Vera Lengsfeld / 16.11.2017 / 10:00 / Foto: Sharon Pruitt / 9 / Seite ausdrucken

Bildungs-Katastrophe live

Kürzlich war ich Gastlektorin an einer Hochschule im Norden Deutschlands, die ich aus Höflichkeit nicht näher bezeichnen will. Ein beeindruckend schöner Campus, der alle Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen bietet. Aber wie wird das von den Studenten genutzt und was kommt dabei heraus?

Meine erste Veranstaltung war eine Abendvorlesung über Marxismus und Meinungsfreiheit. Es waren etwa 100 Zuhörer da, darunter an die zehn Antifa-Herrschaften, die sich in die drittletzte Reihe des Hörsaals setzten.

Der Professor, der mich eingeladen hatte, erzählte mir erst am nächsten Tag, dass es im internen Studentennetzwerk Stimmen geben haben soll, die meinten, einer Frau wie mir, die mit islamophoben Bemerkungen aufgefallen sei, dürfe man kein Podium bieten. Da meine Ankläger aber keinen einzigen Beweis boten, verebbte die Kampagne, ehe sie Fahrt aufnehmen konnte.

Allerdings, nach dem Motto: „Holzauge sei wachsam“ trauten sich ein paar mutige Antifa-Vertreter in die Höhle der Löwin, um zu hören, was sie sagen würde und einzuschreiten, sobald das geeignete Stichwort gefallen war. Sie rutschten zunehmend unruhiger auf ihren Stühlen hin- und her. Es ergab sich aus meinen Ausführungen über die Geschichte der Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch die Marxisten-Leninisten einfach nicht der richtige Anhaltspunkt für einen lautstarken Protest. Ich konnte ungestört meine Vorlesung zu Ende bringen.

Als die Diskussion eröffnet wurde, stand einer auf, der offensichtlich der Sprecher der kleinen Truppe war. Er hatte ein Stück Papier in der Hand, auf das er immer wieder schaute, ohne dass ihm die gewünschte Erleuchtung kam. Er beklagte, dass ich nichts gesagt und auch keine Quellen genannt hätte. Wobei ihm eigentlich hätte klar sein müssen, dass es für "nichts" auch keine Quellen geben kann. Das ist ungefär so, als wenn man sich in einem Restaurant beschwert, das Essen habe nicht geschmeckt und außerdem sei es zu wenig gewesen.

Dann bedankte er sich bei mir dafür, dass ich nichts gesagt hätte, worauf seine Kumpels klatschten und gleichzeitig aufstanden, um den Hörsaal zu verlassen.

Marktwirtschaft? Keine Ahnung

Dafür brauchten sie einen Moment, was mir die Gelegenheit gab, ihrem Sprecher eine der Quellen, die ich zitiert hatte, ans Herz zu legen. Ich hatte in der Vorlesung ausführlich über Lenins kleine Schrift „Wie soll man den Wettbewerb organisieren“ gesprochen. In dem schmalen Heftchen mit diesem harmlosen Titel legt Lenin dar, wie man mit Andersdenkenden umgehen muss. Vom Straßenreinigen mit der Zahnbürste, über das ins Lager deportieren bis zum Erschießen steht da alles drin, was schon unter Lenin Praxis im Sowjetparadies war.

Nach der Vorlesung gab es eine heftige Diskussion im Studentennetzwerk. Interessanterweise lehnten die meisten Zuhörer die Aktion der Antifa ab.

Eine Folge meiner Vorlesung war, dass am nächsten Tag zu meinem Seminar über Plan- und Marktwirtschaft auch Studenten kamen, für die das keine Pflichtveranstaltung war. Aber gleich zu Beginn des Seminars war ich schockiert. Die zukünftigen Betriebswirtschaftler hatten keine Ahnung, was Planwirtschaft von Marktwirtschaft unterschied. Auf die Frage, bei welcher von den beiden Wirtschaftsweisen der Staat die Wirtschaftsleitung hat, folgte ein langes Schweigen. Schließlich hob sich eine Hand und der Student riet, dass bei der Marktwirtschaft der Staat das Sagen hätte. Erst der dritte Redner hatte etwas von der „unsichtbaren Hand“ des Marktes gehört.

