Bitte um Verzeihung, wenn ich mich nicht sofort zu Wort gemeldet habe, als das „Eva-Prinzip“ sein geistiges Oberhaupt erhob. Dabei bin ich doch eine Erklärung schuldig, oder? – als fanatisch berufstätige kinderlose Frau von 50 plus, eine tendenziell nutzlose Alte, die womöglich in späteren Jahren auch noch Anspruch auf ein künstliches Hüftge-lenk erheben wird…
Gerne würde ich auch weiterhin vornehm schweigen – man kann’s ja kaum noch mit ansehen, wie die arme Sau namens FrauenMutterKindfrage zum zigsten Mal durchs Dorf gejagt wird, ein alle Jahre wiederkehrendes Spektakel, aus dem uns noch nie eine neue Erkenntnis erwachsen ist. Aber ein paar Sachen möchte ich schon noch geraderük-ken – und sei’s aus berechtigtem Eigeninteresse.
Ich kann zum Beispiel die vorwurfsvolle Behauptung nicht mehr hören, dieser oder je-ner nach „Mama“ und „Schoko“ greinende Sproß verkörpere meine Zukunft und bezah-le einmal meine Rente.
Im besten Fall bildet sich der Sproß lange und gründlich aus, kriegt in Deutschland kei-nen Job, wird, sofern weiblich, nach dem Eva-Prinzip Mutter oder überqualifizierte Haushälterin ihres Mannes oder sucht, sofern männlich, sein Heil bzw. einen Arbeits-platz vernünftigerweise im Ausland. Im schlimmeren Fall bleibt der Sproß als Couch-Potato gleich unter der Obhut von Mama und Vater Staat. Der Nährwert für „meine“ Rente ist in allen Fällen gering.
Kein Wunder, die Frage ist ja auch falsch gestellt. Es gibt, was das deutsche Rentensy-stem betrifft, keinen Generationenkonflikt oder einen Kampf Alt gegen Jung, also ein irgendwie „biologisch“ zu nennendes und zu lösendes Problem. Es handelt sich viel-mehr um einen korrigierbaren Rechenfehler. Adenauer hat es damals so gewollt, daß die aktuellen Renten aus den laufenden Rentenbeiträgen gezahlt werden, um die Rentner am wachsenden Wohlstand der Gesellschaft zu beteiligen. Seit es indes immer weniger Beitragszahler gibt bei einer wachsenden Zahl derer, die man „Leistungsempfänger“ nennt, obwohl sie besser „Anspruchsberechtigte“ hießen, geht die Rechnung nicht mehr auf. Denn es wollen ja nicht nur die Rentner und die Frühverrenteten versorgt sein, die man schon mit Anfang 50 in den Ruhestand geschickt hat, ein politisch gewollter und von „meinen“ Steuern bezahlter Unfug. Auch die Jungen fallen als Rentenbeitragszahler aus, die nach unendlich langen Ausbildungszeiten keinen Arbeitsplatz kriegen.
Die „Leistungsträger“, die „unsere“ Renten zahlen, sind nicht „die Jungen“, sondern die 30- bis 50jährigen, eine kostbare Minderheit, die den stetig wachsenden staatlichen Sek-tor alimentieren und die sich wundersam vermehrenden Wohltaten der Politik bezahlen muß. Bereits jetzt ist die Zahl der Menschen, die in irgendeiner Weise von der öffentli-chen Hand leben, größer als die der Personen, die das mit ihren Steuerzahlungen ermög-lichen. Was zur Folge hat, daß Politiker, die auf Mehrheiten angewiesen sind, lieber das Schwein heute schlachten, das sie morgen essen wollen. Auch bei der Merkel-Regierung geht es um die „Leistungsträger“ zuletzt. Deren Minderheit aber bezahlt – nicht nur für die „nutzlosen“ Alten, sondern auch für die jungen Hoffnungsträger, z. B. für jene Kinder, von denen niemand weiß, ob sie jemals dazu in der Lage sind oder auch nur Lust haben, später „unsere“ Renten zu bezahlen.
Wenn schon der volkswirtschaftliche Nutzen des Eva-Prinzips dürftig ist – wie sieht es dann mit dem emotionalen aus? Brauchen Kinder, aus denen mal was werden soll, ihre Mama, rund um die Uhr? Mag sein, daß es in den ersten drei Jahren schön wäre – ob-wohl auch ganz kleine Kinder Liebe von allen nehmen, die sie ihnen geben können. (Ich war damals mit unserer schlesischen Putzfrau anstelle der dauernd irgendwie entnervten Mutter außerordentlich glücklich.) Danach aber sind Mütter eher hinderlich, es sei denn, sie bereiten unermüdlich Lieblingsspeisen zu oder chauffieren ihn und sie zu Ballettun-terricht, Fußball oder Reiten.
Das Hausfrauenmodell mag schön sein, für die, die es genießen können, und die persön-liche Wahlfreiheit sei jedem unbenommen. Fragt sich nur, warum die Verwöhninstanz Eva für diesen Job hochausgebildet sein muß: als Medizinerin, Historikerin, Ingenieurin – eine ziemliche Verschwendung von Steuergeldern und human ressources. Ist es fürs Kindeswohl und für Adams Karriere unverzichtbar, daß zuhause Frau Doktor waltet?
