Wenn der Denker René Descartes 400 Jahre später geboren worden wäre, dann hätte er mit einer Sperrung seines Facebook-Accounts rechnen müssen. Die französische Regierung hat neulich eine Verordnung gegen die Hasskriminalität im Netz aufgelegt, die sich am deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) orientiert. Nun hat Descartes zwar keine Hate Tweets gepostet. Er hat aber den Hass aufgewertet, indem er ihn als Teil des normalen emotionalen Inventars definierte. Und das wäre ihm wohl als Empfehlung für die Digitalstammtische ausgelegt worden.
Deutsche Kritiker werten das NetzDG als Anschlag auf die Meinungsfreiheit, weil sie meinen, dass die Internetportale nur schwer der Versuchung des „Overblocking“ widerstehen können und deshalb mehr löschen, als sie müssen, einfach um ein Bußgeld zu vermeiden. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Zensur.
Der Account des grünen Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer etwa wurde von Facebook vorübergehend gesperrt, weil er in einem Posting das Wort „Mohrenköpfe“ verwendet hatte. Das zeigt, wie albern das Gesetz ist.
Zur Begriffsbestimmung schrieb die „Zeit“ in einer „Gebrauchsanweisung für ein Gefühl“, er könne Energie freisetzen und Identität stiften. Er erschaffe jedoch nie etwas, ohne gleichzeitig zu zerstören. Allerdings kann er, wie die „Zeit“ richtig beobachtete, politischen Inhalten Schubkraft geben, guten wie schlechten.
Max Frisch hat in seinen frühen Dichterjahren darauf hingewiesen, dass man Hass für gute Zwecke mobilisieren kann. Im Zweiten Weltkrieg waren Millionen Europäer vom „gerechten Hass“ auf Adolf Hitler beseelt. Es war der „Hass der Vernunft“, wie Immanuel Kant ihn nannte. Er war eine starke Waffe gegen die Diktatur der Besatzer. „Die Heilsarmee in Ehren“, sagte Frisch. „Aber sie hat noch kein besetztes Land befreit.“
Ihr kriegt meinen Hass nicht
Manche Menschen haben Hass aus ihrem Vokabular gestrichen. Die News-Agenturen berichteten, dass der neuseeländische Muslim Farid Ahmed, der bei dem Massaker in Christchurch im März seine Frau verlor, über den Killer sagte: „Ich liebe ihn, um ehrlich zu sein. Wahrscheinlich hat er ein Trauma erlebt, wahrscheinlich wurde er nicht geliebt. Ich hasse ihn überhaupt nicht.“ Das klingt grotesker, als es ist. Auch Jesus hat gesagt: „Liebet eure Feinde“.
Für einen Muslim ist die Zuneigung zu dem Killer nicht selbstverständlich. Toleranz und Nächstenliebe sind nicht die stärksten Seiten des Islam. Farid Ahmed sieht in seiner Unfähigkeit, zu hassen, trotzdem keinen charakterlichen Defekt.
Auch der Pariser Kulturredakteur Antoine Leiris, dessen Ehefrau am 13. November 2015 von einem Assassinen-Kommando des „Islamischen Staates“ im Musikclub „Bataclan“ ermordet wurde, unterwarf sich nicht dem Gesetz von Auge um Auge, Zahn um Zahn. Er ist jetzt mit seinem vierjährigen Sohn Melvil allein. Den Killern hat er per Facebook mitgeteilt, sie würden seinen Hass nicht bekommen.
Bei der Mordorgie in Paris kamen 90 Menschen ums Leben, zum Teil auf bestialische Weise. 40 weitere töteten die IS-Killer auf der Straße und in einer benachbarten Bar. Darf man die Täter nicht hassen?
Hass wird nicht immer unkonditioniert bekämpft, sondern nur, wenn er aus dem anderen Lager kommt, Rechte bekämpfen den linken und Linke den rechten Hass. Die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Carolin Emcke hat ein ganzes Buch über das Thema verfasst, das heißt „Gegen den Hass“. In der „Süddeutschen“ hat sie auch ihren Zorn auf eine „lynchwütige Meute“ in Chemnitz ausgebracht. Sie schrieb, manche hätten „explizit töten“ wollen. Woher weiß sie das, und wie passt das zu dem Buchtitel?
