Marcus Ermler / 13.03.2019 / 06:18 / Foto: Pixabay / 91 / Seite ausdrucken

Björn allein im Führerbunker

Aktuell kracht es ordentlich im AfD-Gebälk. Es ist ein Streit, der sich in Björn Höcke personifiziert, darüber hinaus aber auch die ihm ergebene rechtsradikale Flanke der AfD im Visier hat. Also die innerparteiliche Bewegung „Der Flügel“, die unlängst vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ klassifiziert wurde. Ausgangspunkt war eine Rezension der Autobiographie Björn Höckes von Dieter Stein, dem Chefredakteur der Jungen Freiheit. Weit weniger höfliche Geister würden Steins Text eher einen Verriss als eine Buchbesprechung nennen. Ein Angriff auf Höcke im Besonderen und seinen „Flügel“ im Allgemeinen.

Gilt die Junge Freiheit bekanntermaßen als Sprachrohr der AfD – ähnlich wie die Tageszeitung Neues Deutschland für die Linkspartei oder die taz für die Grünen – scheint „Der Flügel“ für die Junge Freiheit die Demarkationslinie zwischen konservativer Sympathie und rechtsradikaler Antipathie aufzuzeigen. Stein ist nämlich „Wiederholungstäter“ in der konservativen Sektion von Höckes radikalen Auslassungen. Bereits vor zwei Jahren hat er Höckes missverständliche Äußerungen zum Holocaust-Denkmal als willkommene Einladung zu einer Attacke genommen. Wenig schmeichelhaft mit „Das Höcke-Problem“ tituliert.

Seinerzeit attestierte er Höckes Rede zum Holocaust-Denkmal eine „Mischung aus schwülstigem Pathos und großspurigem Auftreten“, mit der er „die Debatte [befeure], die AfD könne zu einer rechtsradikalen bis rechtsextremen Formation mutieren“. Weiter griff er damals bereits Höcke frontal an, indem er direkt eine Verknüpfung zu den 1930er Jahren herstellte: 

Höckes befremdliche Positionen, vorgetragen in einer egomanischen Rhetorik, die peinlichst an Volksredner der dreißiger Jahre erinnert (‚Ich möchte, daß ihr euch im Dienst verzehrt ... ich weise euch einen langen entbehrungsreichen Weg ... es ist der einzige Weg, der zum vollständigen Sieg führt ...‘), folgen einer Linie. Beim Treffen von Parteirechten am Kyffhäuser vergangenen Juni sprach er anspielungsreich von der ‚... nicht nur tausendjährigen, sondern über tausendjährigen Geschichte ...‘ Deutschlands […] Die Dresdner Rede bestätigt, daß dies kein Versehen, sondern Beleg ist für seine einschlägige politische Positionierung und Unfähigkeit, an positive patriotische Traditionen anzuknüpfen.“

Die messianische Heilsgestalt als bescheidener Weltenlenker

Steins aktuelle Analyse Björn Höckes mit dem vielsagenden Titel „Bescheidener Weltenlenker“ ist noch weit vernichtender. Es ist eine kristallklare Analytik Höckeschen Rechtsradikalismus, die dieser unverhohlen in seiner Autobiographie niederschreibt. Was Stein der Höcke Entourage aufzeigen will, sagt er selbst sehr freimütig: „Wer nämlich von Höcke den großen Revolutionsplan erwartet, stellt am Ende des Buches fest, dass der Tiger als Bettvorleger landet“. Er beschreibt Höcke als eine Person, dessen rechtsradikale Jünger ihn einer messianischen Heilsgestalt gleich verehren:

Seine [Höcke, Anm. des Autors] teils schrägen Auftritte und großspurigen Reden sind irritierend. Seine Anhänger huldigen ihm hingegen wie einem Erlöser. Gütig lächelnd nimmt er mit ausgebreiteten Armen ihre Ovationen entgegen und genießt das rhythmische Skandieren seines Namens […] Er wurde zum Schutzpatron und Guru aller, die die AfD in eine rechte Sackgasse manövrieren: So beim großen Treffen im schwäbischen Burladingen, wo sich Anfang Februar die durch Parteiausschlußverfahren bedrohten Oberchaoten der Partei (darunter Gedeon, Sayn-Wittgenstein, Stefan Räpple) trafen: Der Saal war passend mit riesigen Höcke-Porträts dekoriert.“

