Jan Böhmermann bemühte sich, „rechte Influencer“ zu brandmarken und enthüllte die Identität des YouTubers „Clownswelt“. Der freut sich über seine explosionsartig gestiegene Reichweite.
Am vergangenen Freitag sorgte eine neue Ausgabe von Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ für Aufsehen. Unter dem Titel „Rechte YouTuber: Das Vorfeld der AfD“ begab sich der ZDF-Komiker auf die Jagd nach „rechten Influencern“ beziehungsweise solchen YouTubern, die er und sein Team dafür halten. Der Plot der Sendung ist schnell erzählt und schon an vielen Stellen ausgiebig besprochen worden: Mit der für ihn typischen Mischung aus Andeutungen, Framing, Geraune und Showeffekten bemühte er sich, die nicht linken Kanäle von Kolja Barghoorn („Aktien mit Kopf“), Leonard Jäger („Ketzer der Neuzeit“), Nina Hörig („Charlotte Corday“), Aron Pielka (Shlomo Finkelstein aus dem Podcast „Honigwabe“) sowie den Macher des YouTube-Kanals „Clownswelt“ als gefährliche „rechtsextreme fünfte Kolonne der AfD“ zu stigmatisieren. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der von Böhmermann als „You-Tube-Nazis, Rechtsextreme(n), die Content createn für andere Rechtsextreme“ Gebrandmarkten erfolgte erwartungsgemäß nicht. Stattdessen ging es um die Diskreditierung und Diffamierung ihrer Person.
Bei all der Schmähkritik schwang allerdings auch eine gewisse ratlose Bewunderung, um nicht zu sagen Futterneid mit. So stellte Böhmermann angesichts der stattlichen Followerschaft von „Aktien mit Kopf“ (bei Aufzeichnung der Sendung 686.000) ungläubig fest: „Ungefähr so oft verkauft sich jede Woche das Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘, und zwar gedruckt und digital zusammengerechnet,“ – eine im übrigen von fantastischem Optimismus getragene Aussage, aber man weiß ja nie, wofür man den Spiegel noch braucht.
Ebenso entsetzt zeigte er sich im Hinblick auf die Reichweitenstärke von Leonard Jäger alias „Ketzer der Neuzeit“: 548.000 Abonnenten zum Aufzeichnungs-Zeitpunkt, „mehr als TV Spielfilm und die Frankfurter Allgemeine zusammen“, wie Böhmermann spitzfindig feststellte. Und demzufolge rief er Jäger zu: „Willkommen im Mainstream!“
Diese Begrüßung galt Böhmermann fortan, um den (vermeintlich) rechten YouTubern ihren Independent- und Dissidenten-Status streitig zu machen. Nach dem Motto: Jetzt stellt euch mal nicht so an – ihr habt Riesenzugriffe und verdient euch damit eine goldene Nase! Auch wenn Böhmermann und seine Redaktion damit natürlich die Protagonisten verhohnepiepeln wollten – es wirkte unterschwellig larmoyant als ein Eingeständnis des eigenen Relevanz-Verlustes. Und im weiteren Verlauf zeigte sich auch, dass Böhmermanns Nazi-Anwürfe kaum noch Wirkung zeigen und sich seine Aggression gegenüber den Verunglimpften letztlich gegen ihn selbst wandte.
„Die Methoden erinnern mich stark an die Zeit in der DDR“
Im Mittelpunkt des Böhmermann‘schen Nazi-Theaters stand das „Doxen“ des Influencers „Clownswelt“, also die Preisgabe der Identität des bis dato anonym gebliebenen YouTubers in der „Neo Magazin Royale“-Sendung. Böhmermann nannte die beiden Vornamen des Machers von „Clownswelt“, im parallel erschienen Zeit-Beitrag „Der rechte Clown“ findet sich auch noch der erste Buchstabe des Nachnamens – der komplette Klarname kursiert mittlerweile online. Schadenfreude stand dem ZDF-Millionär ins Gesicht geschrieben, als er den Namen des 29-jährigen Gitarristen aus NRW enthüllte, der hinter dem YouTube-Kanal steht. Gefunden haben will ihn die Redaktion in einer gemeinsamen Recherche mit Die Zeit mittels eines von „Clownswelt“ geteilten Fotos, auf dem sein Gesicht nicht zu erkennen ist, dafür aber ein goldenes Gitarrenplektrum, das um seinen Hals hängt. Eine anschließende Durchsuchung aller „verfügbaren Fotos von allen deutschen Metalbands in Deutschland nach einem Gitarristen“ habe „Clownswelt“ identifiziert. Forensiker Böhmermann im Einsatz – Auf der Spur des Verbrechens!