US-Präsident Donald Trump kriegt ständig was auf die Rübe
Wahr ist: Das einzige Mord- oder Totschlagsopfer in Chemnitz war letztes Jahr der naturalisierte deutsche Familienvater Daniel Hillig mit kubanischen Wurzeln. Der Tat verdächtigt wird der syrische Asylbewerber Alaa S. Der mutmaßliche Komplize, Fahad A. aus dem Irak, ist auf der Flucht.
In den Digitalausgaben der Medien kriegt vor allem US-Präsident Donald Trump ständig was auf die Rübe. Bei manchen Kolumnisten springt der Rumpelstilzchen-Modus an, wenn das Thema anliegt. Der deutsche Anti-Yankee-Journalismus hat zum Teil Yellow-Press-Niveau.
Nicht unumstritten waren zwei Trump-Titel im „Spiegel“. Der eine zeigte einen Asteroiden mit Trump-Visage im Anflug auf die Erde, daneben die Zeile „Das Ende der Welt“ und kleiner „wie wir sie kennen“. Auf dem anderen hielt ein stilisierter Trump in der Linken ein blutverschmiertes Messer und in der Rechten den abgeschnittenen Kopf der Freiheitsstaue.
Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff befand, der Kopf-ab-Titel spiele „in ekliger Weise mit dem Leben von Terroropfern.“ Er sage mehr über die ,Spiegel“-Redaktion aus als über Trump.“ Der Deutsche Presserat wies trotzdem 21 Beschwerden dagegen ab. Unbeanstandet blieb auch der „Stern“-Titel vom August 2017, der den Präsidenten der Nation, die Deutschland von der Hitlerei befreite, auf der Umschlagseite mit deutschem Gruß zeigte.
Wie man unpopuläre Politiker sensibler parodiert, zeigte im Februar 2017 ein Titel-Cartoon des Magazins „The New Yorker“. Darauf ist eine Faust der Lady Liberty mit einer erloschenen Fackel zu sehen, von der dünner Rauch in den Nachthimmel aufsteigt.
Hass ist beherrschbar, wenn man will
Dem „Spiegel“ ist bei aller Lust am Beckmessern eine gewisse Nachdenklichkeit nicht fremd. In einem Artikel über den lädierten Ruf gewisser Medien veröffentlichte Redakteurin Isabell Hülsen Auszüge aus dem Brief eines Lesers, in dem es hieß, der „Spiegel“ betreibe „die intelligenteste und gleichzeitig bösartigste Verdummung der Leser“. Hülsen ist inzwischen zur Leiterin der Wirtschaftsredaktion aufgestiegen. Nach dem Relotius-Skandal ist das ein Indiz dafür, dass Rückgrat sich im Glashaus an der Hamburger Ericus-Spitze immer noch auszahlt.
Wer eine „Gruppe der Bevölkerung“ – wie es in Paragraph 130 StGB heißt – verunglimpft, macht sich der Volksverhetzung schuldig. Ein türkischer Staatsbürger, der am 15. Februar 2017 in Hamburg vor Gericht stand, weil er die Deutschen nach der Bundestagsdebatte über die Massaker an den Armeniern als „Hundeclan“ in einer anderen Übersetzung als „Köterrasse“ diffamiert hatte, kam aber ungeschoren davon. Die Deutschen“ sind ja nicht nur eine Gruppe. Deshalb, so fand das Gericht, kann man sie nicht als Kollektiv beleidigen. Wenn der Türke einen beliebigen Deutschen auf der Straße als Köter angestänkert hätte, wäre der Mann wohl bestraft worden.
Hass ist beherrschbar, wenn man will. Die Hollywood-Schauspielerin Zsa Zsa Gabor hatte ihn immer unter Kontrolle. Sie sagte einmal: “Ich habe keinen Mann so gehasst, dass ich ihm die Brillanten zurückgegeben hätte.“
Es kommt vor, dass der Gehasste den Hass – quasi interaktiv – verwendet. Greta Thunberg aus Stockholm, die sich mit Appellen zum Klimaaktionismus an die Rampe spielt, sagte über ihre Kritiker: „Es ist ein gutes Zeichen, dass sie mich hassen.“ Jedoch, Klein-Greta nimmt sich zu ernst. Niemand hasst sie, so weit sich das überschauen lässt. Aber nicht wenige finden, sie sei naiv. Hass geht anders.