Scharf und unachgiebig ist Steins Kritik, erstens, an Höckes Dresdner Rede – in der Höcke seinerzeit ja eine „dämliche Bewältigungspolitik“ geißelte sowie eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ einforderte –, zweitens, an Höckes Umgang mit antisemitischen Äußerungen des Gedeon-Clans sowie, drittens, Höckes Unfähigkeit den für die BRD identitätsbildenden Umgang mit dem Holocaust beziehungsweise dem nazistischen Unrechtsregime des Dritten Reichs in einer angemessenen Tonalität positiven Patriotismus zu reflektieren:

Was soll eine 180-Grad-Wende bedeuten? Völliges Beschweigen der Verbrechen des Dritten Reiches? Es ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen Höcke unfähig ist, den Ton zu treffen […] [Höcke meldet] sich grundsätzlich nicht kritisch öffentlich zu Wort […], wenn sich AfD-Politiker eindeutig antisemitisch oder rechtsextrem äußern? Keinen Mucks hörte man von ihm zum baden-württembergischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon oder zu Doris von Sayn-Wittgenstein […] Sein Plädoyer [ist], mit der Linken zusammenzuarbeiten, um zu einer ‚kapitalismusüberwindenden Position‘ zu gelangen und einen nationalen Sozialismus zu schaffen, den er […] ‚solidarischen Patriotismus‘ [nennt]

Stein beschreibt Höcke als einen sich vollständig selbstüberschätzenden Sektierer wie Selbstdarsteller, der sich im Gegensatz dazu jedoch selbst als Staatsmann und Führungsfigur sieht:

Weder die von Höcke gepflegten Begriffe ‚Bescheidenheit‘ noch ‚Demut‘ hindern ihn aber daran, in den Fußstapfen der größten Dichter, Denker und Weltenlenker zu wandeln – nie scheinen ihm diese Schuhe zu groß zu sein […] Und was sieht Höcke, wenn er in den Spiegel schaut? Offenbar einen kommenden, großen Staatsmann, der sein Volk wieder aus den Niederungen ins Licht führt. Er weiß, ‚daß am Ende die überschlauen Taktierer und Finassierer doch den Kürzeren ziehen werden, weil die Menschen instinktiv den integren Führungspersonen folgen.‘“

Ein ideologisches Irrlicht will den Machtwechsel

Dabei tritt, nach Stein, aus Höckes Autobiographie besonderes eines mit aller Deutlichkeit hervor, dass Höcke in vollständiger wie umfänglicher Ambivalenz gefangen sei, was diesem aber nicht bewusst zu sein scheint:

Im Grunde weiß Höcke gar nicht, was er will. Einmal erklärt er das Gewissen zur entscheidenden politischen Urteilsinstanz, dann ist es plötzlich die Suche nach Kompromissen; einmal will er aus Verantwortung für das eigene Volk handeln, dann aber plädiert er für ‚Wirklichkeitsverachtung‘ – beides auf einer Seite. Einerseits will er die ‚Grenze des Sagbaren immer wieder mit kleinen Vorstößen‘ erweitern, andererseits empfiehlt er eine ‚allgemeine Mäßigung im Ton‘. Einmal erklärt er den Begriff ‚völkisch‘ für untunlich, nur um dann aber das Grundgesetz selbst als ‚völkisch‘ zu bezeichnen. Einerseits will er die AfD ‚von einem dämonisierten Außenseiter zum Teilnehmer an der demokratischen Normalität‘ mit kompromißbereiter Regierungsverantwortung machen, andererseits lehnt er jeden Ausgleich mit der politischen Klasse, den ‚herrschenden Obernichtsen‘, ab und beschwört den Volksaufstand. Ja, was denn nun?“

