Tobias Kaufmann / 28.04.2007 / 00:41 / 0 / Seite ausdrucken

Böse unterhaltsam

Wenn das Gel raus ist, erkennt man ihn kaum. Er ist immer noch ein großer Mann mit einem kantigen Gesicht und markanter Nase. Aber das Schneidige ist weg. Georg Schramm wirkt kleiner und etwas müde, als er hinter der Bühne hervorkommt. Die für den Auftritt streng zurückgegelten Haare sind strubbelig und feucht.

Zweieinhalb Stunden hat der 57-Jährige im Bürgerhaus Dreieich gespielt, länger als sonst, weil seine Figur August hier in der hessischen Provinz ein Heimspiel hatte. August, der hessisch babbelnde alte Sozi, ist Schramms unbekannteste Figur. Im Fernsehen gibt der Kabarettist meist Lothar Dombrowski, den alten Preußen mit dem Lederhandschuh über der Armprothese. Oder Oberstleutnant Sanftleben, den schneidigen Militaristen.

Doch keine Rolle ist so persönlich wie August. „Er erinnert mich an meinen Vater“, erzählt Schramm am nächsten Morgen an der Hotelbar. August ist aufrecht, aber er ist auch verzagt, wenn es drauf ankommt, getrieben von der Sehnsucht, dass „die da oben“ endlich Respekt haben vor den einfachen Leuten, die sich den Buckel krumm arbeiten.

Wenn dieser pensionierte Drucker erzählt, dass er eine „Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten in der SPD“ gegründet hat, kichert das Publikum. Wenn er damit prahlt, wie er die Champagner schlürfenden Spendensammler vom Rotary-Club auf dem Marktplatz angeschrien hat, dass man die Sammelei gar nicht bräuchte, wenn es Leute wie sie nicht gäbe, dann johlt der Saal. Als Nächstes erzählt August von seiner Frau - und schlagartig herrscht Stille.

„Hätte ich Rindvieh doch nicht den Notarzt gerufen“, jammert August. Einen letzten Schnaps hätte er trinken sollen mit der „Mutti“. Er hätte sie sterben lassen sollen nach dem Schlaganfall, statt sie nun im Altersheim dahinvegetieren zu sehen, einsam und verwahrlost. Vielen Zuschauern stehen Tränen in den Augen bei der Passage. So will Schramm es haben.

Wenn sich eine Figur gerade gegen die Zustände in Rage geredet hat und die gefühlte Meinungskumpanei des Solisten mit dem Publikum sich in Gesinnungsapplaus ergießt, dann zieht Schramm die Notbremse. Allzu einträchtigen Anti-amerikanismus nach kritischen Passagen über amerikanischen Militarismus etwa stoppt Oberstleutnant Sanftleben schnell und wirkungsvoll mit ein paar Hinweisen auf europäisches Versagen in Srebrenica. „Meine erstaunliche Erfahrung ist, dass das Publikum falsche Zungenschläge durchaus spürt und es goutiert, wenn man dieses Gefühl bricht, dass sich alle einig sind“, sagt der Kabarettist. Obwohl er sein Publikum achtet - schließlich opfert es Zeit und Geld für ihn - erfüllt er ungern alle dessen Erwartungen.

Georg Schramm ist ein Linker. Das zu bekennen, macht ihm nichts aus. Aber er kotzt es nicht im grauen Rollkragenpullover von der Bühne, wie Kollege Dieter Hallervorden einmal das Geschehen in Kabarettkellern bezeichnet hat, bei dem es vor allem darum geht, die Vorurteile der alternden Klientel zu bestätigen. Schramm bricht solche Klischees. „Politisches Kabarett muss böse sein, sonst ist es keins“, sagt Schramm. „Und Kabarett muss unterhalten, sonst zahlt keiner dafür, und ich bin pleite.“ Als Kind im hessischen Bad Homburg bekam der kleine Georg Bonbons, wenn er dem Kaufmann einen Witz erzählte. „Für Noten gab es keine Bonbons, also bin ich bei den Witzen geblieben.“ Und weil Schramm das Credo für treffend hält, dass jedem guten Witz eine Tragödie innewohne, haben seine Figuren beide Dimensionen.

Schramm hat genügend Menschen kennengelernt, als er noch als Psychologe gearbeitet hat - kranke und gesunde. Dass er sie besonders mag, kann man nicht sagen. „Ich neige zum Zynismus und merke, dass mit zunehmendem Alter meine Toleranz abnimmt“, sagt er. Den Spruch nimmt er nach ein wenig Nachdenken aber zurück. „Wenn ich keine Kinder hätte, wäre ich wohl ein Zyniker geworden.

