Georg Etscheit / 09.10.2021 / 06:25 / 32 / Seite ausdrucken

Berghain Berlin: 2G im Fetischclub

Das Berghain in Berlin ist (oder war) einer jener Orte, in dem sich der berühmte Ausspruch des früheren Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit, die deutsche Hauptstadt sei „arm, aber sexy“, idealtypisch materialisiert. Ein ziemlich angeranztes, ehemaliges Fernheizwerk nahe des Berliner Ostbahnhofs, der zu DDR-Zeiten euphemistisch „Hauptbahnhof“ hieß, zu welchem man über von Unkraut und Müll gesäumte Schotterwege gelangte, als wär‘s in der Bronx.

An der mutmaßlich härtesten Tür Berlins empfängt einen ein volltätowierter und mit viel Körpermetall bestückter Unhold namens Sven Marquardt, der es als „deutscher Fotograf und Türsteher“ sogar in die Wikipedia-Enzyklopädie brachte und der schon mit 52 Jahren seine Autobiografie vorlegte. Er und seine Kollegen scheiden nach den sinistren Regeln einer ganz persönlichen Willkommenskultur jene, die reindürfen und solche, die sich umsonst die Beine in den Boden gestanden haben.

Wer Einlass gefunden hat im angeblich coolsten Technoclub der Welt, der in jedem Reiseführer steht und so berühmt ist, dass man zur jüngsten Wiedereröffnung unter 2G-Regime sieben Stunden (!) anstehen musste, darf sich zu den Auserwählten zählen, zu den ganz Woken und Totalverruchten, wie übrigens auch ein gewisser Karl-Theodor zu Guttenberg, der sich einmal an Marquardt vorbeigeschmuggelt hatte und später in Interviews bekannte: „Harter Techno kann auch Spaß machen“.

Noch ein ganzes Stück verruchter präsentiert sich das Berghain in einem Seitengelass, dem Lab.oratory, kurz Lab. Es ist ein Ort, an dem sich Karl-Theodor zu Guttenberg selbst mit reichlich gutem Willen nicht wohl gefühlt hätte und dessen Besuch man als Politiker tunlichst nicht an die große Glocke hängen sollte. Es handelt sich nämlich um einen schwulen Sex- und Fetischklub, gewissermaßen ein Restbestand aus den Gründungszeiten des Berghain in den wilden Wendejahren.

Maske-Tragen ist dort dank 2G zwar nicht mehr Pflicht, aber durchaus erwünscht, allerdings nur, wenn es sich um eine Mund-Nase-Bedeckung aus Leder oder Latex handelt. Im Lab.oratory, einer labyrinthisch verwinkelten, kellerartigen Location im postindustriellen Vintage-Look mit allerlei „Spielmöglichkeiten“, gibt es regelmäßige Themenabende. Einer trägt das Motto „Mask. No face, just body“ und ermöglicht es, sich völlig anonym den dargebotenen Lustbarkeiten hinzugeben. Die Veranstaltungsreihe „Yellow Facts“ gilt dem kreativen Austausch von Körperessenzen und dekretiert: „Lass es laufen!“

Sonst würde das alles ja keinen Spaß machen

Jeden Freitag lässt sich das Lab „auch ohne speziellen Fetisch erkunden“. Als besonderen Bonus gibt es die ganze Nacht hindurch jedes Getränk doppelt zum Preis von einem, um „schnell den Nachbarn einzuladen“. Die durchaus wörtlich zu nehmenden Untiefen weiterer Themenpartys möge der geneigte Leser, weil nicht jugendfrei, selbst erkunden. Allen Angeboten des Lab gemein ist, dass der Pandemie-gebotene Mindestabstand massiv, systematisch und idealerweise so oft wie möglich unterschritten wird. Sonst würde das alles ja keinen Spaß machen.

Wobei eine in eher seltenen Fällen schwer oder gar lebensbedrohlich verlaufende Erkältungskrankheit wie Corona an einem Ort wie dem Lab.oratory wohl eine geringere Gesundheitsgefahr darstellt. Wer sich hier mit aller Konsequenz ins Vergnügen stürzt, auf den warten andere Herausforderungen: die ganze Palette sogenannter Geschlechtskrankheiten einschließlich Syphilis, Hepatitis, lästige Parasiten und natürlich HIV. Auch wenn AIDS dank guter Behandlungsmöglichkeiten aus den Schlagzeilen verschwunden ist und es sogar eine „Prä-Expositios-Prophylaxe“ (PrEP) gibt, sollte man das Immunschwächevirus und dessen Behandlung nicht auf die leichte Schulter nehmen. 2019 infizierten sich laut RKI 2.600 Menschen in Deutschland neu mit HIV, 1.100 davon erhielten ihre Diagnose erst, als sie schon schwer erkrankt waren. 380 Menschen sind 2019 an der Krankheit gestorben. 2018 starben weltweit geschätzte 690.000 Menschen an AIDS.

