Von Okko tom Brok.
Kann man wirklich behaupten im „besten Deutschland aller Zeiten“ zu leben – und warum überhaupt?
"Die BRD ist nice, ja die BRD ist nice.
Früher war alles schlechter, heute ist alles wow.
Ich bin nur am flashen, wenn ich Tagesschau schau.
Das beste Deutschland aller Zeiten, jeder weiß es."
(David Aspalt, Das beste Deutschland aller Zeiten, 2022)
Mit diesen Worten lässt uns der aus Kaiserlautern stammende Rap-Musiker in seinem Debütalbum von 2022 Anteil haben an seinen stark sarkastisch eingefärbten Euphorie-Ausbrüchen über das „BDAZ“, besser bekannt als das „Beste Deutschland aller Zeiten©“.
Seit der Ära Merkel hat es sich eingebürgert, den Status quo der in die Jahre gekommenen Bundesrepublik Deutschland geradezu neobiedermeierlich zu verklären. Als stereotype Plattitüde gehört der Satz vom nicht mehr überbietbaren Deutschland seither zum Stammvokabular auch des Bundespräsidenten. Die TAZ kommentierte demgegenüber noch 2017 treffend: „Der vollmundige Satz: "Das beste Deutschland aller Zeiten" dient der Herrschaftssicherung. Das ist schon durchschaubar...“ Im online abrufbaren Artikel selbst findet sich dieser Satz dann nicht mehr. Offenbar wurde der vor 7 Jahren veröffentlichte Text inzwischen der veränderten Situation angepasst, dass auch Grüne und ihre Hofpresse „staatstragend“ geworden sind und das von David Asphalt noch ironisch besungene deutsche Polit-Narrativ inzwischen aus vollem Hals „mitschmettern“.
Stilistisch betrachtet, ist die Formel vom „besten Deutschland aller Zeiten“ ein „Superlativ“. Als politischer Slogan ist er klar, prägnant und rhetorisch durchaus geschickt, da er sowohl einen emotionalen als auch einen kognitiven Anspruch enthält. Der Gebrauch der ersten Person Plural („Wir“) betont den gemeinschaftlichen Aspekt und suggeriert, dass diese Aussage für alle Mitglieder der Gesellschaft gültig sei, obwohl 17,7 Millionen Deutsche laut Statistischem Bundesamt in Armut leben oder davon betroffen sind. Dieser seit Angela Merkels rhetorischer Trickphrase „Wir schaffen das“ für deutsche Bundesregierungen nicht untypische pluralis majestatis ist durchaus anschlussfähig für den weit verbreiteten deutschen Kollektivismus und Etatismus, der im Zweifel lieber nicht Kants Kategorischem Imperativ oder dem eigenen Gewissen, sondern der Masse bzw. den Mächtigen folgt. Es handelt sich gleichzeitig um eine positive Formulierung, die auf Zustimmung und Stolz abzielt und dem historisch arg gebeutelten deutschen „Patriotismus“ eine neue (links-grüne) Legitimation zu geben scheint. Rhetorisch gesehen ist die Aussage einfach und plakativ – sie lässt sich leicht erinnern und reproduzieren, was ihre Wirksamkeit in öffentlichen Reden oder als Slogan erhöht.
Semantisch ist die Aussage hingegen hochproblematisch. Die Einstufung als „bestes“ seiner Art erfordert einen Vergleich mit anderen Zeiten in der deutschen Geschichte, der jedoch unterbleibt. Welche Kriterien legen fest, was das „beste“ Deutschland ist? Handelt es sich um wirtschaftlichen Wohlstand, sozialen Frieden, politische Stabilität oder kulturelle Errungenschaften? Der Satz impliziert zudem, dass die Vergangenheit Deutschlands im Vergleich minderwertig war, was die semantische Betrachtung verkompliziert. Es ist eine normative Aussage, die einerseits eine große Zufriedenheit ausdrückt, andererseits aber eine pauschale Beurteilung ohne klare Maßstäbe vornimmt. Dass die Bundesbürger tatsächlich zu den unzufriedensten Menschen in der EU zählen, sei hier nur am Rande vermerkt.
