Die Corona-Politik wird ein Lehrbeispiel dafür sein, was man alles bei einer saisonalen, mittelschweren Atemwegsepidemie falsch machen kann. Analyse einer Stellungnahme des Gesundheitsministeriums.
Boris Reitschuster sprach auf der Bundespressekonferenz aufgrund meines Beitrages "Bericht zur Coronalage vom 20.09.2021: Zwei-Prozent. Die Skandal-Zahl" das Thema an und fragte Jens Spahns Sprecher Sebastian Gülde nach den von mir berichteten Zahlen zur Krankenhausbelegung, die für 2020 weit unter dem lagen, was in der Öffentlichkeit kolportiert wurde und als Grundlage für die regierungsamtlichen "Notstands"-Maßnahmen angeführt wurde. Güldes Antwort: „Ich muss jetzt ganz ehrlich gestehen: Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang diese Zahlen jetzt genannt werden bzw. ob sie auch in einem solchen Zusammenhang stehen. Von daher müsste ich das tatsächlich nachreichen.“
Dies ist inzwischen geschehen. Bevor ich darauf detailliert eingehe, was ich für sehr wichtig halte, hier die Nachreichung des Gesundheitsministeriums im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Reitschuster,
in der gestrigen Regierungspressekonferenz stellten Sie folgende Frage: Laut einem Gutachten des Leibniz-Institutes für Wirtschaftsforschung, die das BMG selbst beauftragte, betrug der Anteil von Patiententagen mit der Diagnose COVID-19 in den Krankenhäusern 2020 1,9 Prozent. Laut Bundesregierung waren die Krankenhäuser am Rande der Überlastung durch COVID-19. Wie passt das zusammen?
Hierzu kann ich folgende Informationen nachtragen:
Im Bericht des Beirats nach § 24 KHG (Analysen zum Leistungsgeschehen der Krankenhäuser und zur Ausgleichspauschale in der Corona-Krise) vom 30. April 2021 ist ausgeführt, dass im Jahr 2020 bei den nach Fallpauschalen abrechnenden Krankenhäusern 1,9 % der Betten insgesamt und 3,4 % der Intensivbetten mit COVID-19-Patientinnen und -Patienten belegt waren (S. 9f. des Berichts). Hierbei handelt es sich um durchschnittliche Belegungszahlen, die keine differenzierten Aussagen zur regionalen oder zeitlichen Bettenbelegung enthalten. Diese durchschnittlichen Belegungszahlen schließen nicht aus, dass es in bestimmten Regionen und zeitlich befristet zu einer Überlastung von Krankenhäusern gekommen ist. Dies war z. B. im Dezember 2020 in Sachsen der Fall, sodass zur Entlastung der Intensivstationen und insbesondere der Beatmungsplätze in sächsischen Krankenhäusern COVID-19-Patientinnen und -Patienten in Krankenhäuser in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern verlegt worden sind. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben Bund und Länder zusammen mit Intensivmedizinern das sog. Kleeblattkonzept entwickelt, über das im Notfall COVID-19-Intensivpatientinnen und -Patienten aus Regionen mit hohem Infektionsgeschehen kurzfristig in weniger stark betroffene Regionen verlegt werden können. Dass es eine flächendeckende und dauerhafte Überlastung der Krankenhäuser auf Grund der Pandemie gegeben hat, ist von der Bundesregierung im Übrigen nicht behauptet worden.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Gülde
Eine Überlastung des Gesundheitssystems drohte nie
Zu diesem Schreiben möchte ich wie folgt Stellung nehmen, wobei die grundsätzliche Bewertung einfach ist: Eine Überlastung des Gesundheitssystems drohte nie, nicht einmal annähernd. Sämtliche politische Corona-Schutzmaßnahmen sind deshalb als unverhältnismäßig einzustufen. Da es die Politik nicht schafft, ihre Fehleinschätzung zuzugeben, ist dies ein klarer Arbeitsauftrag an das Bundesverfassungsgericht, das Drama endlich zu beenden.
Die Antwort, sowie das gesamte Gutachten, zeugt auch von der grundsätzlichen Problematik, wenn Verwaltungen anhand von Gesundheitsdaten versuchen, sinnvolle Rückschlüsse zu ziehen. Die Art der Erfassung solcher Gesundheitszahlen hat oft mit der klinischen Wirklichkeit wenig zu tun. Hier ein paar Beispiele.