Auch die Syphilis ist nicht ausgestorben, im Gegenteil. 2019 wurde laut RKI sogar die höchste Zahl an Neuinfektionen seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes registriert. Dass man viele dieser Geschlechtskrankheiten, die einst wahre Geißeln der Menschheit waren, heute mehr oder weniger gut behandeln kann, ist beruhigend, aber das Privileg einer (noch) reichen Gesellschaft. Und die kümmert sich gerade darum, mit Milliardenbeträgen und umfassenden Grundrechtseingriffen ein mittelprächtiges Schnupfenvirus auszurotten.

Auch ins Lab wie ins „große“ Berghain kommt man jedenfalls nur noch als Geimpfter oder Genesener mit „Corona-Warn-App oder COV-Pass bzw. digitalem Covid Zertifikat“, einschließlich Lichtbildausweis. Die volle 2G-Dröhnung eben. Außerdem muss man zur Kontaktnachverfolgung einen „persönlichen Berghain-Pass“ aus dem Netz herunterladen und ausfüllen. Wenn man den wenigstens nutzen könnte, um den Angebeteten von der Maskenparty ausfindig zu machen!

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Leserpost

netiquette:

marco stein / 09.10.2021

In Bordellbetrieben in NRW gilt derzeit die Besucherregel geimpft, genesen oder getestet, weil Corona ja so schrecklich schlimm ist. Mit Shyphilis, Hepatitis A-C…...Tripper…...Chlamydien…...Feigwarzen….....HIV….........ein Bordell zu Besuchen ist kein Problem. Aber mit einem Schnupfen wird es echt gefährlich. Aber wir leben auch in einem Land, das seine Volksfeste einzäunt und deren Besucher filzt, dafür aber seine Staatsgrenzen vollkommen unbewacht läßt. Das wiederum macht die erstgennante Maßnahme überhaupt erst notwendig. Beides gehört eigentlich andersherum. Man könnte glauben, wir werden von Idioten regiert.

Andreas Meier / 09.10.2021

..zu ddr zeiten hieß der ostbahnhof ostbahnhof und nicht hauptbahnhof..

Dirk Freyling / 09.10.2021

Eurosurveillance veröffentlichte eine Studie über eine Untersuchung eines Ausbruchs von Covid, die von einem vollständig geimpften Patienten ausging und sich schnell und weitreichend im Krankenhaus (nosokomial) unter Geimpften ausbreitete, einschließlich bei Personen, die chirurgische Masken trugen.  Nosocomial outbreak caused by the SARS-CoV-2 Delta variant in a highly vaccinated population, Israel, July 2021 Es handelte sich um einen vollständig geimpften Hämodialysepatienten in den 70er Jahren. Er wurde Mitte Juli 2021 mit Fieber und Husten eingeliefert und in einem Zimmer mit drei anderen Patienten untergebracht. Am Tag der Aufnahme wurde der Indexpatient nicht auf SARS-CoV-2 getestet, da seine Symptome fälschlicherweise für eine mögliche Infektion des Blutkreislaufs gehalten wurden, die zu einer Verschlimmerung der Herzinsuffizienz führte. Vier Tage nach der Aufnahme wurde COVID-19 durch PCR für das SARS-CoV-2 E-Gen mit einem quantitativen Zykluswert (Ct) von 13,59 diagnostiziert. Bei weiteren Untersuchungen wurden insgesamt 27 COVID-19-Fälle durch SARS-CoV-2-PCR nachgewiesen: 16 Patienten, neun Mitarbeiter und zwei Familienangehörige. Fazit in einfachen, plakativen Worten: Wer nach Kenntnisnahme obigen dokumentierten Vorfalls noch für 2G als Schutzmaßnahme plädiert, ist u.a. ein gemeingefährlicher Wissenschaftsleugner. Menschen erkranken und sterben weil per Regierungsanordnung Geimpfte nicht mehr getestet werden und Menschen nach wie vor daran glauben, dass sie mit einer vollständigen Impfung nicht mehr schwer erkranken können und auch andere schützen… Clubverantwortliche, die diese Maßnahmen (2G) umsetzen machen dies aber erst möglich und tragen somit eine besondere Mitschuld.

