Hunter Biden, der Sohn des amerikanischen Präsidenten, hat gestern von seinem Papa eine Begnadigung bekommen, und zwar nicht nur für seine beiden angeklagten Delikte, sondern einen Blankoscheck.
Manche Weihnachtsgeschenke gibt es schon vor dem Fest. Hunter Biden, der Sohn des amerikanischen Präsidenten, hat gestern sein größtes bekommen: Eine Begnadigung von seinem Papa, und zwar nicht nur für seine beiden angeklagten Delikte, sondern einen Blankoscheck, der ihn für alle bekannten oder unbekannten Delikte in den letzten elf Jahren begnadigt.
Weil nur einige wenige Delikte im Bundesstrafrecht der Vereinigten Staaten eine Verjährungsfrist von mehr als zehn Jahren haben, ist das (hoffentlich!) eine Begnadigung für alle im Laufe von Hunters Leben angesammelten Straftaten.
Damit hat sich die für den 12. Dezember angesetzte Festlegung des Strafmaßes für Hunters Verurteilung wegen eines Waffendelikts ebenso erledigt wie die für den 16. Dezember angesetzte Festlegung des Strafmaßes für eine Reihe von Steuerdelikten. Für das Waffendelikt hätte es theoretisch bis zu 25 Jahre geben können und für die Steuerdelikte bis zu 17, auch wenn diese Strafmaße bei der gegebenen Fallkonstellation auch bei einem Nichtprominenten nicht entfernt zu erwarten gewesen wären.
Hunter soll seine Steuern samt Zinsen zurückbezahlt haben und will die Drogen, denen er sein Verhalten zuschreibt, aufgegeben haben. Trotzdem, auch eine niedrigere Gefängnisstrafe mit umfangreichen Bewährungsauflagen danach wäre unangenehm. Gefängnisse sind dafür bekannt, dass man innen oft noch leichter an Rauschgift kommt als draußen, und man hat mehr Zeit und Frust, die einen in die Sucht treiben. All das hat sich nun erledigt, und so wird das Weihnachtsfest im Hause Biden vermutlich weitaus freudvoller, wenn auch vielleicht nicht besinnlicher, als wenn der Präsident seinen Sohn nicht begnadigt hätte.
Gebrochener Sohn, gebrochenes Versprechen
Mit seiner Begnadigung hat Präsident Biden sein Versprechen gebrochen, seinen Sohn nicht zu begnadigen und der Justiz ihren Lauf zu lassen. Auf die Frage, ob er eine Begnadigung für seinen Sohn ausschließe, hat er in einem Fernsehinterview mit einem unbedingten „Ja“ geantwortet. Bidens Pressesprecherin Karine Jean-Pierre hat mindestens sechsmal kategorisch ausgeschlossen, dass ihr Chef eine solche Begnadigung erteilen würde, zuletzt am 7. November. Das hat sich nun am Wochenende nach dem amerikanischen Erntedankfest, sicher mit Tischgesprächen bei Bidens, die man sich nicht so recht vorstellen will, erledigt.
Biden begründete die Begnadigung damit, dass sein Sohn politisch motiviert verfolgt wurde, weil er der Sohn des Präsidenten sei. Hunter sei das Opfer eines Plans, ihn zu „brechen“, und das, obwohl Hunter trotz dieser Angriffe seit fünfeinhalb Jahren nüchtern sei. Die Schwere der Delikte spielt Bidens Begründung etwas herunter, macht aus in der Tat unverantwortlich ausgeübtem Waffenbesitz durch einen Süchtigen ein lediglich falsch ausgefülltes Formular und aus Steuerhinterziehung eine Verspätung der Steuerzahlung wegen Sucht. So oder so, die Begnadigung für diese Delikte war wohl zu erwarten. Vettern- und Günstlingswirtschaft mit Begnadigungen, die sich nicht durch Erwägungen der Billigkeit erklären lassen, in den letzten Tagen der Amtszeit eines amerikanischen Präsidenten ist leider eine universelle Tradition geworden.
Begnadigung wie nach dem Vietnamkrieg
Weit erstaunlicher als der Umstand der Begnadigung Hunter Bidens ist ihr Umfang. Es handelt sich nicht nur um die beiden Delikte, wegen derer er verurteilt wurde beziehungsweise sich schuldig bekannt hat, sondern Hunter erhielt eine Begnadigung für alle bekannten oder unbekannten Delikte, die er in den letzten elf Jahren gesetzt hat oder gesetzt haben könnte. Das ist in der Tat ungewöhnlich.
Normalerweise ist eine Begnadigung des amerikanischen Präsidenten spezifisch bezüglich der begnadigten Person wie auch bezüglich des begnadigten Delikts oder Sachverhalts. Manche Juristen fragen sich sogar, ob unspezifische Begnadigungen überhaupt zulässig seien. Allerdings gab es unspezifische Begnadigungen auch in der Vergangenheit. Nach den Personen unspezifische Amnestien auf dem Gnadenweg gab es insbesondere nach Kriegen, zuletzt 1977 von Jimmy Carter für Amerikaner, die sich im Vietnamkrieg der Wehrpflicht entzogen hatten. Eine bezüglich der Delikte und Sachverhalte unspezifische und allgemeingültige Begnadigung erhielt Richard Nixon nach seinem Rücktritt von Gerald Ford. In beiden Fällen hatten die unspezifischen Begnadigungen allerdings politische Gründe, die über das Ziel des Straferlasses hinausgingen, nämlich die Befriedung der Nation nach spaltenden Krisen, insbesondere der des Vietnamkriegs, und in beiden Fällen haben die jeweiligen Präsidenten ihre Gründe der Öffentlichkeit erläutert.
