Die Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) ist die mit Abstand kleinste der drei politischen Gemeinschaften des belgischen Bundesstaates. Trotzdem verfügt der ostbelgische Gliedstaat über eine eigene Regierung, ein eigenes Parlament und eine eigene Verwaltung. Künftig sollen diese Strukturen um eine Art ständigen Bürgerdialog erweitert werden. Am 25. Februar stimmte das Parlament der DG einstimmig für die Einrichtung eines permanenten Bürgerrats in der Hauptstadt Eupen, sowie regelmäßig stattfindender Bürgerversammlungen.
Der Bürgerrat soll aus 24 Männern und Frauen bestehen, von denen alle sechs Monate ein Drittel durch neue Mandatsträger ersetzt wird. Diese kommen aus Bürgerversammlungen von 25 bis 50 Mitgliedern, die per Los ermittelt werden. Pro Jahr sollen diese zeitlich befristeten Panels ein bis drei Themen behandeln, die von der Regierung, dem Parlament, zwei seiner Mitglieder oder normalen Bürgern vorgeschlagen werden können. Ausgelost werden kann jeder Einwohner der Region, der mindestens 16 Jahre alt ist und kein politisches Mandat innehat. Die Teilnahme an den Bürgerversammlungen ist freiwillig, pro Sitzung gibt es eine Unkostenvergütung.
Der Bürgerrat soll dafür sorgen, dass die Bürgerversammlungen passend zur Agenda einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Beim Thema Landwirtschaft müssen zum Beispiel Landwirte vertreten sein. Die Beschlüsse der Bürgerversammlungen werden mit mindestens einer Vierfünftel-Mehrheit verabschiedet und sind nicht rechtlich bindend. Allerdings müssen sich die Regierung und das Parlament der DG öffentlich rechtfertigen, wenn sie die Empfehlungen der Bürger nicht umsetzen wollen.
Laut dem belgischen Sender VRT wurde das Konzept des ständigen Bürgerdialogs in Zusammenarbeit mit 13 Experten aus aller Welt entwickelt, darunter der belgische Historiker David Van Reybrouck, der in seinem Buch „Gegen Wahlen“ Losverfahren als Mittel gegen den Populismus empfiehlt. Finanziert werde das Projekt aus Mitteln der DG selbst, sowie von der „Open Society Initiative for Europe“ des amerikanischen Multimilliardärs und Spekulanten George Soros.
Offiziell starten soll der Bürgerdialog am 1. September 2019. In einem aktuellen Meinungsbeitrag würdigt David Van Reybrouck das Projekt als mutigen, historischen Schritt. Das belgische Experiment sei eine Chance, die Idee der Bürgerbeteiligung ernst zu nehmen, bevor die politische Unzufriedenheit die demokratischen Prozesse in Europa zerstöre. Ob regelmäßige Gesprächstherapie-Sitzungen mit ausgewählten Bürgern wirklich die Spannungen in unseren Gesellschaften auflösen können, bleibt zu sehen.