Präsident Donald Trump versucht Schnellabschiebungen mit einem Gesetz aus einem „Sicherheitspaket“ von 1798. Das für die Abschiebungen passende Gesetz wurde aber schon 1800 gestrichen. Hat er solche Mittel nötig?
Am 4. März 1801 geschah in Washington, D.C. etwas in der Welt fast Unerhörtes: Ein friedlicher, planvoller und geordneter Regierungswechsel in einem großen Staat aufgrund einer Wahl durch das Volk. Der zweite Präsident der Vereinigten Staaten John Adams wurde von seinem Nachfolger Thomas Jefferson abgelöst, nicht nur ein Personen-, sondern ein Richtungswechsel, der gelegentlich als „Revolution von 1800“ benannt wird.
Der gerade zu seiner zweiten Amtszeit angetretene Präsident Donald Trump überrascht nun damit, sich in Wort und Tat an ein bestimmendes und immer noch aktuelles Thema des damaligen Wahlkampfs anzulehnen, das sich als absolutes Verliererthema herausgestellt hat und wesentlich zu diesem friedlichen Machtwechsel beitrug: den extrakonstitutionellen Umgang mit wirklich oder angeblich aufrührerischen Ausländern und wirklich oder angeblich aufrührerischer Rede, welche damals Gegenstand der „Ausländer- und Aufruhrgesetze“, der „alien and sedition acts“, waren. Die erhielten vom Wähler eine bis heute nachwirkende Klatsche. Diese Klatsche provoziert nun auch Präsident Trump, indem er sich nicht nur an die Intention dieser damaligen Gesetze anlehnt, sondern gar noch eines dieser Gesetze von 1798 aus der Schublade zieht. Schlimmer noch, er zieht das falsche Gesetz aus der Schublade, denn das Gesetz, das er bräuchte, hat man schon im Jahre 1800 als Resultat ebendieser Klatsche auslaufen lassen.
Föderalisten und Demokraten-Republikaner
Um die Bedeutung der damaligen Vorgänge und ihre mögliche Auswirkung auf die heutige Politik zu verstehen, möchte ich den deutschen Leser zu einem einführenden Gedankenexperiment einladen. Stellen Sie sich vor, in der Spiegel-Affäre 1962 wären die Deutschen eifersüchtiger in der Verteidigung ihrer gerade wiederhergestellten Pressefreiheit gewesen und hätten bei den nächsten Bundestagswahlen 1965 den Unionsparteien dafür nicht nur die Abwahl verpasst, sondern ihr politisches Ende. Die meisten Unionspolitiker wären zu FDP und SPD gewechselt, die sich dann als zwei neue Blöcke gegenübergestanden hätten, vielleicht die einen nationalliberal-säkular-protestantisch, die anderen sozialdemokratisch-katholisch. Das wäre eine Richtungsentscheidung gewesen, die bis heute nachwirken würde, und vermutlich wäre auch eine Nancy Faeser in dieser alternativen Geschichte nicht auf die Idee gekommen, im Jahre 2024 eine unliebsame Zeitschrift einfach einmal schnell verbieten und durchsuchen zu wollen. Die Deutschen haben 1962 diese Richtungsentscheidung bezüglich Angriffen auf ihre Grundfreiheiten nicht getroffen. Die Amerikaner im Jahre 1800 schon.
Die politische Landschaft Amerikas teilte sich damals in die Föderalistische Partei und die Demokratisch-Republikanische Partei. Man kann diese Parteien nicht direkt mit den erst im Gefolge der Französischen Revolution wirklich entstandenen modernen Kategorien von progressiv und konservativ identifizieren. Die Föderalisten wollten (der Name war eine List aus der Zeit der Verfassungsdebatten – „Zentralisten“ oder „Nationalisten“ wäre im Vergleich zur Konkurrenz ehrlicher gewesen) einen strafferen, stärkeren und ökonomisch mit einer Industriepolitik aktiven Nationalstaat schaffen. Die Demokraten-Republikaner standen dagegen jedenfalls in diesen Anfangsjahren ihrer Parteigeschichte für lokale Souveränität, Begrenzung der Zentralgewalt auf ihre Kernaufgaben, agrarische Gesellschaftsstruktur und Wirtschaft und ökonomische Zurückhaltung des Staates. Die Föderalisten waren hauptsächlich in Neuengland stark, die Demokraten-Republikaner im Süden und an der westlichen Zivilisationsgrenze.
Whiskey und Aufruhr
Unter dem Eindruck der Französischen Revolution und der eigentlich vom Thema her ihr völlig entgegengesetzten steuerwiderständigen und prinzipiell konservativen Whiskey-Rebellion im westlichen Pennsylvanien sauste den Föderalisten die Muffe wegen revolutionärer Umtriebe. Die Amerikaner hatten 1793 die Zahlung ihrer Kriegskredite an Frankreich eingestellt und sich politisch den Briten angenähert, mit denen nun das revolutionäre Frankreich im Krieg war. Französische Freibeuter und dann auch die offizielle Kriegsmarine überfielen in einiger Zahl amerikanische Handelsschiffe, worauf die Amerikaner zunächst keine gute Antwort hatten, denn als Friedensdividende hatten sie die stehende Truppe und insbesondere die Kriegsmarine weitgehend abgeschafft. Französische Diplomaten hatten, was unter einem Chef Talleyrand wohl zu ihren Dienstpflichten gehörte, Bestechungsgelder gefordert, um überhaupt miteinander zu reden. Das goutierten die Amerikaner nicht. So entstanden schnell eine neue Flotte und der heute als Quasi-Krieg bekannte begrenzte Seekonflikt zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten.
In dieser aufgeheizten Stimmung aus Furcht vor innerem Aufruhr, importierter Revolution und ausländischer Einflussnahme beschloss der von den Föderalisten dominierte Kongress 1798 die bis heute bekannten und berüchtigten Ausländer- und Aufruhrgesetze, ein „Sicherheitspaket“ sozusagen, bestehend aus vier Einzelgesetzen.
Ein neues Einbürgerungsgesetz verlängerte Warte- und damit Wohlverhaltensfristen bis zur Einbürgerung. Ein neues Ausländergesetz erlaubte es dem Präsidenten, Ausländer wegen des Verdachts, eine Gefahr für Frieden und Sicherheit zu sein, auszuweisen und abzuschieben. Ein Gesetz über Ausländer aus Feindstaaten erlaubte die Inhaftierung und Abschiebung von Bürgern von Staaten, mit denen die Vereinigten Staaten im Krieg waren. Schließlich, der eigentliche Hammer bei der Sache, gab es noch ein Aufruhrgesetz, das in sehr weitgefasster Sprache politische Opposition unter Strafe stellte und insbesondere für „falsche, skandalöse oder böswillige Schrift[en] gegen die Regierung der Vereinigten Staaten oder eines der Häuser ihres Kongresses oder den Präsidenten der Vereinigten Staaten“ bis zu zwei Jahre Gefängnis vorsah. Der Ehrenschutz erstreckte sich nicht auf den Vizepräsidenten, und zwar absichtlich, denn der hieß Thomas Jefferson und gehörte der anderen Partei an.
„Kriminelle Verkommenheit“
Vor Gericht konnte man das damals noch nicht ausfechten, denn die Idee, dass die Gerichte niederrangiges einfaches Recht gegen höherrangiges Verfassungsrecht prüfen dürfen und müssen, steht so nicht in der geschriebenen Verfassung der Vereinigten Staaten, sondern wurde erst 1803 vom Obersten Gerichtshof entwickelt.
