Erik Lommatzsch, Gastautor / 21.09.2019 / 16:00 / Foto: Tomaschoff / 20 / Seite ausdrucken

Betreutes Diskutieren mit der Argumentations-App „Konterbunt”

Der Jungmensch ist etwas träge? Die reaktionsnotwendigen Verknüpfungen zwischen den Ohren finden nicht immer oder oft erst viel zu spät zueinander? Er braucht Antworten, kann aber partout nicht die richtige Frage finden? Dennoch möchte er dabei sein, zu den Guten gehören, gegen „menschenverachtende Äußerungen“ Haltung zeigen, gegen „Hass und dumpfe Parolen“. Geht das?

Es geht. Ein „zeitgemäßes Angebot der Demokratiebildung“ stellen die Landeszentralen für politische Bildung in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt zur Verfügung. Die App „Konterbunt“ (Achtung, Wortspiel!) ist kostenlos für alle kampfeswilligen oder vielleicht auch nur neugierigen Jungmenschen phone- und tabletladbar. Dass Jungmenschen als Zielgruppe angesprochen sind, legt der Duktus des Ganzen nahe. Eine Altersgrenze nach oben gibt es selbstredend nicht, Diskriminierung und so. Illustre „Partner_innen“ sind an der App beteiligt, so etwa die Amadeu Antonio Stiftung.

Ein „Argumentationsexperte“, der unter anderem an der Universität Duisburg-Essen unterrichtet, hat sein umfangreiches Fachwissen eingebracht, um den „Strategieguide“ von „Konterbunt“ zu erstellen. Via Bildschirm kann sich der Jungmensch von dem Professor gegen die Unbill bös-verbaler Überlegenheit wappnen lassen. An sich ist es natürlich keine wirkliche Überlegenheit. Denn es handelt sich um „Stammtischparolen“, denen mittels „Gegenstrategien“ beizukommen ist. Da gilt es, gezielt nachzufragen („Welche Beispiele kannst Du anführen?“) oder das „die“ raffiniert aufzulösen („Gehört zu ‚den‘ Ausländern bspw. auch der italienische Gastwirt…?“). Man sollte nicht „moralisieren“ und ruhig „Witz und Ironie einbringen“ (Böse Behauptung: „Jeder Sozialhilfeempfänger hat einen Hund und ein Handy.“ Dem kann man begegnen mit der gewieften Frage: „Soll er seinen Hund erschießen?“ Hoho!). Strategisch geschult durch derartige und weitere allgemeine Tipps – wobei manches schon auf die konkreten Aspekte hinweist – kann sich der Jungmensch dem nächsten Bereich der App „Konterbunt“ zuwenden, dem „Parolenverzeichnis“.

Dieses ist übersichtlich gegliedert. Aus der alphabetischen Anordnung – „Ablehnung von Geflüchteten, Antisemitismus, Antiziganismus, Behindertenfeindlichkeit, Klassismus, Sexismus, Rassismus, Trans- und Homofeindlichkeit“ – kann bequem ausgewählt werden. Es finden sich dann jeweils Aussagen, welche die App-Entwickler (sowie offenbar alle anderen auch) bewegen und denen sie mit vorbildhaftem Widerspruch („ein paar ausgewählte Antwortmöglichkeiten“) begegnen. Eine „Parole“ wäre etwa: „Die meisten Flüchtlinge kommen nach Europa, um sich wirtschaftlich zu verbessern.“ Natürlich falsch, sagt die App und erklärt, wie das ist mit „Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit“ oder welche Rolle der „maßgeblich durch die Industrienationen verursachte Klimawandel“ spielt. Eine andere „Parole“ wäre: „Ich wurde auch schon Kartoffel genannt – das ist ‚Rassismus‘ gegen Deutsche!“ Laut App ebenfalls falsch. Es ist „nicht rassistisch, da eine strukturelle diskriminierende Komponente fehlt. Rassismus hat immer auch mit Macht zu tun.“ Weiteres Beispiel: „Flüchtlinge und Migranten haben eine ganz andere Kultur, die nicht hierher passt!“ Nein, denn „‚Kultur‘ wird keinesfalls allein von der Herkunft bestimmt, sondern ist wie eine mentale Software: Sie ist wandelbar und hat viele Facetten. Jeder Mensch trägt viele Kulturen in sich;…“

