Thilo Sarrazin / 11.10.2017 / 06:26 / Foto: Bundesregierung/Denzel / 20 / Seite ausdrucken

Besichtigung einer Trümmer-Landschaft

Zwei Wochen nach der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag hat sich der Staub etwas gelegt, und es ist Zeit zur Besichtigung einer Trümmerlandschaft:

In Trümmern liegt die Hoffnung der SPD, in historisch absehbaren Zeiträumen wieder den Bundeskanzler stellen zu können. Mit 20,5 Prozent erzielte sie das schlechteste Ergebnis seit 1933. In den sechs ostdeutschen Ländern wurde sie sogar nur die dritte Kraft hinter der AfD bzw. (in Berlin) hinter der Linkspartei.

Einsturzgefährdet ist der Anspruch der CDU/CSU als Volkspartei. Mit 33 Prozent hatte auch sie das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit, in Sachsen wurde sie sogar von der AfD überholt.

In Trümmern liegt Angela Merkels Macht. Die SPD leckt ihre Wunden in der Opposition und will ihr von dort  "in die Fresse" geben (so der O-Ton der neugewählten Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles). Gegen die erhofften Koalitionspartner FDP und Grüne hat die Bundeskanzlerin schon vor Aufnahme der Koalitionsverhandlungen keinen Hebel mehr. Die beiden stimmen sich bereits ohne sie ab zur Ressortverteilung und zu wichtigen Sachfragen.

In Trümmern liegt die erprobte Mechanik der Nachkriegsordnung: Zwei große Parteien der linken und rechten Mitte im Wettstreit um die Mehrheit, die sie, unterstützt von kleineren Parteien, grundsätzlich auch gewinnen können.

Unter den Trümmern ist als Herausforderung der Zukunft eine tripolare Struktur erkennbar: Die AfD, die Parteien der Mitte und die Linkspartei. Nicht aus inhaltlichen Gründen scheidet die SPD aus der Regierung aus, sondern mit der erklärten Zielsetzung, die Opposition nicht der AfD und der Linkspartei zu überlassen und so deren weitere Stärkung zu verhindern. So bleibt sie auch in der Opposition der heimliche Verbündete der Bundesregierung.

Das Dilemma der SPD in der Opposition

Die Oppositionspartei SPD wird ständig zwischen der Distanzierung von der Bundesregierung und der Distanzierung von der AfD hin- und hergerissen sein, deshalb ist ein Schlingerkurs wahrscheinlich. Schon von 2009 bis 2013 war es ihr kaum gelungen, die Oppositionsrolle zur Verkleinerung und Marginalisierung der Linkspartei zu nutzen. Künftig muss sie sich aber zwischen AfD und Linkspartei behaupten. Wie empört sich die SPD auch über die Bundesregierung geben mag, stets muss ihre Empörung über die Oppositionspartei AfD noch größer sein.

92 Abgeordnete hat die AfD im neuen Bundestag. Das ermöglicht ihr die Finanzierung von rund 400 Mitarbeitern für Abgeordnete und Fraktion. Wenn sie es halbwegs geschickt macht, wird sie fortlaufend Anträge stellen, zu denen die SPD kaum nein sagen kann, die sie aber ablehnen muss, weil sie von der AfD kommen.

Gemeinsam mit den Medien hatten die etablierten Parteien versucht, die AfD mit der Aura des Bösen zu umgeben. Wenn dies den Zweck hatte, die Wähler abzuschrecken, ging es offenbar schief: 5,9 Millionen Wähler wählten die AfD, 9,5 Millionen Wähler die SPD. Gelänge es der SPD, alle Wähler der AfD für sich zu gewinnen, so hätte sie immer noch erst das Wahlergebnis 2005 von Gerhard Schröder erreicht, als dieser knapp gegen Angela Merkel verlor. So lang und steinig ist der Weg der SPD zurück zur Macht. Man wird ihn kaum mit Erfolg gehen können, wenn man die AfD-Wähler entweder als genauso böse wie ihre Partei oder - wegen ihrer Wahlentscheidung - als irregeleitet und beschränkt einordnet.

