Warum ist jeder “Tatort”-Ermittler selbst verstrickt in seinen Kriminalfall? Bin ich eigentlich der einzige, den so etwas nervt? Was sagt die wahre Polizei-Szene dazu? Schweigt sie aus Scham, weil alles stimmt, weil es noch schlimmer ist als im Tatort, der angeblich beliebtesten Krimireihe im deutschen Fernsehen? Noch absurder, als es das absurdeste Drehbuch vorgab?
Ich wäre kein guter Kriminalkommissar, jedenfalls nicht im Fernsehen. Weder meine Mutter noch meine Töchter sind oder waren Mörderinnen, noch nie ist zwei Meter neben mir jemand – zufällig – erschossen worden, keiner meiner Neffen wurde je um Millionen erpresst. Solcherlei Katastrophen aber scheinen inzwischen zum festen Profil eines jeden Tatort-Ermittlers zu gehören, seine enge, ganz persönliche Verstrickung in den eigenen Fall. Können wir uns noch an die Zeiten davor erinnern? An Kommissar Trimmel aus den 70ern? An Kressin aus den 80ern, bei dem allein die Erotik eine Rolle spielte?
In unseren Tagen ist es meist kombiniert: Erotik und Verstrickung. In der gestrigen Folge aus Stuttgart wieder, als die Staatsanwältin Habermas, Vorgesetzte der Kommissare Botz und Lannert, sich rettungslos in einen Unternehmer verknallt, mit ihm im Bett landet, und er natürlich – längst absehbar – anschließend zum Hauptverdächtigen im Kriminalfall wird. Oder wenn Kollegin Lindholm in der Badewanne mit ihrer Jugendfreundin planscht und diese anschließend unter Mordverdacht steht. Lindholm, alias Maria Furtwängler, hat viel Erfahrung mit soetwas. Ein anderes Mal zum Beispiel war der Anwalt der Firma, gegen die sie ermittelte, ihr Verlobter. Gewiss, es ist bekannt, dass die Feuerzündler oft Angehörige der Feuerwehr sind und die größten Kritiker der Elche früher selber welche waren. Aber sowas?
Eine Ikone der Tatort-Geschichte ist die Frittenbude am Kölner Rheinufer, an der die Kommissare Max Ballauf und Freddy Schenk immer dann stehen, wenn sie denken, jetzt ist Feuerabend, und es anschließend aber erst richtig los geht. Absehbar also, dass die beiden Kriminaler den Mann hinter dem Tresen irgendwann einmal selbst festnehmen mussten, als Dealer. Was soll das Freddy? Sollen wir das noch witzig finden, besonders originell, einfallsreich, immer noch, nächste Woche auch noch, und übernächste?
Die Sendestationen, die Ermittler und die Spielorte mögen wechseln beim Tatort, einer aber ist immer dabei: Kommissar Zufall. Reichlich billig. Fast tragisch, dass auch der geniale Münsteraner Tatort mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers nicht ohne dieses inzwischen langweilige Gewohnheitsdelikt auskommt. Wir Journalisten schreiben doch auch nicht nur Geschichten, in die wir selbst mit Haut und Haar verwickelt sind, keine Reportagen, in denen der selbe Gag immer wieder vorkommt, immer wieder – und nochmal. Alle zwei, drei Jahre vielleicht wäre es noch tolerabel vielleicht, aber das Strickmuster ist inzwischen verkommen zu einer abgenutzten Masche, einer Laufmasche.
Vor vielen Jahren – so lange geht das nun schon – traf ich selbst einmal Kommssar Zufall, einfach so nämlich in einer Kneipe in Berlin-Charlottenburg am Tresen: Jochen Senf, jenen Schauspieler, der den so einfühlsamen Kommissar Palu aus Saarbrücken spielte und als solcher leider längst pensioniert ist. Auf meine Frage, was das Ganze eigentlich solle – auch seine Rolle war einst von solchen Spirenzien nicht vollkommen frei, wobei Saarbrücken ja zugegebenermaßen ein Dorf ist, in dem wirklich jeder jeden kennt – er jedenfalls sagte dann irgendetwas von “Emotionen” und “Einschaltquoten”, wollte aber offenbar nicht darüber reden, wahrscheinlich nervte ihn das auch alles. Ich könnte es verstehen.
Übrigens: Als ich mit Senf da so stand beim Bier am Tresen, da passierte doch drei Tische weiter, ganz zufällig und völlig überraschend eigentlich – kein Mord.
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT.