Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 21.02.2011 / 04:39 / 0 / Seite ausdrucken

Bochum statt Bayreuth

Mit Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg verband mich bislang kaum mehr, als dass wir beide zum „Dr. iur.“ promoviert hatten und das auch noch jeweils mit der Note „summa cum laude“. Guttenberg tat dies standesgemäß im schönen Bayreuth; ich (ebenfalls standesgemäß) in den Betonruinen der Ruhr-Universität Bochum. Guttenberg brachte es auf 450 Seiten Text und über 1.200 Fußnoten; bei mir waren es am Ende 509 Seiten Text (mit allen Anhängen 663 Seiten) und 2.426 Fußnoten.

Vielleicht irritiert mich daher die Affäre um die offenkundigen Ungereimtheiten in der Dissertation des Freiherrn umso mehr.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass es zwei Arten von Dissertationen gibt. Die eine Art von Dissertation verkörpert immer noch die ursprüngliche Idee hinter einer Doktorarbeit. Da geht es um wissenschaftliches Arbeiten, die Freude an der Auseinandersetzung mit einem Thema und auch um die Vorbereitung einer etwaigen akademischen Laufbahn. Oft genug schließt dies lange Auslandsaufenthalte ein. Es ist die Art von Dissertation, für die ich mich damals entschieden hatte.

Die zweite Art von Dissertation würde ich als Gebrauchs-Dissertation bezeichnen. Das ist nicht abschätzig gemeint, aber es handelt sich bei solchen Arbeiten um Ausarbeitungen, deren überwiegender Zweck darin besteht, sich zwei zusätzliche Buchstaben auf die Visitenkarte (und in den Personalausweis, auf die Kredit- und die Miles-and-More-Karte) drucken zu lassen. Dabei spielen praktische Überlegungen eine Rolle, zum Beispiel dass es immer noch in einigen Berufen einen Gehaltsunterschied zwischen Promovierten und Nichtpromovierten gibt. In manchen Anwaltskanzleien kommt man ohne den Doktortitel ohnehin nicht weit. Aber besonders wissenschaftlich anspruchsvoll sind diese Arbeiten oft nicht.

Bei Karl Theodor zu Guttenberg scheint der berufliche Aspekt die größere Rolle bei seiner Doktorarbeit gespielt haben. Für ihn, der lediglich das erste juristische Staatsexamen vorzuweisen hat und somit (zumindest in den Augen vieler Fachkollegen) kein „richtiger“ Jurist ist, sollte der Doktortitel anscheinend einen Makel tilgen und dem beruflichen Fortkommen dienen. Fair enough.

Was ich aber nicht verstehe, das ist der Aufwand, den Guttenberg betrieben hat, um an diese zwei Buchstaben zu kommen. Hätte er nicht einfach eine Gebrauchs-Dissertation schreiben können wie andere auch? 150 bis 200 Seiten, ein eng eingegrenztes Thema, Veröffentlichung online oder im Eigenverlag – das hätte sich selbst für einen jungen Bundestagsabgeordneten innerhalb einer Legislaturperiode bequem nebenher erledigen lassen. Viele Anwälte schaffen es ja neben ihrer Arbeit auch.

Guttenberg jedoch wählte sich ein Thema, das sich nicht nach Art einer 08/15-Dissertation bearbeiten lässt. Es ist ein Thema, das schon im Titel einen gewissen Anspruch vermuten lässt. Der beträchtliche Umfang, den Guttenbergs Arbeit am Ende angenommen hat, belegt dies eindrucksvoll. Dazu passt dann auch, dass die Veröffentlichung nicht irgendwo erfolgte, sondern in einem der renommiertesten Verlage für juristische Abhandlungen. Mit so einer Arbeit, wenn sie denn ordnungsgemäß zustande gekommen wäre, hätte sich der Verfasser für höhere akademische Aufgaben empfehlen können.

Für mich sieht es zumindest so aus, als ob sich Guttenberg schlichtweg überschätzt hat, als er seine Arbeit begann. Vielleicht wollte er zu Beginn tatsächlich eine bahnbrechende Abhandlung über Verfassung und Staatlichkeit verfassen, musste dann jedoch feststellen, dass sich derart anspruchsvolle Wissenschaftlichkeit nicht im Nebenberuf bewältigen lässt – nicht einmal dann, wenn man den Bearbeitungszeitraum über sieben Jahre streckt.

