Chaim Noll / 20.02.2022 / 11:00 / Foto: Nikolai Nikolajewitsch / 62 / Seite ausdrucken

Berühmte Querdenker: Jeshua ben Josef, genannt Jesus Christus

Er war meist unterwegs. Vermutlich bei seiner Mutter gemeldet, Witwe eines Zimmermanns in der Provinz Judäa, ein anderer fester Wohnsitz ist nicht bekannt. Er wanderte umher, wurde in Synagogen und Privathäuser eingeladen, kam mit den Leuten ins Gespräch, stellte ihnen Fragen und beantwortete sie mit Gleichnissen. Das war unterhaltsam, aber auch gefährlich, denn er riskierte politische Anspielungen. Anhänger und Schüler fanden sich ein, einige schrieben seine Reden auf und taten, wie es beim Schreiben oft geschieht, noch ein wenig vom ihrigen hinzu. Sie waren fromme Juden wie er, beteten zusammen, legten die Schrift aus und hatten lange Debatten darüber. Wie die Evangelien überliefern, redeten sie ihn mit „Rabbi“ an. Schon als kleiner Junge hatte er die Schriftgelehrten mit seiner Kenntnis der Tora in Erstaunen gesetzt.

Sein aramäischer Name war Jeshua, gräzisiert Jesus. Die Menschenaufläufe, die er verursachte, würde man heute „Demo“ nennen, in der Regel waren sie „nicht genehmigt“. Jeshuas Landsleute, die dort zusammenkamen, fühlten sich von den Mächtigen betrogen, von den römischen Verwaltungsbeamten, vom herodischen Königshaus und der sadduzäischen Priesterkaste, sie sahen in diesem Machtkartell eine Verschwörung gegen ihr Land, das vor ihren Augen erbarmungslos ausgeplündert wurde, und sie sprachen es offen aus. Die Aufregung war groß. Wenn es Jeshua zu viel wurde, zog er sich in die Wüste zurück. Auch dort fanden ihn seine Anhänger. Die römischen Beamten gingen mit Gewalt gegen die Zusammenkünfte vor, schon der Prokurator Felix, wie ein Historiker überliefert, setzte berittene Truppen ein und „ließ die armen Narren niederhauen“.

Die Korruption in der Provinz Judäa war so offensichtlich, dass mehrere der zu ihrer Zeit höchsten Verwaltungsbeamten (darunter auch der für Jesu Hinrichtung verantwortliche Pontius Pilatus) in Rom für ihre Übergriffe vor Gericht gestellt werden mussten, unter der Anklage per repetundis, wegen Veruntreuung und Erpressung. Für alle, die arbeiteten, Bauern, Hirten, Handwerker, kleine Kaufleute in den Städten, war es eine böse Zeit. Erlösungsprediger traten auf, Jeshua war einer der beliebtesten. Seine Auslegungen galten scheinbaren Paradoxien, deren Stoff er der hebräischen Bibel entnahm und spielerisch zuspitzte: Freiheit durch Verzicht, Seligkeit durch Leid, Triumph durch Feindesliebe, Gewinn durch Verlust. So nährte er Hoffnungen auf radikale Veränderung, plötzliche Umkehrung der Verhältnisse – etwas, was Menschen in schlechten Zeiten brauchen wie ein Tonikum. Seine sprachlichen Fähigkeiten erlaubten ihm, die kompliziertesten Zusammenhänge in klaren poetischen Bildern darzustellen, oft so treffend und spannend, dass sie seinen Zuhörern den Atem nahmen.

Schon zu seinen Lebzeiten setzte die Legendenbildung ein.

Dadurch befreite er sie von den Ängsten ihres Alltags und ermutigte sie, in einer schlechten Zeit auf Liebe und Hoffnung zu setzen. Er verfügte über starke Heilkräfte und psychotherapeutische Fähigkeiten. Bald muss unter seinen Anhängern der Gedanke aufgekommen sein, er sei der mashiach oder Messias, der gesalbte Erlöser-König vom Stamme Davids, griechisch chrestos. Er war frei, beweglich, unkontrollierbar. Dadurch, dass er die Lehre popularisierte, wirkte er subversiv – jedenfalls in den Augen derer, die aus ihrem Wissen ein Geschäft machten. Die römische Besatzungsbehörde und die judäische Oberschicht beobachteten ihn mit wachsendem Argwohn. Dafür unterstützten ihn die Pharisäer, obwohl er oft mit ihnen Meinungsverschiedenheiten hatte, in seiner Opposition gegen die Priesterschaft. Sponsoren fanden sich, wie die in der Apostelgeschichte erwähnte reiche Witwe, die im Obergeschoss ihres Hauses ein Zimmer für ihn bauen ließ, einen größeren Raum offenbar, wo er sich mit seinen Anhängern treffen konnte. Deren Zahl ständig wuchs. Und damit das Risiko: Je mehr es werden, umso eher ist einer darunter, der denunziert.

