Bericht aus Belojarsk – Energiezukunft ohne Deutschland (1)

Die Kernenergie weltweit ist nicht am Ende, sie befindet sich erst am Anfang ihres Zeitalters. Kernenergie kann die Menschheit für hunderte von Jahren mit umweltfreundlicher billiger Energie versorgen und für Wohlstand und lebenswertes Dasein sorgen. Neue Kernkrafttechnologien werden entwickelt und viele neue Kernkraftwerke werden weltweit gebaut. Für jedes KKW, das Deutschland abschaltet, werden irgendwo anders auf der Welt zehn neue gebaut. Deutschland ist mitnichten das Vorbild für die gesamte Welt, auch wenn wir das ganz fest glauben. Deutschland isoliert sich zunehmend. Isoliert zu sein, heißt nämlich, irgendwo hinterherzuhinken und es nicht zu wissen. 

Ich bin nach einer zweitägigen Reise in Belojarsk eingetroffen. Belojarsk liegt bei Jekaterinburg in einem riesigen Waldgebiet, mitten im weiten Russland. Hier stehen der BNR 600 und der BNR 800, zwei „Schnelle Brüter“. Die Belojarsk-Zeit ist unserer Mitteleuropäischen Zeit drei Stunden voraus. Die Technologie des Kernkraftwerkes, das ich hier besuche, ist unserer Zeit drei Jahrzehnte voraus. Oder genauer gesagt: Wir könnten in Deutschland auf absehbare Zeit so eine Anlage nicht mehr bauen, selbst wenn wir es wollten. Dafür haben die herrschenden Ideologen in Deutschland gesorgt, der „Faden ist gerissen“. Eine Technologie wie hier in Belojarsk ist in Deutschland verboten. Dass wir mal führend auf diesem Gebiet waren, ist alles längst verdrängt und vergessen. 

"Kalkarisierung"

Man hat in Deutschland in den beginnenden Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts das schnelle Brüter-Projekt Kalkar mit einem ungeheuerlichen bürokratischen Aufwand „totgenehmigt“. Bis heute nennt man solche politischen Vorgänge – wenn mit dem Schein der Legalität Obstruktion betrieben wird – „Kalkarisierung“.

Für die Genehmigungsunterlagen von Kalkar wurden am Ende 10.000 Aktenordner nötig, nebeneinander aufgestellt wären das 800 laufende Meter Papier mit etwa 100 Millionen Stempeln und 3 Millionen Unterschriften. 

Die politische Wende erfolgte 1982, als die SPD die Wahl verlor und sich als Opposition populistisch auf den Schnellen Brüter einschoss, indem sie eine „Kohle-Vorrang-Politik“ ausrief. Auch das will die SPD heute nicht mehr wissen. Außerdem beschloss die SPD seinerzeit den Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung des Kernbrennstoffes und einen Zubau-Stopp für Kernkraftwerke. Als sie in NRW die Landtagswahlen gewann – oha, heute undenkbar – sagte der zuständige SPD-Minister wörtlich, dass man „notfalls prozessieren werde, bis der sanfte Tod des Brüters einträte“.

Die Verweigerung der Betriebsgenehmigung des deutschen Schnellen Brüters wurde dann 1987 mittels Pressekonferenz von einem SPD-Minister bekanntgegeben. Es ist für Interessierte lohnenswert, den 115-Seiten-Bericht über dieses ideologisch motivierte Totalversagen zu lesen „Der Schnelle Brüter SNR 300 im Auf und Ab seiner Geschichte“. 

Die roten Bedenkenträger und Abrüstungsbefürworter hatten mit dem Atomkriegsgespenst die Menschen in Angst und Schrecken versetzt und letztlich die Unterstützung der Bevölkerung gewonnen. Schon 1977 demonstrierten 40.000 Menschen gegen das Projekt SNR 300 Kalkar. Das Polizeiaufgebot galt seinerzeit als das größte der Geschichte der Bundesrepublik. 

Mit der Investitionsruine von Kalkar wurden 6,5 Milliarden Euro in den Sand gesetzt. Das fertiggestellte Projekt wurde nie in Betrieb genommen. Und dann geschah etwas für Deutschland Typisches – das Umschmieden nicht von Schwertern zu Pflugscharen, sondern von Industrieobjekten zu Rummelbuden.