Einen Volltreffer landet Stein bei der Wiedergabe von Höckes Aussagen zum „Machtwechsel“, in dem Höcke als „integre Führungspersonen“, dem die „Menschen instinktiv“ folgen, eine „drängende Operation“ Deutschlands sieht, eine „Wendezeit“, in der „wir Deutschen keine halben Sachen“ machen. Was genau Höcke damit meint, umreißt Stein anhand von Zitaten aus der Autobiographie. Dieses Sammelsurium gewaltaffiner Revolutionsrhetoriken drängt einen Vergleich mit historischen Reminszenzen sozialistischer Volksgemeinschaftler geradezu auf:

Höcke sieht voraus, daß es zu einem umfassenden Machtwechsel kommen wird […] Die politische Führung habe dann ‚schwere moralische Spannungen auszuhalten‘: ‚Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muß aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigenen moralischen Empfinden zuwiderlaufen.‘ Bei einem notwendigen ‚großangelegten Remigrationsprojekt‘ ließen sich ‚menschliche Härten und unschöne Szenen nicht vermeiden, für die ‚wohltemperierte Grausamkeit‘ notwendig sei […] ‚Etwaigen Rachegefühlen darf man dann keinen Raum geben‘, das ‚christliche Vergebens- und Gnadengebot‘ werde ‚vielleicht einmal viel von uns abverlangen‘.

Stein schlussfolgert aus diesen Einlassungen unmissverständlich, dass Höcke „kein Konservativer, sondern ein ideologisches Irrlicht“ sei: Höcke „polemisiert ausdrücklich gegen jene Konservativen, die immer noch die Ordnung verteidigten, obwohl doch längst klar sei, dass alles fallen müsse, bevor man an den Wiederaufbau gehen könne“. Abschließend richtet Stein seine Worte an die AfD mit einer Aufforderung ihr Verhältnis zu Höcke und dessen Flügel endgültig zu bestimmen:

Nichts Originäres oder wenigstens Orginelles hat dieser redselige, weitschweifige ‚metapolitische‘ Möchtegern-Vordenker zu bieten. Nicht einmal irgend etwas Konsistentes […] All jene in der AfD, die sich nicht auf den Weg der am Ende unpolitischen Selbstradikalisierung begeben, in Parallelwelten isolieren und in Endzeit- oder Erlösungsphantasien ergehen wollen, stehen vor der Frage, ob sie diesen Weg in den eskapistischen Untergang mittragen und sich in eine falschverstandene Solidarität zwingen lassen sollen.“

Rumor in den Höcke-Medien

Den Rumor, den diese Aussagen in den Höcke eher wohlgesonnenen Presseorganen zwangsläufig erzeugen musste, kann und wird Stein vorausgesehen wie auch bewusst in Kauf genommen haben, wie er in einem aktuellen Kommentar Wenn Nachdenkliche verstummen noch einmal bestätigt und zugleich auch mit einem Aufruf zu einem Dialog mit Höcke verbindet:

Es ist nicht die Aufgabe unserer Zeitung, Dinge schönzureden – weder bei der Regierung noch der Opposition. Und wir müssen die Fenster der [Höcke-nahen, Anm. des Autors] Echokammern öffnen und die Diskussionen frischer Zugluft aussetzen. Björn Höcke habe ich übrigens – audiatur et altera pars – herzlich zu einem streitbaren Interview für die JF eingeladen.“

Jürgen Elsässer, der Chefredakteur von COMPACT, veröffentlichte zeitnah zu Steins Rezension eine Replik, wobei sich Elsässer auch auf die Titelschlagzeile „Spaltet er die AfD?“ der Jungen Freiheit bezog. Elsässer vermutete hinter Steins Angriff auf Höcke jedoch etwas ganz anderes als eine konservative Analytik von Rechtsradikalismus in der AfD:

Tatsächlich hat Höcke seit Herbst letzten Jahres seine Sprache stark gemäßigt und sich der Parteimitte angepasst. Dem radikaleren Kurs seines früheren Mitstreiters André Poggenburg, der kürzlich die AfD verlassen und eine eigene Partei gegründet hatte, hat Höcke eine klare Absage erteilt […] Aber offensichtlich hat Stein etwas Anderes auf die Palme gebracht: Am vergangenen Wochenende war der geplante Durchmarsch der sogenannten Gemäßigten in der AfD beim Landesparteitag der AfD Baden-Württemberg gescheitert.“

