Rainer Bonhorst / 12.02.2022 / 16:00 / Foto: DonkeyHotey / 37 / Seite ausdrucken

Boris Johnson lebt

„Die Berichte über meinen Tod sind stark übertrieben!“ Ob Mark Twain wusste, dass er damit einen Satz für die Ewigkeit formuliert hat? Nicht nur für die Ewigkeit, sondern auch für Phänomene, die weit über den Bereich des rein biologischen Todes hinausreichen? Auch für den politischen Tod ist der Twain-Spruch wie geschaffen. Darum wundert es mich, dass der literarisch gebildete britische Premierminister bisher die Chance nicht genutzt hat, den Amerikaner Mark Twain für sich sprechen zu lassen. 

Boris Johnson wird in den Medien und von seinen Gegnern seit Wochen für politisch tot erklärt. Und was ist? Der Mann lebt einfach weiter. Das britische Unterhaus, diese wilde Löwengrube, macht jetzt erst einmal Pause. Und Boris Johnson hat die Chance, in einer Art Polit-Reha Ruhe zu finden und neue Kräfte zu sammeln.

Denn angeschlagen ist er, auch wenn sich die Berichte über seinen politischen Tod als stark übertrieben entpuppt haben. Er hat sich ja auch einiges geleistet. Zuletzt hat er den Oppositionsführer und Labour-Chef Keir Starmer auf unappetitliche Weise beleidigt. Nämlich im Zusammenhang mit dem früheren TV-Star Jimmy Saville, der seine Kindersendungen nutzte, um seine jungen Fans sexuell zu missbrauchen. Dann das sogenannte Party-Gate, die ständigen Partys in Downing Street, während genau von dort das Verbot kam, das Normalbürgern das Feiern, ja sogar das Zusammentreffen unmöglich gemacht hat. Dann die Flucht seiner engsten Mitarbeiter aus dem trudelnden Regierungs-Schiff. Und dazu die Wirtschaftsprobleme, die Boris Johnson sich, oder genauer: seinen Landsleuten mit seinem harten Brexit eingehandelt hat.

Doch sein Schiff schlingert nur. So schnell sinkt es nicht, wenn es überhaupt sinkt. Die Opposition in der eigenen Fraktion hat die kritische Punktzahl von 54 Mutigen oder Selbstmörderischen, die für eine Vertrauensfrage des Chefs notwendig ist, bisher nicht erreicht. Würde sie erreicht, dann wäre Johnson in der Tat weg vom Fenster seiner aufwendig renovierten Dienstwohnung. Aber die konservativen Rebellen hätten damit ihre Arbeit ja noch nicht erledigt. Das nächste Problem wäre: Wer soll Boris Johnson ablösen? Wer kann für sie die nächste Wahl wieder gewinnen?

So unberechenbar ist wie seine Frisur

Johnson ist sicherlich ein Regierungschef, dessen Stil so unberechenbar ist wie seine Frisur. Aber er ist ein Wahlkämpfer von Format. Er hat den Konservativen einen grandiosen Wahlsieg beschert, indem er tief in das nordenglische Kernland der traditionellen Labour-Wähler vorgedrungen ist. Das muss ihm erst einmal einer nachmachen.

Zwei stehen in der vordersten Reihe der Nachfolgekandidaten: Finanzminister Rishi Sunak und Außenministerin Liz Truss. Es ist interessant zu beobachten, wie sie sich in Position bringen, ohne in den Verdacht zu geraten, die ungeliebte Rolle des Königsmörders zu spielen. Rishi Sunak hat sich ein paar Millimeter weiter vorgewagt als Liz Truss. Er hat klar gesagt, dass er die Jimmy-Saville-Peinlichkeit, für die sich Johnson nicht zu schade war, nicht geäußert hätte. Im Übrigen schwört er ebenso Treue wie seine Rivalin Liz Truss. 

Die Außenministerin kann in aller Ruhe abwarten, wohin die unberechenbaren Wellen der Politik ihren Chef tragen. Was kann auf ihrem Posten schon groß passieren? Krieg in der Ukraine? Da könnte sie sich bestenfalls bewähren, ansonsten stören die Troubles dort hinten kaum die innere Dynamik der konservativen Selbstfindung. Rishi Sumak hat es eine Spur eiliger, weil er damit rechnen muss, dass die schleichende Verarmung vieler Briten ihm als Geld-Minister aufs Butterbrot geschmiert wird. Je eher ihm der Schritt ins Chefbüro gelingt, desto besser.

Wann isst die Angst die konservative Seele auf?

Wenn er denn überhaupt gelingt. Boris Johnson beherrscht die Kunst so vieler Public-School-Boys, sich ohne übertriebene Seriosität, aber umso cleverer und selbstbewusster durch Krisen hindurchzuhangeln. Vieles, was man ihm vorwirft, auch seine Frivolität in bedrückend ernsten Lagen, sind bei ihm eingepreist. Man kennt ihn längst als populären Bürgermeister von London und weiß, was man an ihm hat und was nicht.

