Bodo Ramelow, MdB und stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE, nimmt in einer Zuschrift Stellung zu einem Text von Norman Paech in der “jW” von Ende Juli. Ramelow betont, dass Paechs Beitrag nur als “private Meinungsäußerung” zu verstehen ist, die er, Ramelow, für “nicht akzeptabel” hält. Hier die Stellungnahme von B.R.:
Ich beziehe mich auf den gestern in Ihrer Zeitung veröffentlichten Artikel des Völkerrechtlers Norman Paech und weise darauf hin, dass dieser Artikel ausschließlich als private Meinungsäußerung seines Verfassers zu verstehen ist. Dieser Beitrag beinhaltet nicht die Prämissen und Grundpositionen der Fraktion Die LINKE im Deutschen Bundestag. In einzelnen Passagen bezieht er einseitige Positionen und gibt ihm damit eine Wertung, die ich für nicht akzeptabel halte.
Wer Raketen aus dem Gazastreifen, die Weigerung der Hamas, das Existenzrecht Israels anzuerkennen, und die finsteren Botschaften von Ahmadinedschad für ein nicht mal gleichrangiges Problem einordnet wie das militärische Verhalten der israelischen Regierung und die nicht zu akzeptierende Besatzung, sondern das Letztere sogar für das größere Problem hält, bezieht eine inakzeptable, einseitige Position. Beides gleichermaßen ist Teil der Bedrohung des Friedens im Nahen Osten. Bedauerlich finde ich auch, dass Norman Paech nicht das notwendige Differenzierungsvermögen aufbringt, den gesamten Entstehungsprozess der Konflikte in dieser Region einschließlich der englischen und französischen Mandatszeit zu beleuchten.
Die gesamte Region inklusive Syrien, Libanon und Jordanien ist eben Produkt einer verheerenden Kolonialpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie ist aber nicht ausreichend erklärbar ohne die ständigen Pogrome gegen Juden. Das beginnt nicht erst mit dem Holocaust, sondern auch die Gräuel in der Ukraine und der ständige Verfolgungsdruck gegen jüdische Menschen haben den Wunsch nach Einwanderung stark geprägt. Israel als Staat ist nicht erklärbar ohne diese Tatsachen. Der Teilungsplan der UN ist nicht begründbar ohne den Massenmord an den Juden durch Deutsche. Aber es ist auch wahr, dass die Sowjetunion diesem Plan ausdrücklich zugestimmt hat. Ich empfehle als Literatur daher Tom Segev
„Es war einmal ein Palästina“. Dort wird die gesamte Thematik auch unter Einschluss der Widersprüche innerhalb des arabischen Lagers und innerhalb des jüdischen Lagers historisch aufgearbeitet. Es ist eben falsch, einfach nur zu unterscheiden in Moslems versus Juden.
Die Bedrohung in der Region geht vielmehr vom Fundamentalismus aus.
Die orthodoxen Juden lehnen den Staat Israel prinzipiell ab. Teile von ihnen bekämpfen die Repräsentanten des Staates. Der Friedensnobelpreisträger Izaak Rabin wurde für seine Friedensbemühungen von einem solchen Fundamentalisten ermordet. Dieser gewalttätige Fundamentalismus kommt im christlichen, jüdischen und muslimischen Gewand daher.
Da ist es eben gerade von Bedeutung zu erkennen, dass fundamentalistische amerikanische Christen genau die aggressiven und orthodoxen Siedler finanzieren. Insoweit möchte ich angesichts der aktuellen Bilder nicht ARD-Kameramann im Gaza-Streifen sein, aber auch nicht palästinensischer Homosexueller. All das kann auch zu einer tödlichen Bedrohung werden. Da ist es auch spannend zu erwähnen, dass sich israelische Homosexuelle für den Schutz palästinensischer Homosexueller engagieren, und es ist eben erstaunlich, wenn bei der Gay Parade in Jerusalem muslimische Orthodoxe gemeinsam mit jüdischen Orthodoxen vereint die Steine schmeißen.
Daher muss es unser Bemühen sein, durch diplomatische Arbeit friedliche und akzeptierte Grenzen für die Zweistaatlichkeit zu erreichen. Es muss rechtstaatliche Standards in einem israelischen Staat genau so selbstverständlich geben wie in einem palästinensischen Staat.
Deshalb haben wir in einer Fraktionssitzung die im beiliegenden Papier aufgestellten drei Grundsätze schon im Februar 2007 entwickelt. Auf die drei Grundprinzipien dieses Papiers möchte ich mit Nachdruck hinweisen. Letztendlich müsste man, folgt man der Logik von Norman Paech, zurückkehren zum Osmanischen Reich. Von der Gefängnissituation des Gazastreifens zu reden und die ägyptische Grenze (auch Mauer und Stacheldraht) zu verschweigen, ist mir genau so einseitig wie den militärischen Kampf der libanesischen Regierung gegen Palästinenser zu verschweigen. Hisbollah und Hamas sind nun auch nicht gerade ohne ihre „Stiefel im Nacken der Nachbarn“ zu beschreiben. Das Osmanische Reich kann als Lösungsweg doch nicht wirklich eine aktuelle Schlussfolgerung sein.
Ich möchte abschließend noch einmal betonen: Für mich sind Fundamentalisten jeglichen Glaubens inakzeptabel. Der Weg zum Frieden ist für alle Beteiligten gleich weit. Bei dieser Erkenntnis helfen Einseitigkeiten nicht weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow
(nach Diktat im Außendienst)
Siehe:
Norman Paech - Die Vorposten-Ideologie
http://www.jungewelt.de/2008/07-31/021.php