Dushan Wegner, Gastautor / 03.08.2018 / 12:30 / 61 / Seite ausdrucken

Bedford-Strohm und das Leben der Anderen

Sozialisten, sagt man, geben gern das Geld anderer Leute aus. Linke Populisten versprechen buchstäblich „Reichtum für alle". Wer soll das bezahlen? Der kleine Mann. Am Ende zahlt immer der kleine Mann. Sie meinen, solche Heuchlerei sei ungerecht und unehrlich, vor allem wenn sie tatsächlich in die Nähe der Macht kommt? Wir sehen etwa Berlin, diesen rot-rot-grünen, von Bayern durchgefütterten failed state, und wir sind wütend auf diesen real existierenden Populismus? Ich sehe es auch und ich stimme Ihnen zu – doch: es geht schlimmer. Viel schlimmer.

Beim Trauergottesdienst für eine mutmaßlich von einem marokkanischen LKW-Fahrer getötete Tramperin, die sich auch für Flüchtlinge engagiert hatte, sagte Heinrich Bedford-Strohm (Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland) dies:

"Vielleicht wäre sie noch am Leben, wenn sie aus dem Mißtrauen heraus gelebt hätte. Aber wäre das das bessere Leben gewesen?"

Mir wird bei diesem Zitat heiß und kalt. Es gibt eine Grenze, die meines Erachtens nicht überschritten werden sollte, eine Trennlinie zwischen gefühligem Wir-haben-uns-alle-lieb und gefährlicher Ideologie. Ich frage mich, ob SPD-Mitglied und Kirchenmann Bedford-Strohm mit diesen Sätzen einen gefährlichen Schritt über diese Grenzen getan hat.

Abraham opfert seinen Sohn

In Buch Genesis berichtet uns die Bibel von Abraham, der von Gott aufgefordert worden war, seinen Sohn zu opfern. Abraham gehorchte. Er band seinen Sohn Isaak, und er hatte schon die Hand am Messer, als Gott sprach: "Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts" (1. Mose 22:12a).

Christen (und US-Sportfans) kennen den Vers Johannes 3:16: "Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." (Johannes 3:16)

Was wäre, wenn ein Mensch tatsächlich zu der Überzeugung gelangt, Abraham zu sein, und daraufhin beschliesst, in einem übertragenen Sinn sein Kind in Gefahr zu bringen, aus ideologischer oder religiöser Motivation? Nennen Sie mich zynisch, meine Schultern sind stark genug dafür, aber die harte Wahrheit ist: In der Realität gibt es keinen Gott, der das Messer im letzten Moment aufhält und einen Widder an Stelle des Menschen bereitstellt. Anders als der Sohn Gottes werden unsere eigenen Söhne und Töchter auch nicht drei Tage später wieder auferstehen, wenn sie vor ihrer Zeit sterben.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass, je lauter sich ein Prominenter auf Gott und die Bibel beruft, umso geringer die Chance ist, dass er die Bibel tatsächlich gelesen und verinnerlicht hat. (Und die Funktionäre von Kirchen, deren Wohlfahrtskonzerne an Merkels Welteinladung reich verdienen, die sind nochmal eine eigene Hausnummer.) Vielleicht verlassen sich diese Promis darauf, dass ihr Publikum genauso wenig Ahnung von der Bibel hat wie sie selbst – und ebenso wenig Interesse, ihre Unkenntnis zu beheben. Ich fürchte, sie liegen immerhin darin richtig.

Würden diese Funktionäre nur selbst den Mut aufbringen

Als ich es zu sagen wagte, dass das Blut der Opfer an den Händen der Gutmenschen klebt, flippten einige Gutmenschen aus. Ich wurde übel beschimpft, bis hin zu rassistischen Beleidigungen aus dem Kontext gewisser ZDF-Promis. Mein Bauchweh ist seitdem nicht geringer geworden, im Gegenteil. Ich frage: Gibt es irgendeine Ideologie, irgendeinen moralischen Kodex, der rechtfertigen könnte, seine Kinder dafür in Gefahr zu bringen, und sei es nur durch Aufrechnung?