Politisch konnte man sich allerdings wehren, auch publizistisch und in den Legislativorganen der Einzelstaaten. Diejenigen von Virginia und Kentucky nahmen die berühmten Resolutionen von Virginia und Kentucky an, geschrieben von den Gründervätern Jefferson und James Madison. Die waren deutlich: Der Kongress und die Bundesregierung hätten sich Zuständigkeiten angemaßt, im Fall des Aufruhrgesetzes sogar noch spezifisch im Widerspruch zu einem diesbezüglichen Verfassungszusatz, und damit sowohl die Verfassung wie die Gewaltenteilung durchbrochen. Die Einzelstaaten seien immer noch souverän und dürften die Zulässigkeit solcher Gesetze beurteilen und sie „nullifizieren“, sie als null und nichtig verwerfen – ein Argument, das noch große Bedeutung in der amerikanischen Verfassungsgeschichte gewinnen sollte. Wer sich nicht gegen solche Gesetze zur Wehr setze zeige „kriminelle Verkommenheit“. Das war schon abgeschwächt von Entwürfen, in denen vom Fluss von Blut die Rede war.
Zum Blutvergießen kam es nicht, und die Sache wurde über den demokratischen Prozess entschieden. Die Föderalisten verloren die Wahlen eindeutig und waren damit auch als Partei erledigt, erlangten nie wieder eine Mehrheit im Bund und lösten sich über die folgenden Jahre auf. Das war ein erstaunlich schneller Niedergang für die Partei, die sich beim Verfassungsentwurf durchgesetzt hatte, effektiv auch die Partei des nahezu religiös verehrten George Washington. Das Einwanderungsgesetz, das Ausländergesetz, unter dem kein einziger tatsächlich abgeschoben wurde, und das Aufruhrgesetz wurden auslaufen gelassen beziehungsweise kassiert, die wenigen Verurteilten begnadigt und Strafen zurückgezahlt. Das Gesetz bezüglich Ausländern aus Feindstaaten blieb allerdings bestehen.
Schnellschuss nach hinten
Es ist nun erstaunlich, wenn ein Präsident es für weise hält, sich auf ein zwei Jahrhunderte altes Gesetz aus einem Gesetzespaket zu beziehen, das allgemein als Katastrophe und als Ursache des dauerhaften Niedergangs der bis dahin unangefochten herrschenden Partei gilt. Schlimmer noch, wenn das eigentlich passende Gesetz aus gutem Grund seit mehr als zwei Jahrhunderten nicht mehr in Kraft ist und der Präsident deswegen ein unpassendes Gesetz wählt, das das einzige noch in Geltung befindliche Überbleibsel dieses Gesetzespaketes ist. Der Untergang der ganzen Partei und ein dauerhafter Machtwechsel damals könnten eigentlich als Zeichen verstanden werden, dass ein bestimmter Politikansatz nicht sehr vielversprechend ist.
Genau das tat aber Donald Trump in seiner Inauguralansprache vom 20. Januar, in der er ankündigte: „Und durch die Nutzung des Gesetzes über Ausländer aus Feindstaaten aus dem Jahre 1798 werde ich unsere Regierung anweisen, die volle und immense Macht der Polizeibehörden des Bundes und der Staaten zu nutzen, um die Anwesenheit aller ausländischen Banden und kriminellen Netzwerke zu eliminieren, die zerstörerische Kriminalität auf amerikanischen Boden bringen.“
Nun hat Trump natürlich ein politisches Mandat für eine Durchsetzung des Ausländerrechts, insbesondere in Bezug auf kriminelle Ausländer, aber eben eines innerhalb der Gesetze und der Verfassung. Natürlich sind jahrelange Wartezeiten, bevor man einen unerlaubt anwesenden Ausländer überhaupt vor einen Richter bringen kann, ein Unding und bedürfen dringend der Korrektur. Aber der Versuch, das mit Schnellschüssen zu lösen, insbesondere mit einem schon vor zweihundert Jahren eindeutig verworfenen Ansatz, wird ziemlich sicher nach hinten losgehen.
Abschiebung nach Louisiana
Die Ausländerbehörde des Bundes hat am 9. März einen Mahmoud Khalil festgenommen, der eine Art Sprecher der Hamas-Solidaritätscamps auf der Columbia-Universität in New York war (Achgut berichtete). Trump übernahm am darauffolgenden Montag die politische Verantwortung hierfür und kündigte mehr davon an: „Das ist die erste Festnahme von vielen weiteren. Wir wissen, dass es mehr Studenten auf Columbia und an anderen Universitäten im Land gibt, die sich mit proterroristischer, antisemitischer und antiamerikanischer Aktivität befasst haben. Viele sind keine Studenten, sie sind bezahlte Agitatoren. Wir werden diese Terroristensympathisanten finden, festnehmen, und aus unserem Land ausschaffen – ohne Wiederkehr.“
Das Vorgehen wirkt aktivistisch und schlecht vorbereitet. Schon bei der Festnahme soll es Fragen geben haben, ob Khalil auf einem Studentenvisum ist oder ein Daueraufenthaltsrecht (also die Green Card) hat. Man soll ihm zuerst gesagt haben, sein Studentenvisum sei gestrichen worden, auf seinen Hinweis mit dem Daueraufenthaltsrecht hin, dann sei eben das gestrichen. Tatsächlich kann weder das eine noch das andere ohne geordnetes Verfahren gestrichen werden. Khalil ist offenbar mit einer Amerikanerin verheiratet, wird dann vermutlich auf diesem Weg das Daueraufenthaltsrecht erhalten haben. Die Hürden für die Rücknahme eines Daueraufenthaltsrechts liegen allerdings wesentlich höher als für ein Studentenvisum, bei dem man jedenfalls die Verlängerung noch relativ einfach verweigern kann. Dann hat man Khalil erst einmal ohne ersichtlichen Grund nach Louisiana verlegt, was schikanös wirkt. Am ersten Arbeitstag nach seiner Festnahme hatte Khalil aber bereits eine gerichtliche Verfügung erwirkt, dass er vorläufig nicht abgeschoben werden dürfe.
Ausnahme von der Ausnahme
Offenbar ist der Rechtsgrund, aus dem Khalil abgeschoben werden soll, nicht der Vorwurf irgendwelcher Straftaten mit oder ohne Zusammenhang mit dem Hamas-Sympathisantencamp. Vielmehr soll es offenbar ein nur sehr selten bis nie angewandtes Gesetz sein, bei dem schon die Bezeichnung sperrig ist: 8 USC 1227 Abschnitt 237(a)(4)(C)(i). Eine kürzere Bezeichnung existiert mangels praktischer Relevanz nicht.