Entscheidend ist am Ende, wie nützlich er für seine Partei bleibt. Wie sehr beginnen die Hinterbänke zu wackeln, die er für die Konservativen neu erobert hat? So sehr, dass man ihm schließlich doch den Laufpass gibt und eine überzeugendere Führungspersönlichkeit setzt? Wann ist dieser Punkt erreicht? Wann isst die Angst die konservative Seele auf? Eine Frage, über die nicht nur Englands Journalisten höchst unterhaltsam, aber ergebnislos brüten. 

Und was geht das uns Kontinentaleuropäer an? Einiges. Die Europäische Union hat den Verlust dieser wichtigen Insel noch keineswegs verkraftet. Nicht nur England leidet wirtschaftlich und politisch unter dem harten Johnson-Brexit und der dadurch entstandenen Entfremdung der langjährigen Partner. Vorgängerin Theresa May hatte es mit einer weicheren und sicher vernünftigeren Brexit-Variante versucht und ist damit bei den eigenen Leuten gegen Mauern angerannt. Boris Johnson hat geschafft, was ihr misslang, um den Preis einer für beide Seiten unangenehmeren Trennung. Er ist und bleibt schwieriger als Theresa May und vorerst sieht es so aus, als bliebe er uns Kontinental-Europäern noch eine gute Weile als Gesprächspartner erhalten. 

Wer ihn vom Festland aus per Fernrohr schon untergehen sah, erlebt gerade einen Mark-Twain-Moment. Und es ist durchaus denkbar, dass auch künftige Meldungen vom politischen Tod Boris Johnsons stark übertrieben sein werden.

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Hans-Peter Dollhopf / 12.02.2022

lutzgerke / 12.02.2022 : “Die Engländer sind historisch stark mit den USA verbunden, und diese Bindung scheint mir das Wesentliche.” - - - “Nu ...”, socht der Sochse, “Well ...” der Ongelsochse. (1) Hitler betrachtete die Engländer als “Neffen”. (2) Anthem der USA: “Their (der Engländer) blood has washed out their foul footsteps’ pollution.” (3) Wikipedia: “Über 45 Millionen US-Bürger gaben in der 2015 durchgeführten American Community Survey „German“ als ihre Hauptabstammung an. Damit sind die Deutschamerikaner die größte ethnische Bevölkerungsgruppe in den Vereinigten Staaten.” (4) Hi lutzgerke, deutscher Anti-Amerikanismus war schon immer Selbsthass auf Besseres in der eigenen “Volksgemeinschaft”!

Stefan Riedel / 12.02.2022

“Sie glauben nicht an ihre eigenen Regeln” ein toller Beitrag heute von Stefan Frank. Das muss ich natürlich BoJo auch ins Stammbuch schreiben! Und @Hartwig Hübner, der Ökotrip liegt wohl auch nicht nur an der Nichtfrisur? Aber Theresa May im Zusammenhang mit dem Brexit nur zu erwähnen, mit Verlaub Herr Bonhorst, sehr gewagt.

Peter Meyer / 12.02.2022

Herr Bonhorst, die wirtschaftlichen Probleme sowohl von GB als auch der EU haben nichts, aber auch überhaupt nichts mit dem Brexit zu tun, sondern 1. mit den Maßnahmen, die gegen die so genannte „Pandemie“ getroffen wurden. 2. Mit der Auslagerung der angeblichen europäischen CO2-Problematik (also ideologischer Verblendung) nach China, Indien, Bangladesch usw. und der damit selbst gewählten Importabhängigkeit (zB von Chips), die dann ein Evergreen-Fall schonungslos offenbart. 3. mit dem Abschalten und der Zerstörung von Kraftwerken (und damit Volksvermögen), die sichere und günstige Energie liefern. - Herr Giesemann, die EU ist DAS Problem und bietet selber außer sozialistischem Totalitarismus , der Deutschland in den letzten 90 Jahren 2x in die Katastrophe geführt hat, keine Lösungen an. DIE EU MUSS WEG!!!!! & Sozialismus muß endlich als demokratie- und verfassungsfeindlich verboten und dessen Protagonisten als Terroristen behandelt werden. - Herr von Brausebrandt: volle Zustimmung.

