Es war eine sehr unschöne Geschichte. Während einer etwas – nennen wir sie „hitzigen“ – Diskussion vor einem Supermarkt zum Thema „Gehört der Parkplatz dem, der ihn zuerst gesehen hat oder dem, der zuerst drin ist“ bezeichnete ich meinen Kontrahenten als „dämlichen Elektroroller“, weil er einen Renault Zoe fuhr. Macht man nicht, ist nicht schön, und normalerweise vergisst man das nach einer halben Stunde.
Umso überraschter war ich, als mir ein Zettel mit einer Vorladung ins Haus flatterte, ich möge mich wegen Beleidigung vor Gericht einfinden, weil der dämliche Elektroroller wohl kurz vor dem Herzkasperl aufgrund meiner flapsigen Bemerkung stand. Also auf, ins Amtsgericht, meinen Freund Peter als Rechtsanwalt im Schlepptau, und so stand ich armes Bürgerlein vor dem Richter.
Der gegnerische Anwalt meinte, ich sei kein Unbekannter, würde für die Achse des Guten schreiben, wäre über 10 Ecken wahrscheinlich mit Hitler verwandt, ein Klimaleugner, ein Querdenker, ein Blutsauger, ein Auswurf der Hölle, ein genetischer Fehler, der fünfte Reiter der Apokalypse und der uneheliche Sohn von Donald Trump, und selbst Peter, der mich seit Schulzeiten kennt, rückte angeekelt ein Stückchen weg von mir und ich hatte das Gefühl, dass er mich eigentlich nicht mehr so richtig verteidigen mochte.
Es fehlte nicht viel, und der Ankläger und sein Anwalt und der Richter hätten sich auf mich gestürzt, um irgendwo die Zahl 666 an meinem Körper zu suchen. Auf jeden Fall waren sich Ankläger, Richter und mein Verteidiger einig, dass es so mit mir nicht weiterginge und ich sollte, da standrechtliche Erschießungen leider verboten sind, eine sehr saftige Geldstrafe bezahlen, da das Gesetz, leiderleider, auch keine Gefängnisstrafe vorsieht. Elektroautofahrer beleidigen. Geht gar nicht. Das ist sehr 1933.
„Meine Bemerkung war einzig und allein mein Fehler“
Und so waren insgesamt acht Augen verächtlich auf mich gerichtet, als mich der Richter fragte, ob ich zu sämtlichen Vorwürfen auch noch etwas zu sagen hätte. Ich flüsterte meinem Peter ein „Aussage gegen Aussage“ fragend ins Ohr, aber er schüttelte den Kopf. „Steh zu deinen Schandtaten, du dreckige Ratte“, gab er halblaut zurück. Gut, wenn es denn sein musste… Ich erhob mich, knöpfte mein Sakko zu und sagte, abwechselnd an Richter und Ankläger und dessen Anwalt gewandt: „Meine Bemerkung war einzig und allein mein Fehler. Als Dieselfahrer übernehme ich die letzte Verantwortung. Das bedaure ich zutiefst und bitte alle Bürgerinnen und Bürger und speziell den Kläger um Verzeihung.“
Plötzlich Stille im Gerichtssaal. Die Sekunden tropften dahin. Eine lange Minute sagte niemand etwas. Der gegnerische Anwalt fand als Erster die Sprache wieder. Er sagte aber nur ein Wort: „Fuck!“ Dann wieder Schweigen. Der Richter seufzte. „Was machen wir jetzt mit ihm?“, wandte er sich an den Gegner, „bestrafen kann ich ihn jetzt nicht mehr, er hat um Verzeihung gebeten.“ „Und die volle Verantwortung übernommen“, rührte sich jetzt mein robenschwarz gewandeter Peter ergänzend, der seine Courage wiedergefunden hatte.
„Aber er hat´s gesagt, er hat´s gesagt, den dämlichen Elektroroller, er hat´s doch zugegeben“, insistierte der Kläger und deutete mit puterrotem Gesicht auf mich! „Psst“, zischte sein Anwalt. Der Richter spielte mit seinem Diktiergerät. „Mag sein, aber er hat auch um Verzeihung gebeten“, sagte er betrübt. „Und die volle Verantwortung übernommen“, ergänzte mein Anwalt erneut. „Aber es kann doch nicht sein, dass so ein Verhalten ungesühnt bleibt, das muss doch Konsequenzen haben“, maunzte der dämliche Elektroroller. Der Richter seufzte erneut: „Herr Panneslowski“, sagte er zu meinem Kläger, „lassen Sie sich von Ihrem Anwalt erklären, dass eine Tat ohne juristische oder sonstige Konsequenzen bleibt, wenn sich der Täter für sein Verhalten entschuldigt…“ „Und die volle Verantwortung übernimmt“, peterte es neben mir zum dritten Mal.
Genialer Schachzug
Der Richter sah mich direkt an: „Glück gehabt, Herr Schneider. Ich stelle das Verfahren gegen Sie wegen des Zugebens eines Fehlers ein. Machen Sie das aber nicht noch einmal. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.“ Sprachs, stand auf und verschwand. „Aber er hat´s gesagt, er hat´s gesagt“, wimmerte der dämliche Elektroroller in Richtung seines Anwalts, der ihn kurz anknurrte. „Sie haben es doch gehört, er hat die Verantwortung übernommen und um Verzeihung gebeten.“ „Aber ich verzeihe ihm doch nicht“, jammerte mein Kläger. „Spielt keine Rolle“, bellte ihn sein Anwalt an und eilte durch die offene Gerichtssaaltüre, seine Robe um ihn wallend wie der Umhang des Dr. Faustus.
Peter klopfte mir anerkennend auf die Schulter. „Du verdammter Teufelskerl! Baust Mist und stellst dich dann hin und bittest um Verzeihung…“, sagte er bewundernd. „…und ich übernehme die volle Verantwortung!“, erklärte ich stolz! Peter grinste. „Du solltest Jura studieren, unbedingt! Auf so einen genialen Schachzug wäre ich nie gekommen!“ Offen gesagt: Ich auch nicht. Ich hätte nie gedacht, dass eine Tat quasi ohne Konsequenzen bleibt, wenn man nur um Verzeihung bittet und die Verantwortung übernimmt. Die Gerechtigkeit siegt doch immer wieder überraschend einfach. Und so billig!
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Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.