Henryk M. Broder / 10.08.2007 / 21:22 / 0 / Seite ausdrucken

Betrifft: Den Koran verbieten (1)

Guten Tag,
ich weiß zwar nicht, wer „Dr. G“ ist, will aber die Frage „Was meinen Sie“ gerne zum Anlass für eine Anmerkung nehmen. Offenbar geht hier nämlich alles durcheinander (insbesondere bei der Staatsanwaltschaft):

1. Die Frage nach der Vereinbarkeit des Korans mit dem Grundgesetz stellt sich nicht, weil das Grundgesetz keinen Maßstab für die Beurteilung religiöser Schriften - oder auch Institutionen – vorgibt; Adressat des Grundgesetzes – namentlich der Grundrechte - ist der Staat, berechtigt sind die Bürger. Geschützt ist danach auch das religiöse Bekenntnis. Eine religiöse Überzeugung oder Schrift kann daher nicht verfassungswidrig sein, sondern allenfalls in Widerspruch zu in der Verfassung genannten Werten stehen. Zur Entscheidung einer solchen Frage ist allerdings die Staatsanwaltschaft nicht berufen.

2. Eine andere Frage, die auch allein von einer Staatsanwaltschaft beantwortet werden kann, ist die nach der Strafbarkeit – etwa wegen Volksverhetzung. Allerdings kann eine Schrift für sich genommen nicht strafbar sein; strafbar sind nämlich nur menschliche Handlungen (und manchmal auch Unterlassungen). Dazu kann etwa die Verbreitung einer Schrift gehören.

3. Nur in diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob religiöse Motive rechtfertigende Wirkung entfalten können. Es entspricht einer im deutschen Recht in den vergangenen Jahrzehnten gepflegten Praxis, mit Rücksicht auf Art. 4 GG übertriebene Rücksicht auf religiöse Gefühle zu nehmen (Bsp: Verpflichtung des Gerichtsvollziehers, beim Betreten der Wohnung eines Moslems die Schuhe auszuziehen; Befreiung von Kindern muslimischen Glaubens vom koedukativen Sportunterricht). Dabei wurde ignoriert, dass nach den weitergeltenden Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung (Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 – 139, 141 WRV) die Rechte und Pflichten (!) der Bürger durch die „Ausübung der Religionsfreiheit“ weder „bedingt noch beschränkt“ werden (Art. 136 Abs. 1 WRV). Dem lag allerdings die Vorstellung zugrunde, dass es sich bei der „Ausübung“ der Religionsfreiheit (d.h. religiös motiviertem Handeln) stets um letztlich „harmlose“ Betätigungen handelt; hier hat daher inzwischen ein Umdenken eingesetzt.

4. Die von der StA Hamburg herangezogene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus den frühen 70er Jahren gehört in diesen Zusammenhang, betraf im Übrigen einen Spezialfall und ist außerdem falsch: In dem Sachverhalt hatte ein Angeklagter es unterlassen, auf seine schwangere und schwerkranke Frau in Richtung auf eine erforderliche Krankenhausbehandlung einzuwirken, weil er wie auch die Frau der Meinung waren, dass es für eine Heilung allein auf Gottes Wille, nicht aber medizinische Hilfe ankomme und deshalb allein Gebete helfen könnten. Die Frau starb bei der Geburt des Kindes; der Mann wurde wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt. Um dem armen Mann zu helfen, hat das Bundesverfassungsgericht die von der StA zitierten Aussagen getroffen.

Es handelt sich daher um einen singulären Spezialfall, um dessen „richtige“ Lösung sich Juristen lange Gedanken machen können, der im Grunde aber in die Problemlage „Schutz des Menschen vor sich selbst“ gehört, da die Frau ebenfalls nicht behandelt werden wollte. Hier zeigt sich daher, welche Gefahren es birgt, wenn abstrakte Sätze des Bundesverfassungsgerichts vom Einzelfall gelöst und verallgemeinert werden. Im Ergebnis ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts richtig, weil dem Mann nicht angesonnen werden konnte, auf seine Frau in einem Sinne einzuwirken, der nicht nur nicht dem Willen der Frau entspricht, von dem die Frau vielmehr auch weiß, dass er nicht ernst gemeint gewesen wäre. Mit der religiösen Motivation besteht demgegenüber kein Zusammenhang. Dem Mann hätte seine Motivationslage voraussichtlich nicht geholfen, wenn es etwa um das Kind gegangen wäre.

Diesem Ansatz entspricht, dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der kulturelle oder religiöse Hintergrund bei sog. „Ehrenmorden“ nicht strafmildernd wirkt. Auch dies hatte die Vorinstanz (nach meiner Erinnerung in Bremen) allerdings noch anders gesehen.

Im Ergebnis sind die Aussagen der Staatsanwaltschaft daher wohl nur durch eine gewisse Verwirrtheit zu erklären.

Freundliche Grüße
Professor Dr. Th. Koch
apl. Professor an der Universität Osnabrück
Rechtsanwalt

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 03.04.2024 / 12:00 / 120

Kein Freibrief von Haldenwang

Von „Verfassungshütern“ wie Thomas Haldenwang geht die größte Gefahr für Meinungsfreiheit und Demokratie in unserem Land aus. Wenn die Bundesrepublik eine intakte Demokratie wäre, dann…/ mehr

Henryk M. Broder / 12.03.2024 / 14:00 / 62

Christian Wulff: Liechtenstein? Nein, danke!

Unser beliebter Ex-Präsident Christian Wulff hat Angst, Deutschland könnte auf das Niveau von Liechtenstein sinken. Das kleine Fürstentum hat auf vielen Gebieten längst die Nase…/ mehr

Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.03.2024 / 14:00 / 23

Michael Blume: Vom Zupfgeigenhansl zum Ersten Geiger?

In der Dienstzeit des Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume hat die Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg erfolgreich zugenommen. Aber der Mann hat andere Sorgen. Ende Dezember letzten…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 12:15 / 35

Eilmeldung! Herr Schulz ist aufgewacht!

Im Büro der Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann war nach einem Bericht von Achgut.com die Luft heute morgen offenbar besonders bleihaltig. Richtet man…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 06:00 / 125

Frau Strack-Zimmermann hat Cojones, ist aber not amused

Es spricht für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ), dass sie mein Schaffen verfolgt. Deshalb hat sie noch eine Rechnung mit der Achse offen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ) hat…/ mehr

Henryk M. Broder / 22.02.2024 / 10:00 / 80

No News aus Wolfsburg in der Tagesschau

In Wolfsburg stellt sich der VW-Chef auf die Bühne, um Weltoffenheit zu demonstrieren. Die Belegschaft hat derweil andere Sorgen. Die Tagesschau meldet, auch an diesem Wochenende hätten tausende…/ mehr

Henryk M. Broder / 18.02.2024 / 11:00 / 57

Eine Humorkanone namens Strack-Zimmermann

Ja, wenn einem deutschen Politiker oder einer deutschen Politikerin nichts einfällt, irgendwas mit Juden fällt ihm/ihr immer ein. Dass immer mehr Frauen in hohe politische…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com