschlossenes und von London dringend gewünschtes Abkommen schon wieder infrage zu stellen. Und sich dann auch noch von David Frost als Pedanten beschimpfen zu lassen. Und Joe Biden wird sich erst recht auf keinen Houdini-Zauber einlassen. Er will dauerhaften Frieden für „sein“ Irland, basta. Und ein Handelsabkommen ist nun mal die stärkste Waffe, mit der er die Briten locken oder ärgern kann.

Und weil das so ist, empfing Boris Johnson den Präsidenten mit Blick auf den Ozean, der die beiden verbindet und trennt, überaus herzlich aber mit einem flauen Gefühl im Magen. Auf dem Gipfel geht es eigentlich um andere Dinge, vom Kampf gegen Covid bis hin zur Rettung der Welt vor dem Klimawandel. Da zeichnet sich jetzt schon der übliche Dreiklang aus Friede, Freude und Eierkuchen ab. Aber für den gastgebenden Premierminister steht etwas weniger Globales im Vordergrund: Bitte, bitte, liebes Amerika, gib mir ein schönes Handelsabkommen.

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Wolfgang Richter / 12.06.2021

Die Eurokratie wird doch gerade abgewirtschaftet. Vielleicht ist es nicht mehr fern, daß die Visegrad-Staaten ihren eigenen Weg gehen. Und wenn Dld. infolge der EU-Schuldenpolitik am Ende ist und nix mehr zahlen kann, steht dem Dexit vielleicht auch nichts mehr im Wege. @ von Kullmann - Ihre Vorstellung ist für Eurokraten zu einfach gedacht, zumal diese den Briten ja den wirtschaftlichen Schaden des Brexit ans Zeug heften wollen. Da machen ein paar Iren -egal auf welcher Seite- als Kollateralschaden eher Sinn, weil man diese dann den Briten “in die Schuhe schieben” wird. Bürokraten und politische Strippenzieher haben sich noch nie um die sog. Kleinen Leute geschert. Blöde nuzr, daß selbige das nicht kapieren und sie sich gegenseitig auf die “Birne” hauen, anstelle daß sie sich die Verantwortlichen vorknöpfen.

Gabriele Klein / 11.06.2021

@Frau Zahn, Sie sind mit Iher Meinung nicht allein. Ich glaube, dass die Meisten d.EU Bürger den deutschen “Oberlehrer” nach 2 von Deutschland angezettelten Weltkriegen nicht wollen. (Die Franzosen inbegriffen). Mal ehrlich, Rettung eines entmenschlichten Planeten zum Wohl d. Wölfe interessiert, außer deutschen AGITPROP Spezialisten mit UN Anhang kein Mensch.  Und, wenn die EU schon zentralisiert werden soll dürften die Allermeisten ein Commonwealth of European Nations d. Imitat eines Warschauer Pakts vorziehen.Daher fände ich nicht schlecht, im britische Konsulat über d. Zukunft Europas abzustimmen z.B.so: Viele “rotten sich zusammen”, um in einer gemeinsamen Aktion einen Britischen Pass zu beantragen um: (1)d. Freundschaft zu erhalten die, vor Fall der Mauer, die Wessis, im Gegensatz zu den Ossis intensiv mit England pflegten u.die sich eine alte DDR Elite in Stürmer Manier anmaßt zu zertrümmern. (2) Ein demokratisches Europa zu erhalten nach dem Demokratieverständnis d. Engländer und nicht dem der DDR (3) Europa vor dem Zusammenbruch zu retten denn eine friedlich handelnde EU ist nicht schlecht, 4) Sich klar von gewissen Figuren u. Regierenden n. außen hin zu distanzieren die behaupten uns zu vertreten u.in freien geheimen Wahlen gewählt worden zu sein, was ich n.Thüringen nicht glaube. So,,und nachdem der Daily Mirror das sensationelle Wahlergebnis dann veröffentlicht hat könnte Boris damit in Europa einmarschieren, wir müssten dann nicht mal nach England auswandern u. könnten bleiben wo wir sind. Das mit Irland und Europa wär auch elegant gelöst. Alos Ich hol schon mal ein weißes Betttuch darauf steht “Boris wellcome…”  Bier ist auch kalt gestellt, um mit Boris u. Farage auf d. Ende d. Era Merkel, Cancel Culture u AGITPROP anzustoßen mit folgendemTrinkspruch: “Der Kopf tut weh. Die Füße stinken. Höchste Zeit ein Bier zu trinken….” (siehe “Mein Bierglas”) ,

Dr. Jürgen Kunze / 11.06.2021

Ein schlauer Mann sagte einmal: England and America are 2 countries separated by the same language.

Reinhold R. Schmidt / 11.06.2021

Lieber Herr Bonhorst, da haben Sie aber mal wieder tief in die Sch….  gegriffen. Was für eine völlig verquere Sicht der Realität. Die Rest-Länder der EU haben pro Jahr bisher immer wesentlich mehr nach GB exportiert als von dort importiert. Wer sollte also damit ein deutlich größeres Interesse an weiterhin funktionierenden Wirtschaftsbeziehungen haben?  Vor dem Hintergrund des Commonwealth of Nations, das 54 Mitgliedstaaten u. a. Indien, Australien, Kanada, Singapur und Südafrika umfasst, in dem der König von Großbritannien das Oberhaupt darstellt und deren Handelsbeziehungen mit GB durch die EU in der Vergangenheit durch EU-Auflagen ganz erheblich einschränkt wurden, sollten wir uns erstmal anschauen, wer sich wo hinten anstellen muss. Außerdem werden die USA, schon wegen ihrem Groll auf die EU (z.B. 57% Zoll auf US Beef) GB nicht im Regen stehen lassen. Auch in dieser Beziehung kann man sich fragen, wer sich da wohl hinten anstellen muss. Auch für Nordirland wird Boris einen akzeptablen „Modus Vivendi” finden.

Peter Thomas / 11.06.2021

Letztlich war ja auch der Erich Honecker gar kein übler Kerl.  Und wie schön der immer mit dem Arafat geknutscht hat -

Leo Hohensee / 11.06.2021

@Anna Barbara Zahn - genau so, wie Sie es beschreiben, habe ich diesen Artikel von Herrn Bonhorst gelesen. bbeste Grüße

g.schilling / 11.06.2021

@Daniel Oehler: Eine Wiedervereinigung der beiden irischen Teile ist nicht so einfach. Die Briten sind seeerh nationalistisch. Die Engländer auf ihrer Insel gelten jedem Iren als Besatzungsmacht! Die englischen Nordiren sehen aber ihr Ulster ebenso als Heimat und sind genauso vaterlandsverbunden wie die Iren mit ihrem Stück Irland. Das gleiche Phänomen gibt es auf der Hauptinsel zwischen Walisern, Engländern und Schotten. Das Problem nur über die Kirche katholisch vs. anglikanisch abzuhandeln springt eindeutige zu kurz.

Hans-Peter Dollhopf / 11.06.2021

Beim Krieg Hitlers gegen England schon waren die Sympathien der Iren klammheimlich aufseiten des Dritten Reiches und im Reich von Brüssel macht es heute weiter auf israelfeindlichen Antisemit. Nicht schön für Amerika, wenn ein Präsident so tiefe, tiefe Wurzeln in so einem Shithole hat. Gar nicht schön. Die EU wäre weniger unmoralisch aufgestellt, wenn dieser Sumpf trockengelegt würde. Vielleicht klappts dann auch mit dem Nachbarn?

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