Detlef Rogge / 09.10.2021

@ Stephan Bender   Früher kamen sie, die Totalverweigerer, die Alternativen, Spinner und sonstigen Nichtsnutze, scharenweise, um in West-Berlin die Sau rauszulassen. Die erste kulturelle Bereicherung aus dem Westen. Nach dem Mauerfall dann der Einfall der piefig-spießigen schwäbischen Landjugend, verwöhnte Bälger mit ihren Anspruchsunverschämtheiten, auf der Suche nach Selbstverwirklichung. Heimisch gewordene Langweiler, die neue Öko-Bourgeoisie nebst Nachkommenschaft in Prenzlberger Gründerzeit-Kiezen. Vermutlich das Klientel im Berghain, wollen mal was erleben neben ihrem drögen Lehramtsstudium. Bis zur Westverschiebung des Landes 1945 war Berlin als Reichshauptstadt eher östlich geprägt, kulturell, gesellschaftlich, politisch. Auch etwa die Hälfte der deutschen Juden lebte in Berlin, ein unwiderruflich verlorengegangener, besonderer Flair. So Schluß jetzt, heute scheint nicht mein Tag.

Christoph Kaiser / 09.10.2021

Irgendwo muß man mit der Total-Überwachung eben anfangen…............ als Nächstes muß man vllt. eine Niere abtreten….... oder erstmal Blut spenden….... come on, da geht noch was!

T. Schneegaß / 09.10.2021

Völlig normal! Solche “Locations” zeigen uns doch eindrucksvoll: wir befinden uns in der Phase der spät(west)europäischen Dekadenz. Am Ende werden Berghains und Labs im Bellevue und Kanzleramt sein.

Peter Bernhardt / 09.10.2021

Die Mentalität der Menge: das ist ihr schlechtes Gewissen, das sind ihre Fälscher und Wortverdreher, ihre „jahraus jahrein galoppierenden Federn“ und Denunzianten, ihre Spitzel und Rabulisten, ihre Großmäuler, Demagogen und Faselhänse. Ein heilloses Konzert! Eine Orgie seltsamer Verzerrung! Wehe dem Land, wo solche Mentalität den Geist überschreit, aber dreimal wehe dem Land, wo sie allein nur herrscht und sich selbst für den Geist hält. Hugo Ball (1886 - 1927)

F. Eder / 09.10.2021

Hier sind ja die gleichen Spießer wie in der grünen Partei. Die erheben ihr puritanisches Moralverständnis auch zum Maßstab für die Allgemeinheit. Lasst die Leute doch feiern wie sie wollen! Ihr könnt ja weiterhin eure Schlager hören oder Rockmusik, die auch mal schwer verteufelt wurde. Ich habe jedes Verständnis für junge Leute, die es endlich mal wieder krachen lassen wollen. Ein Abend im Techno Rausch ist auch ein kurzer Ausstieg aus dem irren Alltag und die trashige Umgebung fördert das kurzzeitige Freiheitsgefühl im immer enger werdenden Korsett von Gängelung, Gesetz und pc. Es ist doch eher ein gutes Beispiel über die völlige Absurdität der Corona Vorschriften. Wahrscheinlich muss das Berghain diese erfüllen, um aufmachen zu dürfen. Vielleicht denkt der eine oder andere morgens dann darüber mal nach, wenn er seinen Rausch ausgeschlafen hat. Nunja, vielleicht.

Stephan Bender / 09.10.2021

Für Herrn Georg Etscheit aus Eltville am Rhein hab ich quasi “unter Kumpels” den freundschaftlichen Rat, doch nur über Dinge zu schreiben, von denen er wirklich etwas versteht, oder wenigstens dabei gewesen ist. Viel interessanter wäre doch ein grandioser Artikel gewesen, der die Frage untersucht, ob der gemeine Westdeutsche mit seiner verklemmten Sexualmoral gescheiterter Christen im Zuge der Wiedervereinigung eine Bereicherung für die Hauptstadt war, oder vielleicht doch die Stadt durch seinen provinziell-vulgären Macht- und Gesellschaftsanspruch nicht um ein Jahrzehnt zurückgeworfen hat. All die Leute, die sich hier austoben und in Berlin einen “eskapistischen Schutzraum” genießen, kommen in der Regel weder aus Berlin, noch aus Ost-, sondern aus Westdeutschland. Es sind die neureichen Kinder der 68er, die in der westdeutschen Provinz nicht zum Zuge kamen, weil Westdeutschland nie wirklich entnazifiziert wurde.

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