Blumiger Antwortdschungel ohne Platz für Zweifel

Der Jungmensch der Zielgruppe wird hoffentlich nicht auf die Idee kommen zu überlegen, warum er die meisten „Parolen“ des Verzeichnisses in dieser schroffen, platten Form eher selten bis nie selbst hört, medial allerdings umso öfter auf deren Existenz und die Notwendigkeit, sie zu bekämpfen, hingewiesen wird. Ebenso wenig wird es ihn voraussichtlich verwirren, dass er im blumigen Antwortdschungel jeglichen Zweifels über die Richtigkeit des politischen Handelns in diesem Land enthoben wird. Da sollten auch einige diffuse Ausführungen nicht weiter stören. Der Behauptung „Die Flüchtlinge schummeln alle mit ihren Dokumenten, um hierbleiben zu dürfen!“ wird zwar nicht direkt widersprochen, aber immerhin kann man nicht in jedem Fall  von „Fälschungen“ sprechen (es wird erklärt, warum) und vor allem „fälschen nur wenige Menschen Daten, um Straftaten zu begehen“.

Der Jungmensch könnte sich – potentiell – auch fragen, warum im „Parolenverzeichnis“ Aussagen aufgenommen wurden, deren Absurdität in der deutschen Gesellschaft des Jahres 2019 außerhalb jeglicher Diskussion steht. Die Spannbreite reicht hier von „Blondinen sind blöd!“ über „Homosexualität ist ansteckend!“ bis hin zu „Juden gehören nicht zu Deutschland!“ Nur ein ganz bösartiger Betrachter, und unser Jungmensch gehört nicht dazu, käme auf die Idee, dass derartig eindeutiger Unsinn gut geeignet ist, den Nutzer der App davon abzuhalten, andere im „Parolenverzeichnis“ in gleicher äußerer Form präsentierte Aussagen – statt sie komplett zurückzuweisen – vielleicht doch noch einmal in Ruhe (Stichwort Differenzierung) zu reflektieren. Aber das wäre kompliziert und eindeutige Antworten, zumindest in Hinsicht darauf, dass jegliche hier aufgelistete „Parole“ abzuwehren ist, werden ja gegeben. Durchdenken ist auch nicht der Sinn der App, sondern „Eintreten für Demokratie“, versehen mit dem zur Verfügung gestellten textbausteinlichen Rüstzeug.

Mittels „Strategieguide“ und „Parolenverzeichnis“ geistig gestählt, kann sich der Jungmensch nun ausprobieren. „Konterbunt“ bietet nämlich auch ein Spiel an. Hier wird man, etwa auf dem Jahrmarkt oder beim Einkaufen, mit verschiedenen „Parolen“ konfrontiert. Mittels des Gelernten gilt es nun, inhaltlich-argumentativ und strategisch gegenzuhalten. Keine Angst, die Antwortmöglichkeiten werden vorgegeben. Aber aufpassen, nicht provozieren. Das bringt nicht weiter.

All dies kann der Zielgruppen-Jungmensch mit „Konterbunt“ anstellen. Er kann sich auch noch einen Avatar (m/w/d stehen zur Auswahl) basteln und sich in die Einführungstexte vertiefen. Hier ist beispielsweise zu lernen, dass es sich bei einer Reihe der Herkunftsländer der „Geflüchteten“ um „ehemalige Kolonien europäischer Staaten“ handelt, „die sich nach dem Rückzug der Kolonialstaaten im 20. Jahrhundert nie von den Auswirkungen der Kolonialisierung erholen konnten und bis heute verarmt sowie politisch instabil sind“ und dass „die westlichen Staaten eine Mitverantwortung für die Fluchtgründe“ tragen.

Der Jungmensch sollte die App „Konterbunt“ reichlich nutzen. Und alle anderen, die finanziell mittels Steuer zu deren Realisierung beigetragen haben, sollten zumindest einen Blick darauf werfen. Hier nochmal der Link. Man wird feststellen, dass die Welt gar nicht so kompliziert ist, wie man immer meint und dass man sich auch nicht immer so viele eigene Gedanken machen muss.

Foto: Tomaschoff

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Lena Martin / 21.09.2019

Diese App ist kein zeitgemäßes Angebot der Demokratiebildung, ich bin entsetzt: Dass ist ja totale Gehirnwäsche.  Orwell und 1984 wurde in Deutschland Realität, einfach grauenhaft, wo wir hingeraten sind.