1.) Der erfahrene Kliniker stellt die Diagnose einer viralen Atemwegsinfektion wie COVID-19 nicht anhand eines PCR-Tests. Diese Diagnose ist vor allem eine Ausschlussdiagnose, unterstützt vor allem von dem typischen CT-Bild einer beidseitigen schweren Lungenentzündung. Der Test ist allerhöchstens ein Baustein einer solchen Diagnosestellung und zwar ein unzuverlässiger. Er ist oft falsch negativ, weil die Aerosole mit den Viren bei manchen Patienten direkt in die Lungen gerieten, ohne sich auf den Rachenschleimhäuten aufzuhalten. Gleichzeitig spricht ein positiver Test bekanntlich nicht gleich für eine Infektion, sprich Eindringen des Virus durch die Schleimhautbarriere. Oft ist er z.B. deswegen falsch positiv. Somit ist eine COVID-Statistik, beruhend auf positiven PCR-Tests, schnell irreführend. Im und erst recht außerhalb des Krankenhauses, wo man mit völlig nutzlosen PCR-Riesen-„Fall“-zahlen ständig Krankenhaus-Überbelegungen vorhersagte. Das Gutachten zeigt, wie falsch diese Vorhersagen waren, denn es herrschte dagegen eine ganzjährige Rekord-Unterbelegung. Dass diese Vorhersagen falsch waren, das war allerdings vohersagbar.
2.) Solche Statistiken lassen vor allem Rückschlüsse auf die vorliegenden Abrechnungsbedingungen zu. Werden Zulagen für COVID-19 Patienten gezahlt, weil sie beispielsweise unter Quarantänebedingungen mehr Aufwand bedeuten, dann werden heutige, ökonomisch denkende Krankhausleiter dafür sorgen, dass diese Diagnose bis an den Rand des medizinisch Vertretbaren vergeben wird – oder eben auch darüber hinaus. Wenn ich Zulagen nur bei 75 Prozent belegten Intensivabteilungen zahle, werden manche Krankenhäuser eben freie Betten nicht melden. Ist das unethisch? Ja. Würden Sie oder ich Ähnliches tun? Wer weiß. Menschen sind Menschen, und deshalb braucht es kluge, das Ende bedenkende Anreizsysteme, wenn man nicht das Gegenteil des gewünschten Effekts erreichen will – wie im Falle von Corona.
3.) Richtig ist, es gab durchaus punktuell überlastete Intensivabteilungen. Verlegung von Patienten auf unterbelegte Krankenhäuser ist dann für ein funktionierendes Gesundheitssystem, das Normalste der Welt, typischerweise während winterlicher Atemwegsinfektionen. Staatliche Maßnahmen sind erst dann notwendig, wenn solche Verlegungen nicht mehr möglich werden, z.B. aufgrund allgemeiner Auslastung. Doch davon waren und sind wir weit entfernt. Im Gutachten steht, dass der tagesaktuell höchste Anteil aller COVID-Patienten auch im Winter nicht über 5 Prozent lag. Wie hoch der tagesaktuell maximale Anteil von COVID-Patienten allein bezogen auf Intensivabteilungen war, konnte ich dem Gutachten leider nicht entnehmen. Aber insgesamt zeigt die Statistik der DIVI, dass die Anzahl der belegten Intensivbetten insgesamt seit Mai 2020 fast konstant 20.000 beträgt. Und das war auch im Winter 2020/21 nicht anders.
4.) Für die Frage einer drohenden Überlastung spielt es im Prinzip keine Rolle, ob der Anteil an COVID-Patienten nun 1, 2 oder 10 Prozent war. Entscheidend ist ja die Gesamtbelegung, und hier herrschte ganzjährig Unterbelegung, wie dieses Gutachten nun hochoffiziell bestätigt. Zitat:
„Im Resultat sank die Bettenauslastung auf ein Allzeittiefpunkt von 67,3 Prozent (und 68,6 Prozent auf den Intensivstationen).“
Ob vor, während oder nach einem Lockdown, nie handelte es sich im Bundesschnitt um eine angespannte Belegungssituation. Erinnern Sie sich noch an die Lockdownbegründung „flattening the curve“? Niemand sprach davon, die allgemeine Senkung der Infiziertenzahl erreichen zu wollen. Das ist auch schlicht unrealistisch bei einer ausgebrochenen, viralen Atemwegsinfektion (Tardivepidemie). Das Ziel war stets die zeitliche Streckung. Auch wenn Wahleingriffe verschoben wurden – hätte es sich tatsächlich um eine epidemische Lage nationaler Tragweite gehandelt, dann hätte es eine durchschnittliche Zunahme der Belegung im Jahresschnitt geben müssen. Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang, dass bei einem COVID-Anteil von durchschnittlich 2 Prozent oder maximal 5 Prozent niemals eine allgemeine Überbelastung drohte, denn dann hätte eine völlig unrealistische allgemeine 95-prozentige Belegung vorherrschen müssen, es waren aber, wie gesagt, unter 70 Prozent.
5.) Es stimmt, wir haben zu viele (!) Intensivbetten. ABER – es liegen oft die falschen Patienten darin. In der Charité werden immer noch Patienten aus dem Frühjahr 2020 (!) im künstlichen Koma beatmet. Ich kenne nicht das Alter und die Grunderkrankungen dieser konkreten Fälle. Aber es ist leider üblich, dass Pflegeheime – oft aus Personalmangel und im Falle von Corona aus Panikmache – hochbetagte, aufgrund schwerer Vorerkrankungen geistig und körperlich stark eingeschränkte Pflegebedürftige schon bei mildem Husten in die Akutkrankenhäuser verlegen. Dort will man Leben retten, verlängert aber nur das Sterben. Solche Menschen erhalten am Ende ihres Lebens keinen Benefit aus einer Hochleistungsmedizin. Ganz im Gegenteil.