An einem Punkt muss es für Guttenberg unangenehm geworden sein, mit seinem akademisch ambitionierten Projekt wahrscheinlich aus schierem Zeitmangel nicht mehr voranzukommen. Vielleicht nervten ihn auch die ständigen Nachfragen nach dem Fortschritt seiner Arbeit. Statt sich jedoch einzugestehen, dass er sich selbst mit der Wahl des Themas schlicht überfordert hatte, entschied er sich dann wohl dazu, die Arbeit irgendwie zu Ende zu bringen. Und dieses ‚irgendwie‘ schloss dann auch Mittel ein, die mit den üblichen akademischen Praktiken nichts mehr zu tun hatten.

Wenn es so wäre, dann könnte ich Guttenbergs Verhalten zumindest nachvollziehen. Denn anderenfalls ergibt es einfach keinen Sinn. Niemand schreibt eine akademisch höchst anspruchsvolle Arbeit, veröffentlicht sie bei Duncker & Humblot, nur um später als Plagiator entlarvt zu werden.

Das heißt nicht, dass Autoren von Gebrauchs-Dissertation regelmäßig abschreiben. Aber bei einem verminderten Umfang und Anspruch ist dies in der Regel auch gar nicht nötig, denn das Thema lässt sich ohnehin auch vom Autor allein gut handhaben.

Eine Entschuldigung für Guttenbergs wissenschaftliches Fehlverhalten wäre der Zeitdruck des jungen Abgeordneten und Familienvaters, als der er sich selbst jetzt darstellt, freilich nicht. Aber es wäre immerhin eine Erklärung.

Dass Guttenberg auf seinen Doktortitel nach den bisher enthüllten Plagiaten dauerhaft verzichten sollte, versteht sich meiner Meinung nach übrigens von selbst. Es dürfte andere Doktoranden, die ihre Dissertation ehrlich und in jahrelanger Arbeit verfassen, doch sehr irritieren, dass man auch mit einer Reihe von Täuschungen zum selben Resultat kommt.

An Gebrauchs-Dissertation hatte man sich ja schon länger gewöhnt. Auch an humanmedizinische Dissertationen von 60 oder 70 Seiten. Aber mit Schummeleien eine vermeintlich anspruchsvolle juristische Doktorarbeit vorzulegen, sich mit „summa cum“ benoten zu lassen und dann auch noch unbedingt bei Duncker & Humblot zu veröffentlichen, das geht dann doch ein Stück zu weit.

An der ziemlich egalitären Ruhr-Universität Bochum wäre Freiherr zu Guttenberg mit dieser Masche wohl nicht durchgekommen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 04.10.2019 / 06:26 / 26

Vorsicht, lebende Anwälte künftiger Generationen!

Der deutsche Umweltrat will einen „Rat für Generationengerechtigkeit“ schaffen und das Gremium mit einem Vetorecht ausstatten, um Gesetze aufzuhalten. Was davon zu halten ist, wenn Lobbygruppen sich zu…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 04.02.2016 / 05:22 / 3

It’s time for Merkel to go

“With her actions during the refugee crisis, Merkel is dwarfing even these previous policy blunders. If one were to add up all her mistakes, they…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 24.09.2015 / 13:16 / 11

Das Volkswagen-Fiasko und seine Folgen

Mit dem Eingeständnis von VW, die Abgaswerte seiner Fahrzeuge systematisch manipuliert zu haben, wurde nicht nur der weltweit größte Automobilhersteller in eine Krise gestürzt, auch…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 18.09.2015 / 10:13 / 6

Die EU zerfällt

Letzte Woche schrieb ich an dieser Stelle, dass Europas Flüchtlingskrise die EU entzweien könnte. Diese Woche konstatiere ich die Fortschritte während der letzten sieben Tage…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 11.09.2015 / 09:55 / 6

Die europäische Flüchtlingskrise bringt die EU ins Wanken

„Immerhin kommt Deutschland jetzt in den Medien besser weg“, sagte mir ein befreundeter Geschäftsmann vor ein paar Tagen. „Ein erfreulicher Unterschied zu dem, was wir…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 09.09.2015 / 11:00 / 2

Europas Niedergang und seine Wurzeln

Vor fünf Jahren bot mir Alan Kohler an, im wöchentlichen Turnus die Wirtschaftslage in Europa zu kommentieren. Inzwischen habe ich die europäische Schuldenkrise in mehr…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 29.08.2015 / 03:13 / 3

In eigener Sache: Why Europe Failed

Am Montag erscheint im australischen Connor Court-Verlag mein Essay Why Europe Failed. Hier schon einmal eine kurze Zusammenfassung und ein Auszug: “Oliver Hartwich has written…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 16.08.2015 / 01:38 / 1

Mit links ins Abseits

Der Wettstreit um den Vorsitz der britischen Labour-Partei ist in Australien nicht vielen ein Anliegen. Wozu sich in die internen Debatten einer Partei vertiefen, die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com