So konstatiert Elsässer, dass die Junge Freiheit versuche „einen Anpassungskurs in der AfD durchzusetzen“, wie sie weiland ja auch „die Ambitionen von Bernd Lucke wie von Frauke Petry“ stützte. Und weiter:

Nun trommelt sie zum dritten Mal, um unter Ausnutzung der Ängste vor dem Verfassungsschutz eine Säuberung der Partei von vermintlich Radikalen wie Höcke voranzubringen. Demgegenüber hat sich COMPACT immer für die Einheit der Opposition eingesetzt – sowohl innerhalb der Partei als auch zwischen Partei und Bürgerbewegungen.“

Bei PI-News analysiert Robert Anders, in eine ähnliche Richtung gehend wie Elsässer, indem er den Schaden anmahnt, der der AfD mutmaßlich durch Steins dystopischer Reflexion entstünde, und Stein dabei eine bewusste Eskalation bescheinigt, jedoch auch hinterfragt, ob diese negative Rezension nicht durchweg verpuffen würde:

eine Attacke zum jetzigen Zeitpunkt [kann] nur den überaus zahlreichen politischen Feinden Höckes in Thüringen und Deutschland von Nutzen sein […] Da Stein das wissen muss, kann er nur ganz bewusst so gehandelt haben, wie er es jetzt getan hat. Folglich will der JF-Herausgeber gezielt der Thüringer AfD, dem Politiker Höcke, aber auch der gesamten AfD Schaden zufügen […] [Doch] welche Partei ist so selbstmörderisch, ihren besonders aussichtsreichen Spitzenkandidaten kurz vor der Wahl bloß zu stellen, weil ein sich in den deutschen Medien immer noch nicht hinreichend anerkannt fühlender Journalist sein liebstes Feindbild auf so hassvolle Weise zur Unzeit pflegt?“

Linksliberaler Stein im Antifa-Vernichtungsmodus

Dann folgert Anders, dass diese nächste Stufe der Steinschen Eskalation vorwiegend von persönlichen Feindbildern motiviert wie getragen sei und eigentlich nur die Reinwaschung Steins zum Ziele hätte, um diesen gesellschaftsfähig zu machen:

Und wenn Dieter Stein tatsächlich glauben sollte, dass seine Denunziation Höckes in der JF ihn endlich im etablierten Politik- und Medienbetrieb gesellschaftsfähig machen könnte, dann jagt er einer Illusion nach: Einmal ‚Nazi‘, immer ‚Nazi‘! […] Dieter Stein hat das nicht beachtet, sondern seinem offensichtlich auch schon irrationalen Hass gegen Björn Höcke freie Bahn gegeben. Das ist nicht nur ein Fehler, sondern übel und schäbig. Deshalb wird der Schaden letztlich für Steins Ansehen größer sein als der für Höckes Zukunft.“

So sieht Anders in seinem Artikel Der Hass des Machtblocks und das Gezänk der Patrioten Stein letztlich „wenige Monate vor der Landtagswahl in Thüringen im Antifa-Vernichtungsmodus“. Und fordert von deutschen Patrioten ein: „Wenn einer wie er [Höcke, Anm. des Autors] so aggressiv und bösartig zur Menschenjagd freigegeben wird, muss eine einheitliche und eindeutige Reaktion der Solidarisierung unter allen Patrioten erfolgen – ob nun in der AfD oder unabhängig“.

Jouwatch kommt ebenfalls zu der Einschätzung, dass der „linksliberale“ Dieter Stein hauptsächlich aus persönlichen Gründen nun mit der „Streitaxt“ auf Björn Höcke losgegangen sei und es sich hierbei originär um einen Ausdruck des innerparteilichen Kampfes halte, in dem sich Stein positioniere:

Der Richtungskampf in der AfD ist noch nicht ausgefochten. Und anstatt wie die Linken mit den Flügeln zu schlagen, um so schneller vorwärts zu kommen, reißen sich die Protagonisten diese gegenseitig aus. Begonnen hat den Streit mal wieder der linksliberale Dieter Stein von der ‚Jungen Freiheit‘, der es wohl immer noch nicht verkraften kann, dass Lucke und Petry die Partei verlassen haben.“

