Cornelia Buchta, Gastautorin / 16.12.2018 / 13:00 / Foto: Buchta / 29 / Seite ausdrucken

Betreute Weihnachten

Kürzlich habe ich auf dem Weihnachtsmarkt Puppenkerzen für 4,95 Euro erstanden. Beim Bezahlen schlängelte sich ein eindrucksvoller Kassenzettel von fast einem halben Meter Länge aus der Kasse. Meinen erstaunten Blick kommentierte die Dame an der Kasse mit einem entnervten Seufzer: Sie müssten jetzt bei Kerzenprodukten immer die folgende Liste an Warnungen mit abdrucken:

„Sie haben eine Kerze, Kerzen- 
oder Teelichhalter gekauft. Bitte 
beachten Sie folgende Hinweise: 
Eine brennende Kerze/Teelicht nie 
unbeaufsichtigt brennen lassen. 
Die Kerze/Teelicht ausserhalb der 
Reichweite von Kindern und 
Haustieren brennen lassen. Immer 
mindestens 10 cm zwischen den 
brennenden Kerzen/Teelichtern 
belassen. Die Kerze/Teelichter nicht 
auf oder in die Nähe von 
entflammbaren Gegenständen 
brennen lassen. Die 
Kerze/Teelicht auf eine feste, gerade 
Unterfläche stellen. Kerzen/Teelichter 
nicht in Zugluft stellen. Immer die 
Flamme ersticken, nicht ausblasen. 
Eine brennende Kerze/Teelicht 
nicht bewegen. Nie eine Flüssigkeit 
zum löschen verwenden. 
Bei Produkten mit der Kennzeichnung 
„nur für Teelicher“ ausschliesslich 
handelsübliche Teelichter mit 
Metalummantelung verwenden. 
Keramik/Metall kann sich 
bei Betrieb erhitzen. Bitte bewahren 
Sie diese Warnhinweise sorgfältig auf.“

Unwillkürlich erscheinen vor meinem geistigen Auge Generationen von Menschen, die mittels Kerze oder anderen brennenden Leuchtmitteln ihren Alltag beleuchteten – und auch überlebten. Selbstverständlich ist unsere Geschichte voll von vernichtenden Haus-, Hof- und Stadtfeuern. Klar, dass man mit offenem Feuer respektvoll umgehen muss. Auch heutzutage. Eigentlich wusste und weiß das auch jeder.

Hurra, ein Abgrund ohne Warnschild

Was mich irritiert, ist die komplette Überbetreuung, die sich in den letzten 20 Jahren bei uns und in anderen westlichen Ländern breit gemacht hat: Gegen alles, was eingeklagt werden kann, muss man sich absichern. Bekomme ich demnächst beim Erwerb eines neuen Autos auf der Rechnung mitgeteilt, dass es sich um eine Maschine handelt, die eine potenzielle Gefahr für mich und das Leben anderer darstellt? Bewegen Sie ihr Auto nur bei angemessenem Wetter? 

Ich bin hin- und hergerissen zwischen Belustigung und Ärger, wenn ich Schilder mit diversen Warnungen sehe: Achtung! Äste, Steine und dergleichen können herunterfallen! Ja, es birgt gewisse Risiken, sich in der Natur zu bewegen. Erstaunt war ich als überbetreute Deutsche jedenfalls in Norwegen, als ich den Preikestolen bestieg, eine dramatisch überhängende Felsklippe, von deren ungesichter Kante man sich ohne Probleme 600 m in die Tiefe des Fjordes hätte stürzen können. Ich empfand es damals als wohltuend, dass man sich auf den gesunden Menschenverstand der Besucher verließ und ohne ein einziges Warnschild auskam. 

Ärgerlich wird es in meinen Augen, wenn die Überregulierungen schöne und sinnvolle Dinge verhindern. Wenn früher praktizierte Dinge aus Angst vor kompliziertem Regelwerk und dessen möglichen Konsequenzen vermieden werden – oder noch schlimmer, den Geruch einer gesetzeswidrigen Handlung bekommen. Ich höre immer wieder aus unterschiedlichen Berufsfeldern die Klage: Manche Regelungen sind so einschränkend, dass man sich am besten clever um sie herumschlängelt, wenn man sinnvoll arbeiten möchte. 

Ich frage mich dann stets: Welche höhere Macht hat denn dieses Regelwerk erfunden? Warum dulden wir Dinge, die uns derartig einengen? Warum stecken wir unsere Energie und Kreativität in das Umgehen dieser Regeln und nicht in die Veränderung eines zu eng empfundenen Korsetts?

Ich habe übrigens vorhin die dritte Kerze an unserem Adventskranz angezündet und den ganzen Kranz ohne größere Unfälle (bei Haustieren, Kindern oder anderen Mitbewohnern) in unser Esszimmer getragen. Da steht er nun und erfreut uns mit seinem warmen Kerzenlicht. 

Ein bisschen rebellisch komme ich mir jetzt schon vor... 

Frohe Weihnachten!

Foto: Buchta

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Lars Richter / 16.12.2018

Am Ende des Artikels befinden sich einige Fragen, die ich gerne beantworten möchte: “Ich frage mich dann stets: welche höhere Macht hat denn dieses Regelwerk erfunden?” - Der Staat. “Warum dulden wir Dinge, die uns derartig einengen?” - Wir dulden sie nicht, sondern wir haben die Kontrolle über den Staat verloren, und sind auch nicht dazu in der Lage, diesen abzuschaffen. Also nutzen wir die letzte verbliebene Möglichkeit, und versuchen das Regelwert so weit wie möglich zu umgehen, finden es aber gleichzeitig gut, wenn ein Anderer, der in seinem Bereich das selbe getan hat, erwischt und bestraft wird, denn Ordnung muss sein. “Warum stecken wir unsere Energie und Kreativität in das Umgehen dieser Regeln und nicht in die Veränderung eines zu eng empfundenen Korsetts?” - Weil wir, wie gesagt, bereits die Kontrolle über den Staat verloren haben, und es für uns überhaupt keine Möglichkeit mehr gibt, das Regelkorsett zu weiten. Wir könnten es natürlich versuchen, indem wir in die Politik gehen, aber diesen Gedanken hatten auch schon diejenigen, die heute diese Regeln machen, und es scheint nichts gebracht zu haben. Im Gegenteil, scheint es eine Dynamik zu geben, die dafür sorgt, dass weitere derartige Regeln erlassen werden. Entweder selektiert unser Staat also Politiker, die sich so verhalten, und lässt Anderen keine Chance, oder er korrumpiert angehende Politiker, die eigentlich etwas Gutes bewirken wollen, dahingehend, dass sie etwas anderes tun, als ursprünglich geplant war.

Werner Müller / 16.12.2018

Paßt zwar nicht ganz, aber irgendwie doch: Ich war gestern in einer Filiale eines großen deutschen Lebensmitteldiscounters und wollte unter anderem Streichhölzer kaufen. Da ich nicht fündig wurde fragte ich eine Mitarbeiterin. Sie erklärte mir (auch etwas seufzend), daß Streichhölzer nicht mehr im Sortiment seien wegen dem Regenwald. Ach nein, korrigierte sie sich, wegen Tropenholz. Ich bekam den Mund kaum zu vor Erstaunen, sie verwies dann noch auf die Alternative Feuerzeuge, fügte aber hinzu: “na ob das unbedingt besser ist”. In der benachbarten Filiale eines anderen Discounters gab es noch Streichhölzer, ich kaufe einen großen Posten, vorsichtshalber.

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