Cora Stephan / 19.02.2007 / 23:40 / 0 / Seite ausdrucken

Beamte des Terrors

Brigitte Mohnhaupt, „die Beamtin des Terrors“, wie die FAZ sie treffend benennt, wird auf Bewährung entlassen, und ob Christian Klar begnadigt wird, entscheidet der Bundespräsident. Soweit alles klar und alles Rechtens. Dieser Staat nimmt keine Rache und verlangt auch keine Reue – die man wahrscheinlich noch nicht einmal hören wollte. Aufklärung darüber, wer wann wen erschossen hat, wäre indes mehr als erwünscht – aber das verbietet den RAF-Leuten ihr „Stolz“, wie Spiegel-online anerkennend bemerkt. Oder nicht vielmehr – ihre Ganovenehre?

Daß die RAF nun Geschichte geworden sei, daß man aus alledem Zeichen einer Versöhnung lesen könne, daß sich also das Thema erledigt habe, darf man getrost verneinen. Die Debatte wird spätestens zum 30. Jahrestag jenes deutschen Herbstes 1977 wiederaufflammen, der am 5. September begann, dem Tag der Entführung Hanns-Martin Schleyers durch die RAF, und am 19. Oktober kulminierte – mit der Befreiung der Geiseln in Mogadischu, der Ermordung Hanns-Martin Schleyers in Köln und dem selbstzugefügten Tod Andreas Baaders und Gudrun Ensslins im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim.
Denn es kann an dieser Front keine Ruhe geben, viel zu grauenvoll sind die Ereignisse und viel zu unterschiedlich die Wahrnehmungen dessen, was geschehen ist und wie man es zu interpretieren hat. Auch die Zeitzeugen von damals erleben, was Zeitzeugen schon immer quält: ihre differenzierte Erinnerung wird zugekleistert von Mythologisierung oder Verharmlosung. Die Jüngeren finden Prada-Meinhof irgendwie schick, die Rebellischen glauben an lautere Motive der damaligen Schießkommandos, und alle sehen irgendwie den Geist der Zeit an der Ermordung von mindestens 34 Menschen allein in Deutschland beteiligt. Chauffeure, Botschafter, Polizisten, Wirtschaftsmänner, Piloten, Bankiers und Soldaten, allesamt Schweine, wie es der Jargon der RAF wollte, die denen, die sie abknallten, das Menschsein absprachen.
Man darf manchen heute vorausgesetzten Zusammenhang bezweifeln. Wieso eigentlich gesteht man den Schießtrupps der RAF zu, im Kontext von Nazibewältigung und Vietnamkriegskritik, von Rebellion der Jugend und Aufbruchstimmung, von gesellschaftlichem Umbruch mit freiheitlicher Grundnote zu stehen, dem man doch irgendwie auch etwas zu verdanken habe, und wenn es nur ein bißchen Sex und Schönheit ist wie bei Uschi Obermeier und der Kommune I?
Daß dies alles zusammengehöre, ist ebenso Konsens wie die Behauptung, die RAF habe ihre Wurzeln in der Studentenbewegung und der sich als undogmatisch verstehenden Linken gehabt. Nanu? Ulrike Meinhof erwarb ihren Ruf im Rahmen der Zeitschrift „Konkret“, die von der SED bezahlt, ja: gesteuert wurde, was viele Konservative damals behaupteten und die „Bewegung“ durchaus wußte.
Es scheint, als ob sich dieser Konsens zwei konträren Kräften verdankte, die sich gegenseitig zu diesem Kurzschluß anspornten: den Konservativen von damals, die hinter jeder Auflösung allgemeiner Sittenstrenge und jedem Langhaarigen den Staatsfeind lauern sahen und den Studentenbewegten, die sich schon deshalb zur Solidarität mit allem möglichen Unsinn genötigt fühlten. Hieß nicht, glaubten damals erstaunlich viele, Kritik an der RAF Einverständnis mit den Verhältnissen? Der Gruppendruck verbot, die Verbindungslinien zu einer kleinen Gruppe Schießwütiger zu kappen, mit denen die meisten damals weniger Solidarität als vielmehr Angst verbanden.
Mich jedenfalls überkommt noch im Nachhinein das große Staunen. Gab es denn wirklich einen direkten Weg von westdeutschen Kommunarden und Haschrebellen ins Palästinenserlager? Von der antiautoritären Schülerbewegung zur paramilitärischen Schießorganisation? Von den Rolling Stones, dem Minirock, den Blumenkindern und dem freien Sex zur verklemmten Sprache der selbsternannten Metropolenguerilla und in die DDR? Und wieso hat die Demokratie davon profitiert, daß man den Rechtsstaat jahrzehntelang gründlich mißverstanden hat?
Ja, der Staat hat damals nicht selten überreagiert. Aber auch die andere Seite hegte oft ziemlich pittoreske Vorstellungen von Demokratie und Rechtstaat. Aus dem Imperativ des „Nie wieder!“ entwickelte sich ein Widerstandspathos, mit dem man, da „1933“ ja stets wieder geschehen könne, überrechtlichen Notstand reklamierte. Noch in der nicht zuletzt als Reaktion auf den deutschen Herbst gegründeten grünen Partei geisterte die Vorstellung von der potentiellen Gefährlichkeit eines Gewaltmonopols des Staates, in keineswegs nur seligem Verkennen seines zivilisatorischen Fortschritts gegenüber den Zeiten von Bürgerkrieg und Lynchjustiz.
Nicht die RAF und ihre Nachfolgeorganisationen sind das Rätsel – sondern die Schwäche der damaligen „linken“ Öffentlichkeit, die den Militanten erlaubte, auf klammheimliche Freude und öffentliche Solidarität zu setzen. Gesiegt aber hat unübersehbar der Rechtsstaat, der mit der vorzeitigen Entlassung von Brigitte Mohnhaupt klarstellt, daß seine Grundsätze auch für den schlimmstmöglichen Gegner gelten. Darin unterscheidet er sich von ihr und all den anderen, die sich im Exekutieren ihrer nur noch „Schweine“ genannten Feinde gefielen.
In Deutschland gibt es keine Todesstrafe. Das Gewaltmonopol des Staates sorgt dafür, daß es auch von selbsternannten Freiheitskämpfern gleich welcher Sitzordnung nicht wieder eingeführt werden kann.

