Kürzlich habe ich auf dem Weihnachtsmarkt Puppenkerzen für 4,95 Euro erstanden. Beim Bezahlen schlängelte sich ein eindrucksvoller Kassenzettel von fast einem halben Meter Länge aus der Kasse. Meinen erstaunten Blick kommentierte die Dame an der Kasse mit einem entnervten Seufzer: Sie müssten jetzt bei Kerzenprodukten immer die folgende Liste an Warnungen mit abdrucken:
„Sie haben eine Kerze, Kerzen-
oder Teelichhalter gekauft. Bitte
beachten Sie folgende Hinweise:
Eine brennende Kerze/Teelicht nie
unbeaufsichtigt brennen lassen.
Die Kerze/Teelicht ausserhalb der
Reichweite von Kindern und
Haustieren brennen lassen. Immer
mindestens 10 cm zwischen den
brennenden Kerzen/Teelichtern
belassen. Die Kerze/Teelichter nicht
auf oder in die Nähe von
entflammbaren Gegenständen
brennen lassen. Die
Kerze/Teelicht auf eine feste, gerade
Unterfläche stellen. Kerzen/Teelichter
nicht in Zugluft stellen. Immer die
Flamme ersticken, nicht ausblasen.
Eine brennende Kerze/Teelicht
nicht bewegen. Nie eine Flüssigkeit
zum löschen verwenden.
Bei Produkten mit der Kennzeichnung
„nur für Teelicher“ ausschliesslich
handelsübliche Teelichter mit
Metalummantelung verwenden.
Keramik/Metall kann sich
bei Betrieb erhitzen. Bitte bewahren
Sie diese Warnhinweise sorgfältig auf.“
Unwillkürlich erscheinen vor meinem geistigen Auge Generationen von Menschen, die mittels Kerze oder anderen brennenden Leuchtmitteln ihren Alltag beleuchteten – und auch überlebten. Selbstverständlich ist unsere Geschichte voll von vernichtenden Haus-, Hof- und Stadtfeuern. Klar, dass man mit offenem Feuer respektvoll umgehen muss. Auch heutzutage. Eigentlich wusste und weiß das auch jeder.
Hurra, ein Abgrund ohne Warnschild
Was mich irritiert, ist die komplette Überbetreuung, die sich in den letzten 20 Jahren bei uns und in anderen westlichen Ländern breit gemacht hat: Gegen alles, was eingeklagt werden kann, muss man sich absichern. Bekomme ich demnächst beim Erwerb eines neuen Autos auf der Rechnung mitgeteilt, dass es sich um eine Maschine handelt, die eine potenzielle Gefahr für mich und das Leben anderer darstellt? Bewegen Sie ihr Auto nur bei angemessenem Wetter?
Ich bin hin- und hergerissen zwischen Belustigung und Ärger, wenn ich Schilder mit diversen Warnungen sehe: Achtung! Äste, Steine und dergleichen können herunterfallen! Ja, es birgt gewisse Risiken, sich in der Natur zu bewegen. Erstaunt war ich als überbetreute Deutsche jedenfalls in Norwegen, als ich den Preikestolen bestieg, eine dramatisch überhängende Felsklippe, von deren ungesichter Kante man sich ohne Probleme 600 m in die Tiefe des Fjordes hätte stürzen können. Ich empfand es damals als wohltuend, dass man sich auf den gesunden Menschenverstand der Besucher verließ und ohne ein einziges Warnschild auskam.
Ärgerlich wird es in meinen Augen, wenn die Überregulierungen schöne und sinnvolle Dinge verhindern. Wenn früher praktizierte Dinge aus Angst vor kompliziertem Regelwerk und dessen möglichen Konsequenzen vermieden werden – oder noch schlimmer, den Geruch einer gesetzeswidrigen Handlung bekommen. Ich höre immer wieder aus unterschiedlichen Berufsfeldern die Klage: Manche Regelungen sind so einschränkend, dass man sich am besten clever um sie herumschlängelt, wenn man sinnvoll arbeiten möchte.
Ich frage mich dann stets: Welche höhere Macht hat denn dieses Regelwerk erfunden? Warum dulden wir Dinge, die uns derartig einengen? Warum stecken wir unsere Energie und Kreativität in das Umgehen dieser Regeln und nicht in die Veränderung eines zu eng empfundenen Korsetts?
Ich habe übrigens vorhin die dritte Kerze an unserem Adventskranz angezündet und den ganzen Kranz ohne größere Unfälle (bei Haustieren, Kindern oder anderen Mitbewohnern) in unser Esszimmer getragen. Da steht er nun und erfreut uns mit seinem warmen Kerzenlicht.
Ein bisschen rebellisch komme ich mir jetzt schon vor...
Frohe Weihnachten!