Vergnügungspark „Wunderland Kalkar“

Der frische Reaktorkern wurde in Frankreichs Le Hague zerlegt und der Kernbrennstoff in MOX Brennelementen verarbeitet, die in den deutschen herkömmlichen Kernkraftwerken leise weinend zur Stromerzeugung verwendet wurden. Der Abriss von Kalkar – alles war ja mehr als grundsolide gebaut – hätte 75 Millionen Euro gekostet, was dem Staat nach der Verschwendung von 6,5 Milliarden Euro viel zu teuer war. So begann das langsame Verschleudern der neuen Maschinen und Teile. Das Meiste wurde allerdings verschrottet. 

Die Gebäude selbst wurden per Zeitungsannonce angeboten. Irgendwann kaufte ein niederländischer Investor das Gelände und wandelte es in den Vergnügungspark „Wunderland Kalkar“ um. Der Kaufpreis des Geländes samt Gebäude soll unsicheren Angaben zufolge 2,5 Millionen Euro betragen haben – ein verschwindend geringer Anteil des verbauten Sachwerts. Es gibt im einstigen Kernkraftwerk Kalkar heute ein All-Inclusive-Hotel mit 1.000 Betten und Tagungsräumen. Der „Kernie’s Familienpark“ verfügt über mehr als 40 Rummel-Attraktionen für Jung und Alt. Vom Kernkraftwerk selbst ist ein gruseliges „Brüter-Museum“ geblieben. Derzeit werden immer noch ein paar Eisenteile des Kraftwerks ausgebaut und verschrottet. 

Irgendwann wird den Deutschen das Eintrittsgeld für ihre Freizeitparks ausgehen, so wie den Sozialisten immer das Geld der anderen ausgeht. Merke hierzu Brecht:

Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen. Und schrieen sich zu ihre Erfahrungen, wie man schneller sägen könnte, und fuhren mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen, schüttelten die Köpfe beim Sägen und sägten weiter."

Bei meiner Nachrichtenschau im Internet sprang mich kürzlich die Information über einen großen Blackout in Mittelamerika an. Argentinien und Uruguay sind ohne Strom – 48 Millionen Menschen sollen betroffen gewesen sein. Gnade uns Gott, wenn so etwas länger dauert. Uns Deutschen sollte es eine ernsthafte Warnung sein, dort geht es nämlich hin. Aber das will in Deutschland ja keiner hören. „Wer nicht hören will, muss fühlen“, sagte meine kluge Oma immer.

Im zweiten Teil dieses Berichtes werde ich beschreiben, was ein Schneller Brüter so alles kann und wie im KKW Belojarsk zwei große kommerzielle Brutreaktoren Strom und Kernbrennstoff produzieren. Und für die deutschen Kernkraftgegner noch ein bittersüßes russisches Bonbon: ein dritter Schneller Brüter mit 1.200 MW ist in Planung. Hier könntet ihr mal wieder gegen etwas demonstrieren – aber diesmal nicht gratismutig.

Manfred Haferburg ist der Autor des autobiografischen Romans „Wohn-Haft“. Als Schichtleiter im Kernkraftwerk kämpft er um Sicherheit gegen die Macht der Bonzen. Das macht ihn verdächtig, weil er sich auch der Einheitsbreipartei verweigert. Die Hexenprobe der Stasi ist die erfolglose Anwerbung als Spitzel. Bald steht er auf allen schwarzen Listen seines Heimatlandes. Eine Flucht misslingt, und eine Odyssee durch die Gefängnisse des „sozialistischen Lagers“ beginnt. Der Mauerfall rettet ihm das Leben, und ein neues Leben in Paris wird aufgebaut, während sich in Deutschland die Spitzel im Bundestag breitmachen und die ehemaligen Genossen sich gegenseitig ums SED-Erbe den Schädel einschlagen. Ein Buch, dass den Leser schier atemlos umblättern lässt. (41 Kundenbewertungen, 4,85 von 5 Sternen)

Foto: RIA Novosti/Pavel Lysizin CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Dr. Gerhard Giesemann / 25.06.2019