Diese Vorschrift erlaubt die Abschiebung eines Ausländers, wenn „von dessen Anwesenheit oder Aktivität in den Vereinigten Staaten der Außenminister vernünftigen Grund zur Annahme hat, dass sie möglicherweise ernste nachteilige außenpolitische Folgen für die Vereinigten Staaten haben werden“. Das wiederum wird aber eingeschränkt durch einen Verweis auf eine andere Rechtsvorschrift, nach der dies nicht gilt, wenn der Grund in „den vorherigen, gegenwärtigen oder erwarteten Überzeugungen, Aussagen oder dem Umgang des Ausländers“ liegt, „wenn solche Überzeugungen, Aussagen oder der Umgang in den Vereinigten Staaten gesetzlich wären“. Davon gibt es aber auch wieder eine Ausnahme, nämlich „wenn der Außenminister persönlich entscheidet, dass die [Anwesenheit] des Ausländers ein gebietendes außenpolitisches Interesse der Vereinigten Staaten beschädigen würde“. In diesem Fall hat der Außenminister die Vorsitzenden der Komitees für Justiz und Äußeres des Senats und des Repräsentantenhauses über die außenpolitischen Gründe der Abschiebung zu informieren.
Es ist also schon in der Struktur als Ausnahme von der Ausnahme und in dem geforderten persönlichen Mitwirken höchster Amtsträger in Regierung und Legislative angelegt, dass diese Vorschrift nicht als beschleunigtes Verfahren zur Abschiebung allgemein unerwünschter Personen gedacht ist. Der vorgesehene Anwendungsbereich ist offenbar eher, dass ein Sohn eines auswärtigen Diktators von Amerika aus Politik in seinem Heimatland macht, die mit amerikanischen außenpolitischen Interessen unvereinbar ist, und dergleichen. Es gibt deswegen praktisch keine Präzedenzfälle, die den damit befassten Gerichten den Weg weisen würden.
Die amerikanischen Einwanderungsgerichte, die den Fall entscheiden werden müssen, haben derzeit einen Rückstau von 3,6 Millionen Fällen. Unter zwei Jahren Wartezeit kommen da kaum Trivialfälle an die Reihe. Es erscheint unwahrscheinlich, selbst im Fall eines juristisch günstigen Ausgangs für die Regierung, dass eine endgültige Entscheidung und Abschiebung Khalils noch während Trumps Amtszeit kommen würden.
Gesetzesverriss vor Gericht
Khalil wird ja – das wäre ein anderer und unstrittiger Grund, ihn abzuschieben – gerade keine Straftat vorgeworfen. Unstrittig haben Ausländer, insbesondere solche mit Daueraufenthaltsberechtigung, zunächst einmal das gleiche verfassungsmäßige Recht auf Redefreiheit wie Amerikaner. Diese Redefreiheit umfasst Holocaustleugnung oder Schändung der Flagge genauso wie diffuse Aufrufe zu politischer Gewalt, jedenfalls solange sie diffus bleiben und nicht vorhersehbar zu einer konkreten verbotenen Handlung führen werden. Judenhass und Sympathisantentum mit ausländischen Terroristen fallen ebenso darunter. Materielle Unterstützung einer Terrorgruppe würde nicht darunterfallen, aber reines Sympathisanten- und Apologetentum ist keine materielle Unterstützung.
Weiterhin müssen Gesetze, auch ausländerrechtliche, hinreichend konkret sein, um dem Adressaten zu signalisieren, für welche Verhaltensweisen er mit Sanktionen zu rechnen hat. Es scheint zu der Vorschrift, unter der Khalil abgeschoben werden soll, nur eine einzige Entscheidung eines Bundesgerichts zu geben, aus dem Jahre 1996, und diese Entscheidung hat das Gesetz als „atemberaubende Abweichung“ von rechtstaatlichen Normen als verfassungswidrig kassiert – das ganze Gesetz, nicht nur die leichter vor Gericht anzufechtende Anwendung im Einzelfall.
„Dieses Gesetz“, so das Gericht, „verleiht durch seine ausdrückliche Wortwahl einer einzigen Person, dem Außenminister, die unbeschränkte und keiner Überprüfung zugängliche Entscheidungsfreiheit, einen rechtmäßig in den Vereinigten Staaten befindlichen Ausländer abzuschieben, nicht aus Gründen seines Verhaltens in den Vereinigten Staaten oder anderswo, sondern weil die reine Anwesenheit dieser Person in einer nicht erklärten Weise die außenpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten beeinträchtigen würde.“ Das führe zur Verfassungswidrigkeit wegen Vagheit, wegen der Verweigerung rechtlichen Gehörs und wegen der unzulässigen Auslagerung gesetzgeberischer Entscheidungen auf die Exekutive. Das Urteil ist nicht nur die Ungültigerklärung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit, es ist ein Verriss.
Dieses Urteil wurde dann nicht weiter überprüft, weil es seinerseits aus verfahrenstechnischen Gründen kassiert wurde, wobei das Revisionsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit der in Frage stehenden Rechtsnorm ausdrücklich nicht berührte, sondern diese Frage lediglich noch nicht entscheidungsreif fand.
Überdosis statt Abschiebung
Drei Jahre später waren die Mühlen der Justiz immer noch mit derselben versuchten Abschiebung beschäftigt, kamen dabei zum Ergebnis, dass die Einwanderungsgerichte die Gründe des Außenministers, eine bestimmte Person abschieben zu lassen, als außenpolitische Frage nicht näher überprüfen können, solange der Außenminister nur eine „augenscheinlich vernünftige und gutgläubige Basis der Entscheidung“ vorlege. Das entspricht dem amerikanischen Grundsatz, dass politische und insbesondere außenpolitische Entscheidungen der Exekutive der Gewaltenteilung wegen keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsnorm, ob solche Gründe überhaupt ein Abschiebungsgrund sein können, war damit allerdings nicht entschieden.
Die von der Regierung betriebene Abschiebung kam übrigens nie zustande. Die auszuweisende Person, Mario Ruiz Massieu, Spross einer politisch und wohl auch im Bereich der Kriminalität sehr einflussreichen mexikanischen Familie und vormals stellvertretender Generalstaatsanwalt in Mexiko, wurde im März 1995 inhaftiert, während der Bemühungen um seine Abschiebung unter Hausarrest gestellt. Dem setzte er im September 1999, also mehr als vier Jahre später und immer noch nicht abgeschoben, augenscheinlich durch Suizid mittels einer Überdosis ein Ende, kurz vor einem ebenfalls anstehenden Geldwäscheprozess. Damit hatte sich der Streit um die Rechtmäßigkeit der seiner betriebenen Abschiebung zugrundeliegenden Rechtsnorm erledigt und wurde so bis heute nicht entschieden.
„So einfach ist das!“
Ich erlaube mir die Prognose, dass es mit der Abschiebung Mahmoud Khalils nicht besser gehen wird als mit der Massieus. Bei Massieu lag den Bemühungen um seine Abschiebung immerhin unzweifelhaft und unstrittig ein direkt mit seiner Person verbundener außenpolitischer Bezug zugrunde. Es handelte sich auch nicht um die Ausnahme von der Ausnahme, dass jemand wegen unstrittig ansonsten nicht verbotener Äußerungen abgeschoben werden sollte. Bei Khalil ist schon dieser außenpolitische Bezug schwierig zu sehen. Da wird es viel zu prozessieren geben, von der grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit der Rechtsvorschrift zu ihrer Anwendung im konkreten Fall. Die Regierung stellt die Unüberprüfbarkeit politischer Entscheidungen in Frage und fordert die Gerichte heraus, wenn mindestens naheliegt, dass eben nicht außenpolitische Gründe, sondern innenpolitische, die sich nicht mit der Redefreiheit vereinbaren lassen, ausschlaggebend waren.
