Stefan Frank / 20.08.2024 / 16:00 / Foto: Montage achgut.com / 12 / Seite ausdrucken

Bloß ein bisschen Israelkritik: „Bist du Jude, oder was?“

Vor Gericht im französischen Montpellier erklärte der Angreifer, er habe nicht aus Antisemitismus, sondern aus Trauer über die von Israel verursachten Toten in Gaza gehandelt.

In der französischen Universitätsstadt Montpellier ist ein antisemitischer Gewalttäter am Montag zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden, davon ein Jahr auf Bewährung. Das Urteil erging sechs Tage nach der Tat. 

Am Dienstag, den 6. August, gegen vierzehn Uhr hatte der 48-jährige Arbeitslose Halim E. in der Straßenbahn einen Mann antisemitisch beschimpft und anschließend zusammengeschlagen. „Bist du Jude?“, fragte er immer wieder einen anderen Fahrgast, den 67-jährigen Pariser Rentner Jean-Yves, der mit seiner Lebensgefährtin auf Urlaub war. „Bist du Jude, oder was?“ Der Rentner erwiderte: „Was willst du, bist du Jude?“ Weiterhin aggressiv erwiderte der Täter: „Du bist Jude, ich bin kein Jude, ich bin Marokkaner, ich werde deine Mutter ficken, beschissener Jude.“ Dann schlug er dem Mann mit der Faust ins Gesicht, riss ihn zu Boden und traktierte das Opfer mit Fäusten, Tritten und einer Dose.

Jean-Yves wurde ein Zahn ausgeschlagen, seine Brille wurde zerbrochen, seine Schulter schmerzt. All dies geschah in Anwesenheit zahlreicher Fahrgäste. Eine Frau filmte den Vorfall, das Video verbreitete sich über die sozialen Medien. Jean-Yves ist nicht jüdisch und trug auch keine Kleidung oder Gegenstände, die ihn als Juden kenntlich gemacht haben könnten. 

 Es sei eine „Dummheit“ gewesen

Perla Danan, Präsidentin der Delegation Languedoc-Roussillon des CRIF (Conseil représentatif des institutions juives de France), des Dachverbands der jüdischen Organisationen Frankreichs, sagte in einem Fernsehinterview, Jean-Yves habe einen „kleinen traditionellen Hut“ getragen. Keiner der anderen Fahrgäste sei eingeschritten oder habe den Alarmknopf betätigt. Nach dem Angriff hatte Danan einen Zeugenaufruf gestartet und Kontakt zu Jean-Yves aufgenommen. Sie fragte ihn, warum er seinem Angreifer nicht gesagt hat, dass er kein Jude sei: „Er sagte mir, das wäre feige gewesen. Und dass ihn der hasserfüllte Blick seines Angreifers an den Hass der Angreifer vom 7. Oktober 2023 erinnert hatte.“

Der Täter wurde in seiner Wohnung festgenommen. Die Polizei fand bei ihm die Kleidung jenes Angreifers, der auf den Videoaufnahmen zu sehen ist. Der Mann ist auf Korsika geboren, besitzt die französische Staatsangehörigkeit, wurde bereits wegen Gewalttaten und Drogendelikten verurteilt und „von den Gerichten als Kleinkrimineller angesehen“, so das Magazin Le Point

Vor Gericht sagte der Täter aus, was er getan habe, sei eine „Dummheit“ gewesen, habe aber nichts mit Antisemitismus zu tun. Er sei betrunken gewesen. Seine eigene Erinnerung an den Vorfall beschrieb er vor Gericht so: „Als ich in die Straßenbahn stieg, zählte ich die Toten im Gazastreifen. Ich habe in der Straßenbahn laut mit mir selbst gesprochen. Ich verstand nicht, warum er mich so ansah, als ich über die Toten in Palästina sprach. Also fragte ich ihn, ob ihm die Sache Sorgen mache und ob er Jude sei. Aber daran ist nichts Antisemitisches.“

Nur Straßen- oder Barbekanntschaften

Der Journalistt von Le Point schildert Halims Erscheinung vor Gericht: „Der Mann, ein arbeitsloser, behinderter Arbeiter, trägt vor seinen Richtern ein rotes ,Ibiza‘-T-Shirt anstelle der Djellaba [traditionelles Kleidungsstück im Maghreb; Anm. Mena-Watch], die er am Tag des Angriffs trug und welche die Polizei bei ihm zu Hause voller Müll fand. ,Das liegt daran, dass ich am Vortag gefeiert habe‘ , murmelt der Angeklagte. ,Ah, gut. Vorhin haben Sie uns gesagt, dass es an Ihrer Verzweiflung lag … ‘, wundert sich die Präsidentin Marie-Josèphe Roblez. ,Ja, ich hatte meine Tante verloren.‘“

Im Zeugenstand wies der Täter den antisemitischen Charakter des Angriffs zurück, den er im Übrigen einräumte: „Ich war nicht in meinem normalen Zustand, ich war alkoholisiert, ich habe das in Bezug auf den aktuellen Kontext in Gaza gesagt“. Er gab zu, unter Alkohol- und Drogenabhängigkeit zu leiden. „Mein Mandant hat keine Freunde, nur Straßen- oder Barbekanntschaften“, argumentierte seine Anwältin Cécile Sauvage. „Er ist so isoliert, dass sein Leben aus sozialen Netzwerken besteht.“ 