Besonders schlimm zeigt sich dies während der Coronakrise. 70 Prozent aller COVID-Toten in den Krankenhäusern kamen aus Pflegeheimen. Sie konnten sich nicht von Angehörigen verabschieden, wurden isoliert – nur Kontakt zu vermummten Fremden – und verstarben dann, angeschlossen an Maschinen. Ein humanitäres Drama, für das sich kaum jemand interessiert. Vielleicht hilft es, sich vorzustellen, ob man selbst so sterben möchte. Bei immer älter werdenden Gesellschaften ein stetig wachsendes Problem. Die Lösung besteht in einem langjährigen Kraftakt, um genügend qualifizierte Pflegekräfte auszubilden und adäquat zu bezahlen, und dem Aufbau von Palliativabteilungen in Pflegeheimen, um ein würdiges Sterben zu garantieren. Das ist die eigentliche medizinische Lehre aus Corona, wie schon aus der Grippewelle 2018. Hoffen wir, dass wir diesmal den Schuss gehört haben. Laut genug ist er.
Ein erschütterndes Dokument eines bekannten Behandlungsfehlers
7.) Kommen wir nun zum Drama im Drama: dem leider immer noch weit verbreiteten Behandlungsfehler einer zu frühen invasiven Beatmung. Dadurch versterben Menschen mit einer viralen Atemwegserkrankung unnötig, nachdem sie oft wochenlang ein Intensivbett belegten. Ein paar Zahlen. Von den COVID-Intubierten starben in Wuhan 95 Prozent, in Bergamo und New York 90 Prozent und in Deutschland etwa 50 Prozent. Ein fachliches, erschütterndes Dokument der Fortführung dieses schon lange bekannten Behandlungsfehlers finden Sie hier.
Die dort genannten Experten kennen Sie auch aus diversen Talkshows, wo sie seit über einem Jahr ungerechtfertigten und unverantwortlichen Alarmismus verbreiten, indem sie vor ständiger Überlastungsgefahr warnen, in völliger Ignoranz bezüglich der tatsächlichen Zahlen. Wenn es kurzfristig sehr angespannte Situationen gab, dann vor allem deswegen, weil sie zu viele Menschen intubiert und die Intensivstationen dann verstopft haben. Besonders inakzeptabel ist die in dem oben genannten Artikel genannte Begründung für die invasive Beatmung: „Bei nicht-invasiver Beatmung und Notfällen werde nämlich zu viel Aerosol frei. Und das enthält die Viren, die dann das Personal krank machen.“
Menschen zu schädigen, damit Krankenhauspersonal vermeintlich geschützt wird, dafür bin ich nicht Arzt geworden. Wie gute Medizin funktioniert, zeigt dagegen das Moerser Modell. Viel weniger Intensivbelegungen, viel weniger Tote, fast null Ansteckung des Personals. Schwere Fälle, und die gibt es selbstverständlich unter COVID-Infizierten, sind dort gut aufgehoben. Das alles ist durch Veröffentlichungen sauber belegt. Man kann davon ausgehen, dass 20 bis 30 Prozent der COVID-Toten an der Beatmung und nicht an dem Virus starben.
Jens Spahn wusste dies schon im Sommer 2020. Zusammen mit Armin Laschet besuchte er das Krankenhaus in Moers. Er ließ sich auch vom dortigen Chefarzt danach mehrfach die Situation genau erklären. Doch es passierte – nichts. Sicher, Politik sollte sich aus gutem Grund nicht in die Behandlungsempfehlungen der Ärzte einmischen. Aber in dieser Krise und angesichts der schwerwiegenden Folgen dieser Fehlbehandlung für die gesamte Gesellschaft, schließlich ging es um die offizielle Begründung des Lockdowns, hätte ich von einem Minister verlangt, alle Spezialisten an einen Tisch zu berufen und fachlich moderiert z.B. von Prof. Jürgen Windeler vom IQWiG, das Thema zu klären. Das Problem von Jens Spahn ist nicht, dass er sich nicht für die richtigen Dinge interessiert. Er will es durchaus wissen, was den Menschen hilft. Aber wenn es darum geht, danach zu handeln, gewichtet er ganz offensichtlich andere Interessen höher.
Die Corona-Politik wird noch über Jahre hinweg ein Lehrbeispiel dafür sein, was man alles bei einer saisonalen, mittelschweren Atemwegsepidemie falsch machen kann. Wie Fehler bei der Diagnosestellung, Behandlung, Berichterstattung sowie politischen Maßnahmen sich gegenseitig derart aufschaukeln können, dass sie sogar einen demokratischen Rechtsstaat ins Wanken bringen können. Hoffen wir, dass durch den unglückseligen und unverantwortlichen Umgang mit der neuen COVID-Impfung das Drama zusätzlich kein biblisches Ausmaß annimmt.