Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) informiert ihre Mitglieder regelmäßig über die aktuelle Coronalage. Diese Informationen werden erstellt von sehr engagierten und kompetenten Kollegen. Die jeweiligen Aktualisierungen möchte ich für die Achgut.com-Leser auszugsweise zusammenfassen und weiterreichen. Das Original können Sie auf der Homepage der DEGAM einsehen: www.degam.de
(Inzidenz: Erkrankungsfall pro Einwohnerzahl in einem bestimmten Beobachtungszeitraum)
Hier die letzte Aktualisierung von gestern, 11. März 2020:
Die aktuelle Situation in Deutschland und seinen Nachbarländern
Wir stehen erst am Anfang der Virusausbreitung und … im Vergleich zu unseren Nachbarländern (noch!) gut da.
Die folgenden Zahlen von heute (dürften am Abend bereits überholt sein).
Deutschland: 1.656 Fälle (3 Tote), Inzidenz/1 Million Einwohner: 19.8
Polen: 25 Fälle (0 Tote), Inzidenz/1 Million Einwohner: 0.7
Österreich: 206 Fälle (0 Tote), Inzidenz/1 Million Einwohner: 22.9
Niederlande: 382 Fälle (4 Tote), Inzidenz/1 Million Einwohner: 22.3
Belgien: 314 Fälle (1 Toter), Inzidenz/1 Million Einwohner: 27.1
Luxemburg: 7 Fälle (0 Tote), Inzidenz/1 Million Einwohner: --
Frankreich: 1.784 Fälle (33 Tote), Inzidenz/1 Million Einwohner: 27.3
[Italien: 10.149 Fälle (631 Tote), Inzidenz/1 Million Einwohner: 167.9]
Die Schweiz, deren südliche Landesteile direkt an Risikogebiete Norditaliens grenzen, verzeichnet das intensivste Infektionsgeschehen (Situationsbericht des Schweizer Bundesamt für Gesundheit BAG von heute hier).
Hinzu kommt, dass das Robert-Koch-Institut die französische Region Grand Est (Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne) zum Risikogebiet erklärt hat. Für den Südwesten der Republik scheint das keine erfreuliche Perspektive. Aber auch in anderen Regionen des Landes (NRW/Heinsberg, München) sieht es nicht unbedingt besser aus.
In der aktuellen Situation europäische Landesgrenzen für Reisende aus anderen europäischen Ländern zu sperren erscheint als unsinniger Aktionismus.
Ein Autor telefonierte gestern lange mit einem Kollegen in Mailand, der als Hausarzt und Notfallmediziner bis vor zwei Jahren die größte italienische Notfallambulanz im Mailänder Ospedale Niguarda geleitet hat. Er berichtete, dass jedes einzelne Krankenhaus in Mailand täglich zwischen 20 und 40 Patienten mit schweren Viruspneumonien erreichen. 30 Prozent davon würden in kurzer Zeit intensivpflichtig. Ein leitender italienischer Anästhesist berichtete auf Youtube, dass rund 12 Prozent aller bisher aufgetretenen Krankheitsfälle (also inklusive der Zahl leichterer Ausprägungen) beatmet werden müssten.
Meine persönliche Anmerkung:
Die prozentuale Anteilsrate an schweren Lungenentzündungen bei den Patienten in Italien ist mir ein Rätsel (Durchschnittsalter der Todesfälle anscheinend über 80, meist aus prekären Verhältnissen). In anderen Ländern scheint Corona derzeit nicht diesen schlimmen Verlauf zu nehmen. Die Sterblichkeit ist bei uns derzeit nicht viel höher als bei einer saisonalen Grippe. ABER die Situation kann sich auch schnell ändern, wie die Entwicklung in den Niederlanden andeutet. Wir wären dann nicht gerüstet für die vielen alten, schwer Lungenerkrankten.
Sie müssten in hoher Zahl an der Pforte der Intensivabteilung wie zurzeit in Italien abgewiesen werden. Die vielen Absagen von Großveranstaltungen und Quarantäneempfehlungen sind bis zu einer verantwortungsbewussten Entwarnung deshalb, auch angesichts der massiven wirtschaftlichen Schäden, nicht zu kritisieren. Ob sie später als übertrieben angesehen werden können, hilft in der aktuellen Situation nicht weiter. Wenn es Grund zu einer Entwarnung gibt, sollte jedoch nicht damit gezögert werden. Auch wirtschaftliche Notzeiten fordern Todesopfer.
Dr. med. Gunter Frank, geb. 1963 in Buchen im Odenwald, ist niedergelassener Allgemeinarzt in Heidelberg und Dozent an der Business School St. Gallen.