Wenn zukünftige Betriebswirtschaftler so völlig ahnungslos sind, was können sie dann später im Beruf leisten? Aber derartige Wissenslücken sind keineswegs nur auf Studiengänge wie BWL beschränkt. Wie ich von einem Dozenten einer bayerischen Hochschule erfahren habe, hat man dort mit vergleichbar gravierenden Defiziten etwa in Mathematik zu kämpfen.

Ein dort schon vor Jahren mit sämtlichen Studienanfängern in den Ingenieurfächern durchgeführter Test der Mathematikvorkenntnisse hatte damals ergeben, dass ein nennenswerter Teil der Erstsemester bereits mit Aufgaben auf dem Niveau der achten Klasse (Prozentrechnung, Dreisatz und dergleichen) überfordert war.

„Bulimie-Lernen“

Vom Professor, der mir versicherte, die verschiedenen Wirtschaftssysteme seien selbstverständlich durchgenommen worden, hörte ich zum ersten Mal den Begriff „Bulimie-Lernen“. Es wird für die Prüfung Stoff gepaukt, um anschließend wieder vergessen zu werden. In der DDR hieß es noch: „Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir“. Das scheint sich völlig umgekehrt zu haben.

Anabel Schunke hat kürzlich in einem Beitrag auf der Achse darauf hingewiesen, dass Deutschlands einzige Ressource die Bildung ist. Seit Jahren schreiben sich Politiker Bildung auf ihre Wahlkampf-Fahnen, drücken aber in der Praxis das Bildungsniveau stetig nach unten. Es machen immer mehr Schüler Abitur, aber das Abitur ist kaum noch so viel wert wie die Zehnklassenabschlüsse vergangener Jahrzehnte.

Die Bundesregierung verweist mit arroganter Selbstgefälligkeit darauf, dass so viele Schulabgänger studierten wie nie zuvor. Nur können diese Studenten kaum noch fehlerfrei schreiben, was man nach der Reform der Reform der Rechtschreibreform aber nicht nur ihnen allein anlasten kann. Ich weigere mich auch konsequent, die Dreifachkonsonanten zu benutzen, sondern folge darin der alten Schreibweise. Viele Betriebswirtschaftsstudenten, die ich kennengelernt habe, können aber auch kaum multiplizieren und schon gar keine Brüche kürzen, was mein Vater, der nur die achte Klasse absolviert hatte, problemlos beherrschte.

Der enorme Anstieg der Studentenzahlen hat auch zur Folge, dass Handwerker nicht mehr genügend Lehrlinge bekommen. In absehbarer Zeit werden gute Handwerker gesucht werden, wie Goldstaub. Unser duales Ausbildungssystem, das ausnahmsweise wirklich Weltspitze ist und erfolgreich von aufstrebenden Ländern kopiert wird, geht bei uns den Bach runter, ohne dass es einen Politiker kümmert.

Auch dieses bestens bewährte Ausbildungssystem ist inzwischen längst unter Beschuss geraten. So wird zum Beispiel in dem Projekt „BKE-Berufliche Kompetenzen erkennen“ der Bundesarbeitsagentur zusammen mit der Bertelsmann Stiftung von deren Vordenkern (Soziologen, Anthropologen, Pädagogen und dergleichen) die duale Ausbildung zum Auslaufmodell erklärt. Aus der zu einem erheblichen Teil auf die hohe "Akademiker"-Zahl zurückzuführende beunruhigend hohe Arbeitslosenquote unter jungen Leuten in Spanien und teilweise auch in Frankreich – und dem daraus resultierenden ebenfalls bereits merklichen Mangel an Arbeitskräften mit einer soliden Berufsausbildung – will man hierzulande unter "Bildungsexperten" offenbar nichts lernen.

FDP-Chef Christian Lindner hat im Wahlkampf immer wieder verkündet, dass seine Partei das weltbeste Bildungssystem wolle. Angeblich sollen sich die Jamaika-Unterhändler in diesem Punkt schon einig sein. Ich wette, dass diese Einigung nicht vorsieht, beispielsweise den erzwungenen Sexualunterricht für Grundschüler durch ordentlichen Rechenunterricht zu ersetzen. Und dass nicht dafür gesorgt wird, dass Schüler am Ende der ersten Klasse richtig lesen und schreiben können. Eine Fähigkeit, die sie erst am Ende der Grundschule beherrschen, wenn überhaupt. Später ist dann der politisch korrekte Wortschatz wichtiger als die Fähigkeit, Vorlesungen mitzuschreiben und Berichte zu verfassen.