Seine Historizität ist oft angezweifelt worden, gerade in jüngerer Zeit, entstanden aus kritischen Textanalysen der Evangelien. Doch da er außer in den Evangelien in mehreren anderen, von einander unabhängigen Quellen verschiedener Sprachen und Kulturen bezeugt ist, kann man getrost davon ausgehen, dass er existiert hat. Ein jüdischer Unruhestifter „Christus“ oder „Chrestos“ wird in den Werken der römischen Geschichtsschreiber Sueton (De vita Caesarum 25,4), Tacitus (Annalen 15,44) und Plinius des Jüngeren (Brief an Kaiser Trajan) erwähnt. In den Jüdischen Altertümern des Josephus Flavius finden sich zwei Erwähnungen (wobei eine als spätere Adaption christlicher Kopisten gilt, die andere, 20,9,1, jedoch als genuin). Der griechische Satiriker Lukian streift die christliche Sekte und ihren Anführer in einer seiner Erzählungen (De morte Pellegrini, 11). Jesu Hinrichtung bezeugt der aramäisch schreibende Autor Mara Bar Sarapion (Brief an seinen Sohn) im späten 1. bis 2. Jahrhundert. Auch der Babylonische Talmud, entstanden im 2. Jahrhundert, nimmt an mehreren Stellen auf Jesus Bezug.

Schon zu seinen Lebzeiten setzte die Legendenbildung ein. Erst recht nach seiner Hinrichtung und dem Verschwinden seines Leichnams. Bereits in den Kreuzigungsszenen der Evangelisten zeigen sich erste Ungereimtheiten. So ist zum Beispiel eine Amnestie zum Pesach-Fest, anlässlich derer die Hohepriester den Angeklagten Jesus hätten begnadigen können, oder überhaupt ein Begnadigungsrecht der Jerusalemer Priester nirgendwo sonst in der antiken Literatur überliefert. Zuständig für Gerichtsprozesse, Urteil und Vollstreckung war üblicherweise der römische Statthalter, in diesem Fall der Ritter Pontius Pilatus. Zeitnahe römische Zeugnisse, die Annalen des Tacitus oder der frühchristliche Autor Tertullian (Ad martyras, 2), halten daher ihn für das Todesurteil verantwortlich. Wobei Pilatus unter Druck stand: Jesus hatte durch sein viel zitiertes Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, überliefert u.a. im Evangelium des Matthäus 22,21, eine Trennung zwischen Kaiser und Gottheit deklariert und damit dem römischen Diktum von der Göttlichkeit der Kaiser widersprochen – eine Blasphemie, die unter das römische Gesetz crimen laesae maiestatis fiel, Verbrechen gegen die Majestät des Kaisers, für das der eben herrschende Kaiser Tiberius die Todesstrafe eingeführt hatte. Auch dass Jesus sich „Sohn Gottes“ nennen ließ, lateinisch filius divi, konnte als Sakrileg verstanden werden, dieser Titel stand den römischen Kaisern zu, deren Väter und Vorgänger spätestens mit ihrem Tod vergöttlicht wurden.

Dabei berief sich Jesus, wenn er sich als Sohn seines Gottes fühlte, nur auf die verbreitete jüdische Vorstellung, wonach Gott unser aller Vater ist, folglich wir seine Kinder. Man sieht, wie wichtig Sprache werden kann und die Frage der Benennungen. Sie bietet die Möglichkeit, Menschen zu kriminalisieren, und den Vorwand, sie zu verfolgen. Zu unrecht hat das Christentum seinen Tod den Juden angelastet und damit einen unsinnigen Hass gegen das Volk evoziert, dem er entstammt. Der Widerspruch zwischen ihres Heilands Jüdischsein und ihrem Judenhass hat die Kirche in schwere Konflikte gestürzt und ihre Legitimation beschädigt. Noch immer spendet, was er vor zwei tausend Jahren gelehrt und getan hat, Millionen Menschen Mut und Trost, zugleich werden andernorts seine Anhänger gehasst und verfolgt. Kaum ein Mensch hat so viel Unruhe und Kontroverse ausgelöst, dabei war alles, was er sagte und tat, auf das Gegenteil gerichtet, auf Gerechtigkeit und Versöhnung. Sein Beispiel zeigt, dass ein guter Mensch ein für die Menschheit kaum zu bewältigendes Problem darstellt.

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Rudolf Dietze / 20.02.2022

Danke für Ihr Zeugnis von Jeshua ben Josef, später Jesus Christus, als Mensch seiner Zeit und aller Zeiten. Da denke ich gleich wieder an Israel und an Simcha, unseren Reiseführer .

