Henryk M. Broder / 17.03.2007 / 18:57 / 0 / Seite ausdrucken

Beim Emir von Qatar 4

Julia Nasser wurde in Paraguay geboren und wuchs in Brasilien auf, als Kind libanesischer Christen, die nach Südamerika ausgewandert waren Jetzt lebt sie in Qatar und arbeitet als „Media Coordinator“ für Al Jazeera. Das heißt, sie führt Besucher durch den Sender. Wie überall beim Fernsehen kann die Wirklichkeit mit den Erwartungen nicht mithalten. Al Jazeera liegt am Rande von Doha in einem umzäunten Gelände, ein paar Flachbauten zwischen Palmen. Der große und bunte Newsroom ist ziemlich eindrucksvoll, alles übrige könnte auch Radio Bremen sein.

Auf die Frage, wem Al Jazeera gehört, geht Julia gleich in die Defensive. „Die Regierung macht uns keine Vorschriften, wir sind vollkommen unabhängig.“  Kollege Pecanin, Gründer, Verleger und Chefredakteur des Wochenmagazins DANI in Sarajewo, möchte es genauer wissen. „Was sagen Sie dem Vorwurf, dass Sie die eigene Regierung nicht kritisieren?“ Julia lächelt und sagt: „Weil es nichts zu kritisieren gibt.“ Pecanin ist sprachlos.

Dann führt uns Julia in das „Newseum“, den Schrein von Al Jazeera.

Er ist drei Al Jazeera-Reportern gewidmet. Tayseer Allouni, der in Spanien verhaftet wurde, nachdem er ein Interview mit Ossama gemacht hatte; Sami Al Haj, der in Afghanistan verhaftet wurde und seit Jahren in Guantanamo festgehalten wird; Tareq Ayoub, der bei einem alliierten Bombenangriff auf Bagdad ums Leben kam. Ayoubs Reporterweste, die er im Moment seines Todes anhatte, ist in einer Vitrine zu sehen. In der Vitrine daneben liegen Briefe, die Sami Al Haj aus Guantanamo an seine Familie geschrieben hat. In der dritten Virtine stehen die Wanderschuhe, die Tayseer Allouni trug, als er Ossama Bin Laden in dessen Versteck interviewte.

Die wichtigste Reliquie freilich ist eine Seite im Gästebuch von Al Jazeera mit einem Eintrag des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez, der Al Jazeera am 28. Juli 2oo6 besucht hatte. Er lobte den Sender als ein „Beispiel für Würde“ und „guten Journalismus“ und unterzeichnete die Botschaft mit „Venceremos!“

Damit ist die Führung beendet. Ich möchte gerne noch in die Cafeteria, aber Julia sagt, dass sie in fünf Minuten die nächste Gruppe hat und uns nicht allein lassen darf. Kollege Pecanin sagt: „I am really disappointed, I was expecting more.“

Draußen gibt es keine Taxis. Wir halten einen leeren Touribus an, der uns zurück ins Zentrum bringt. Wir gehen ins „Center“, eine gigantische Shopping-Mall mit einer Eiskunstbahn und einem überdachten Rummelplatz. Der Al Jazeera-Schock muss verarbeitet werden. Wir setzen uns bei Starbucks hin und überlegen, wie wir den Nachmittag würdig fortsetzen.

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