Die Verteidigerin zeichnete das Porträt eines leicht zu beeinflussenden Mannes, der die meiste Zeit auf der Social-Media-Plattform TikTok verbringt, „wo ihm seine Umgebung jeden Morgen Videos über den israelisch-palästinensischen Konflikt schickt. … Er hatte diese dumme Reaktion. Das Erste, das er mir sagte, war, dass er nicht wusste, warum er sich so verhalten hat.“

Die Strafe

Das Gericht folgte mit seinem Urteil dem Plädoyer des Staatsanwalts. Er argumentierte, dass „die Juden Frankreichs nicht mit Ereignissen in Verbindung gebracht werden sollten, die viertausend Kilometer von hier entfernt stattfinden, man darf nicht alles miteinander verwechseln.“

Montpelliers sozialistischer Bürgermeister Michaël Delafosse begrüßte das Urteil auf dem Kurznachrichtendienst X. „Es sei Gerechtigkeit“ geübt worden. Die Strafe, erläuterte er, sei „verbunden mit der Verpflichtung zur Behandlung seines Alkohol- und Betäubungsmittelkonsums, zur Absolvierung einer Ausbildung und eines Staatsbürgerschaftskurses. Außerdem wurde er zur Zahlung von 2.935 Euro Schadenersatz an das Opfer und 2.400 Euro an die verschiedenen Zivilparteien verurteilt.“

Vor zwei Monaten hatte der Bürgermeister Schlagzeilen gemacht, als er anordnete, abends die Beleuchtung des Rathauses auszuschalten, um an die „Tragödie der toten Kinder, der Zivilisten von Rafah“ zu erinnern.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

 

Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno“. „Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012

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Leserpost

netiquette:

Martin Müller / 20.08.2024

Politiker, die diese Zustände regelrecht herbeigeführt und toleriert haben, sind beim Schlagen, Treten, Rauben, Messerstechen, Vergewaltigen und Morden immer mit von der Partie. Von daher auch verantwortlich und auf die Anklagebank zu setzen. Bei uns Merkel als erste…

Ralf Adolf Berzborn / 20.08.2024

Daß kulturelle Überlegenheit in zumeist unterlegenen Mehrheitsgesellschaften zu Hilfslosigkeit führt und letztendlich in Gewalt mündet ist keine Erscheinung der Neuzeit , und daß man dennoch nicht bereit zu sein scheint aus der Geschichte zu lernen ist wohl auch dem Wesen des Menschen geschuldet . Deshalb gilt mehr denn je : “lebe , stärke ,  eine , bewahre , sichere , und verteidige deine Hochkultur ( notfalls mit allen Mitteln ) aber gib dich nicht zu erkennen .”

S. Marek / 20.08.2024

Es lebe die französische Zivilcourage und der Mut Montpelliers Justiz ,,, LOL

Bernhard Freiling / 20.08.2024

Wie das in Frankreich ist, weiß ich nicht. In Deutschland liegt das Strafmaß für schwere Körperverletzung zwischen ein und 10 Jahren. War Halim nicht einschlägig vorbestraft? # Der Mann hat doch offensichtlich ein Rad ab. M.E. gehört der für mehrere Jahre in die Psychiatrie weggesperrt. Ein gewalttätiger Radaubruder, der hochwahrscheinlich auf Anwalts Hinweis “auf Empathie-Aussetzer” macht. Ein “der hat mich schräg angesehen”, würde nicht so gut kommen. Ganz anders eine “persönliche Betroffenheit” wg. irgendwelchen anonymen “Opfern”. # Was könnte denn als Nächstes kommen? Bist du Le Pen-Wähler? Oder Macron-Wähler? Oder AfD-Wähler? Dann schlag ich dir die Fresse ein. Wenn dann noch Alkohol im Spiel und der Schläger “Ersttäter” ist, gibt’s “ein du, du,du” und Bewährung. Natürlich nur dann, wenn ein edler Wilder einen Einheimischen verhaut. Sollte das Spiel anders herum laufen, wird die maximale Härte des Gesetzes zuschlagen. # Abgesehen davon gehört m.E. die ganze Meschpoke, die dem Trauerspiel tatenlos zugesehen hat, wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht gestellt.

gerhard giesemann / 20.08.2024

Ein Moslem, der säuft?

Ralf Pöhling / 20.08.2024

Das Phänomen ist mir auch schon begegnet, Die antijüdische Propaganda ist bisweilen derart massiv, dass so mancher seine ganze Wut in das Judentum projiziert und jeden, der ihm nicht gefällt, dann fälschlich als Juden identifiziert. Der Begriff Jude wird damit quasi zum Schimpfwort. Im Dritten Reich war das genauso. Stichwort: “Wer Jude ist, bestimme ich!” Wir müssen raus aus dieser Nummer. Und zwar ganz schnell und gründlich. Sonst wird das Judentum das langfristig nicht überleben.

Franz Klar / 20.08.2024

Ein behinderter ,versoffener Korse mit Djellaba und ´nem ordentlichen Punch ? Was es alles so gibt in der Welt ...

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