Für die Oppositionspartei SPD wird es deshalb zwingend sein, sich der Themen der AfD anzunehmen, wenn sie ihre Wähler für sich gewinnen will. Grundsätzlich gilt das Gleiche auch für die Regierungsparteien.

Die Folgen der Aufwertung durch Abwertung

Gegenwärtig beobachten wir das Gegenteil: Die Medien und die anderen Parteien sind nach dem Wahlerfolg der AfD regelrecht gefangen in ihrer fehlgeschlagenen Praxis, die AfD und deren Funktionäre durch die Bank moralisch abzuqualifizieren. Folgerichtig stellen sie dann die AfD-Wähler als verirrte Schafe und frustrierte Abgehängte dar und demonstrieren so, dass sie diese letztlich nicht ernst nehmen. Die Verteufelung der AfD hat eine herablassende und psychotherapeutische Attitüde gegenüber ihrer Wählerschaft zur Folge.

Nimmt man aber die AfD-Wähler ernst, so muss man plötzlich auch Themen der AfD wie ungeregelte Einwanderung, radikaler Islam, Kriminalität und Folgen für den Sozialstaat ernster nehmen. Das wird im gegenwärtigen Meinungsklima sofort zu einer Debatte führen, man dürfe die AfD nicht aufwerten, indem man ihre Themen aufgreift. Der Streit dazu in den Medien und den sogenannten Parteien der Mitte ist vorprogrammiert. Er wird die AfD zuverlässig in der öffentlichen Debatte halten und so indirekt aufwerten.

Es war geradezu erheiternd, wie sich nach der Wahl Journalisten und Politiker in verschiedenen Talkshows des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegenseitig angifteten, sie hätten die AfD durch die Empörung über sie und die Kritik an ihren Themen erst groß gemacht. Aus diesem Dilemma kommen die etablierten Medien und die Parteien der Mitte erst dann heraus, wenn sie der AfD ein Stück Normalität zugestehen und ihre Forderungen und Vorschläge nicht a priori ins Illegitime verbannen. Dieser Prozess wird, so schätze ich, einige Jahre dauern. Dem Zuspruch für die AfD wird der Versuch zur Fortsetzung ihrer Delegitimierung eher förderlich sein.

Foto: Bu desregierung/Denzel

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Leserpost

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Thomas Kirchhoff / 11.10.2017

Merkel holt sich im Fall des Falles die notwendigen Parlamentsstimmen bei Rot-Rot-Grün. So ist die Grenze für alle, die kommen, offen.

Thomas Rießinger / 11.10.2017

“Unter den Trümmern ist als Herausforderung der Zukunft eine tripolare Struktur erkennbar: Die AfD, die Parteien der Mitte und die Linkspartei.” Nein, diese Dreiteilung gibt es nicht. Man hat auf der einen Seite die AfD und auf der anderen einen Haufen Linksparteien. Parteien der Mitte sind nicht mehr zu sehen.