lutzgerke / 12.02.2022

Ich habe nichts gegen die Engländer, ABER England war nie ein befreundeter Nachbar, das hat sich seit dem Mittelalter immer wieder als zynischer Feindstaat generiert. Die parlamentarische Struktur hat sich seit dem Mittelalter auch nur ein bißchen verändert; im Großen und Ganzen scheint die Krux darin zu legen, daß sich das Königshaus einen “Stellvertreter” zugelegt hat, der den “göttlichen Willen” kennt, um Demokratie zu simulieren. Die Nationalhymne sowohl von England als auch von ganz Großbritannien trägt den Titel “God Save the Queen”. England hat nicht mal eine eigene Verfassung; ob England als Region oder eine Art “Bundesland” Großbritanniens betrachtet werden kann, ist unklar. Die Engländer sind historisch stark mit den USA verbunden, und diese Bindung scheint mir das Wesentliche. Dabei ist mir nach einiger Lektüre auch unklar, ob die USA die Führungsrolle haben, oder der “göttliche Wille” transatlantisch wirkt. / Boris Johnson wollte die Impfpflicht, und wie es scheint, muß er zurückrudern. Insofern ist mir der Mann suspekt. Ich denke, daß Nigel Farage den Boden für den Brexit bereitet hat. Johnson hätte das so nicht hingekriegt. Johnson hatte aber gute Berater beim Brexit. Warum verhandeln, wenn es reicht, einfach stur zu bleiben? Der Brexit könnte auch ein Vorbote für irgendein royales Gemauschel sein, welches am Ende uns trifft.

Hans-Peter Dollhopf / 12.02.2022

erlauben Sie, dass ich zu Ihrer Frage (“Warum gibt’s in diesem unseren Lande keinen Boris Johnson?”) noch einen “Kalauer” nachschiebe? Die heutige BRD ist das Resultat von: “Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg?” Was vom Empire übrig blieb,  das ist das Resultat von: “I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat” Boris Johnson ist ein Verehrer von Winston Churchill. Nehmen wir mal Markus Söder., der hatte in seiner Jugend Franz Josef Strauß als Vorbild. Merken Sie was?

Ralf.Michael / 12.02.2022

Ja doch , Herr Bonhorst, er lebt !! Wie sagte weiland Helmut Kohl ? Wir brauchen Sie Beide, ” Boris und Jelzin “

Hans-Peter Dollhopf / 12.02.2022

Rolf-G. Mellage / 12.02.2022 ; “Warum gibt’s in diesem unseren Lande keinen Boris Johnson?” - - - Na ja. Södolf? Ist zwar wie Äpfel mit Birnen vergleichen. Oder ne Cola und einem edlen Tropfen. Oder sog. Bauerntrampel mit ollem Adel (BoJo ist Söder an “Humankapital” haushoch überlegen). Und außerdem prägen ja auch die Umstände, als da wären die frappierenden Unterschiede in den politischen Systemen, in denen die beiden sich bewähren und die ganz unterschiedliche Notwendigkeiten generieren, also sodass BoJo in Deutschland und Söder in Großbritannien mit ihren jeweiligen Methoden nicht angepasst wären. Aber der Wille zur Macht?

Sabine Schönfelder / 12.02.2022

Heute so viel Kritik aus dem Kommentarbereich, werter Autor. Dabei war ich über Ihre wohlwollende Beurteilung heute angenehm überrascht. „ Aber er ist ein Wahlkämpfer von Format. Er hat den Konservativen einen grandiosen Wahlsieg beschert, indem er tief in das nordenglische Kernland der traditionellen Labour-Wähler vorgedrungen ist. Das muss ihm erst einmal einer nachmachen.“ Scheinbar wächst Ihre Zuneigung Johnson gegenüber im selben Maße wie meine Sympathien für ihn schwinden. Für meinen Geschmack schleimt er sich zu engagiert bei der von ihm mühsam verlassenen EU ein. Er unterstützt die Scheinpandemie, verpflichtete sich freiwillig dem Impfnarrativ und trifft sich zu oft mit Billy-Boy, „die grüne, industrielle Revolution“. Sowohl zum Wohle der Pharmaindustrie, „The UK Prime Minister Boris Johnson met with the tech giant Bill Gates and a few more big pharma CEOs to discuss rolling out the COVID-19 vaccine“, als auch für persönlich ausgehandelte Ökoprojekte. Er mischt sich in den Ukraine/ Rußland- Konflikt ein und demonstrierte unverhohlen mit seinen privaten Saufgelagen, was er wirklich über das Coronamärchen denkt. Er teilt sein Bett mit einem ´Grünenliebchenˋ und seine Kampagne für gesundes Essen gegen „Übergewicht im Straßenverkehr“ scheint sich weder kurz noch langfristig auf die e i g e n e Figur auszuwirken. Ich frage mich mittlerweile ernsthaft, WOZU er eigentlich die EU verließ ?? Für ein paar Fischereirechte ? Weil er noch mehr GEWICHT braucht? Warten wir ab, wie sich die Abspaltung auf die Entwicklung des britischen Pfunds auswirkt. Im Vergleich zum Euro. Hier könnte sich die „Unabhängigkeit“ vielleicht a u s z a h l e n. Hoffen wir das Beste, lieber Leser.

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