Eine differenziertere Betrachtung wäre angemessen
Für die derzeit ideologisch (wenn auch nicht prozentual) noch dominierende politische Kraft, Bündnis 90 / Die Grünen, galt diese überschwängliche Zustimmung zum heutigen Deutschland bis vor kurzem ohnehin nicht: Deutschland war für Deutschlands Staatsministerin beim Bundeskanzleramt, Claudia Roth, bekanntlich nur ein „unschönes Stück Exkrement“, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sinnierte einst, mit Deutschland und deutschem Patriotismus „nicht viel anfangen“ zu können. Natürlich sei jedem eine Sinneswandlung ausdrücklich zugestanden. Es stellt sich allerdings die Frage, was – außer der heute größeren Machtfülle der Grünen – diese eklatante Neubewertung ausgelöst haben könnte. Und das führt vielleicht auch tiefer hinein in eine Klärung, inwiefern Deutschland heute wirklich besser sein könnte als früher.
In historischer Perspektive ist die Aussage stark auf die jüngste Entwicklung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg fokussiert. Das „beste Deutschland“ wird in der Regel mit der liberalen Demokratie, dem Wohlstand und der internationalen Integration der Bundesrepublik seit 1949 verbunden. Diese Errungenschaften stehen im scharfen Kontrast zu den düsteren Kapiteln der deutschen Geschichte, insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und der anschließenden Teilung des Landes in Ost und West. Der Satz reflektiert das Bewusstsein dafür, dass Deutschland im 20. Jahrhundert oft von Diktaturen und Katastrophen geprägt war, und dass die heutige Zeit als vergleichsweise glücklich empfunden wird.
Gleichzeitig blendet die Formel jedoch auch die historische Komplexität aus. Sie vernachlässigt etwa, dass andere Perioden, wie das Kaiserreich (1871-1918), für viele als Blütezeit angesehen wurden oder dass die 1920er Jahre in der Weimarer Republik ebenfalls als kulturell dynamisch und progressiv galten. Hier wäre eine differenziertere Betrachtung der historischen Kontinuitäten und Brüche angemessener. Der Beschwörungsformel vom „besten Deutschland aller Zeiten“ mangelt es also an klaren Referenzpunkten. Verglichen mit den beiden deutschen Diktaturen wird man sicherlich immer noch eine relative Überlegenheit eines Staatswesens wie der Bundesrepublik konstatieren können, in welchem keine politischen Morde im Auftrag des Staates zu beklagen sind, Menschen das Land noch weitgehend ungehindert verlassen können und wo die Justiz und andere Staatsorgane noch ihre rechtsstaatlich geregelte Arbeit tun.
„Urangst vor Messern“
Schauen wir doch zur Beurteilung der Frage nach „Deutschlands neuer Größe“ an einem durchschnittlichen deutschen Herbsttag auf die aktuellen Pressemeldungen, um dem deutschen „Politprimus“ einmal „den Puls zu fühlen“. In den „ersten beiden Reihen“ des deutschen Fernsehens, bei ARD und ZDF, dominieren etwa im Newsticker fast nur internationale Meldungen, insbesondere aus der Ukraine, Russland und dem Nahen Osten. Es entsteht unwillkürlich der Eindruck, im Vergleich doch immer noch „ganz gut dazustehen“. Lediglich die Autoindustrie müsste, so das ZDF, jetzt aber doch langsam aus der Krise herausfinden. Zum Glück scheint aber, so Tagesschau.de, Bundesgesundheitsminister Lauterbach ein klitzeskleines Problem bei der Finanzierung der Pflegeversicherung schon so gut wie gelöst zu haben. Bravo!