Bernd Kertzinger / 11.10.2017

Lieber Herr Sarrazin, ich habe noch heute einen Kloß im Magen bei dem Gedanken an die damalige Reaktion auf ihr Buch “Deutschland schafft sich ab”. Ein Spießrutenlauf durch die deutsche Medienlandschaft und der Politik war die Folge. Obwohl schon damals nur sachlich aufgezeigt wurde, was zu bedenken ist. Nicht mehr und nicht weniger. Heute ist es die böse AfD der man am liebsten den Garaus machen möchte. Und wieder zeigt sich, man ist immer noch nicht bereit, sachlich das Für und Wieder der Migration zu beleuchten und dementsprechend zu handeln. Wieder sind andere Schuld an dem Dilemma. Nicht der verfehlte der Umgang mit der Zuwanderung. Nein mal ist es einfach das “Pack” laut Sigmar Gabriel oder zur Zeit der dumme Ossi. Darauf, dass es am System liegen könnte bemerkt immer noch keiner. Und das nach diese Wahlergebnissen!!! Ein Einwanderungsgesetz ist immer noch nicht angedacht, um qualifizierte Kräfte aus dem Ausland zu uns zu holen, um dem Arbeitsmarkt qualifizierte Kräfte zuführen zu können und die CDU/CSU einigt sich auf eine Obergrenze die aber nicht so heißen darf und auch in der Praxis keine ist. Was den Menschen an der Sache stinkt zieht sich, glaube ich, durch alle Bevölkerungsschichten. Und dass ist die Tatsache, dass für die Flüchtlinge Gesetze gebrochen, Gelder in Unsummen investiert werden und dass über Nacht!!! Für die eigenen Bedürftigen aber, über Jahre hinweg, kein Finger krumm gemacht wird. Die Zahl der Obdachlosen steigt. Die Beschäftigungen in prekären Arbeitsverhältnissen werden nicht verbessert. Die Arbeitsarmut nimmt stetig zu. Nichts passiert! In den Köpfen der uns Regierenden wird sich dennoch nichts ändern! Ohne eine AfD geht es nun mal nicht! Das mag man finden wie man will. Bernd Kertzinger

A. Teichert / 11.10.2017

Wow, analytischer, starker Artikel! Ich bin zwar nicht in jedem Punkt mit der dem Autor einverstanden, so halte ich bspw. weder CDU noch SPD für Parteien der Mitte sondern für linke Parteien. Meiner Meinung nach wird das zu einer Art Kannibalismus zwischen CDU, SPD und Grünen führen, der dieses Lager insgesamt jedenfalls nicht stärken wird.

Heinrich Niklaus / 11.10.2017

Diese erstklassige Analyse sollten sich alle Parteistrategen hinter die Ohren schreiben! Die Hoffnung, dass die Medien das auch tun könnten, habe ich längst aufgegeben.

Roland Müller / 11.10.2017

Lieber Herr Sarrazin, ich frage mich, wer wirklich in der Mitte steht. Kann es sein, das die AfD in der Mitte steht, weil sie die von Ihnen besagte bewährte Nachkriegsordnung wieder haben möchte? Bei den sogenannten Parteien der Mitte habe ich arge Zweifel daran, das sich diese wirklich noch in der Mitte befinden. Ich denke eher, das diese links von der Mitte auf dem von ihnen angerichteten Trümmerhaufen stehen und von dort herab den überheblichen Oberlehrer geben.

Wulfrad Schmid / 11.10.2017

Ich schätze Ihre Meinungen und Veröffentlichungen, Herr Sarrazin, sehr. Aber ich möchte doch zu gerne wissen, warum Sie noch immer Mitglied in einer Partei sind, mit deren politischen Inhalten Sie so gar nichts gemein haben. Hoffen Sie auf Läuterung und Rückbesinnung auf soziale und demokratische Werte? Glauben Sie an den Weihnachtsmann? Sie sollten, finde ich, Zeichen setzen und aus der SPD austreten, denn das kann nicht mehr Ihre Partei sein.

Martin Landvoigt / 11.10.2017

Wahlstrategische Überlegungen, wie man sich unliebsame Konkurrenz am Besten vom Leibe hält, gehen ohnehin völlig fehl. Es geht auch nicht wirklich um die Macht, zumindest nicht dem Wähler. Es geht um eine gute Politik, die dem Volke (laut GG) dient. Solange das für die Regierungsparteien, den Medien und der sogenannten SPD-Opposition nur ein untergeordnetes Ziel zur Machtgewinnung ist, wird der weitere Aufstieg der AfD nur dann gestoppt, wenn sie sich selbst ins Knie schießt.

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