Quentin Quencher / 03.03.2020 / 17:00 / 9 / Seite ausdrucken

Bilder ohne Kontext

Mit den Augen erfassen wir die Nähe, genau erkennen wir nur, was ganz nahe ist. Dies setzen wir dann in den Kontext der Umgebung. Je weiter das Objekt unserer Betrachtung entfernt ist, umso undeutlicher wird es uns, wir sind dann auf die Beschreibungen Anderer angewiesen, auf die Augen derer, die sich vor Ort befinden. Dies können wir einordnen, wissen, es sind nicht unsere Augen, die das sehen, von dem berichtet wird.

Heute nun fluten uns die Bilder, der Technik sei es gedankt, aus den fernsten Orten direkt in unsere Augen, wir unterliegen dann der Illusion, die Wirklichkeit zu sehen. Das Problem ist nur, die Bilder sind dem Kontext ihrer Umgebung beraubt, und wir ersetzen diesen dann, indem wir die Bilder in unseren Umgebungskontext setzen. Dies betrifft nicht nur den visuellen Kontext, sondern auch den der Werte, der Überzeugungen, der Erfahrungen. Dies ist der Hauptgrund für meine tiefe Skepsis gegenüber Bildern, die mir gezeigt werden. Die Technik ist eben schneller als die Evolution, wir müssen erst noch lernen, damit umzugehen.

Der Beitrag ist auch auf Quentin Quenchers Blog „Glitzerwasser“ erschienen.

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Wolfgang Kaufmann / 03.03.2020

@Werner Arning – Die Deutschen sind ausgesprochen schlecht darin, sich in das Fremde einzufühlen. Sie sehen die üblichen schwangeren Frauen und weinenden Kinder, dann läuft sofort das Kopfkino von Deutsch-Südwest in ihrem Kopf ab: Die Massas müssen den Bois helfen. – Sie haben nicht die geringste Phantasie sich die selten gezeigten Bilder vorzustellen: Saudis, die sich am Freitag auf dem Marktplatz belustigen, Hutus, die Tutsis die Köpfe einschlagen oder der chinesische Arzt, der zuerst die Pistole entsichert. – Es passt nicht in ihr Beuteschema, es passt nicht in ihre Wunschvorstellung einer fast heilen Welt, die nur noch auf die Heilige Carola gewartet hat, um perfekt zu sein. Sie projizieren ihre primitive Spießbürgerlichkeit auf alle anderen Kulturen der Welt.

Ulrich Jäger / 03.03.2020

Es sind nicht nur die Bilder, die ihres Kontex’ beraubt werden. Ganze Filmberichte werden ohne jede Einordnung gesendet. Heute berichtete z.B. das ZDF aus Neu-Delhi über die Unruhen in der Stadt wegen des neuen Einbürgerungsgesetzes, das allen Angehörigen nichtmuslimer Religionen aus den Nachbarländern eine schnellere Einbürgerung ermöglicht. Der geneigte Zuschauer fragt sich, was diese Diskrimierung der Moslems bedeuten soll. Ein kleiner Exkurs in die jüngere Geschichte des indischen Subkontinents seit dem Ende der britischen Kolonialzeit hätte ausgereicht. Aber dann wäre wohl das erwünschte Mitleid beim schlichten ÖR-Konsumenten etwas auf der Strecke geblieben. Tatsache ist, dass Indien auf Betreiben der Moslems durch die Briten in die Staaten Indien (mit mehrheitlich nichtmuslimischer Bevölkerung) und (Ost- und West-)Pakistan (mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung) geteilt wurde. Daran schloss sich eine der größten Vetreibungen in der Geschichte des Subkontinents ein. Auch die Kriege und Konflikte um die zu Indien gehörende, aber mehrheitlich von Moslems bewohnte Provinz Kaschmir gehören dazu. Das Wissen um diese Geschichte lässt die Gründe für diese Einwanderungsgesetz plötzlich in einem anderen Licht erscheinen, in dem die Angehörigen der friedliebenden Religion nicht mehr so ganz “diskriminiert” sind. Aber das passt natürlich nicht in das Framing des ÖRR. Deshalb: Teile dieser Wahrheit würden die Bevölkerung nur verunsichern.

Peter Holschke / 03.03.2020

Nix Neues unter der Sonne. Bilderstürme gab es schon.

