Ulli Kulke / 04.10.2018 / 06:15 / Foto: Lowdown / 54 / Seite ausdrucken

Bertelsmann und die Brandstifter

Erinnern wir uns noch an die goldenen 68er-Zeiten: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“ Einer der beliebtesten Sprüche damals, der – abgesehen von der lasziven Grundeinstellung – eines verdeutlichen sollte: Establishment? Pfui, das sind die anderen, Pfoten weg! Eine reichlich simple Weltanschauung war das. Heute würde man sagen: Populismus pur. Würde man? Nein. Alles ganz anders. Heute, da diejenigen, die damals das Establishment aufmischen wollten, nach ihrem Marsch durch die Institutionen und vor allem durch die Redaktionen inzwischen selbst das Establishment ausmachen, da klingt das ganz anders. Da gilt das Gegenteil.

Die Bertelsmann-Stiftung hat gerade eine Studie vorgelegt, deren Kernthese lautet: Ein Drittel der Deutschen frönt dem Populismus. Tendenz steigend. Die Kriterien? Die Autoren nennen da zum Beispiel diese: „Anti-Establishment“ und „Pro-Volkssouveränität“. Zusammengefasst klingt das bei Bertelsmann dann so: Dem „wahren Volk“ stünden „korrupte Eliten gegenüber“. Wer so denke, der denke populistisch. Gespenstisch.

Wenn es nur die Bertelsmann-Stiftung wäre. Doch es geht vielmehr insgesamt um das, was man früher vielleicht als die „politische Klasse“ bezeichnet hätte. Nicht das wirtschaftliche Establishment, die „Kapitalisten“, werden hier als Opfer von anstürmenden oder eben anwählenden Revolutionären dargestellt. Vielmehr fühlen sich diejenigen, die sich nach jenem genannten Marsch in den Regierungen, Medien und eben auch publizitätseifrigen, meinungsführenden Stiftungen jahrzehntelang im Besitz der Deutungshoheit sahen, in deren Erhalt bedroht. Die Gegenwaffe: Der Populismusvorwurf. Weil er so schön dehnbar und beliebig ist. Passt immer.

„Korrupte Eliten“ – ein Begriff, der einst für jeden, der sich links von der CDU positioniert hat, als in Stein gemeißelt galt. Das Feindbild par excellence. Heute, da die Union selbst in dieses Lager übergewechselt ist, und man sich dort seither gemeinsam gegenüber dem draußen vorgebliebenen Plebs auf der anderen Seite als einig elitär wähnt, da gilt der Begriff als Inbegriff von Verschwörungstheorie, als präfaschistisch populistische Formel. Dies jedenfalls spätestens, seit Donald Trump seinen Wahlkampf gegen die Eliten Washingtons führte, damit auch noch Erfolg hatte und jetzt die Angst umgeht, dass noch mehr von der Stimmung über den großen Teich zu uns herüberschwappt. Hilfe, die populistische Welle will den Eliten ans Leder!

Auf kluge Art für ein gesundes nationales Denken

Lesen wir einmal, was ein der Verschwörungstheorie gewiss unverdächtiger Philosoph und Politikwissenschaftler von der Harvard-Universität, der in Deutschland geborene Yascha Mounk (36), kürzlich in einem Interview der Süddeutschen Zeitung sagte:

„Die Rolle des Geldes in der Politik wird immer größer. Lobbyisten haben immer mehr Einfluss auf die Politik. Und die Politiker sind Teil einer Elite, die vom Großteil der Menschen relativ abgeschottet lebt. Gleichzeitig werden immer mehr Entscheidungen aus dem demokratischen Politikgeschäft herausgenommen. Die Rolle der Gerichte wird immer größer, auch der Einfluss der Zentralbanken, der internationalen Organisationen, und der Bürokratie – von der Europäischen Kommission in Brüssel bis hin zur Environmental Protection Agency in Washington – steigt. Zusammengenommen werden sehr viele wichtige Entscheidungen deshalb nicht mehr von gewählten Politikern gefällt. Das hat schon lange vor dem Aufkommen der Populisten die Demokratie in Teilen ausgehöhlt.“

Frage SZ: „Wir leben also auch in Deutschland gar nicht in einer liberalen Demokratie?“