A. Ostrovsky / 20.02.2022

Die Göttlichkeit des Kaisers wird zu allen Zeiten angezweifelt. Neuerdings wird sogar berichtet Justin Trudeau, Fidel Castro und Adolf Hitler hätten die selbe Nase, was ja eindeutig auf eine gemeinsame Abstammung von Gott hinweisen würde. Da taucht auch eine junge Frau mit seltsamer Frisur auf (obwohl seltsame Frisuren nicht strafbar sind), die auch die gleiche Nase hat und die man leicht für eine Schwester vom Justin halten könnte, wenn das nicht dem, was sie sagt, völlig widersprechen würde. Außerdem hatte Margaret nie eine Tochter und Pierre schon lange nicht. Geflüsterte Stimmen, Fidels Standvermögen wäre einem Voodoo-Zauber zu verdanken gewesen, der später in die blauen Pfizer-Rauten eingeflossen wäre, müssen nicht dementiert werden, weil das offensichtlich Unsinn ist. Leute, was ist da los. Das Stück, das dort gespielt wird, kenne ich, aber ich kenne es auch wieder nicht. Es ist die Neuinszenierung eines ganz alten Textes. Nein, Shakespeare nicht, wer war das gleich…? Ist das jetzt schon die Weltrevolution oder doch erst die Neue Weltordnung. Und was war zuerst, das Ei oder das Ei? Und da haben wir die Überleitung zum verschwundenen Leichnam des Jeshua. Aber wo stammt eigentlich das verpixelte Bild her? Damit lässt sich niemals eine Abstammung von Gott beweisen. Was führt denn nun zur Neuen Weltordnung, Der Great Reset oder die Weltrevolution? Oder doch die Impfung? Wieso ist eigentlich Impfung und Kriegsrecht inhaltlich so dicht beisammen? Und ist es wirklich wahr, dass Olaf nur deshalb 6 Meter vom Putin entfernt sitzen musste, weil er die Impfung abgelehnt hat. Ist der ein Impf-Leugner, der in Deutschland die Impfpflicht einführt? Bin ich nun verrückt, oder alle Anderen ? Und wieso bin ich nicht durch die Taufe vor dem Wahnsinn geschützt. Also ich wurde getauft, weil es bei meinen Ahnen mal Verwirrung gegeben hat. Aber wieso schützt meine Taufe nicht die vulnerablen Kanadier? Das wurde doch versprochen! Aber versprochen wurde auch schon viel.

Wolfgang Janßen / 20.02.2022

Die Kreuzesinschrift I.N.R.I. (= Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum) zeugt meines Erachtens davon, dass ihn die Römer für den Anführer eines jüdischen Aufstands hielten. Mit dieser Inschrift wollten sie ihn und seine Anhänger verspotten.

Peter Bauer / 20.02.2022

Matth. 16: 13-17 : Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger: »Für wen halten die Leute den Menschensohn?«  »Manche halten dich für Johannes den Täufer«, antworteten sie, »manche für Elia und manche für Jeremia oder einen der anderen Propheten.«  »Und ihr«, fragte er, »für wen haltet ihr mich?«  Simon Petrus antwortete: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!« Darauf sagte Jesus zu ihm: »Glücklich bist du zu preisen, Simon, Sohn des Jona; denn nicht menschliche Klugheit hat dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel…... Das macht den Unterschied, Herr Noll.  Ich glaube an Jesus Christus als Sohn des lebendigen Gottes , mein persönlicher Erlöser. Für Sie ist Jesus Christus nur einer von vielen Wanderpredigern, nur ein berühmter Querdenker.

Petra Wilhelmi / 20.02.2022

Jesus würde heute auch gekreuzigt werden, nicht körperlich aber ökonomisch und psychisch. Man würde ihn rechtsextrem nennen und verbieten, dass er seine Gedanken öffentlich äußern darf. FB und Twitter hätten seinen Account schon längst ewiglich gesperrt.

Ulrich Schily / 20.02.2022

Vielen Dank,  eine nüchtern interessante Blickrichtung.  Vielleicht kennen Sie die etwas ähnlich gelagerte Darstellung von Eric Emanuel Schmitt, “das Evangelium nach Pilatus “, ebenfalls spannend und interessant zu lesen. Selbst Papst Benedikt schreibt in seinem Buch Jesus von Nazareth,  dass und wie die Jünger im grunde alles wilde Revoluzzer waren, die durch Jesus eben gemäßigt werden mussten. Und viele von ihnen glaubten noch bis kurz vor der Hinrichtung an eine “wunderbare” Revolution, inklusive Petrus und Judas. Herzliche Grüße

Dirk Kern / 20.02.2022

Guter Beitrag, vielen Dank dafür!

Sepp Kneip / 20.02.2022

Es gibt einen Rabbiner, der sich mit Jesus auseinandersetzte. Einer,. der in einen Dialog mit Jesus getreten ist. Ein Dialog, in dem gegenseitiger Respekt eine große Rolle spielt.  Dennoch kommen sie am Ende nicht zueinander. Bei vielem Verständnis des Rabbiners für die Lehre Jesu, tat sich durch die radikale Abkehr Jesu von jüdischen Traditionen und vor allem die Bezogenheit auf sich selbst als der von Gott Gesandte, eine unüberbrückbare Kluft zwischen beiden auf.  Der Rabbiner Neusner konnte Jesus nicht folgen.  Ja, Jesus war ein Querdenker, der nicht nur bei der Besatzungsmacht aneckte, sondern zuweilen auch dem eigenen Volk den Spiegel vorhielt. Und was macht sein Stellvertreter heute,? Er unterwirft sich dem Mainstream und macht die Kanzeln seiner Kirche zu Propagandatribünen für die Impfmafia.

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