Als der erwähnte Funktionär vor einiger Zeit in Jerusalem den Felsendom besuchte, legte er das Kreuz ab, das er sonst auf der Brust trägt (siehe zum Beispiel Jan Fleischhauer), ach, würden diese Funktionäre nur selbst den Mut aufbringen, den sie den kleinen Schäflein zusprechen! Ist jener Mann ein "Gutmensch"? Es spielt keine Rolle. Was er sagt, ist gefährlich – und wirkt geheuchelt. Es geht nicht um den Kirchenfunktionär mit SPD-Parteiausweis (laut faz.net), es geht um die Wirkung, die solche undurchdachten Worte auf Menschen haben könnten.

Ich betrachte diese Worte losgelöst, als Worte, die in einer Gesellschaft und einer Zeit gesprochen wurden. Ich betrachte diese Worte losgelöst vom Sprecher (ich werde sowieso nicht mit jemandem argumentieren, dem ich nicht abnehme, dass er solches wirklich glaubt), aber nicht losgelöst von der Situation und schon gar nicht von der Wirkung. Diese Worte allein und für sich befeuern eine gefährliche Ideologie, die wir als "Gutmenschentum" kennen.

Alles hat Kontext, und heute ist der Kontext eben immer global. Die Hamas schickt Kinder in Todesgefahr, aus politischen und zugleich aus ideologischen Gründen. Ich meine, die Lautsprecher des Westens sollten sich weit davon entfernt halten, in den Verdacht geraten zu können, die Kinder des Westens dazu zu motivieren, aus ideologischen oder religiösen Gründen ihr Leben zu riskieren.

Eine gefährliche und zu oft tödliche Ideologie

Gutmenschen sind radikalisierte Gesinnungsethiker, welche nicht die Folgen ihrer Handlungen zum Leitbild ihrer Ethik nehmen, sondern das Bauchgefühl, das sie bei der Ausführung hatten.

Manche von uns meinen, dass ein Gutmensch von seiner Verblendung schon noch abkommen wird, wenn er erst die Folgen seiner undurchdachten Handlungen erlebt. Auch ich habe es eine Zeit lang gehofft. Ich hoffe es immer weniger. (Siehe auch  Seid’s ihr völlig deppert?!)

Gutmenschentum ist eine gefährliche (aber profitable) Ideologie, die zynisch den Tod von Menschen in Kauf nimmt. Wenn man uns dereinst fragen wird, wie es zu diesen Ereignissen kommen konnte, werden wir sagen müssen: Zu viele von uns hatten einen kollektiven Wahn, und die Obrigkeit nutzte diesen Wahn aus. Diejenigen von uns, die davor warnten, nannten den Wahn das "Gutmenschentum".

Ich lehne Gutmenschentum nicht (nur) aus philosophischen Gründen ab. Ich lehne Gutmenschentum nicht nur deshalb ab, weil es inkohärent ist und den menschlichen Fortschritt seit der Aufklärung drangibt. Ich kämpfe mit logischen Argumenten und ethischen Erklärungen gegen das Gutmenschentum, weil es eine gefährliche und zu oft tödliche Ideologie ist.

Ich verstehe nicht, wie man eine Handlung mit "gutem Bauchgefühl" ausführen kann, wenn man realistisch ahnt, dass dadurch Menschen unnötig sterben könnten. Ich bin 180 Grad anders gestrickt als ein Gutmensch: Mir ist komplett egal, ob man mich heute beschimpft, wenn ich ahne, dass ich Gutes für morgen und übermorgen tue. Ich weiß, dass ich damit nicht allein bin – aber auch gewiss nicht in der Mehrheit.

Die relevante Struktur der Gutmenschen ist das ethische Bauchgefühl im Moment ihrer Handlung – selbst wenn es später Tote gibt oder ganze Länder destabilisiert. (Ich muss an Gandhi denken, der den Juden vorwarf, sie hätte sich zum Zeichen opfern lassen sollen). Ich fürchte, dass manche Fanatiker sich unbewusst sogar von der Möglichkeit eines Opfers bestätigt fühlen könnten; so wie ein teurer Wein vielen Menschen "besser" schmeckt als derselbe für den halben Preis. Unsere relevanten Strukturen sind das friedliche Zusammenleben der Menschen, eine nachhaltige Gesellschaftsordnung, die Werte der Aufklärung, und – zuerst und vor allem – das Leben selbst. Nichts ist wichtiger als das Leben.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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Susanne v. Belino / 03.08.2018

