Vera Lengsfeld / 07.07.2021 / 12:00 / Foto: Pixabay / 64 / Seite ausdrucken

BER: Wir befinden uns in der neuen Normalität

Der Berliner „Tagesspiegel“ jubelte unter der Überschrift „BER in Höchstform“, seit der Eröffnung seien noch nie so viele Passagiere gestartet oder gelandet wie im Moment. Unter welchen Umständen dies geschieht, steht hier.

Endlich gibt es mal eine Erfolgsmeldung, was den leidigen Pannenflughafen BER betrifft, den niemand mehr Willy Brandt-Flughafen nennt, aus Pietät vor dem Sozialistenführer, dessen Andenken durch die zweifelhaft gewordene Ehre eher beschädigt wird. Seit Eröffnung seien noch nie so viele Passagiere von hier gestartet oder gelandet, jubelt der Berliner „Tagesspiegel“ unter der Überschrift „BER in Höchstform“. Und fragt: Kehrt etwa Normalbetrieb ein?

Tut mir leid, aber das erinnert mich an die DDR-Berichterstattung über 150 Prozent erfüllte Pläne und gesteigerte Konsumgüterproduktion, obwohl die Regale gähnend leer bleiben. Was erlebt ein Passagier wirklich, wenn er vom BER startet und landet? Hier mein Bericht aus erster Hand.

Das Abenteuer beginnt schon am S-Bahnhof Gesundbrunnen. Hier fährt der Flughafenexpress FEX alle halbe Stunde ab. Mit nur einem Zwischenstopp am S-Bahnhof Ostkreuz. Theoretisch ist man dann in einer knappen halben Stunde am Flughafen. Praktisch sieht es so aus, dass die Passagiere am Gleis stehen und vergeblich auf den Zug warten.

Zwar verkündet die Anzeige, der FEX hätte nur fünf Minuten Verspätung, aber dann verschwindet sie, es fährt ein ICE ein, dann zehn Minuten später ein zweiter, aus den fünf Minuten sind mehr als 20 Minuten geworden. Noch kein Problem, denn vorsichtshalber habe ich einen Zug früher eingeplant. Aber die Verspätung für den Folgezug ist auch schon mit 10 Minuten angegeben. Plötzlich fangen die Leute um mich herum an zu rennen. Der FEX soll fahren, aber von einem anderen Gleis. Also mit schwerem Gepäck Treppe hoch, Treppe runter und atemlos in die Bahn, die mit 25 Minuten Verspätung abfährt und tatsächlich mit nur einem Zwischenaufenthalt am Flughafen ankommt.

Die Check-in-Automaten sind alle außer Betrieb

Am BER ist wirklich etwas los. Vor dem Baggage-Drop von Easy-Jet steht eine endlose Schlange. Mein Enkel ist schon seit über einer halben Stunde da, dem Abfertigungsschalter aber noch nicht nahegekommen. Die Check-in-Automaten sind alle außer Betrieb, von sechs Countern arbeiten nur zwei. Ab und zu wird ausgerufen, ob es noch Passagiere für diesen oder jenen Flug gibt. Dann drängeln sich genervte Urlauber, die schon ihre Hoffnung, den Flug noch zu erreichen, aufgegeben hatten, erleichtert nach vorn.

Zwei Mitarbeiter von Easy-Jet sitzen zwar herum, beteiligen sich aber nicht an der Abfertigung. Als wir endlich dran sind, ist unser Abflug schon gefährlich nahe. Auf meine Frage, warum nicht mehr Schalter geöffnet werden, bekomme ich nur ein Achselzucken. Wir haben gerade noch Zeit, durch die Sicherheitskontrolle zu kommen und im Laufschritt zum fernen Gate zu gelangen, wo das Boarding schon begonnen hat. Die Strecke zum Gate ist endlos. Die Laufbänder funktionieren aber nicht. Atemlos besteigen wir das Flugzeug, finden aber, dass normaler Betrieb anders aussieht.

Auf dem Rückflug ergeht es uns nicht besser. Zwar bekommen wir aus dem Cockpit die freudige Nachricht, dass wir wegen des kräftigen Rückenwinds zehn Minuten früher landen werden, aber wer glaubt, dann auch eher zuhause zu sein, hat sich getäuscht. Die Laufbänder funktionieren immer noch nicht.

Kurz nach 23:05 Uhr verschwand auch die Bundespolizei

Unser Flug war als letzter gelandet. Aber kurz vor uns hat es drei weitere Ankünfte gegeben. Am Gepäckband erwartet uns die freudige Botschaft, dass demnächst unser Gepäck ausgeliefert werde. Dem ist aber nicht so. An den anderen drei Gepäckbändern kommen die Koffer an, bei uns nicht. Mir kommt der Gedanke, dass es für die letzten vier Flüge nur eine Entlademannschaft gibt. Bingo. Ein Mitreisender, der sich erkundigt hat, sagt etwas von Personalknappheit. Bei gestiegener Arbeitslosigkeit?