Mit etwas gründlicher Recherche finden sie sich dann aber doch, die so schamhaft verschwiegenen „Negativmeldungen“, deren mediales Beschweigen nur noch sprachlos macht: Eine Google-Suche nach „Kochsalz“ liefert den dürren Hinweis, dass OPs und die gesamte medizinische Versorgung in Deutschland mangels Kochsalz gefährdet sein könnten. Und erst die Eingabe des Suchbegriffs „Pflegeversicherung“ führt zu der alarmierenden Erkenntnis, dass Deutschlands Senioren ziemlich im Regen stehen, falls der Pflegeversicherung tatsächlich gerade die Zahlungsunfähigkeit droht. Und Nachrichten über die inzwischen alltäglichen Messermorde, noch dazu überwiegend begangen von illegalen Migranten, die im Presse-Jargon ohnehin „nur lokale Bedeutung“ haben, finden sich letztlich über die Stichwortsuche „Messer“. Die Süddeutsche erlaubt sich in diesem Zusammenhang ein besonders absurdes Stück „Feuilletonismus“, indem es von der „Urangst vor Messern“ und den „Tücken einer Stichverletzung“ schwadroniert.
Ein Angehöriger eines Messeropfers, Michael Kyrath, Vater der am 25.01.23 in Brokstedt von einem vorbestraften Messerstecher aus Palästina ermordeten Ann-Marie Kyrath (17), schrieb vor wenigen Tagen hier auf Achgut einen vielbeachteten Offenen Brief an Cem Özdemir. Özdemir hatte sich zuvor medienwirksam besorgt über die Bedrohungslage für seine eigene Tochter gezeigt. Kyrath teilte Özdemir daraufhin in seinem Brief u.a. mit, dass sich bereits 300 (!) Eltern ebenfalls ermorderter Kinder bei ihm gemeldet hätten. Wie viele solcher Fälle mag es seit 2015 insgesamt im „besten Deutschland aller Zeiten“ gegeben haben? Bei diesen wenigen ausgewählten Pressemeldungen mag es sich zwar zunächst nur um eine eher „anekdotische Evidenz“ handeln, doch schon diese lässt gewisse Zweifel am Mythos eines „allerbesten Deutschland“ aufkommen.
Das noble Deutschland
Fragen wir doch einmal genauer, was dieses Deutschland moralisch so hat „hypertrophieren“ lassen. Schon lange „erweist“ sich die moralische Qualität Deutschlands in den Augen seiner Machthaber und Mediengünstlinge in seiner Fähigkeit, weltweit „Gutes zu tun“. Henryk M. Broder spricht in diesem Zusammenhang ironisch gerne von der „Wiedergutwerdung Deutschlands“. War diese spendierfreudige Gutherzigkeit einst als „Scheckbuchdiplomatie“ verschrien, wird sie heute unter Hinweis auf das vermeintlich „reiche Land“ zur Staatsräson Deutschlands verklärt, dessen noble Bestimmung offenbar darin besteht, die Armut der Welt zu lindern, das Klima zu retten und auch sonst tatkräftig mit anzupacken, wo immer Hilfe gefragt ist.
Im Handelsblatt-Ranking von 2024 ist Deutschland – im Unterschied zur bekanntermaßen wohlhabenden Schweiz, aber auch im Kontrast zu Ländern wie Luxemburg, Irland, Norwegen und Island – allerdings nicht mehr unter den 10 reichsten Ländern der Welt zu finden. Auch sonst klingen die Meldungen aus Wirtschaft und Finanzwelt eigentlich nicht nach den Jubel-Arien, die wir aus dem offiziellen Polit-Deutschland vernehmen. Der Fernsehsender Phoenix kam 2023 zu dem Ergebnis, Deutschland sei ein „armes reiches Land“, dessen Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehe.