Glücklicherweise ist es anders gekommen.“ Schramm hat zwei erwachsene Töchter und einen Stiefsohn aus zweiter Ehe. Zur Pause des Programms in Dreieich herrscht ausgelassene Stimmung. Der zornige Rentner Dombrowski hat den Wahnsinn von Kapitalismus, Gesundheitssystem und Politikversagen derart eindrücklich unters Volk gebracht, dass man glatt einer neuen Partei unter seiner Führung beitreten würde. Nach der Pause aber kommt der Bruch. „Er redet sich ins Unrecht“, sagt Schramm über seine Figur. Dieser Punkt ist spätestens erreicht, als Dombrowksi überlegt, einen Pharmareferenten umzulegen. Der Alte bebt vor Zorn, aber plötzlich erzählt er mit brüchiger Stimme, wie das ist, wenn sich der Hass über Nacht gelegt hat. Er erzählt, dass er sich habe ausrechnen lassen, wann seine Rentenbeiträge aufgebraucht sind, wann er „quitt“ wäre mit der Gesellschaft, um mit genau diesem Datum sein Leben zu beenden. In diesem Moment tut er einem leid. Dann möchte man ihn in den Arm nehmen so wie den betrunkenen, desillusionierten Bundeswehroffizier Sanftleben. Aber zu einer Revolution folgen will man ihnen nicht.

Schramms Kabarettprogramme sind durch und durch pessimistisch. Vieles stimmt, was seine Bühnenfiguren sagen. Aber was nützt das? Oberstleutnant Sanftleben sinniert über die vielen jungen Männer in Asien und der arabischen Welt, für die es keine Jobs und keine Zukunft gibt. Der Soziologe Gunnar Heinson hat die Folgen dieses „youth bulb“ eindrücklich beschrieben, der fiktive Oberstleutnant spricht sie nur plakativer aus: „Ab dem dritten Sohn gibt’s Krieg.“

Und was ist mit uns? Wie behauptet sich eine Gesellschaft, die nicht mehr bereit ist, Kinder auf dem Schlachtfeld zu opfern, die unter den Nazis „den Heldentod überstrapaziert“ hat und bald nur noch einen „Rentner-Volkssturm mit Parkinson“ ins Feld schicken kann? Wird so eine Gesellschaft automatisch friedlich? Oder lässt sie einfach die Drecksarbeit von Söldnern erledigen?

Georg Schramm weiß, wovon er Sanftleben reden lässt. Er war drei Jahre Zeitsoldat. „Ich bin ein verkappter Militarist“, gibt er zu. Bei der Bundeswehr hat er gemerkt, dass ihn Waffen faszinieren, und dass ihn das verändert. Negativ. Also hat Schramm nachträglich den Kriegsdienst verweigert. Heute ist er Pazifist, aber ein differenzierter. „Die Bundeswehr ist nicht die Reichswehr“, sagt er. Der Militärische Abschirmdienst hat ihm in den 70er Jahren hinterherspioniert, wegen „charakterlicher Nichteignung“ wurde ihm die Offizierslaufbahn verwehrt. Aber Schramm hat Respekt vor vielen Offizieren. Er teilt deren Klage, dass die Armee es ausbaden muss, wenn die Politik mit sinnlosen Einsätzen irgendwo auf der Welt punkten will.

Auch vom ewigen Nörgler und Zeterer Dombrowski, der an der Gesellschaft verzweifelt, steckt einiges in dem Kabarettisten. „Die Triebfeder ist dieses tiefe Gefühl der Unzufriedenheit“, sagt Schramm. Es ist Teil seiner Herkunft. Zu ihr gehört die Erfahrung, dass der Bruder eine Lehrstelle als Kaufmann nicht bekam, weil er der Sohn eines Sozialdemokraten war. Die Grundhaltung, dass man skeptisch sein muss gegenüber denen, die das Geld und die Macht haben, hat Schramm von zu Hause übernommen. Dombrowski aber exerziert den Moralismus durch bis zur Ausweglosigkeit.

Es gibt im deutschen Kabarett wohl keine bekanntere Kunstfigur als diesen Rentner, der mit Vorliebe unerwartet ins Programm oder Fernsehstudio platzt und den Laden aufmischt. Eine Reizfigur, die Schramm erstmals bei einem Auftritt mit einer Hobbytheatergruppe ausprobierte. „Da waren unheimlich viele alternative Mütter mit ihren Kindern im Publikum, mit denen hat er sich angelegt“, erzählt Schramm. Seine Augen leuchten vor Vergnügen bei dieser Erinnerung. Inzwischen ist der anfangs kalt-aggressive Rentner weicher geworden, resignierter. Die Leute lachen über ihn, aber Dombrowski meint nichts von dem komisch, was er sagt. „Er ist an einem Punkt, wo es nicht mehr lange gutgeht“, gibt Schramm zu. Er denkt für das nächste Programm über ein Ende des Alten nach. Aber auf der Bühne sterben lassen will er ihn nicht. Das wäre zu traurig. Und zu vorhersehbar.

Kölner Stadt-Anzeiger, 28.04.07

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