Robert Jankowski / 21.09.2019

Die App hat wahrscheinlich in der Ausgabe 2.0 dann noch Scannsysteme zum aufspüren rechten Gedankenguts. Besonders beliebt wird dann die verbesserte Autokorrekturfunktion der App, mit der man garantiert keine Fehler bei den SMS Nachrichten begehen kann. Demnächst dann auch Windows, Android und Apple Kompatibel. Zum Schutz der Bevölkerung! Im Dritten Reich wäre diese “Stiftung” ganz oben in der Gunst gewesen. Gesinnungstechnische und sprachliche Anpassung der Gesellschaft. Perfektion der Gleichschaltung der Gehirne. Alles für den Kampf gegen Rechts (Was auch immer das bedeutet)  und letztlich kann man damit Alles rechtfertigen, weil es ja für die “gute Sache” ist.

Karl-Heinz Vonderstein / 21.09.2019

Hab das Gefühl,  die deutschen Gutmenschen zimmern sich Antirassismus, Anitifremdenfeindlichkeit, Antiislamophobie, Alle sind gleich und Vorurteile sind unbegründet, zusammen, was aber weniger mit Fakten und der Realität zu tun hat, sondern eher mit einer Befindlichkeit der deutschen Gutmenschen-Seele zu tun hat, die sich für ihr Deutschsein aus historischen Gründen schämen und es heute jeden Ausländer bei uns recht machen wollen.

Barbara Stein / 21.09.2019

Zur Wende habe ich bedauert, dass ich nicht 10 Jahre jünger oder auch 10 Jahre älter bin. Und nun habe ich ebendiese Gedanken wieder. 10 Jahre hin werde ich wahrscheinlich bereits in meiner Urne dahinschlummern und all diese riesengroße Sch ...e wird ohne mich stattfinden, 10 Jahre zurück - ja dann wäre meine Gesundheit für mich noch so toll, dass ich jeden Montag zu Pegida, freitags zu Pro Chemnitz, donnerstags nach Dresden zu “Keine Drogen in Dresden” usw. usf. fahren würde. Nun hoffe ich, dass ich noch vor dem Ende wieder in meine Heimatstadt Chemnitz umziehen kann und dass ich nach dem Umziehstreß sofort zur AfD gehen werde, meinen Antrag auf Mitgliedschaft ausfüllen und meine aktive Mitarbeit anbieten werde. Hier in meinem niederbayerischen Dorf (7 Häuser, keine Kneipe, ja nicht mal eine Kirche) finde ich keinen, mit dem man ein politisches Gespräch ernsthaft führen kann. Ich hatte mit der bayerischen AfD Kontakt, doch da war keine Gegenliebe bzw. Interesse vorhanden, leider. 1989 war ich auch auf der Straße, doch das wurde damals vergeigt vor lauter “Humanität” den Tätern gegenüber. Diesmal darf das nicht wieder passieren. Und wenn ich dazu nur ein kleines bißchen beitragen kann, habe ich die letzten Jahre nicht umsonst gelebt.

Belo Zibé / 21.09.2019

Jeder Mensch trägt verschiedene Kulturen in sich, und manche tragen augenscheinlich die immer resistenter werdende Candidose IM Victoria robusta in sich.  

Sanne Weisner / 21.09.2019

Diese Art vorgestanzten Antworten kann man schon seit Jahren in jedem Forum beobachten, wo man solche Internethelden vorfindet.

Wilfried Düring / 21.09.2019

Lieber Herr @Strecker, Sie sind nicht auf dem neuesten Stand der diskriminierungsfreien soziologischen Wissenschaften. Im zeitgemäßen und politisch korrekten ‘NeuSprech’ bestellen Sie sich bei Ihrem Lieblingsgriechen zukünftig bitte:  ein ‘Schnitzel nach Art der >>ROTATIONS-EUROPÄER<<’. Vgl. hierzu die Ausführungen des (genialen) Kabarettisten Andreas Rebers vom 07. März 2019 (Rebers bei Alfons - online verfügbar).  Der zitierte Begriff wurde lt. Herrn Rebers von den Genossen der zuständigen Sprachpolizei bestätigt und freigegeben.

Sabine Lotus / 21.09.2019

Ne App zum Argumente finden. Die haben wohl in jedem Bereich übelsten Nachschulungsbedarf. Naja, die orientieren sich wohl an ihrer kindlichen Kaiserin, die im ersten Drittel ihrer Politkarriere noch nicht mit Messer und Gabel essen konnte. Toll Helmut, gut gemacht. Achja, und ganz recht: Die macht Dir Dein Europa kaputt.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com