Dabei redet sich die Regierung sogar selbst um Kopf und Kragen. Vizepräsident Vance erklärte:
„Es handelt sich im Grundsatz nicht um Redefreiheit, und für mich, ja, handelt es sich um die nationale Sicherheit, aber wichtiger noch, es handelt sich darum, von wem wir als amerikanische Öffentlichkeit entscheiden, dass er unserer nationalen Gemeinschaft beitreten darf? […] Und wenn der Außenminister und der Präsident entscheiden, dass diese Person nicht in Amerika sein sollte, und sie kein Recht hat hierzubleiben, dann ist das so einfach.“
Wie eine wirklich außenpolitische Begründung klingt das nicht, sondern wie ein Rechtsmissbrauch. Khalil ist unbestritten Inhaber einer Aufenthaltsberechtigung, hat also zunächst einmal ein Recht, in Amerika zu bleiben und sich so ekelhaft und antisemitisch zu äußern, wie es ihm beliebt.
Glaubwürdigkeit auf dem Spiel
Die von Vance und auch von Trump und Außenminister Rubio geäußerte Vorstellung, dass der Präsident entscheiden dürfe, dass jemand aus diffusen Gründen nicht in die nationale Gemeinschaft passe oder ein Sicherheitsrisiko darstelle und deswegen entfernt werden dürfe, war im oben angesprochenen Ausländergesetz von 1798 verankert. Das aber wurde 1800 auslaufen gelassen, nach einer desaströsen Wahlniederlage seiner Autoren.
Außenminister Rubio geht bei der Sache sogar noch ein besonderes Risiko ein. Die von ihm in der Sache Khalil bemühte Rechtsvorschrift ersetzt ja gerade – vielleicht nicht verfassungskonform, aber das ist doch die Intention – gerichtlich überprüfbare Sachverhaltsfeststellungen und Beurteilungen durch das Urteil des Außenministers. Deswegen muss der Außenminister persönlich die Feststellung des „gebietenden außenpolitischen Interesses“ treffen, deswegen muss er davon vier Komitees des Kongresses Mitteilung machen. Der Mechanismus, mit dem der Gesetzgeber Rechtsmissbrauch dieser beliebig dehnbaren Vorschrift verhindern wollte, ist also die persönliche und politische Glaubwürdigkeit des Außenministers.
Im Grunde scheint es mir aus dieser Sache für die Regierung Trump nur zwei Auswege zu geben. Die Regierung könnte einen anderen, plausibleren Grund für eine Abschiebung Khalils finden und auf den umschwenken, beispielsweise wenn man ihm eine Straftat oder eine Lüge in Einwanderungsdokumenten nachweisen könnte. Oder aber sie kann die Sache im Sande verlaufen lassen bis die Öffentlichkeit das Interesse daran verloren hat, vielleicht bis zur Amtsübergabe an die nächste Regierung.
Seit der Festnahme Khalils wurde auch ein Postdoc namens Badar Khan Suri unter der gleichen Rechtstheorie festgenommen, bei dem man sich auch Sympathien für gewisse Gruppen denken kann, der aber im Gegensatz zu Khalil anscheinend kein Gesicht entsprechender Bewegungen und Ausschreitungen wurde.
Invasion und Geschäft
Der Versuch von Khalils Abschiebung erfolgt immerhin nicht direkt unter den Ausländer- und Aufruhrgesetzen von 1798, sondern unter einer moderneren, wenn auch obskuren, Rechtsnorm. Am vorvergangenen Wochenende versuchte die amerikanische Regierung dann aber den direkten Rückgriff auf 1798, ohne den Ausgang 1800 zu bedenken.
Präsident Trump erließ am vorvergangenen Samstag eine Proklamation zur Entfernung von Mitgliedern der Bande Tren de Aragua unter dem Gesetz von 1798 bezüglich Ausländern aus Feindstaaten. Diese Proklamation stellt fest, dass die Bande („TdA“) eine Invasion der Vereinigten Staaten betreibe und eng mit der Regierung Maduro in Venezuela verwoben sei. Deswegen seien alle ausländischen Mitglieder dieser Bande über dem Alter von vierzehn Jahren zu stellen und abzuschieben, wobei Trump interessanterweise Inhaber einer Daueraufenthaltserlaubnis ausnahm.
Die amerikanische Regierung hat eine Vereinbarung mit der Regierung von El Salvador getroffen, entsprechende Bandenmitglieder gegen eine Gebühr in ein dortiges Hochsicherheitsgefängnis aufzunehmen. Der dortige Präsident Nayib Bukele, der auf X mit der Berufsbezeichnung „Philosophenkönig“ auftritt, sich aber auch schon einmal als „coolsten Diktator der Welt“ bezeichnet, erklärte seine Motivation ganz offen auf X:
„Die Vereinigten Staaten werden eine für sie sehr geringe Gebühr bezahlen, die für uns aber hoch ist. Mit der Zeit wird [das] zusammen mit der Produktion, die bereits von 40.000 Gefangenen in verschiedenen Werkstätten und unter dem Keine-Faulheit-Programm erzeugt wird, helfen, unser Gefängnissystem selbstfinanzierend zu machen. Heute kostet es 200 Millionen im Jahr.“
(Das sind Dollar, denn El Salvador hat in Erkenntnis seiner Unfähigkeit, eine werthaltige Währung zu betreiben, auf Valuta, eben den Dollar, umgestellt.) Brachialknast als Exportindustrie. Unter welchem Rechtstitel, wenn überhaupt, mit welchen Möglichkeiten richterlicher Prüfung, wenn überhaupt, und wie lange die Betreffenden in diesem Gefängnis festgehalten werden und da arbeiten sollen, scheint unbeantwortet.
Diese Proklamation wurde dann auch sofort in die Tat umgesetzt mit der Abschiebung von 238 Bandenmitgliedern, oder jedenfalls Männern, denen vorgeworfen wird, das zu sein. Die sollten zu einer richterlichen Überprüfung keine Gelegenheit bekommen. Das ist der Reiz des Feindausländergesetzes für die Trump-Regierung.
„Uups … zu spät!“
Die Sache wurde allerdings, weil sich das in dieser Größenordnung einfach nicht geheimhalten lässt, im Voraus ruchbar, und so haben einige der Betroffenen, repräsentiert von einer Bürgerrechtsorganisation, am vorvergangenen Samstag um 2 Uhr morgens eine einstweilige Verfügung gegen ihre Abschiebung beantragt, um 11:30 Uhr vorläufigen Rechtsschutz bekommen, und um 17 Uhr begann eine Anhörung dazu. Während einer kurzen Pause in dieser Anhörung hoben dann zwei Abschiebeflüge aus Texas ab. Um 18:46 Uhr erließ der zuständige Richter eine neue einstweilige Verfügung, welche die Abschiebungen unter dem Feindausländergesetz vorläufig verbot, und er erklärte auch, dass möglicherweise in der Luft befindliche Flugzeuge zurückzurufen seien. Das wurde dann aber von der Regierung nicht umgesetzt und so kamen etwas nach Mitternacht Washingtoner Zeit die beiden Flugzeuge in El Salvador an und die Abgeschobenen wurden den dortigen Behörden übergeben. Nayib Bukele, immerhin nach eigener Aussage finanzieller Nutznießer der Sache, kommentierte das mit einem „Uups… zu spät“ und einem vor Lachen weinenden Emoji.