Höckes antikonservative Germanentümelei

Philosophia Perennis hat zu dieser Causa ebenfalls zwei Kommentare veröffentlicht, einen vom Blogbetreiber David Berger und einen von Ed Piper. Piper interpretiert die Polarisierung, die Höcke inner- wie außerhalb der Partei provoziert, als normalen Bestandteil demokratischer Willensbildung. Schließlich sei „eine demokratische Partei keine privat geführte Firma, in der man wie ein Geschäftsführer je nach Gusto schalten und walten kann“. Er beschreibt Steins Besprechung, wie auch Elsässer und Anders, als von Motiven getragen, die der AfD Schaden zufüge:

Geht es hinter den Kulissen evtl. sogar darum, dass einigen Damen und Herren innerhalb der AfD ein zu starker Landesverband Thüringen ein Dorn im Auge wäre? Macht sich die JF hier also evtl. sogar zum publizistischen Handlanger parteiinterner Machtspielchen, in deren Rahmen der tatsächliche Erfolg oder Nicht-Erfolg der AfD letztendlich völlig egal ist?“

David Berger, der ob einer kritischen Berichterstattung über Höcke selbst „regelmäßig Hassmails [bekommt], die fast vermuten lassen, um Höcke habe sich eine kleine sektiererische Gruppe gebildet, die ihren Führer bis zum (eigenen und fremden) Blutvergießen verteidig[e]“, kommt dabei zu einem anderen Schluss: 

Man kann davon ausgehen, dass es für diese Menschen bald wieder leichter wird, AfD-Mitglied zu sein bzw. die Tage Höckes in der AfD nach diesem vernichtenden Urteil von Deutschlands wichtigstem konservativen Medium endgültig gezählt sind.“

In einem weiteren Artikel stellt Berger klar, dass es sich bei Höcke mitnichten um einen Konservativen handeln kann und argumentiert hier anhand dessen mangelhafter christlich-theologischer Fundierung wie antipreußischem Reflex:

Die von den göttlichen GEBOTEN geprägte Religion der Juden – und das preußische STAATSETHOS, das sich an Pflichtbewußtsein, Ordnungsdenken und Gesetzestreue orientiert. Beide miteinander verwandte Denk- und Lebenswelten sind zutiefst konservativ – und das ist Herr Höcke mit seiner bibelfremden, skurrilen Germanentümelei und seiner unklaren und daher ausufernden Mentalität gerade nicht.“

Anekdoten vom Busenfreund

Anekdotisch wird es bei Götz Kubitschek, dem Chefredakteur der Sezession. Sein Artikel „Dieter Stein las Björn Höcke“ ist mehr ein publizistischer Support für seinen Busenfreund Höcke als eine kritische Auseinandersetzung mit Steins Buchbesprechung. Wenn man davon absieht, dass er Höckes Fantasien eines „Remigrationsprojekts“ Karlheinz Weißmann zuschreibt, meidet es Kubitschek, auf nur einen der Kritikpunkte von Stein einzugehen. Er verliert sich eher in einer persönlichen Riposte, als in einer sachlichen Sektion. In seinem Artikel liefert er weiterhin – und das ist es, was ihn so lesenswert macht – einen tiefen Einblick in das Menschenbild von Höcke im Besonderen und das seiner „Ein Prozent“-Gesinnungsgenossen im Allgemeinen.

So wirft er Stein vor, dass dieser Höckes Autobiographie so liest, „wie ein antifaschistischer Stellen-Markierer es nicht besser lesen könnte“. Und unterstellt Stein, wie es auch die Herren Elsässer, Anders und Piper tun, gänzlich persönliche Motive:

Das ist ein starkes Stück! Er lastet Höcke den Unfrieden in der AfD an. Wie oft denn noch? Er macht sich über ihn lustig. Das ist schäbig. Was bezweckt er damit? Ist ihm Höcke nicht fein genug? Ist ihm sein manchmal ‚dissonantes Pathos‘ (Kubitschek) peinlich? Ist es ihm peinlich, daß er sich auf dem Weg in die Bundespressekonferenz rechtfertigen muß, weil er mit Höcke in einen Topf gerührt wird? […] Stein (und damit: seine Zeitung) setzte auf Lucke – und verlor […] Stein setzte auf Petry und Pretzell – und verlor […] Und nun? Auf wen setzt er jetzt? Wem will er voranhelfen, indem er Höcke zu demontieren versucht? Gibt es da einen Namen[?]“