Antwort Mounk: „Deutschland ist teilweise ein System von Recht ohne Demokratie, ein System des undemokratischen Liberalismus. Das liegt nicht nur an der Rolle des Geldes im politischen System – die zwar auch in Deutschland besorgniserregend ist, aber nicht annähernd in dem Maße wie in den USA. Hierzulande liegt es vor allem an den vielen bürokratischen Institutionen, die einen Großteil der Entscheidungen treffen. Die Macht des Bundestages ist in vielerlei Hinsicht eingegrenzt.“

(Ganz nebenbei ist dies ein sehr lesenswertes Interview, bei dem der sehr abgeschmackte und inflationär benutzte Begriff des „Querdenkers“ ausnahmsweise einmal sehr berechtigt ist. So spricht sich Mounk zum Beispiel auf kluge Art für ein gesundes nationales Denken aus, um den aggressiven Nationalismus zu bekämpfen).

Der Harvard-Professor Mounk, nichts als ein Populist, dem die Süddeutsche auch noch extra viel Raum, gewährt?

Okay, man könnte auch sagen: es hat sich im Grunde nichts geändert, und es ist eigentlich ganz einfach: Diejenigen, die im Besitz der Deutungshoheit sind, haben Angst um dieselbe und diffamieren diejenigen, die sie ihnen streitig machen wollen. Damals, vor 40 oder 50 Jahren, kam die Bedrohung und die Diffamierung des Establishments von links, von den „68ern“, um es etwas platt auszudrücken. Da lautete die Antwort der Etablierten: „Geht doch rüber!“. Heute, da die Bertelsmann-Stiftung, die sich im gesellschaftlichen und politischen Diskurs seit einiger Zeit mit teils fragwürdigen Studien auf die Seite des linken Establishments geschlagen hat, da lautet deren nicht minder grobschlächtige Antwort: „Populismus“.

Ist der Begriff „Volk“ bereits so angezählt?

Dass die Stiftung das Befürworten der „Volkssouveränität“ ebenfalls auf den Populismus-Index setzt, ist noch schwieriger nachvollziehbar, könnte sogar allen Demokraten ein wenig Angst machen. Geht die Stiftung vielleicht davon aus, dass der Begriff „Volk“ im Neudeutschen angesichts der chaotischen Zuwanderung bereits so angezählt ist, dass sich sämtliche Komposita damit von ganz allein negativ konnotieren? Offenbar. Dass laut Grundgesetz alle Staatsgewalt vom „Volk“ ausgeht, und dieses somit der „Souverän“ ist, das ist demnach Sprache von gestern. Inzwischen offenbar auch für die Bildungsinstitution Bertelsmann-Stiftung.

Bleibt noch die Frage, ob irgendjemand meint, dass auch nur einer der dingfest gemachten „Populisten“ von seiner Haltung gegen das Establishment und für die Volkssouveränität ablässt, weil er die Bertelsmann-Studie liest und sich ertappt fühlt? Wer das erreichen will, der hat ein hartes Stück Arbeit vor sich, kann ich da nur sagen. So oder so: Machen wir uns auf einiges gefasst, angesichts dessen, was hier dem gesellschaftlichen Diskurs als sprachliche Begleitung mit auf den Weg geschickt wird. Nichts ist unmöglich.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Nico Schmidt / 04.10.2018

Sehr geehrter Herr Kulke, ich wußte nicht, dass man in Deutschland die Bertelsmann-Stiftung noch als seriös sieht. Ich dachte, es ist ein Mittel der Regierung zur Meinungsmache. Berufen würde ich mich in keinem Gespräch auf die Bertelsmann-Stiftung. MfG Nico Schmidt

Frank Mora / 04.10.2018

Naja, die Bertelsmannstiftung der Familie Mohn aus Bielefeld finanziert sich aus den Gewinnen der größten volksaufklärerischen Bildungsinstitution des Landes, der RTL-Fernsehgruppe mit Sendern wie RTL mit allerlei Zusätzen und vox. Wurde mal als Unterschichtenfernsehen vom beim Konkurrenten beschäftigten Harald Schmidt bezeichnet. Kein Widerspruch. Mit wieviel RTL-Fernsehkonsum sich wohl die Luftgewehrbesitzer aus Chemnitz politisch und sonstwie gebildtet haben? Übrigens ist Bertelsmann eine SE. Eine europäische Aktiengesellschaft. Da nicht am Ort der Geschäftsleitung in Bielefeld im Handelsregister wohl eher ein Sparmodell zu Lasten der deutschen Steuerkasse. Was die Akzeptanz innerhalb der deutschen Meinungs- und sonstigen Elite ungemein erhöht. Oder ist das zu populistisch?