Wolfgang Pfeiffer / 03.03.2020

Die Fähigkeit zur kritischen Distanz zu Bildern beispielsweise ist wahrscheinlich das, was den Idiot vom Schlauen unterscheidet. Denn grundsätzlich entsteht bei der Betrachtung von Wirklichkeit Virtuelle Realität (VR). Das heisst, mein Leben, meine Wirklichkeit plus die betrachtete künstliche Welt in Form von Texten, Bildern, Filmen wird zusammengemixt zu etwas Dritten, eben VR. Kann definitiv zum Vergnügen werden. Und wenn wir irgendwann in der Lage sind, unsere jeweils individuell wahrgenommenen Virtuellen Wirklichkeiten untereinander zu tauschen, wird’s richtig lustig. Potenzierte VR, sozusagen, oder? Hält mein Herz dieses Vergnügen irgendwann noch aus? .... ;) ... /// .... Kritisch wird es halt, wenn wir dargestellte Wirklichkeit für so wirklich halten wie das Keyboard vor uns, oder den Stuhl, auf dem wir sitzen. Was dann wohl ein Einfallstor für Propagandisten wäre ... /// ... Die vergnügliche Seite von VR: nettes Thema ... :)

Werner Arning / 03.03.2020

Wir beurteilen auf der Grundlage des „Erfahrungshorizontes“, der uns zur Verfügung steht und ziehen deshalb häufig falsche Schlüsse. Wir legen falsche Maßstäbe an. Nur der Erfahrene, der der schon „dort“ war, der, der „das“ schon erlebt hat, versteht, worum es geht, ordnet „es“ richtig ein. Und das auch nur dann, wenn er in der Lage ist, sich auch in das „Fremde“ einzufühlen, es nachzuempfinden. Dieser weiß, was er von der vorgestellten „Wirklichkeit“ zu halten hat. Und er lässt sich nicht unbedingt von den Kommentaren, der aktuell etwas beobachtenden, beeinflussen. Er hat den anderen Zuschauern/Zuhörern etwas voraus. Doch dafür muss er häufiger „leiden“, weil er Falschinformation erkennt.

Marcel Seiler / 03.03.2020

Das ist nicht nur bei Bildern so, sondern auch bei Berichten und Reportagen. Wenn ich die deutschen Nachrichten aus und über die USA lese, dann ist das ein anderes Land und andere Menschen als die USA, die ich persönlich ziemlich gut kenne. Das gilt auch, wenn jede Einzelheit für sich völlig korrekt ist. Denn die Korrespondenten schaffen es, die Nachricht in einen deutschen Kontext zu stellen, so dass die USA dann entweder aussieht wie ein Trottel oder wie ein Verbrecher. (Das gilt bei mancher Nachricht der New York Times über Deutschland übrigens ähnlich.)

Rudolf George / 03.03.2020

Einen (falschen) Kontext schaffen die Medien gerne in manipulativer Absicht. So wird das Thema “Diesel” meist bildlich von einem rauchenden und rußenden Auspuff begleitet, auch wenn kein korrekt arbeitender Diesel moderner Bauart einen sichtbaren Ausstoß hat. Oder all die Bilder von Kernkraftwerken, in denen immer eine große Wolke gezeigt wird, ohne aber darauf hinzuweisen, dass es sich um harmlosen Wasserdampf handelt. Kontext wo man hinschaut, nur eben nicht der richtige.

Detlef Jung / 03.03.2020

Da liegen Sie wohl richtig mit Ihrer tiefen Skepsis, lieber Herr Quencher. Auch Ihre Begründung erscheint mir ausgesprochen sinnvoll. Wahrschinlich haben inzwischen viele Leute verlernt Distanz zwischen (fremd-)Gesehenem und selbst Erlebten aufzubauen. Aufgrund der Nutzung von sozialen Medien empfinden viele “Mitspieler” permanent Druck etwas beitragen zu müssen, glauben sich in einem Wettwewerb um die beste Haltung, den gscheitesten Kommentar oder was auch immer zu befinden. Das stellt dann prompt Aussagen in den globalen Aushang, die noch nicht mal ansatzweise durch die eigene Qualitätskontrolle gingen. Ich gehe davon aus, die Marionettenbediener wissen um diese menschliche Schwäche ebenso wie die daran gut und gern verdienenden Unternehmen. So wird auf von deren Seite auf maximales Bewirtschaften gesetzt, die hohe Fehlerquote bei den Mitspielern dient zum Anlegen von Bedarfslisten und das Erreichen der Ziele durch Injizieren von gruppendynamisch erzeugter (Meinungs-)Alternativlosigkeit - man könnte es auch Erpressung nennen. Funktioniert erschreckend oft. Eigentlich so gut, dass es in guten ähm schlechten Teilen Geheimdienste ersetzt. Quasi eine Diktatur durch gegenseitige Überwachungshandlungen. Dabei könnten die Bilder aus fernen Ecken der Welt so viel erzählen, wenn es die, die diese Bilder in die globale Kommunikation injizieren so wollten - und wir Betrachter in ausreichender Zahl trainiert wären, sie umfassend lesen zu können - und auch zu wollen.

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