Spannend ist das Menschenbild Höckes, welches Kubitschek anhand einer Erzählung einer gemeinsamen Wanderung transportieren möchte. So berichtet er, dass jeder anderer Wanderer, der ihnen begegnete, Höcke erkannte, „jeder vierte hatte ihn auf einer der über 300 Thüringer Bürgerdialoge schon einmal persönlich erlebt, jeder dritte wollte ein Autogramm, jeder zweite ein Selfie“. Kubitschek konstatiert weiter:

So etwas nennt man Popularität, und Höcke ist ein Populist […] [Es kann unheimlich sein], daß Leute, die auf einen Politiker setzen, weil sie große Sorgen haben, ‚verführbar‘ sind. Sind sie, keine Frage, aber diese Verführung ist nur dann eine, wenn jemand die Macht, die er in die Hand bekommt, mißbraucht. Macht kann man aber schlicht auch dafür einsetzen, etwas für diejenigen ‚rauszuholen‘, die sich nicht so flott übers Lebensparkett bewegen“

Der Populist der kleinen Leute

Höcke als Populist, der, wenn er denn an die Macht kommen sollte, diese nicht „missbrauchen“ würde, um die Menschen zu „verführen“. Wie in einer parlamentarischen Demokratie mit diversen Kontrollinstanzen jemand sein Macht derart missbrauchen könnte, bleibt hier zunächst offen im Raum stehen. Welche Menschen die Zielgruppe dieses nicht-verführenden Populisten sind, ist klar: es sind „die kleinen Leute“. Oder in Kubitscheks Worten:

Diese Leute sind im Schnitt weder so geschmeidig und gebildet, noch so vorzeigbar und fassadig wie die Gewinner unserer Gesellschaftsentwicklung, aber sie sind sehr zahlreich und ‚der Liebe wert‘, wie Georg Trakl das ausdrücken würde […] Sie können mit fast allem Bierflaschen öffnen, waren noch nie vegan und noch nie bei den Donaueschinger Musiktagen. Sie können ruppig sein, aber sie sind keine Nazis […] Die Masse, die kleinen Leute, die AfD-Wähler: Sie wollen ihre Ruhe und ihre Arbeit und ihren Ausdruck - keine reglementierte, keine wechselnde, keinen vorgeschriebenen […] Sind ihm [Stein, Anm. des Autors] die kleinen Leute peinlich, die Grobiane, die Biertrinker, die Pegidagänger, die lauten Menschen, die Menschen ohne Bücherschrank? […] Oder ist es eher so, daß er sich schämt, wenn er an Bier und Mett und diejenigen Wähler denkt, die so etwas verzehren?“

Säufer, Schläger und Hinterwälder, die Bücher nur dazu verwenden, dass der Tisch nicht wackelt, als AfD-Wähler? Das ist das Bild, welches Kubitschek, Höcke und ihre „Ein Prozent“ von ihren Wählern und den Menschen haben? Ist nicht vielmehr Gegenteiliges der Fall? Führt nicht die messerscharfe Analyse der politischen Realität bei vielen Menschen dazu, der AfD ihre Stimme zu geben? Die Unzufriedenheit ob einer gescheiterten Migrationspolitik? Die Ablehnung einer zentralistischen EU-Politik? Reicht es zur Erlangung dieser Analysefähigkeit aus, sich ins Koma zu saufen, seine Frau zu verprügeln oder Zeitungen nur dafür zu verwenden, Forellen einzupacken? 

Diese Rhetorik gleicht in bedenklichem Maße der der politischen Linken in Deutschland, die sich bekanntlich ja auch als Fürsprecher der vermeintlich Unterprivilegierten und Minderbemittelten geriert. Im linken Weltbild besteht ihre Wählerklientel auch aus Menschen zweiter Klasse, die sich schlicht nicht selbst helfen können. Rettung naht dort durch den Kommunismus mit menschlichem Antlitz und hier durch den „solidarischen Patriotismus“.

Die „Feindzeugen“ des Björn Höcke

Höcke gibt in einem Post auf seiner Facebook-Seite und einem Interview, das Götz Kubitschek mit ihm am 8. März für die Sezession führte, Einblick in seine Sicht auf die Dinge. So unterstellt er im Post seinen Widersachern „Säuberungen“ und „Richtungskämpfen“ vor den Landtagswahlen im Osten. Diesen „Feindzeugen“, wie Höcke sie nennt und die er nicht konkret benennt, wirft er folgendes vor:

Vor diesem Hintergrund verwundert es, daß es ausgerechnet in dieser Situation in den eigenen Reihen Echokammern für die Verleumdungen und Anschuldigungen von außen gibt. Es bieten sich tatsächlich einige Funktionäre bei den Medien als Kronzeugen an, um die Deutungen unserer Gegner scheinbar zu bestätigen. Sie werden damit zu‚Feindzeugen‘. Andere lassen sich bei öffentlichen Auftritten zu einem Kammerjäger-Jargon hinreißen, wenn sie über Parteimitglieder sprechen. Auch aus dem Umfeld der Partei wird versucht, Zwietracht in unsere Reihen zu tragen und schwelende Konflikte zu schüren.“

Im Interview deutet er die Misstöne, die er und sein Flügel provozieren, als „Binnenpluralismus in der AfD“. Konterkariert würde dieser von besagten „Feindzeugen, die eigene Parteikollegen mit Extremismusvorwürfen belegen, die sie vom Gegner kopiert haben“. Dieter Steins publizistische Analytik wirke für ihn in diesem Sinne „im schlechten Stile eines Antifa-Pamphlets oder VS-Gutachtens“. Und weiter wirft er Stein vor:

Nicht ich, sondern Stein und seine Berater sind das Problem. Hinter seinen Artikeln, Anwürfen und seltsam übergriffigen Forderungen steht doch die Überzeugung, daß die herrschende Klasse die AfD in ihren Kreis aufnähme, wenn sich die Partei von ihren Schmuddelkindern getrennt hätte. Diese Vorstellung ist so naiv, daß ich kaum glauben mag, jemand könne ihr ernsthaft anhängen. Um es unmißverständlich auszudrücken: Es gibt eine machtvolle AfD in keinem Zustand, der für das Establishment akzeptabel wäre. Gäbe es sie, wäre sie keine Alternative mehr.“

Welche Alternative Höcke vorschwebt, äußert er dann vollkommen unverblümt, in einer Tonalität, die Stein auch hier in Gänze in seiner Rezension bestätigt:

Nur als ‚blauer Planet‘ haben wir genug Gravitationskraft, um das alte Parteiensystem in seiner Verkrustung aufzubrechen. Der gärige Haufen AfD hat zudem noch immer genug Dynamik und jugendliche Frische, um das Establishment aus der Reserve zu locken […] Wir sollten uns in Zeiten der Krise und des Niedergangs vor einem falschen Konservatismus hüten, der sich an Institutionen klammert, die längst selber an der Zerstörung unseres Landes und seiner Bestände mitwirken. Wir vom Flügel sind absolut loyal gegenüber dem Staat und seinen notwendigen Organen, ohne die wir keine Ordnung und Freiheit verwirklichen können. Aber wir sind nicht dazu da, das Demokratiespiel der anderen mitzuspielen, sondern dazu, Demokratie, Meinungsverschiedenheit, Opposition und Politik für das Volk erst wieder herzustellen. Nicht Ruhe, sondern Unruhe ist heute erste konservative Bürgerpflicht.“

Das Parteiensystem aufbrechen? Establishment aus der Reserve locken? Vor falschem Konservatismus hüten? Staatliche Institutionen bekämpfen? Eine „Zeit des Niedergangs“? „Für das Volk“? Gegen die „herrschende Klasse“? Sozialismus statt Kapitalismus? Unruhe statt Ruhe? „Volksaufstand“ statt Ordnung? Stein nennt dies in seiner Rezension „den Weg der am Ende unpolitischen Selbstradikalisierung“, die Isolation in „Parallelwelten“ und das Ergehen in „Endzeit- oder Erlösungsphantasien“. Kurzum einen „Weg in den eskapistischen Untergang“.

