Wozu brauchen wir Schulen? Sind sie für Schülerinnen und Schüler oder für Lehrer und Lehrerinnen da? Sollen die Kinder etwas lernen? Sollen sie die Möglichkeit bekommen, sich Kultur und Bildung einer aufgeklärten Gesellschaft anzueignen? Oder sollen sich Lehrer-Innen selbstverwirklichen, am Katheder ihre religiösen Vorstellungen ausleben?
Für den Berliner Justizsenator, den Grünen Dirk Behrendt, ist das keine Frage. Er will jetzt das an Schulen gültige „Neutralitätsgebot“ novellieren lassen, um den Lehrkräften das Tragen „religiöser Symbole“ im Unterricht zu erlauben. Sie könnten dann mit dem Kreuz vor der Brust, mit der Kippa auf dem Haupt oder auch verschleiert mit Burka, Hijab oder Niqab unterrichten.
Juden wird das wenig kümmern. Tragen sie die Kippa doch ohnehin meist nur noch bei feiertäglichen Anlässen daheim oder in der Synagoge. In der Öffentlichkeit wäre das viel zu gefährlich, da die Rowdys und Schläger gerne auf einen Juden eintreten, gelegentlich gemeinsam mit Muslimen, an denen sie ihre dumpfe Wut seltener auslassen, weil sie dann schneller vor den Schranken deutscher Gerichte landen als nach einer antisemitischen Attacke.
Zu Besuch auf dem Tempelberg – ohne Kreuz
Und schließlich, wie viele Christen mag es zwischen Aachen und Berchtesgaden, zwischen Köln und Bautzen noch geben, die ihre Gläubigkeit veranlassen würde, mit einem sichtbaren Kreuz auf die Straße zu treten? Haben ja sogar ihre Oberhäupter, der katholische Kardinal Marx und der „Evangelist“ Bedford-Strohm, die Zeichen des Glaubens in den Taschen ihrer Talare versteckt, als sie 2016 den Tempelberg in Jerusalem besuchten.
Allerdings geht es auch gar nicht um Christen und Juden. In Europa, auf dem Kontinent der Aufklärung, haben religiöse Symbole schon lange ihre Bedeutung verloren. Mancher mag sich vielleicht noch an den Kruzifix-Streit der Jahre 1994/95 erinnern, wie hoch die Wellen der Erregung damals schlugen. Wie aufgebracht die multikulturelle Gesellschaft darüber war, dass in den Klassenzimmern Bayerns noch immer der Gekreuzigte an der Wand hing – nicht als heilige Ermahnung, sondern als das Symbol einer Kultur, die nun mal auf den ethischen Vorstellungen des Christentums aufbaut, auf den Gedanken der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe.
Gleichwohl beschloss das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 16. Mai 1995, dass die Kruzifixe abzuhängen seien, sobald sich Andersgläubige in ihrer Religionsfreiheit eingeengt fühlen könnten.
Jesus – zum Schweigen verurteilt
Nun mag es durchaus sein, dass die Darstellungen des Gequälten manche Kinder verängstigt haben, der Anblick des Grauens für viele eine Zumutung war. Nur, wer sah da noch hin, zumal sich die Skulpturen nicht bemerkbar machen konnten? Die geschnitzten, gegossenen oder gekneteten Jesusgestalten waren von vornherein zum Schweigen verurteilt. Leblos fixiert konnten sie weder missionieren noch konnten sie Einspruch erheben, wenn der Glaube, für den sie standen, während des Unterrichts in Zweifel gezogen wurde.
Die Christen hat das nie gestört. Seit der Säkularisierung der bürgerlichen Gesellschaft, seit die Herrscher von Gottes Gnaden in die Annalen der Geschichte verwiesen wurden, ist der Glaube für Katholiken, Protestanten und Juden eine Privatangelegenheit, nichts mehr, wofür man sich verkleiden müsste. An einem religiösen Befreiungsschlag, wie ihn der Berliner Justizsenator nun plant, haben sie kein Interesse. Einzig die Muslime mögen sich davon etwas versprechen.
Nur ginge es dann, wenn sie mit Niqab, Hijab oder in der Burka vor die Klassen treten, auch nicht um den Glauben an sich, um eine Privatangelegenheit, sondern eher darum, religiöser Überzeugung politische Geltung zu verschaffen, zu missionieren. Wem die Konfession so wichtig ist, dass er sich mit einer auffälligen Konfektion dazu bekennt, bei dem muss man auch damit rechnen, dass er den schulisch zu vermittelnden Stoff ebenfalls durch den Schleier des Glaubens sieht. Auf den Plan gerufen würde abermals das Bundesverfassungsgericht – vorausgesetzt, es steht noch zu dem, worauf es sich im Kruzifix-Urteil 1995 stützte, dass nämlich jegliche Form religiöser Beeinflussung in der Schule verfassungswidrig ist.
Mehr Lehrer braucht das Land!
Will der Berliner Senat jetzt das eine tun und dem anderen vorbeugen, will er den LehrerInnen das Tragen der Verhüllung im staatlichen Schulbetrieb erlauben, ohne deshalb in die Fänge des BVerfG zu geraten, müsste er zunächst hunderte neuer Lehrer einstellen, um die personelle Parität zwischen Christen, Juden und Moslems herzustellen, so dass dann auf die Burka- die Kippa- und zum Schluss die Kreuzstunde folgen könnte.
In Zusammenarbeit mit dem türkisch gelenkten Ditib-Verein dürfte das leicht zu bewerkstelligen sein. An Moslems, die gern religiös verkleidet unterrichten würden, fehlt es nicht. Schlechter sieht es schon bei den Juden aus. Sie werden wenig Lust haben, sich von islamisch erzogenen Rüpeln anrempeln zu lassen, verbal im Unterricht, tätlich auf dem Schulhof. Und die Christen sind ohnehin auf dem Rückzug in die Diaspora des Wohlstands, längst zum Glauben an den Sozialstaat konvertiert.
Doch selbst dann noch, wenn die Kinder Stunde um Stunde abwechselnd von einer bewegten Burka, einem Kreuzträger oder einem Lehrer mit Kippa unterhalten würden, bliebe die Frage: Wie kämen die Nachkommen von Eltern, die sich ungläubig durchs Leben schlagen, auf ihre geistigen Kosten? Kinder also, denen jeder religiöse Mummenschanz suspekt ist, weil sie daheim im Geist der Aufklärung aufgewachsen sind.
Offenbar kein Problem für den Berliner Justizsenator. Dirk Behrendt scheint aus anderem Holz geschnitzt zu sein, weniger ein Mann des kritischen Verstandes als vielmehr ein Missionar der Überzeugungen seiner Partei. Ein Gläubiger vom grünen Orden, der gelernt hat, um jeden Preis multikulturell zu agitieren – und sei es durch die Verbreitung einer Lehre, die sich seit dem siebten Jahrhundert nicht gewandelt hat.