Allmählich leert sich die Halle. Immer mehr Flughafenangestellte wünschen sich laut einen schönen Feierabend. Um 23.15 Uhr sollte laut BVG-App der vorletzte FEX abfahren, der letzte war bereits gestrichen. Ich habe das vor Wochen schon einmal erlebt, musste damals mit der S-Bahn durch die Gegend zuckeln und war erst nach zwei Stunden zu Hause, statt nach einer.

Kurz nach 23:05 Uhr verschwindet auch die Bundespolizei, die sich am Ausgang der Halle postiert hat. Um 23.10 Uhr kommt Bewegung in unser Gepäckband, genau eine Stunde nach unserer Landung. Wir schnappen uns unsere Koffer und rennen im gestreckten Galopp zum Zug. Natürlich funktionieren die Rolltreppen nicht. Der Zugführer ist gnädig und lässt uns noch als Letzte rein. Glück im Unglück.

Von Normalbetrieb keine Spur, es sei denn, wir befinden uns schon in der neuen Normalität.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Vera Lengsfeld.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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armin wacker / 07.07.2021

Oh nein Frau Lengsfeld, zumindest war das Rollfeld noch da.

Lutz Jordan / 07.07.2021

Mit tränenumflorten Blick denke ich an meine Jugend, in der ich nach und von Berlin auf dem Flughafen Tempelhof weilte, einem richtig schönen Bauwerk, in welchem auch alles funktionierte (sonst hätten die Aliierten den trüben Tassen den Marsch geblasen) - Tempora mutantur…

Karsten Dörre / 07.07.2021

Frau Lengsfeld, selbst schuld, mit Billigheimer Easy-Jet Flug zu buchen. Für FEX ist Easy-Jet zwar nicht zuständig, aber wegen Billigheimer wird FEX nicht viel KnowHow und Pünktlichkeit investieren.  Dass der BER nicht rund läuft ist normal, denn mitten in der Pandämonie zu öffnen, wenn kein Betrieb gestattet, lässt nötiges Personal abwandern oder gar nicht erst einstellen.

Karla Kuhn / 07.07.2021

“Von Normalbetrieb keine Spur, es sei denn, wir befinden uns schon in der neuen Normalität.”  Sie befinden Sich in der Vergangenheit Frau Lengsfeld.  So ist es mir fast jeden Morgen ergangen, wenn ich auf dem Weg zu meiner Arbeitsstelle der “Deutschen Fotothek” an der “Brühlschen Terrasse” war. Bus ? Glück, Zug ? noch mehr Glück, dann noch 30 Minuten Fußweg, weil die Straßenbahn mal wieder ausgegleist war. Vorteil ? Wir brauchten kein Fitnessstudio mehr, (was es damals eh nicht gab). Alle kamen frisch und munter auf Arbeit an, besonders im Winter. Ich vermute, auch bei Ihnen war es nicht anders, darum ist das Flughafendesaster auch nichts Neues. Kommunismus bleibt Kommunismus, da beißt die Maus keinen Fade ab. Warten Sie mal ab, wie es in paar Monaten oder in einem Jahr aussieht. Vielleicht sind Sie dann froh, wenn Sie überhaupt noch fliegen dürfen. Schließlich muß das gesamte ZEH-OH-ZWEI eliminiert werden. Darum müssen ja auch die E Autos mit Hilfe der Steuerzahlergelder mit den ach so “UMWELTFREUNDLICHEN”  Akkus an den Mann gebracht werden. Hans-Peter Dollhopf, “Brandt Erinnerungs-Ruine?” Passend.

Martin Stumpp / 07.07.2021

Beim BER waren wohl Geschlecht und Herkunft die wichtigsten Kriterien bei der Einstellung. Wen interessiert schon Qualifikation oder das Grundgesetz. Ein Vorgeschmack auf die Zukunft Deutschlands. Ich bin dann hoffentlich bald mal weg.

Dirk Göske / 07.07.2021

Berlin, die Leichtigkeit der großen Metropole, von der selbst Odysseus angetan wäre und die Heimat der Köpenikiade. Ein Abbild dieses Staates.

S.Buch / 07.07.2021

Die Mangelwirtschaft scheint für die Jubelpressejournalisten der Idealzustand zu sein. Hilfe!

Uta Buhr / 07.07.2021

Aber doch nicht mit dem Taxi, werte K@thrin Zimmer. Für die Gleicheren unter den Gleichen gibt es doch Dienstwagen mit Chauffeur, “gespondert” vom Steuerzahler! Das sind ja Zustände wie in den Ländern der Dritten Welt, liebe Autorin. Früher, als hierzulande noch alles gut funktionierte, hätte ich mir das von Ihnen beschrieben Szenario nicht einmal in meinen finstersten Träumen vorstellen können. Aber an diese “neue” Normalität werden wir uns wohl gewöhnen müssen im besten Deutschland, das es je gab. Wenn’s nicht so traurig wäre, würde ich mich schütteln vor lauter Lachen.

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