Die protofaschistische Halbwelt des völkischen Sozialismus

In meinen Artikeln „Für Höcke, Volk und Vaterland“ und „Der Sirenengesang der deutschen Volksgemeinschaft“ vom November letzten Jahres habe ich einem Heimat-Positionspapier der Thüringer Höcke-AfD testiert, einen „kollektivistisch-nationalistischen Popanz einer deutschen Volksgemeinschaft hinlänglich“ zu exponieren und so den Weg in die protofaschistische Halbwelt des völkischen Sozialismus zu weisen:

Bedient ein ‚konservatives‘ Positionspapier in Sprache, Duktus und erschreckender Geschichtsrelativierung eine historisch unheilvolle NS-Tonalität, sollte die konservative Community in Deutschland nicht der Gefahr erliegen, auf diesen faschistischen Sirenengesang der kollektiven Volksgemeinschaft hereinzufallen. Um so auf ein Neues jedes freiheitlich-konservative parteipolitische Aufbegehren im nächsten tausendjährigen Reich zu beerdigen […] diesen grundgesetzlichen, gesellschaftlichen wie politischen Konsens der nach innen wie außen gerichteten Abwehr jeder faschistoiden Reminiszenz sind die volkssozialistischen Teile der AfD bereit an den Rand zu drängen und aus der kollektiven Identität zu verbannen, um das mystische Wir eines Nationalkollektivismus in seiner kollektivstiftenden Fiktion zu erhalten.“

Dennoch, und das machen meine Analyse wie auch die Rezension Steins und ebenso indirekt die Auslassungen von Kubitschek und Höcke deutlich, gilt zwar der Höcke-Entourage „Unruhe als konservative Bürgerpflicht“, was Stein als parallelweltliche „Erlösungsphantasie“ subsummiert, nichtsdestotrotz liegt der Weg dorthin im Ungefähren eines „Volksaufstand“ des „blauen Planeten“, im „kollektivistisch-nationalistischen Popanz einer deutschen Volksgemeinschaft“. Ein Zitat aus einem wissenschaftlichen Sammelband über den italienischen Faschismus bringt diese Malaise von Björn Höcke wie seiner Jünger präzise auf den Punkt (zitiert nach Jens Petersen, Die Entstehung des Totalitarismusbegriffs in Italien, 1978):

Die Faschisten … hatten über die eigene Bewegung keine genaueren Vorstellungen, die über ein Bündel an Negationen und über verworrene Erneuerungsbestrebungen hinausgegangen wären.“

Wer diesen Weg des rechtsradikalen Irrsinns meint, bestreiten zu müssen, wird sich nicht wundern dürfen, wenn er wie seine historischen Vorbilder mit diesen untergehen wird. Das ist es, was Stein mit dem „Weg in den eskapistischen Untergang“ anmahnt. Der Weg des Volkssozialismus führt über kurz oder lang immer nur in den Führerbunker und nicht zur erträumten völkischen Umgestaltung Deutschlands. Also nicht zu einem „blauen Planeten“ mit einem Führer Höcke.

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Lars Schweitzer / 13.03.2019

Das erinnert mich doch sehr an die Grünen in den 80ern. Was sich da alles getummelt hat, absolut unwählbar… Trotz späterer Mäßigung ist allerdings bis heute keine regierungsfähige Partei dabei herausgekommen. Ob die AfD auch diesen Weg gehen wird? Ich sehe in Höcke auch eher einen national orientierten Sozialisten als einen Konservativen. Wenn seine Sicht sich durchsetzt, kann auch schnell eine CDU nach Merkel Wähler und vielleicht auch blaue Mitglieder zurückgewinnen. Es ist alles offen. Ich hoffe nur, dass sich bei all dem Durcheinander auch noch jemand möglichst bald um die dringenden Probleme unseres Landes kümmert! DAS ist das, was MICH interessiert.

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