Für: Signale, DeutschlandRadio, 18. Februar 2007

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Cora Stephan / 08.03.2024 / 06:15 / 49

Männer! Richtige Männer! Es gibt sie noch!

Botschaft an alle Männer, die heimlich daran zweifeln, dass es 99 Geschlechter gibt, ein Mann per Selbstermächtigung zur Frau wird und Frauen die besseren Menschen…/ mehr

Cora Stephan / 29.02.2024 / 11:00 / 51

Daniela Klette und der vergessene Linksextremismus

Die Innenministerin ist voll des Lobes angesichts der Festnahme von Daniela Klette, 65 Jahre alt, Mitglied der RAF, Dritte Generation. Fahndungserfolg nach nicht einmal 30…/ mehr

Cora Stephan / 15.02.2024 / 06:05 / 65

Toxische Weis(s)heit: Die Heuchler von Ulm

Eine Stadt die in der Coronazeit durch besonders rigide Freiheitseinschränkungen von sich reden machte, setzt sich plötzlich für „Vielfalt und Demokratie“ ein. Ulm ist ein…/ mehr

Cora Stephan / 10.02.2024 / 12:00 / 36

Merz in Grün?

Was geht im Kopf eine Politikers wie Friedrich Merz vor, der die Grünen erst zum Hauptgegner erklärt und dann eine Koalition mit ihnen nicht mehr…/ mehr

Cora Stephan / 25.01.2024 / 10:00 / 35

Preisverleihungen nur noch auf Bewährung!

Wer einen Preis verliehen bekommt, weil er was besonderes geleistet hat, sollte sich sehr genau überlegen, mit wem er künftig redet. Sonst ist der womöglich…/ mehr

Cora Stephan / 11.01.2024 / 10:00 / 55

Bauer, Trecker, Fußtritt

Was derzeit bei den Bauern los ist, hat eine weit längere Vorgeschichte als der Versuch einer unfassbar täppisch agierenden Regierung, bei den Landwirten Steuervergünstigungen und…/ mehr

Cora Stephan / 04.01.2024 / 16:00 / 10

Was soll das sein, ein neues Jahr?

Will jemand ernsthaft behaupten, das bloße Auswechseln der letzten Zahl des Datums bedeute bereits etwas wirklich und wahrhaftig ganz anderes? An die Magie von Zahlen…/ mehr

Cora Stephan / 21.12.2023 / 10:00 / 82

Stimme der Provinz: Mit Bauern spaßt man nicht!

Fast hat er mir leid getan, der brave Cem, als er mit erstarrtem Gesicht der Tirade des Bauernpräsidenten Rukwied zuhören musste. Bauern können sehr laut…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com