Mit Grauen erinnere ich mich an die ätzende Sozialneiddebatte ums „Putzfrauenprivi-leg“. Damals ging es um den völlig vernünftigen Vorschlag, auch den Privathaushalt als potentiellen Arbeitgeber zu betrachten und es zu ermöglichen, daß Haushalt und Kin-derbetreuung von Frauen (und Männern) übernommen wird, die anderswo wegen feh-lender Qualifikation keinen Arbeitsplatz bekommen. Noch heute frage ich mich, wieso die steuerliche Begünstigung einer Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme im Privathaus-halt zur Entlastung Evas ein „Putzfrauenprivileg“ ist, während es völlig in Ordnung bleibt, Adam mit dem steuerlichen Anreiz des Ehegattensplittings ein wahrhaft traum-haftes Ehefrauenprivileg zu gewähren.
Aber Schluß mit der absurden Debatte. Das Problem erledigt sich demnächst von selbst. In einem Punkt haben die Katastrophenheinis ja recht: Deutschland fehlt etwas, qualifi-zierte und fachkundige Menschen, zumal die hochausgebildeten Deutschen frustriert auswandern und die per Greencard herbeigebettelten aus dem Ausland nicht daran den-ken, in unser unflexibles, überbürokratisiertes Land einzuwandern.
Aber haben wir nicht längst, was uns fehlt? Die hochqualifizierten Älteren etwa und die nicht minder hochqualifizierten Frauen, die unausgelastet ihre Kinder chauffieren, weil man ihnen noch immer einredet, daß sie bereits mit 40 zu alt für einen Arbeitsplatz sind?
Prognose: gut ausgebildete Frauen können darauf setzen, daß ihnen demnächst jeder Wunsch von den Lippen abgelesen wird, Betriebskindergarten ist da noch das mindeste. Ebensowenig wird man sich fürderhin Frühverrentungen leisten können – oder die selt-same Vorstellung, er oder sie gehöre bereits mit 40 zum alten Eisen. Auch das würde erheblichen Druck nehmen von der Generation im kritischen Alter, die mit 30 ihren er-sten gut bezahlten Job bekommt, mit 35 die biologische Uhr ticken hört und bislang damit rechen muß, mit 40 nicht wieder hineinzufinden in die Berufswelt. Und damit wä-re endlich ein Ende mit der absurden Lage, daß sich trotz zunehmender Langlebigkeit der Menschen bei guter Gesundheit die Spanne extrem verkürzt hat, in der Mensch in die öffentlichen Kassen einzahlt, also seinen „Solidarbeitrag“ leisten kann.
Warum wir uns ausgerechnet jetzt eine derart verquere Debatte über die wahren Aufga-ben der Frau als Mutter leisten, ist mir schleierhaft. Wenn ich an Verfolgungswahn litte, würde ich einen Zusammenhang vermuten: mit der hierzulande auffallend verbreiteten Empathie für in ihren Gefühlen verletzte bärtige Männer, die mit Gewalt drohen, wenn man ihnen die Burka für Frauen oder den Ehrenmord an ihren Schwestern, Frauen, Töchtern ausreden will.
Dann allerdings wäre das Eva-Prinzip kein Privatvergnügen mehr für Leute, die sich das leisten können, sondern Vorschub für eines der ältesten patriarchalischen Modelle weib-licher Unterdrückung.
Ist das westliche Dekadenz? Oder geht’s uns noch immer viel zu gut?
Thea Dorn hat jüngst in einem aufregenden Buch gezeigt, wie groß das Spektrum mo-derner Frauenbiografien ist – von der Minenräumerin Vera Bohle über die Weltmeiste-rin im Eisklettern Ines Papert bis zur Anwältin Seyran Ates. Gerade Seyran Ates, aber auch Ayaan Hirsli Ali, Nekla Kelek oder die Grünen-Politikerin Ekin Deligöz zeigen uns, wo unsere Solidarität hingehört, nicht aus sentimentalen, sondern aus ganz handfe-sten Gründen des guten (Über-)lebens. Während Frau Eva sich ins Privatleben zurück-ziehen mag, in dem hierzulande ja nur der grundgute und aufgeklärte Adam herrscht, steht für viele Frauen ihr Leben auf dem Spiel, wenn sie sich dem blutigen Ehrenkodex ihrer Väter, Brüder und Ehemänner entziehen wollen.
Mir wäre es recht, wenn Deutschland ein Land wird, in dem Frauen, die wegen ihres Geschlechts verfolgt und in ihrer Entwicklung behindert werden, ihre Intelligenz, ihr Können und ihren Ehrgeiz frei entfalten können. Eine positive Einwanderungspolitik, die für diese Frauen attraktiv ist und eine Arbeitsmarktpolitik, die weder Frauen noch Ältere gegen ein bißchen Handgeld aussortiert, wäre zukunftsträchtig ganz ohne Baby-boom. Der käme dann, womöglich, ganz von alleine.
In: Frankfurter Rundschau, 14. November 2006