Aber selbst wenn wir nicht objektive Kriterien, sondern nur die subjektive Leistungsbilanz der aktuell regierenden Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP für unsere Beurteilung der These vom „besten Deutschland“ zugrundlegen, sieht die Gesamtwertung kaum besser aus: Die als „Klimakabinett“ gestartete Regierung um Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat es laut Umweltbundesamt bislang nicht vermocht, die CO2-Emissionen Deutschlands auch nur auf den europäischen Durchschnitt (EU-27) zu senken, während das auf Kernenergie setzende Frankreich einen um etwa 35% niedrigeren CO2-Pro-Kopf-Ausstoß vorweisen kann.
In erster Linie affirmativ
Die sog. Automobilwende, ein besonders „verzogenes Stiefkind“ der Energiewende, lässt ebenfalls nichts Gutes ahnen: Von den prognostizierten 15 Millionen E-Autos, die laut Koalitionsvertrag bis 2030 auf Deutschlands Straßen rollen sollten, sind bekanntlich bislang lediglich 1,5 Millionen Fahrzeuge unterwegs. Tendenz fallend. Diese stehen bundesweit 49 Millionen Verbrenner-PKW gegenüber, wie der ADAC meldet. Wie bis 2030 hier noch ein „Turnaround“ erreicht werden soll, bleibt das Geheimnis einer Regierung, die in erster Linie dem „Prinzip Hoffnung“ zu folgen scheint.
Wenn es dem heutigen Deutschland und seinen Regierungen schon nicht gelingt, die „dicken Bretter“ zu bohren, so tut es sich auch mit den „kleinen“ Reformen schwer. Nicht einmal das grüne „Prestige-Projekt“ der Cannabis-Legalisierung kann als Erfolg gelten: Aus dem ehrgeizigen Vorhaben einer wirklichen Freigabe ist eine eher zaghafte Entkriminalisierung mit zahlreichen bürokratischen Stolperfallen geworden. Darüber hinaus eskaliert in Teilen des Landes ein regelrechter Drogenkrieg, den selbst regierungsnahe Journalisten einer verfehlten Cannabis-Politik zuschreiben. Es geht und ging hier nicht darum, die skizzierten Politikfelder und die dort beschlossenen oder notwendigen Maßnahmen selbst zu beurteilen, sondern darum, anhand ausgewählter Politikfelder den hochtrabenden Anspruch Deutschlands zu überprüfen, die bislang beste Version seiner selbst darzustellen.
Politisch ist die Aussage vom „besten Deutschland“ in erster Linie affirmativ und dient offensichtlich dazu, eine positive Grundstimmung zu erzeugen. Sie wird von den politischen Akteuren verwendet, um die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu feiern – etwa die Vereinigung Deutschlands, die europäische Integration oder den wirtschaftlichen Aufstieg. Sie kann als Versuch gedeutet werden, eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik zu erzählen und das Vertrauen in den politischen Status quo zu stärken. Kritisch betrachtet muss man jedoch feststellen, dass diese Formel der Beschwichtigung gegenüber erheblichen bestehenden Problemen dient. Sie legt nahe, dass alles Wesentliche erreicht sei oder nur durch die heutigen Akteure bewerkstelligt werden könnte. Gleichzeitig bietet die Formel wenig Raum für Kritik oder Alternativen, da sie durch ihre Superlativ-Formulierung implizit jede Verbesserungsvorstellung zurückweist.
Die Formel „Wir leben im besten Deutschland aller Zeiten“ ist rhetorisch wirksam und emotional aufgeladen, doch semantisch und historisch problematisch. Sie dient politisch als positiv affirmierende Aussage, die die Erfolge der Nachkriegszeit betont, aber zugleich Kritik und historische Komplexität ausblendet. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Kriterien, die das „beste“ Deutschland ausmachen, sowie eine Berücksichtigung der bestehenden Herausforderungen wären notwendig, um eine ausgewogenere Sichtweise zu ermöglichen.
Der Autor ist Lehrer an einem niedersächsischen Gymnasium und schreibt hier unter einem Pseudonym.