Es tut so gut, etwas zu lesen von einem Fachmann, der die Dinge versteht, über die er schreibt. Vielen Dank, Herr Haferburg. Wir werden AKW mit mittlerer Leistung, so um 500 MW bauen, die kann man dezentraler aufstellen als die Riesenblöcke mit 1200 MW, weniger Kühlbedarf, mit Brütertechnologie. Wenn mal die Kettenreaktion, das “atomare Feuer” abgestellt werden muss aus irgendeinem Grunde, dann lässt sich so war leichter kühlen mit den Schläuchen der Werksfeuerwehr.  Allen jungen Männern heute rate ich: Studiert was mit Kernenergie, das ist die Zukunft, wenn nicht in DE, dann halt woanders. Wenn nicht wir, dann eben die Anderen. Könnt ja den doofen Deutschen dann des Strom verkaufen. Erneuerbare ist davon unberührt, haben mit Grundlastversorgung eh nix zu tun.

Sebastian Weber / 25.06.2019

“Deutschland ist mitnichten das Vorbild für die gesamte Welt, auch wenn wir das ganz fest glauben.” DOCH !! Wie heißt es doch so schön: “Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!” (ok, einmal hat es nicht geklappt- aber beim nächsten Mal bestimmt!), Die Chinesen, Amerikaner, Inder, Russen etc. sehen, wie toll bei uns die Entindustrialisierung läuft und schreien laut: “ME TOO” - ganz bestimmt. Die Kanzlerin und die Grünen und Grüninnen glauben es jedenfalls.

Julian Schneider / 25.06.2019

Die letzten guten deutschen Ingenieure, die Kernkraftwerke bauen konnten, sind gerade in Rente gegangen. Neue kommen nicht nach.

Gerhard Döring / 25.06.2019

Auf einer geführten USA Reise vor über 20 Jahren schämte ich mich bereits damals ein deutscher zu sein.Unser Guide,gebürtiger Berliner,ein Bürger der USA, fragte die Reisegruppe was eigentlich in Deutschland los sei. Die “stolzen” Deutschen und damit meine ich die Opfer der Propaganda,welche mit offenem Munde ratlos dreinblickten funktionierten nicht mehr.Er zählte viele Beispiele auf wo deutsche Forschung und Entwicklung einfach at Acta gelegt,oder in die Welt verschenkt wurde,(z.B. damals aktuell die Magnetschwebebahn) Die Reisegruppe schaute immer blöder und wie gelähmt drein.Vorbei war`s mit Haltung zeigen und so stelle ich mir den letzten Akt des Niederganges vor,welcher sich kontinuierllich ,ja sogar beschleunigt fortsetzt.

Wolfgang Kaufmann / 25.06.2019

90% aller Grundschullehrerinnen sind weiblich. Damit ist die MINT-feindliche Zukunft der Jugend schon vorgezeichnet. Willkommen im Ponyhof, bei den Looserinnen.

Udo Kemmerling / 25.06.2019

FNR-Technology ist eine Energiequelle fast für die Ewigkeit, da U238 verbrannt werden kann. Kombiniert mit Thorium-Reaktoren, Brütertechnologie und der Wiederverwertbarkeit von “Atommüll”  reicht das wohl für 100.000 Jahre. Ohne die Grünen!

Gerald Krüger / 25.06.2019

Wenn ich diese völlig irrwitzige Vernichtung von Wissen ,Technologie, Wohlstand und Zukunft sehe frage ich mich, welchen Verbrechern wir da in die Hände gewählt wurden. “Das Grüne Reich”, bei YT zu sehen, ist eine realistische Dokumentation aus der nahen Zukunft. Habeck befiehl, wir tragen die Folgen.

Ilona G. Grimm / 25.06.2019

Ich verstehe von dieser Technik rein gar nichts. Aber mir ist trotzdem klar, dass es ohne Kernkraft keine sichere Energieversorgung in D geben kann. Risiken müssen und können von Ingenieuren minimiert werden; Restrisiken müssen akzeptiert werden. Ein Leben ohne Risiko gibt es nicht. Und sind die Windmühlen risikofrei? Da frage man die zerschredderten Vögel, Insekten, Fledermäuse und die Menschen, die schon vom bloßen Anblick krank werden.

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