Eine Begnadigung eines Günstlings, die allgemein für alle bekannten und unbekannten Delikte gilt, dürfte dagegen extrem selten, wenn nicht ein Novum sein. Präsident Biden hat eine Motivation für diesen Schritt angedeutet: „Mit dem Versuch, Hunter zu brechen, haben sie versucht, mich zu brechen – und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es hier aufhören wird. Genug ist genug.“ Biden geht also offenbar davon aus, dass die ungenannten dunklen Mächte, die die Strafverfolgung seines Sohnes betrieben, diese Strafverfolgung an weiteren Sachverhalten weiterbetreiben würden, hätte er nur die beiden verurteilten Delikte begnadigt. Das setzt natürlich voraus, dass es weitere Delikte gibt, und zwar solche, die noch nicht verjährt sind. Weil die Verjährungsfrist der meisten Bundesstraftaten fünf Jahre oder weniger beträgt, würde sich das auch mit der Zeit decken, in der Hunter sauber und nüchtern gewesen sein will.
Ein reich gedeckter Gabentisch
All dies hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, weil Hunter Biden seine Verfehlungen nicht nur begangen hat, sondern doof genug war, sie mit dem Abgeben und Nichtabholen seines Laptops der Öffentlichkeit bekanntzumachen, samt Photos und Videos mit Drogen und Prostituierten, samt Dokumenten seiner Geschäftstätigkeit, die sich insbesondere angesichts des durchgehenden Rauschmittelkonsums nicht anders als durch den Verkauf des Einflusses von Vater Biden oder mindestens des Versprechens dieses Einflusses, erklären lässt.
Im Steuerverfahren haben sich die Dimensionen der Ausgabenseite des Systems Hunter Biden etwas quantifizieren lassen: Von 2016 bis 2019 gab Hunter Biden $683.000 für Frauen aus, $397.000 für Bekleidung und Accessoires, $189.000 für Pornographie und $1,6 Millionen für Barabhebungen an Geldautomaten, vermutlich hauptsächlich für Rauschmittel.
Diese Dimensionen legen zweierlei nahe: Einerseits kann man diesen Lebensstil kaum führen, ohne dabei anderweitige Straftaten zu begehen, zumindest quer durch das Steuer- und Betäubungsmittelrecht, wegen des Verbots der Prostitution in Amerika auch gegen Strafgesetze in diesem Feld, auch wenn das im Luxussegment kaum verfolgt wird. Andererseits aber beseitigen diese Dimensionen auch jeden Zweifel, ob sich die Einnahmen noch beim besten Willen mit Arbeitsleistungen erklären ließen. Wer es fertigbringt, für den Wert einer Wohnung Pornos zu schauen, sich für den Wert eines Einfamilienhauses von Gespielinnen beglücken zu lassen und für den Wert einer Villa zu koksen, der hat gar nicht die Zeit, als Fondsmanager und Gasaufsichtsrat – in beiden Fällen ohne jede Erfahrung in den entsprechenden Feldern – Millionen zu scheffeln.
Das Buch der Verfehlungen wird zugeklappt
Das aber führt auf die Einnahmenseite des Systems Hunter Biden, und bei der sticht ins Auge, dass nichts ermittelt wurde und nichts angeklagt. Im Gegenteil, die amerikanische Bundesregierung hat bis hin zum Obersten Gerichtshof zugegeben, auf die sozialen Medien Druck ausgeübt zu haben, Meldungen zu diesen Themen zu unterdrücken. Die Faktenchecker und die Qualitätspresse haben sich Mühe gegeben, wenn auch nicht redlich, die Geschichte als russische Desinformationskampagne darzustellen.
Eine strafrechtliche Aufarbeitung blieb aus, obwohl die genannten Sachverhalte eigentlich genau wie die auf der Ausgagenseite kaum realisierbar sind, ohne dabei Straftaten zu begehen: wenn nicht Bestechung, dann doch so etwas wie ein Verstoß gegen das Gesetz, das zu Registrierung von Lobby- oder Agententätigkeit für ausländische Mächte verpflichtet, gegen Strafvorschriften der Banken- und Finanzregulierung, usw. Das alles wurde aber der Vergessenheit und der Verjährung überlassen. Mit der Blankoscheck-Begnadigung für Hunter Biden hat sich auch der aussichtsreichste Weg erledigt, da doch noch zu ermitteln und nach nicht verjährten Delikten Ausschau zu halten.
Mit Hunters Begnadigung hat sich auch der plausibelste Weg erledigt, herauszufinden, wie weit Vater Biden an diesen Geschäften beteiligt war, wie weit wirklich Einfluss und nicht nur dessen Versprechen verkauft wurde. Wegen Hunters Delikten, die er selbst dokumentiert hat, gibt es strafrechtlich nichts mehr zu ermitteln. Insofern ist Bidens Begnadigung seines Sohnes auch eine Selbstbegnadigung. Man könnte noch auf einen Untersuchungsausschuss oder dergleichen hoffen, aber der dürfte auf eine Mauer des gespielten oder durch Drogen beziehungsweise Demenz echten Vergessens stoßen.
Zum Nikolaustag bleibt uns also die Erkenntnis, dass die Frage, wessen Stiefel reich mit Leckereien angefüllt wird und wen die Rute aufs Hinterteil trifft, weniger vom Wohl- oder Fehlverhalten des Betreffenden abhängt als vom richtigen Vater.
Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder. 2023 wurde er zum Kentucky Colonel ernannt.