Ob hier wohl derselbe Herrn Bedford-Strohm gemeint ist, der es angeblich vorzieht, in seiner “zweiten Heimat” (Südafrika) ausnehmend eigen-sicherheitsbewusst innerhalb eines sgn. Gated Estates zu wohnen? Bekanntlich sind diese abgeschlossenen, meist “weißen” Wohnsiedlungen von hohen Elektrozäunen umgeben; zudem werden sie an sieben Tage in der Woche rund um die Uhr von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht. Ich frage mich ernsthaft, wie dieser Mann es schaffen mag, seine Rede mit der eigenen Lebensführung in Einklang zu bringen. Normalerweise wird eine solche Diskrepanz unter Heuchelei verbucht.

Werner Geiselhart / 03.08.2018

Vorschlag: Herr Bedford-Strohm begibt sich, diesmal mit umgehängtem Kreuz, voll Vertrauen in ein IS-Camp. Lasst Taten sprechen!

Carmen Müller / 03.08.2018

Ein Grund mehr aus der Kirche auszutreten….und , beim Regimechange , die Steuergelder von uns alle ,für die Kirche ,streichen.

Dieter Weingardt / 03.08.2018

Sehr geehrter Herr Wegner, nicht erst seit dem Mittelalter sammelt sich unter derm Begriff der Imitatio Christi so allerelei, was gehörig an der eigentlichen Bedeutung von “Nachfolge” vorbei gehen dürfte, bzw. vielleicht ordentlich einen an der Klatsche hat. Es gab die Selbstverstümmeler, die Flagellanten, die Werkfrommen aller Art, nicht zu vergessen die Täufer (Münster) und Endzeitspinner aller Zeiten. Auch das Reich Gottes als Gesellschaftsform findet immer seine Gemeinde. “Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten” dichtete Heine im Wintermärchen. Und heute: Im Paradies von “no borders” geht höchstens mal was schief, wenn es an “Empathie” fehlt. Hier wird ein grundfalsches, schwärmerisches und verantwortungsloses Menschenbild propagiert, das in krassem Widerspruch zur biblischen Lehre an sich und insbesondere zu Realisten wie Paulus oder Luther steht.

Udo Lattek / 03.08.2018

Der Text ist sehr gut zu lesen und die Argumentation recht stimmig, dennoch sollten Sie vom Begriff des toxischen Begriffs “Gutmensch” Abstand nehmen, wenn es Ihnen nicht nur um Zuschreibung und Plakatierung geht, sondern vor allem um die Durchdringung der Denkfehler einer wohlmeinenden aber absurden und mitunter tödlichen Willkommensideologie. Um nicht mißverstanden zu werden: Der Satz vom Kirchenmann Bedford Strohm ist an Selbstherrlichkeit und Zynismus nicht zu überbieten.

Archi W. Bechlenberg / 03.08.2018

Ich las gestern diesen Satz von B-S, und ich musste ihn länger wirken lassen. Wüsste ich nicht, wer der Urheber ist, ich hätte gesagt “Niemand, der bei Verstand ist, kann so etwas im Ernst gesagt haben.” Aber B-S ist mir nun einmal ein Begriff, und da kann ich nur feststellen: “Niemand, der bei Verstand ist, kann so etwas im Ernst gesagt haben.”

J.P.Neumann / 03.08.2018

Wenn es denn nur Haltung wäre, dann könnte man das noch als Naivität abhaken.  Ist es aber nicht, denn die Kirche mischt aktiv mit - auf seiten der Täter.  So war beispielsweise der Doppelmörder vom Jungfernstieg Mitglied der “Lampedusa-Gruppe” der ev.Kirche. Das Einzige was dem Pfaffen nach den Morden einfiel, war die Öffentlichkeit zu ermahnen “keine Vorurteile gegen Flüchtlinge” zu hegen. Er selbst war sich keiner Schuld bewußt. (Kollege Pontius Pilatus läßt grüßen).

Martin Lederer / 03.08.2018

Nach diesem Zitat dachte ich auch: Eigentlich müsste Bedford-Strom zurücktreten. Aber nachdem die linke mediale Empörungsmaschinerie nicht anläuft, Zurücktreten heute nicht mehr in ist (siehe Löw und Merkel) und sogar die Eltern der Toten sich nicht aufregen, wird nichts passieren.

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