Das Ganze hat gerade sein gerichtliches Nachspiel, zunächst einmal damit, dass der betreffende Bundesrichter natürlicherweise erzürnt darüber ist, das seine Anordnung nicht befolgt wurde. Die Anwälte des Bundes sind dabei in keiner beneidenswerten Position, müssen auf Ausflüchte verfallen, wie dass die Umkehr der Flugzeuge nur mündlich angeordnet wurde, aus angeblichen Gründen der nationalen Sicherheit Auskünfte verweigern, und können zu den anstehenden Rechtsfragen wenig sagen.
Auf spezifische Nachfrage erklärte der leitende Anwalt des Bundes, dass es die Rechtsauffassung der Regierung sei, dass der Präsident beispielsweise eine Invasion durch chinesische Fischerboote feststellen und daraufhin alle chinesischen Fischer ohne die Möglichkeit vorheriger gerichtlicher Überprüfung abschieben lassen könne. Auch auf die besonders unangenehme Frage, was eigentlich jemand machen solle, der als angebliches ausländisches Mitglied von TdF abgeschoben werden soll, aber tatsächlich gar kein Mitglied dieser Bande und vielleicht sogar amerikanischer Staatsbürger ist, wusste der Bund keine Antwort.
Ist das Krieg?
Wenn wir nun auf das Sicherheitspaket von 1798, die Ausländer- und Aufruhrgesetze zurückkommen, dann ist das Hauptproblem bei dieser Sache offensichtlich. Dieses Gesetzespaket enthielt, wir erinnern uns, zwei Gesetze zur Abschiebung von Ausländern. Das eine bezog sich auf unerwünschte Ausländer im Allgemeinen. Dieses Gesetz würde einigermaßen zu den Abschiebungen der Regierung Trump passen, aber es wurde bereits im Jahre 1800 auslaufen gelassen, mit Schimpf und Schande und dem Ende der Partei, die es beschlossen hatte.
Das noch bestehende Gesetz zur Abschiebung von Ausländern aus Feindstaaten bezieht sich eindeutig und ausschließlich auf die Abschiebung von Bürgern von Staaten, die mit den Vereinigten Staaten in einem erklärten Krieg sind oder die eine staatlich organisierte Invasion als Kriegshandlung gegen die Vereinigten Staaten betreiben. Wörtlich verlangt es „einen erklärten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und einer auswärtigen Nation oder Regierung oder eine Invasion oder einen Beutezug […] durch eine auswärtige Nation oder Regierung“.
Die Möglichkeiten von Invasion und Beutezug wird man im Lichte von Artikel I, Abschnitt 10, Satz 3 der Bundesverfassung sehen müssen, der den Bundesstaaten das Recht einräumt, im Falle einer Invasion Krieg zu führen, ohne auf den Kongress zu warten, der damals nur saisonal zusammentrat, also als Kriegshandlungen. Selbst die staatlich organisierte Piraterie des Quasi-Kriegs mit Frankreich fiel nach Rechtsauffassung der Autoren dieses Gesetzes offenbar noch nicht unter den Begriff des Kriegs, der dieses Gesetz aktivieren würde.
Es müssen also zwei Dinge zusammenkommen, um dieses Gesetz anwenden zu können. Einerseits muss ein vom Kongress erklärter Krieg oder ein kriegerischer Angriff vorliegen, und andererseits muss die Gegenseite dieses Krieges ein Staat sein. Bandenkriminalität fällt nicht unter diese Vorschrift, jedenfalls solange die Bande nicht mit einem Staat identisch geworden ist und die Vereinigten Staaten deshalb mit diesem Staat im Krieg sind. Für Situationen, in denen kein Krieg vorliegt, hatte der Kongress ja auch eigens ein anderes Gesetz geschaffen.
Feindstaatler oder Krimineller?
Nun ist die Situation in einem erklärten Krieg, würde man heute Kriege noch erklären, offensichtlich eine ganz andere als bei einem Vorwurf privater Kriminalität oder auch staatlicher Aktionen unterhalb der Schwelle zum Krieg.
Im Krieg werden dem Feind feindselige Handlungen nicht als persönlich zurechenbare Straftaten angelastet. Ein Staatsangehöriger ist zur Loyalität gegenüber seinem Staat verpflichtet, und diese Loyalität ist nicht ehrenrührig. Die Internierung oder Abschiebung eines Ausländers aus einem Feindstaat beruht deshalb gerade nicht auf einem persönlichen Vorwurf, sondern auf dem Umstand, dass dieser Ausländer ohne persönliche Schuld zur Feindschaft gegen die Vereinigten Staaten verpflichtet ist. Das ist der Grund, warum das Gesetz zur Abschiebung von Ausländern aus Feindstaaten keine Überprüfung persönlicher Verfehlungen vorsieht, denn um die geht es nicht. Selbst unter diesem Gesetz wird wohl immer noch der Umstand, dass jemand wirklich Bürger des betreffenden Staates ist, richterlicher Überprüfung zugänglich sein, aber das ist in der Praxis selten eine Streitfrage.
Es ist auch falsch, bei dieser Diskussion die Internierung japanischstämmiger Amerikaner im Zweiten Weltkrieg mit der damaligen Internierung japanischer Bürger zu vermischen, wie das die linksgerichtete Presse gerade tut. Japanische Bürger waren ohne Frage tatsächlich zur Loyalität gegenüber Japan verpflichtet, ohne dass ihnen das persönlich angerechnet werden könnte. Der ohne jeden Anhaltspunkt gegenüber japanischstämmigen Amerikanern gemachte Vorwurf der Illoyalität gegenüber Amerika und der Loyalität zu Japan war dagegen nicht nur unverschämt, sondern auch ein persönlicher, nämlich der Bereitschaft zum Hochverrat.
Es ist leicht zu sehen, dass niemand, weder die venezolanische Regierung noch die amerikanische, einem Venezolaner Illoyalität gegenüber seinem Land vorwerfen würde, weil er kein Mitglied von TdF ist. Der Export von Kriminalität mag Teil einer Strategie der venezolanischen Regierung sein, aber es handelt sich immer noch um ein Problem von Kriminalität, nicht um eines von Krieg.
Die Regierung Trump beruft sich für ihre Schnellabschiebungen ohne Rechtsmittel, jedenfalls ohne Rechtsmittel vor Vollzug, also nicht nur auf ein Gesetzespaket, das allgemein als drückende Tyrannei empfunden wurde, vor 225 Jahren kassiert wurde und vom Wähler mit dem Ende der Partei seiner Verfasser quittiert wurde. Schlimmer noch: Gerade weil das passende Gesetz vor 225 Jahren kassiert wurde, versucht sie es einfach mit einem unpassenden Gesetz. Das muss schiefgehen.
