Im Unterschied zu vielen anderen Bands der Nu-Folk-Bewegung zeichnen sich Stornoway durch einen eigentümlichen Stil aus, der sich aus Einflüssen speist, die für die Folk-Musik eher untypisch sind.
Erinnert sich noch jemand an die „Alles frisch“-Werbekampagne aus den 80er Jahren? Gefühlt auf jedem zweiten Auto klebte so ein runder weißer Sticker, auf dem in roten Lettern „Alles frisch“ stand. Sonst nichts. Ich weiß bis heute nicht, für wen oder was dieser Aufkleber eigentlich werben sollte. Jedenfalls kam ein Bekannter von mir auf die geniale Idee, seine neue Band, für die er noch einen Namen suchte, „Alles frisch“ zu nennen. Somit fuhren im Handumdrehen Millionen von Autos kostenlos für sie Werbung.
So ähnlich dachten wohl auch die Mitglieder der Band Stornoway. So heißt nämlich der größte Ort auf der schottischen Insel Lewis and Harris der Äußeren Hebriden, der in Großbritannien in jedem Wetterbericht erwähnt wird. (Fun Fact am Rande: Anfang der 1920er Jahre herrschte auf der Hebriden-Insel ein eklatanter Männermangel, woraufhin eine gewisse Mary Anne MacLeod nach Amerika auswanderte, wo sie später einen Sohn namens Donald John Trump zur Welt brachte.)
Stornoway wurden gegen Ende der 2000er Jahre im Zuge des Folk-Revivals und des sagenhaften Aufstiegs von Mumford & Sons quasi mit nach oben gespült. Außerhalb des Vereinigten Königreichs kamen die vier jungen Männer aus der Nähe von Oxford jedoch nie über ihren Geheimtipp-Status hinaus. Sehr zu Unrecht, wie ich finde. Denn sie besaßen von Anfang an einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil, mit dem sie sich von der Masse der vielen Nu-Folk-Bands abhoben.
Nu-Folk mit Pop-Einflüssen
Die Musik von Stornoway ist alles andere als ein aufgewärmter Retro-Folk. Vielmehr speist sie sich aus Einflüssen, die für das Folk-Genre eher untypisch sind. Stornoway haben Pop! Und sie scheuen sich auch nicht, Orgel, E-Bass oder Trompete einzusetzen. Ein weiteres Markenzeichen sind ihre geschickt geführten Gesangsmelodien, wobei mich die Stimme von Sänger Brian Briggs sehr an die von Robin Pecknold von den Fleet Foxes erinnert. Vielleicht könnte man Stornoway sogar als poppige Fleet Foxes beschreiben.
Aber man muss sie gar nicht mit anderen Bands vergleichen. Dazu sind sie viel zu authentisch und eigenständig. Außerdem sind sie über all die Jahre ihrem Stil treu geblieben, während sich andere, auch namhafte Vertreter der Nu-Folk-Bewegung, wie etwa Noah and the Whale, Bon Iver oder die bereits erwähnten Mumford & Sons sehr schnell wieder von ihren folkigen Anfängen verabschiedet haben.
Nach drei Alben, mit denen sie fast ausschließlich nur in Großbritannien und in Irland punkten konnten, lösten sich Stornoway 2017 auf. Sie verabschiedeten sich von ihren britischen Fans mit einer Farewell-Tour, aus der noch ein Live-Album von ihrem Abschiedskonzert in Oxford hervorging. 2022 kam es dann anlässlich einiger Festival-Auftritte zur Wiedervereinigung. Und im im Jahr darauf erschien sogar ein neues Album, auf dem sie musikalisch wie qualitativ an ihre vorherigen Veröffentlichungen anknüpften, als wäre nichts gewesen.
YouTube-Link zu „Zorbing“ vom ersten Album „Beachcombers Windowsill“ mit Video
YouTube-Link zu „The Bigger Picture“ vom zweiten Album „Tales from Terra Firma“ mit Video
YouTube-Link zu „Get Low“ vom dritten Album „Bonxie“ mit Video
YouTube-Link zu „Sea Legs“ vom aktuellen Album „Dig the Mountain!“
Hans Scheuerlein verarbeitet auf der Achse des Guten seit 2021 sein Erschrecken über die Tatsache, dass viele der Schallplatten, die den Soundtrack seines Lebens prägten, inzwischen ein halbes Jahrhundert alt geworden sind.