Andreas Spors / 04.10.2018

Dass der Souverän das Volk ist erscheint inzwischen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als begrifflich lästig. Die redaktionelle Sprachpolizei bezeichnet das zum Tag der Deutschen Einheit in Berlin stattgefundene Begleitprogramm als „Bürgerfest“, um es ja nicht „Volksfest“ nennen zu müssen. Wahrscheinlich wird die Eliminierung des Begriffs aus übergeordneten Gründen am Ende lediglich den „Volkswagen“ hinterlassen, so wie die DDR mit dem Terminus „Reichsbahn“ bis zum Schluss leben musste.

Dieter Kief / 04.10.2018

Bertelsmann ist pro Merkel und pro EU und pro Israel und - komischerweise in letzter Zeit gegen die USA. Munk ist pro Einwanderung und open Borders. Er hat gut reden gegen die Macht der Gerichte, weil das alles in seinem Sinne läuft. Ich halte einen Großteil dessen, was er an kritischen Dingen sagt für - nun ja: Fast (fast) schon für Gratismut.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Ulli Kulke / 24.02.2024 / 06:05 / 119

Herr Fratzscher fühlt sich nicht wohl

Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hat ein Interview gegeben und erzählt zum Thema Migration unglaublich dummes Zeug. Präsident Marcel Fratzscher und sein…/ mehr

Ulli Kulke / 20.02.2024 / 06:00 / 77

Als die Grünen jenseits der Brandmauer saßen

Der neueste Hit gegen die AfD heißt: Zielführendes Regierungshandeln, etwa in der Migrationspolitik, nutze nur der radikalen Opposition! Hätte man sich früher daran gehalten, gäbe…/ mehr

Ulli Kulke / 23.01.2024 / 06:00 / 208

Wem helfen die Massen-Demonstrationen?

Es gibt Massendemonstrationen „gegen rechts". „Wir sind mehr“, stand auf den hochgehaltenen Spruchbändern. Aber repräsentieren sie alle wirklich die Mehrheit der 81 Millionen Deutschen? Was erreichen…/ mehr

Ulli Kulke / 30.11.2023 / 12:00 / 45

Beim Thema Klimawandel kühlen Kopf bewahren

Heute beginnt die Weltklimakonferenz in Dubai. Ein guter Anlass, das Buch „Der Mensch-Klima-Komplex“ vorzustellen. Der Autor Hans von Storch ist Insider, hat selbst an Berichten des UN-Klimarates IPCC…/ mehr

Ulli Kulke / 22.11.2023 / 06:00 / 70

Kein EU-Verbot von Glyphosat

Harte Zeiten dürften auf Cem Özdemir zukommen. Die EU hat ihm – und seiner grünen Partei – nicht wie erhofft den Gefallen getan, dem in…/ mehr

Ulli Kulke / 27.09.2023 / 06:15 / 59

Gendern in Thüringen: Große Mehrheit dagegen, CDU traut sich selbst nicht

Demokratie Paradox in Thüringen, mal wieder. Was zählt Volkes Stimme, was soll sie zählen? Vor allem aber: Was darf sie zählen – und was darf…/ mehr

Ulli Kulke / 16.09.2023 / 06:15 / 81

Die Sirenen der Brandmauer-Profiteure

Warum reagieren die linken Parteien so hysterisch auf ein mit CDU, AfD und FDP-Mehrheit beschlossenes Gesetz in Thüringen? Ganz einfach: Sie – vor allem die Grünen…/ mehr

Ulli Kulke / 23.08.2023 / 06:00 / 43

Die Zwei im irren Germanistan

Henryk M. Broder und Reinhard Mohr liefern in ihrem neuen Buch „Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik“ eine Momentaufnahme des Öffentlichen Raums zur Halbzeit…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com