„Ich tue nur, was die WÄHLER von mir wollten“
Präsident Trump höchstselbst hat nach der einstweiligen Verfügung gegen den Richter James Boasberg, der sie erlassen hat, auf seinem Nachrichtendienst Truth Social ausgekeilt (Großschreibung aus dem Original übernommen):
„Dieser radikal linke Verrückte von einem Richter, ein Unruhestifter und Agitator, der traurigerweise von Barack Hussein Obama ernannt wurde, wurde nicht zum Präsidenten gewählt – er hat nicht die STIMMENMEHRHEIT des Volkes GEWONNEN (stark!), er hat nicht ALLE SIEBEN WECHSELWÄHLERSTAATEN GEWONNEN, er hat nicht 2.750 zu 525 Landkreise GEWONNEN, ER HAT GAR NICHTS GEWONNEN! ICH HABE AUS VIELERLEI GRÜNDEN GEWONNEN, MIT EINEM ÜBERWÄLTIGENDEN MANDAT, ABER DIE ILLEGALE EINWANDERUNG ZU BEKÄMPFEN KÖNNTE DER GRUND NUMMER EINS FÜR DIESEN HISTORISCHEN SIEG GEWESEN SEIN. Ich tue nur, was die WÄHLER von mir wollten. Dieser Richter, wie viele der krummen Richter, vor denen zu erscheinen ich gezwungen bin, sollte DES AMTES ENTHOBEN WERDEN!!! WIR WOLLEN KEINE GRAUSAMEN, GEWALTTÄTIGEN UND GEISTESSCHWACHEN KRIMINELLEN, VIELE VON IHNEN GEISTESGESTÖRTE MÖRDER, IN UNSEREM LAND. MACHT AMERIKA WIEDER GROSSARTIG!!!“
Damit behauptet Donald Trump im Grunde die Abschaffung der Gewaltenteilung, jedenfalls in Fällen, für die der Wähler dem Präsidenten ein politisches Mandat erteilt habe. Diese Position steht natürlich im krassesten Widerspruch zu der Gewaltenteilung als einem der Grundprinzipien der amerikanischen Verfassungsordnung wie auch zum Misstrauen der amerikanischen Gründerväter gegen die vox populi. Wohl haben sich Gerichte nicht in den Aufgabenbereich der Exekutive einzumischen, aber ebenso wohl hat sich die Exekutive an die von der Legislative beschlossenen Gesetze, inklusive deren Abschaffung, zu halten, und ebenso hat ein von einem Verwaltungsakt oder auch einem Gesetz Betroffener Anspruch auf rechtliches Gehör und gerichtliche Überprüfung.
All dies wirkt umso befremdlicher, weil nicht offensichtlich ist, was einer geordneten Regelung des Problems im Wege steht. Die Republikaner haben die Präsidentschaft und den Kongress und der Oberste Gerichtshof ist konservativ dominiert. Es ließen sich also nötigenfalls durchaus Gesetze beschließen, um Abschiebungen massiv zu beschleunigen und Gerichtsverfahren zu entschlacken. Gleichzeitig hat Präsident Trump auch in seiner Ansprache an den Kongress betont, dass sein Vorgänger Biden Unrecht damit hatte, dass es überhaupt neue Gesetze brauche, um das Einwanderungsproblem in den Griff zu bekommen, es hätte nur eines Präsidenten bedurft, der die Sache auch in die Hand nehme. So oder so erfordert das etwas mehr Arbeit als eine Unterschrift unter eine Abschiebungsverfügung unter einem unpassenden Gesetz, aber dafür hält es auch vor Gericht und führt nicht zu endlosem Ärger.
„Richter zügeln“
Donald Trump wurde vor seiner Wahl tatsächlich das Opfer einer politisierten Hetzjagd unter den äußeren Formen des Rechts, eine Erfahrung, die offenbar sein Rechtsverständnis leider nicht geschärft, sondern eher verdorben haben mag.
Bei Richter Boasberg ist Trumps Kritik jedenfalls unpassend. Nicht nur war seine Entscheidung zwingend, auch der Bezug auf die Ernennung durch Barack Obama passt nicht ganz. Ursprünglich als Bundesrichter wurde Boasberg nämlich von George W. Bush berufen. Vom Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs John Roberts, der seinerseits ebenfalls von George W. Bush berufen wurde, wurde er an das Sondergericht für die Überwachung der Auslandsgeheimdienste sowie an das noch nie zusammengetretene Sondergericht für Terroristenentfernung berufen. (Letzteres ist eine halbgare Idee aus der Clinton-Zeit für die beschleunigte Entfernung terrorismusverdächtiger Ausländer, wurde aber noch kein einziges Mal vom Bund angerufen.) Der ihm von Trump vorgeworfene, die Rechtsfindung bestimmende Linksdrall scheint bei Boasberg deswegen eher unwahrscheinlich.
Präsident Trump hofft nun auf den Obersten Gerichtshof, der laut seiner Pressesprecherin „diese aktivistischen Richter zügeln“ solle, die versuchten „die Agenda dieser Regierung zu verlangsamen“. Bei allem Respekt für Donald Trumps Tatendrang, bei aller Stärke des Mandats, das er tatsächlich hat, das Ausländerrecht umzusetzen, das wird nichts werden.
Lebende oder tote Verfassung?
Die wesentliche Trennline zwischen als konservativ und als progressiv bezeichneten amerikanischen Verfassungsjuristen dreht sich um den (ursprünglich als Schimpfwort) sogenannten Originalismus.
Konservative sind der Meinung, dass die amerikanische Verfassung so zu gelten hat, wie sie beschlossen wurde, dass ihre Worte mit der zum Zeitpunkt des Beschlusses von der rechtskundigen Öffentlichkeit verstandenen Bedeutung gelesen werden müssen, und dass wer diese Regeln ändern wolle, eben den vorgesehenen Weg der Verfassungsänderung gehen muss. Bekommt er die Mehrheiten dafür nicht zusammen, dann ist das eben so; er darf ja weiterhin für seine Vorschläge agitieren. Eigentlich bezeichnet dieser „Originalismus“ also nur die Selbstverständlichkeit, dass die Verfassung auch gilt.
Progressive Juristen vertreten dagegen die Theorie einer von ihnen sogenannten „lebenden Verfassung“, nach der sich die Interpretation der Verfassung entsprechend wechselnder sozialer Realitäten und Wertvorstellungen auch ohne formelle Änderung ändern solle, und zwar nicht nur bezüglich des ungeschriebenen Verfassungsrechts, sondern auch in der Reinterpretation des geschriebenen. Dieser Gedanke steht natürlich im Widerspruch mit dem einer geschriebenen Verfassung, deren Änderung absichtlich schwer zu erreichenden Supermajoritäten vorbehalten ist, und macht die Richter von Interpreten der Verfassung zu ihren fortlaufenden Autoren entsprechend ihrer Ansichten von sozialen Notwendigkeiten. Konservative würden deshalb sagen, dass die angeblich „lebende Verfassung“ in Wirklichkeit eine mausetote wäre, in der die geschriebene Verfassung durch die Willkür der Mächtigen ersetzt wurde.
Kritik von Rechts
Präsident Trump hat nun das Problem, dass er mit seinen Vorstellungen weder bei den konservativen noch bei den progressiven Richtern wird punkten können. Die Progressiven lehnen Trump und seine politischen Inhalte ab, auch wenn sie verfassungsdurchbrechende Allmacht des Staates bei als progressiv empfundenen politischen Vorhaben durchgehenlassen mögen. Die konservativen Richter haben eine ganze Juristenkarriere darauf verwendet, dass die Verfassung und die Gesetze auch wirklich gelten. Die werden sich also auch schlecht dafür einspannen lassen, nicht nur ein vor 225 Jahren als Buchstaben und Geist der Verfassung widersprechendes und damals krachend verworfenes Gesetzespaket wiederzubeleben, sondern es sogar wiederzubeleben, ohne das passende Gesetz daraus überhaupt wieder in Kraft zu setzen und einfach ein unpassendes Gesetz zu nehmen.