Angeblich soll ja „längeres gemeinsames Lernen“ an einer Gemeinschaftsschule das Beste für unseren Nachwuchs sein. Warum aber bringen Politiker ihre eigenen Kinder nicht in solchen Schulen unter, sondern bevorzugen Privatschulen, die noch nach den „alten“ Methoden unterrichten?

Foto: Sharon Pruitt Flickr CC BY 2.0 via Wikimedia

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Leserpost

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Dorian Lindt / 16.11.2017

Ich arbeite seit 30 Jahren für ein bekanntes EDV-Buchhaltungssystem und muß gestehen, das ich die Frage “bei welcher von den beiden Wirtschaftsweisen der Staat die Wirtschaftsleitung hat” auch nicht beantworten kann.  Die reale deutsche Staatsquote dürfte inzwischen über 50% sein.  Interessant auch, daß seit dem Amtsantritt von Merkel alle “neuen” Märkte direkt staatsgelenkt sind: Die Energiewirtschaft seit der Energiewende, wobei die Solarproduktion pleite ging, als der Staat den Stecker zog.  Die Asyl- und Sozialindustrie wurde vom Staat geschaffen. Andere Bereiche fielen dem Staat einfach zu: Die Banken, keineswegs nur die Staatsbanken(!), sind seit 2009 sozusagen staatlich beliehene Geldfürstentümer.  Gesundheitswesen, Nahverkehr, Airbus, und und und.  Was in der DDR die Plankommission war, ist heute auf passive Art der Bundesrechnungshof. (Nebenbei bemerkt die einzige deutsche Behörde mit Hirn, aber eben außerhalb der Gewaltenteilung).  Erst wenn der BRH weisungsbefugt ist, also Gelder verteilen/entziehen kann, dann sind wir ganz offiziell DDR 2.0.  Es wäre nur eine kurze Mitteilung in der Tagesschau.

Belo Zibé / 16.11.2017

Der Anstieg der Studentenzahlen hängt auch damit zusammen, dass nicht handwerkliche   Berufe zunehmend keinen hohen Stellenwert geniessen und oft auch nicht angemessen vergütet werden.

S.Schleitzer / 16.11.2017

Das deutsche (bayerische) Schulsystem hat mich in den 80er Jahren perfekt auf das Studium (Informatik) und das LEBEN vorbereitet. Und das ganze halbtags, möchte ich hinzufügen! Ich habe also gelernt und eine wunderbare Kindheit gelebt. Ihre Beobachtungen kann ich leider voll und ganz untermauern, inzwischen sogar im mir vertrauten bayerischen Schulsystem. Etwas wirklich Gutes wurde hier völlig ramponiert - und zwar kaum mehr wiederherstellbar. Ich bin froh, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, wie es in Berlin oder NRW aussieht. Seien wir damit zufrieden, dass uns andere Probleme vorher überrollen werden - so können Schiller und Goethe wenigsten ruhig in ihren Gräbern weiterschlafen. Ihnen wie immer vielen Dank für Ihren Einsatz und Ihre bewundernswerte Geduld, Frau Lengsfeld.

Werner Arning / 16.11.2017

Vor gar nicht langer Zeit beneidete man uns im Ausland um unser duales Bildungssystem, verwies dort aber, etwa in Frankreich, auf den sehr hohen Anteil an Abiturienten eines jeden Jahrgangs. In Frankreich, wie in anderen Ländern rund um das Mittelmeer, gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen. Anstatt aus diesen Tatsachen zu lernen, scheinen sich unsere Bildungsexperten daran zu machen, diesen Negativbeispielen folgen zu wollen. Eine solide Ausbildung wird abgewertet, verlangt wird ein Studium. Es geht wohl um Statistik, nicht um die Befähigung des Studenten. Dass diesen mit einem mehr schlecht als recht absolviertem Studium demnächst Arbeitslosigkeit erwartet, scheint nicht gesehen zu werden. Lieber folgt man der links-ideologischen Vorgabe eines „gleichberechtigten Zuganges zur Bildung“ für alle. Dass die Qualität derselben zwangsläufig darunter leidet, wird geleugnet. Im Zweifel geht links Masse vor Klasse.

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