Außerdem habe man „seine ehemalige Band durchleuchtet, mit seinen Bekannten und Verwandten gesprochen, seine Uni besucht, alles mit anderen Quellen doppelt und dreifach kross-gecheckt“ und sogar „seine Stimme wissenschaftlich abgleichen lassen“. Am Ende war man sich über dessen Identität „sehr, sehr sicher“. Das private Umfeld des Metal-Gitarristen und ehemaligen Lehramtsstudenten habe von dessen YouTube-Karriere nichts gewusst und sei komplett überrascht gewesen, wie Böhmermann nach Art eines Klassenstrebers petzte. Was beim denkenden Teil des Publikums nicht gut ankam. „Die Methoden erinnern mich stark an die Zeit vor 1989 in der DDR“, kommentierte ein Zuschauer unter dem YouTube-Video und erhielt dafür mittlerweile fast 15.000 Likes. Zahlreiche weitere Nutzerkommentare auf dem ZDF-Neo-Kanal gehen in eine ähnliche Richtung.
Der „Streisand“-Effekt ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Denn die Böhmermannsche Hohlnummer entpuppte sich als erlesene Werbung für die Verunglimpften – und einen veritablen Abonnenten-Sprung für den gedoxten „Clownswelt“-Kanal: Knapp 150.000 neue YouTube-Abonnenten hat er seitdem gewonnen (Anstieg von 227.000 Followern bei Veröffentlichung der Sendung auf derzeit 374.000 Abonnenten). In den sozialen Medien rollte eine Solidarisierungswelle für den Enttarnten. In einem „Reaction-Video“ antwortete „Clownswelt“ bewundernswert souverän und humorvoll. So geht sowas. Der 44-jährige Berufsjugendliche Böhmermann sieht jetzt noch älter aus als er ohnehin schon ist.
„Die komplette 'Das Leben der Anderen'-Behandlung“
„Mir geht es gut, ich bleibe stabil und mache genauso weiter wie bisher“, sagte „Clownswelt“ gleich zu Beginn des Videos, freute sich über seinen Abonnenten-Zuwachs und den „Streisand-Effekt“. Er berichtete: „In letzter Konsequenz haben diese Menschen bei meiner Familie geklingelt, bei meinen Eltern, um den Spalt auch tief in meine Familie zu schlagen, äh, ich meine natürlich, sie investigativ über meine Tätigkeiten, die mein Einkommen generieren, aufzuklären“, so „Clownswelt“ weiter. „Daraufhin folgte eine Zusendung zweier Fragenkataloge, die sich gelesen haben wie Stasi-Akten; von Bekannten, die Schlimmes über meine Position berichten, muss ich lesen, auch nimmt man Kontakt zu meiner Band auf, die mich daraufhin rauswirft.“
Der Gitarrist ist überzeugt, dass jemand aus seinem ehemaligen Umfeld ihn an die Journalisten verraten habe und die Geschichte mit seiner Plektrum-Kette, anhand derer man ihn angeblich erkannt habe, erfunden sei: Aufgrund der ihm von Zeit und „Neo Magazin Royale“ zugesandten Fragenkataloge könne er schlussfolgern, dass Menschen aus seinem privaten Umfeld den Journalisten einen Tipp gegeben haben. Denn Gegenstand der Recherchen seien auch Gespräche gewesen, die „Clownswelt“ mit bestimmten Personen seines Umfeldes geführt hatte und die ihm in Erinnerung geblieben sind.
Das Fazit des YouTubers: „Die haben die komplette ‚Das Leben der Anderen‘-Behandlung bei mir durchgeführt, haben mich versucht an verschiedenen Stellen zu denunzieren, haben versucht so schlimme Sachen wie möglich von anderen Leuten über mich herauszufinden.“ Und: „(Böhmermann) merkt gar nicht, wie das rüberkommt.“
Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.