Manfred Haferburg / 11.01.2016 / 06:30 / 1 / Seite ausdrucken

Bericht aus der Zukunft des deutschen Theaters

Wer in Paris wohnt oder es als Tourist besucht, bekommt schon mal Lust, eine Aufführung in der alten Pariser Oper besuchen. Das Palais Garnier ist für mich das prächtigste Gebäude, das Paris zu bieten hat, innen noch viel mehr als außen. An diesem historischen Platz werden oft supermoderne Balletts gezeigt.  Auch wenn ich Kunstbanause bei langen Opern manchmal einnicke, organisiert meine geduldige Frau hin und wieder diesen Genuss für uns.

Der Tempel der Kunst empfing uns Samstag Abend als eine Art Hochsicherheitstrakt. Der Platz davor, zwischen der Rue Auber und der Rue Halévy, war mit Absperrgittern verbarrikadiert, hinter denen, Yedi-Rittern gleich, dutzende Gendarmen in schwarzen Rüstungen ihre Waffen präsentierten. Sieben Busse der Gendarmerie hatte die Pariser Mairie in das Programm für den Schutz der Aufführung der „Batsheva Dance Company“ investiert.

Wir hatten vom Theater eine SMS und eine E-Mail erhalten, mit der Bitte, eine Stunde früher zum Einlass zu erscheinen. Ein privates Sicherheitsunternehmen besetzte die sechs Metalldedektorschleusen. Das Mitbringen größerer Taschen und Rucksäcke war untersagt. Es ging ein wenig wie am Flughafen zu, nur gründlicher und freundlicher. Die Franzosen können so etwas gut. Jeder Theaterbesucher wurde nach dem Passieren der Detektoren von oben bis unten abgetastet. Da das Haus ausverkauft war, dauert das für die 1900 Besucher seine Zeit. Dann passierten wir die normale Einlasskontrolle und die unglaubliche Pracht des Jahres 1875 nahm uns in sich auf. Die schon Eingelassenen schlürften in bester französischer Tradition ein winziges Gläschen Champagner, das Stück zu zwölf Euro Opernpreis.

Wie Sie schon dunkel ahnen, kommt die weltberühmte Batsheva Dance Company aus Israel. Die Pariser Mairie hatte sie aus Tel Aviv für fünf Tage in Palais Garnier eingeladen. Der 63-jährige Choreograph Ohad Naharin leitet sie seit 30 Jahren.
In Israel ist es wie in den USA, der Staat subventioniert die Kunst nicht, sie muss sehen, wie sie sich selbst finanziert (im Gegensatz dazu gibt der französische Staat ein Prozent seines Staatshaushalts für die Förderung der Kunst aus). Die Budgets der israelischen Künstler sind klein, die Kostüme extrem schlicht - Jeans und T-Shirt. Auch das Bühnenbild ist extrem minimalistisch.

Die 18 Tänzer sind schon ein buntes Team, multinationaler geht’s kaum: israelisch Juden, ein USA-Farbiger, eine rothaarige Britin, arabische Tänzer, eine Russin und sogar eine Chinesin.

Es ist wohl schwierig, ein israelischer Künstler zu sein. Das lernte der als palästinenserfreundlich geltende Ohad Narim schon bei der Premiere am fünften Januar. Während vor den Sicherheitsschleusen die Pariser, unter ihnen 180 Sponsoren, in langen Schlangen warteten, protestierten auf dem gegenüberliegenden Trottoir 50 pro palästinensische Demonstranten und skandierten: „Gaza – Konzentrationslager“. Ohad Naharin sagte dazu: „Wir leben seit 40 Jahren damit, aber man kann sich einfach nicht daran gewöhnen“.

Das strenge Sicherheitsprotokoll der Mairie verhinderte, dass die Demonstranten ins Theater kamen. Es gab keine Gewalt, aber die Israelgegner hatten sich etwas Anderes ausgedacht. Als die Tänzer schon mit ihrer beeindruckenden Performance begonnen hatten, wurde von einem der Balkone eine palästinensische Flagge entrollt. Allerdings war das Publikum gekommen, um ein weltbekanntes zeitgenössisches Ballett zu bewundern und hat diese Störung „nur wenig geschätzt“, wie Le Figaro in feinster französischer Diskretion schreibt.

Unsere Veranstaltung, der letzte Abend des Gastspiels, verlief ungestört. Die Aufführung zeigte den ungewöhnlichsten Tanz, den ich je gesehen habe. Das musikalische Spektrum reichte von Goldberg bis zu den Beachboys.  Es wurden auch ein paar französische Tabus gebrochen, bis hin zu runtergezogenen Hosen.

Zum Schluss kamen die Tänzer mit offenen Händen aufs Publikum zu und sangen mit den Beachboys im Hintergrund: „Welcome“. Ich hatte den Eindruck, dass damit nicht nur das Publikum allein gemeint war, sondern auch die Demonstranten vor der Tür.

Ich jedenfalls bin diesmal nicht eingeschlummert.

Wie auch immer, das Pariser Publikum ist kritisch, verwöhnt und schon mal sehr mäkelig.

Als der Vorhang fiel, ging es zu wie auf dem letzten CDU-Parteitag: zehn Minuten Standing Ovation, lauter Jubel und ein Dutzend Vorhänge für die jungen Tänzerinnen und Tänzer, die ob des wohlverdienten Beifalls sichtlich bewegt waren. Solchen Jubel habe ich vorher im Palais Garnier nur ein einziges Mal gesehen, für das Nederlands Dans Theater unter Jiří Kylián. Und das ist schon ein paar Jahre her.

Wir sind nach der Veranstaltung unter dem Schutz der Flics gut nach Hause gekommen, auch wenn ich mich in der Metro oft verstohlen umgeschaut habe.
Die Angst tanzt mit, in Paris.

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Thomas Bonin / 11.01.2016

Ein wunderbarer Artikel, dem nichts hinzuzufügen wäre. Außer vielleicht: Danke!

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