Der Präsident bekommt nun auch Kritik von Seiten, von denen er sie nicht gewohnt ist. Ann Coulter, eine rechte Krawallkolumnistin, die in gewisser Weise den Trumpismus zwanzig Jahre vor Trump selbst erfunden hat, bemerkte zur Sache Mahmoud Khalil, dass es eigentlich kaum jemanden gebe, den sie nicht abschieben wolle, „aber, wenn er keine Straftat begangen hat, ist das keine Verletzung des Ersten Verfassungszusatzes?“
„Gefährlicher Drang“
Der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs John Roberts, vor dessen Gericht diese Fragen vermutlich zur Entscheidung kommen werden, kann sich natürlich nicht zur Sache äußern, aber er hat sich zu Trumps Angriff auf Richter Boasberg geäußert, was für sich schon extrem ungewöhnlich ist: „Für mehr als zwei Jahrhunderte stand fest, dass Amtsenthebung keine angemessene Antwort auf Uneinigkeit bezüglich einer richterlichen Entscheidung ist. Dafür gibt es den normalen Prozess der Revisionsverfahren.“ Das ist aber so nahe an einer Prognose dran, wie es Roberts nur auszusprechen möglich ist, wie die konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof einen Angriff auf die seit mehr als zweihundert Jahren bestehende Einigkeit, dass der Präsident nicht einfach jemanden ohne Verfahren abschieben kann, beurteilen dürfte.
Die New York Post, eine konservative und Trump-freundliche Boulevardzeitung, die sich an Dinge wie Hunter Bidens Laptopaffäre getraut hat, die andere nicht anfassen, veröffentlichte den Kommentar: „Trump, gib nicht dem gefährlichen Drang nach, den Rechtstaat anzugreifen“. Allerdings veröffentlichte sie auch einen Kommentar mit der gegenteiligen Position, dass „ein Kartell abscheulicher, korrupter und hart linker Richter versuch[e]“ Trumps „Wahlversprechen zu verhindern“. Der aber argumentiert, wie auch Trump, im Grunde gar nicht rechtlich und differenziert auch nicht zwischen verschiedenen laufenden Verfahren, die ganz unterschiedliche Gegenstände betreffen.
Wenn hart rechte Kolumnistinnen, der konservative oberste Richter des Landes und eine Art Hauspostille der Trump-Bewegung den Präsidenten zum Einhalten aufrufen, dann sollte der sich das zu Herzen nehmen. Ohne die engagiert konservative Bewegung, rein auf den Populismus als energischer Macher gestützt, wird er seine Politik nicht voranbringen können.
Abschiebung wegen Biden-Laptop?
Die Zustimmung, die Präsident Trump von jenen erfährt, die sich über die Entfernung von (mutmaßlichen, aber die Mutmaßung ist wohl nicht unberechtigt) Antisemiten und Schwerstkriminellen mehr freuen als sie sich über die rechtlichen Feinheiten sorgen, könnte auch wegbrechen, sobald das Thema ausführlicher durchgekaut und bedacht wird.
Im Falle Mahmoud Khalil kann ich das Problem anhand eines persönlichen Beispiels darlegen. Mein Bericht 2020 zu Hunter Bidens Laptop-Affäre dürfte einer der ersten und jedenfalls ausführlichsten in deutscher Sprache gewesen sein, der sich die augenscheinliche Korruption in der Familie Biden vornahm und die Sache nicht als angebliche russische Desinformation abtat. Ich hatte damit, wie sich herausstellte, auch recht. Unstrittig war der Regierung Biden die Unterdrückung diesbezüglicher Berichterstattung so wichtig, dass sie später offen zugegeben hat, soziale Medien rechtswidrig zu dieser Unterdrückung gepresst zu haben.
Ich war zu diesem Zeitpunkt noch kein Amerikaner, sondern Inhaber einer Daueraufenthaltserlaubnis. Unzweifelhaft genoss ich als solcher den Schutz der unter der Verfassung verbürgten Rede- und Pressefreiheit. Gleichzeitig wäre die Behauptung einer Störung der amerikanischen Außenpolitik durch Enthüllungen bezüglich der Korruption der Präsidentenfamilie eigentlich plausibler zu begründen als die Behauptung einer solchen Störung durch antisemitische Ausschreitungen an einer Universität.
Wollte jetzt wirklich jemand behaupten, es wäre rechtmäßig gewesen, wenn die Regierung Biden mich deswegen einfach kurzerhand hätte nach Deutschland abschieben lassen, oder gar noch in einen Spezialknast in El Salvador? Selbst wenn das irgendwie vor Gericht halten würde, wollte irgendjemand behaupten, dass das entfernt akzeptabel gewesen wäre? Wären damit nicht alle Ausländer in ständiger Furcht vor dem nächsten Regierungswechsel, könnten sich nicht, wie das jedenfalls bei Ausländern mit Einbürgerungsperspektive unzweifelhaft wünschenswert ist, in die politische Diskussion einbringen, sondern müssten die Klappe halten? Eine unamerikanischere Vorstellung ist kaum denkbar, was eben in der Wahl von 1800 eindeutig und bisher dauerhaft entschieden wurde.
Waffen weg und zur Zwangsarbeit?
Bei der Abschiebung von Bandenmitgliedern ohne entsprechenden Prozess wäre natürlich der Super-GAU, dass da aus Versehen jemand im Hochsicherheitsgefängnis von El Salvador bei der Zwangsarbeit landet, der gar kein Bandenmitglied ist und auch kein Ausländer, sondern Amerikaner, der nur Miguel statt Michael heißt und vielleicht Namen und Geburtsdatum mit einem wirklichen Bandenmitglied teilt, vielleicht auch einmal Probleme mit dem Gesetz hatte oder jedenfalls so aussieht.
Wenn die Theorie akzeptiert wird, dass die Exekutive aufgrund eines angeblichen oder wirklichen Mandats der Wähler sich langwierige Gerichtsverfahren einfach sparen darf, hat dann der Zweite Verfassungszusatz, der den Amerikanern ihr Recht auf Waffenbesitz als Palladium der Volkssouveränität und Volksrechte garantiert, noch irgendeine Bedeutung? Es versuchen ja andauernd linksgerichtete Politiker und leider auch Richter, den zu untergraben, gerne mit Behauptung eines angeblichen Notstands oder mit absurden pseudojuristischen Sophistereien, in Gegenden mit linksgerichteter Wählerschaft vermutlich sogar bisweilen mit einem Mandat der Mehrheit. Was will man denen noch entgegensetzen, wenn man das Prinzip etabliert, dass die Exekutive sich in ihrer Machtvollkommenheit einfach ohne gerichtliche Überprüfung über Recht hinwegsetzen oder abwegige Rechtsinterpretationen bemühen darf?
Die entfesselte Exekutive
Präsident Trump hat das Glück, dass die Linke in weiten Teilen selbst mit grundlegenden Prinzipien des Verfassungsrechts fremdelt. Demonstrationen zur Unterstützung Khalils mit Palästinenserflaggen und entsprechendem Geschrei sind eher eine Erinnerung daran, dass die Abreise dieser Person in der Tat ein Gewinn für das Land wäre, und damit eine politische Entlastung Trumps. Zu Demonstrationen mit amerikanischen Flaggen und Skandieren der entsprechenden Verfassungszusätze sind die palästinabewegten Linken nicht in der Lage. Die prinzipienorientierten Rechten demonstrieren eher weniger.
Es fällt aber auf, dass es offenbar gar keine irgendwie kohärente rechtliche oder politische Theorie der Regierung Trump gibt, mit der sie ihr Vorgehen rechtfertigen würde und die sie den Gerichten als korrekte Abgrenzung zwischen Zuständigkeiten der Exekutive und der Gerichte vorschlagen könnte. Eine Ausnahme bildet Jurist Adrian Vermeule, immerhin Professor an Harvard, der einen Tweet von Außenminister Rubio kommentierte:
„Die Exekutive – und nur sie unter den nationalen Institutionen – hat die Fähigkeit, in der wirklichen Welt zu handeln, außerhalb der Gesetzesbücher, und diese Handlung ändert den status quo der anderen Institutionen. Wo es für diese Institutionen schwieriger ist, den neuen status quo, den die Exekutive geschaffen hat, zurückzusetzen, als es für sie gewesen wäre, die Änderung von Anfang an zu blockieren, wird die Macht einseitiger de facto Handlungen sehr wirksam.“
Das ist ein Selbstzitat Vermeules aus seinem Buch Die entfesselte Exekutive, in dem er die Überwindung der in der amerikanischen Verfassung angelegten Gewaltenteilung und eine stärkere Exekutive, die einfach entsprechend dem Notwendigen neue Tatsachen schafft, als mindestens unumgänglich, wohl auch wünschenswert darstellt.
Vermeule als katholischer Konvertit argumentiert dabei aus einer Position des katholischen Integralismus, beruft sich letztlich auf die apostolische Nachfolge als angebliche Rechtsquelle. Er kann wohl auch nicht recht beantworten, wie sichergestellt werden sollte, dass seine entfesselte Exekutive stockkatholisch agieren würde und nicht beispielsweise angebliche Notstände von Klima, Corona, Ungerechtigkeit der Marktwirtschaft und Schlechtrede über progressive Anliegen und Menschen und dergleichen aus ganz anderen politischen Perspektiven bearbeiten würde.
Marx und Pius IX.
Vermeules Zitat wiederum wurde von keinem anderem als dem salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele weiterverbreitet. Der hat im Gegensatz zu Vermeule siebeneinhalb Millionen Abonnenten auf X, mehr als die Bevölkerung El Salvadors, und äußert sich bevorzugt auf Englisch, offenbar an ein amerikanisches Publikum gerichtet. Bukele hat bei der Partei und vormaligen Rebellengruppe FMLN angefangen, die Marx und Befreiungstheologie kombiniert hat. Heute weiß man nicht so recht, ob er rechts oder links ist, er selbst sieht sich als über solchen Unterscheidungen stehend, aber sein einer Glaubenssatz ist dann doch, dass die Exekutive sich zur Lösung sozialer Probleme über traditionelle Rechtsvorstellungen hinwegsetzen dürfe.
Wir können es an dieser Stelle dahingestellt sein lassen, wieweit die bisweilen diktaturähnliche Regierung Bukeles für El Salvador besser sein mag als das vollständige Chaos der Bandenherrschaft und -kriege. Er hat offenbar die Mordrate in seinem Land drastisch gesenkt, aber diese Rechtfertigung von Diktatur setzt eine als gescheitert angesehene Staats- und Gesellschaftsordnung voraus, und ihre Perpetuierung setzt voraus, dass eine Gesellschaft so kaputt ist, dass sie über das Scheitern nicht hinauskommen kann.
In der ältesten großen Republik der Welt dürften jedenfalls weder der katholische Integralismus Vermeules mit Bezug auf Pius IX., noch der postmarxistisch-unideologische Machtdurchgriff Bukeles besonders anschlussfähig sein. Beide sind unamerikanisch sowohl im dem Sinne, dass sie mit der zivilreligiös verehrten amerikanischen Verfassungsordnung unvereinbar sind, als auch in dem Sinne, dass die Amerikaner mit der Wahl Trumps wohl kaum die Einführung lateinamerikanischer Verhältnisse und Ideologien in Staat und Gesellschaft gewünscht haben werden, sondern vielmehr die Entfernung von Problemen, die zu Zuständen wie in Lateinamerika führen.
„Es ist nicht, wer ich bin“
Ein langfristig größeres Karriereproblem als Präsident Trump, der nur noch die laufende Amtszeit hat und 78 Jahre alt ist, dürften seine hochrangigen Unterstützer haben. Trump genießt eine gewisse Narrenfreiheit als Populist, der etwas ausprobiert und wenn das scheitert etwas anderes. Sein Vizepräsident J. D. Vance und sein Außenminister Marco Rubio haben dagegen einen Ruf als gebildete Konservative und als Juristen zu verlieren. Die können sich, wenn die Sache krachend scheitert, schlecht darauf berufen, die rechtlichen und prinzipiellen Probleme nicht verstanden oder sich nicht für sie interessiert zu haben.
Rubio hat im Vorwahlkampf 2016 als einziger der Kandidaten es kurzzeitig geschafft, Donald Trump in seiner Meisterdisziplin, der Beleidigung, zu übertrumpfen. Trump witzelte über Rubios geringe Körpergröße, was Rubio mit einem Kommentar über Trumps kleine Hände konterte, und man wisse ja, was das noch bedeute. Trump fühlte sich davon so in die Ecke getrieben, dass er anfing, im Wahlkampf die Größe eines anderen seiner Körperteile zu verteidigen, und Rubio hatte die Lacher auf seiner Seite. Rubio hat sich daraufhin bei Trump entschuldigt.
Der Radau-Stil funktioniert für Rubio nicht, auch wenn er ihn ein einziges Mal besser als Trump selbst abliefern konnte. Er erklärte dazu: „Wenn man nicht der ist, der man ist, dann kommt das nicht gut rüber. Und [Trump] kann das [Beleidigen] machen, denn aus irgendeinem Grunde kann er es. Aber ich könnte das nicht. Es ist nicht, was ich bin. Es ist nicht, was ich mache. Und damit, es zu tun, habe ich mir selbst geschadet.“ Das könnte für Rubios Unterzeichnung der Abschiebungsanordnungen gegen Khalil und andere – laut Gesetz eindeutig Rubios persönliche und nicht nur Amtsverantwortung – und seine Verteidigung und Organisation der Abschiebungen nach Feindausländergesetz auch noch zutreffen, und für Vance analog.
Für Trump selbst dürfte ein anderes Problem ausschlaggebender werden. Er definiert sich über das Gewinnen, den Erfolg. Unter den Ausländer- und Aufruhrgesetzen der Föderalisten von 1798 wurde kein einziger unerwünschter Ausländer tatsächlich abgeschoben, es wurden siebzehn Amerikaner wegen Schlechtrede über die Regierung („Delegitimation“ im heutigen deutschen Sprachgebrauch) angeklagt und zehn verurteilt, und diese Verurteilungen wurden später aufgehoben und die Strafen zurückgezahlt. Die Regierung Trump ist dem mit den beiden Abschiebeflügen nach El Salvador voraus, aber das könnten auch gut die letzten Abschiebeflüge unter einer Rechtstheorie gewesen sein, die sich im Gegensatz zu den damaligen Föderalisten noch nicht einmal um den Erlass eines passenden Gesetzes gekümmert hat. Im besten Fall versandet die Sache und Präsident Trump widmet sich anderen, zustimmungsfähigeren und erfolgversprechenderen Ansätzen.
Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder. 2023 wurde er zum Kentucky Colonel ernannt.