Hermann Detering, Gastautor / 08.11.2016 / 14:33 / Foto: toutlecine / 2 / Seite ausdrucken

Bedford-Strohm, Marx und das Kreuz mit der klaren Kante

Von Hermann Detering.

Nein, keine Fortsetzung des Films: „Stan und Olli im Heiligen Land“, sondern bittere Wahrheit. Die BILD-Zeitung sprach von einer „Kirchen-Sensation“. Aus „Respekt“ gegenüber ihrem muslimischen Gastgeber hatten der katholische Kardinal Marx sowie der Vorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Bedford-Strohm, beim Besuch des Tempelberges in Jerusalem auf das Tragen des Kreuzes verzichtet.

In medialen Zeiten, in denen ein „freundliches Gesicht“ mancherorts bereits als Ersatz für politische oder theologische Kompetenz gilt, ist es nicht ganz überflüssig,  auf die theologiegeschichtliche Tiefendimension dieses Vorgangs hinzuweisen und kurz zu beleuchten was es aus islamischer, aber auch aus christlicher Sicht damit auf sich hat.

Was das Kreuz für den Islam bedeutet

Was den Islam anbelangt, so ist die Ablehnung des Kreuzes und der Kreuzesverehrung offenbar ein fester Bestandteil der theologischen DNA. Sie lässt sich aus mittelalterlichen Quellen belegen, ist aber viel älter und vermutlich so alt wie der Islam selbst. Für islamische  Theologen ist das Kreuz die Torheit des Christentums schlechthin.  Ein mittelalterlicher Theologe sagt, er würde lieber den Esel, auf dem Jesus in Jerusalem einzog, verehren als das Kreuz. Ihm gilt das Kreuz als eine Erfindung Satans, der das Christentum mit dem schändlichen Symbol zu kompromittieren sucht.

Im Übrigen stellt das Kreuz aus islamischer Sicht innerhalb des Christentums eine Neuerung dar, die erst von Paulus, zusammen mit dem nicht weniger verwerflichen Glauben an die Gottheit Christi und der Trinitätslehre, auf betrügerische Weise eingeführt worden sein soll. An den Christen ergeht daher die Aufforderung: „Gib deinen Unglauben und Irrtum und ... den Glauben an Vater, Sohn und Heiligen Geist (auf), sowie die Verehrung des Kreuzes, die doch nichts nützt.“

Wenn richtig ist, was renommierte Religionswissenschaftler vermuten, hat der Islam eine längere Vorgeschichte, die bis in das Judenchristentum des zweiten Jahrhunderts zurückreicht. Bis hierhin reicht auch die Verwerfung  des Kreuzes, die sich also keineswegs aus antik heidnischen, sondern primär aus innerchristlichen, will sagen judenchristlichen Quellen speist.

Als synkretistische Religion hat der Islam solche und andere Vorstellungen übernommen und sich zu eigen gemacht. Dabei ist der tiefste Grund seiner Kreuzesablehnung die sogenannte Theologia crucis. Die paulinische Kreuzestheologie ist nach islamischer Auffassung  die Ursache dafür, dass der echte Stand der Offenbarung, dem wir z.B. in manchen Worten Jesu begegnen und die der Koran bezeugt,  verfälscht wurde. Dementsprechend gilt Paulus als Betrüger, seine Lehre als eine spätere Lehre, die von der ursprünglichen Lehre Jesu abweicht. „Paulus hatte vor“, so sagt ein islamischer Theologe, „euch Christen aus der  geoffenbarten Religion herauszuziehen, wie man ein Haar aus dem Teig zieht“.

Aus dieser islamischen Sicht ergibt sich aber auch, dass ein Christentum ohne Kreuz, ein  Christentum ohne Paulus und ohne Theologia crucis bereits ein halber Islam ist. In diesem Sinne könnte der Verzicht führender christlicher Repräsentanten auf das Kreuzessymbol in den Augen muslimischer Theologen geradezu als Indiz dafür gewertet werden, dass der islamische Anspruch, Träger der eigentlichen, noch nicht durch Paulus entstellten christlichen Überlieferung zu sein, innerhalb des islamisch-christlichen Dialogs verhandelbar ist.

Was das Kreuz für das Christentum bedeutet

Für den christlichen Glauben bedeuteten Kreuz und Theologia crucis zunächst nichts anderes als die Freiheit der Heidenchristen vom Gesetz. Die Kreuzestheologie ermöglichte ihnen  den Zugang zum Christentum ohne Beschneidung  und Einhaltung gewisser alttestamentlicher Speisegebote. Später, d.h. vor allem zu Zeiten der Reformation, schloss der Freiheitsgedanke auch den Kampf gegen Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit ein. Die „Freiheit eines Christenmenschen“ bei Martin Luther beruht im Wesentlichen auf der von ihm wiederentdeckten paulinischen Theologie.

Nun ist gegenüber islamischen Gesprächspartnern  aus historisch-kritischer Sicht  durchaus zuzugeben, dass der Paulinismus innerhalb des frühen Christentums offenbar eine spätere Entwicklungsstufe darstellt, unabhängig davon, ob dieser einige Jahre oder Jahrzehnte später oder, wie einige islamische Theologen glaubten, erst 150 Jahr nach Christus entstand.

Richtig ist aber auch, dass die paulinische Lehre zur theologischen Basis des späteren großkirchlichen Christentums geworden ist, ohne die dieses nie zur Weltreligion hätte werden können.  Vor allem die protestantische Kirche ist eine Kirche des Kreuzes, da Luthers reformatorische Entdeckung, sich  wie gesagt,  im Wesentlichen auf Paulus und dessen Kreuzestheologie bezog. 

Angesichts des Verhaltens seines obersten Repräsentanten könnte sich die evangelische Kirche in Deutschland das teure Luther- und Reformationsgedenken im Prinzip  sparen und den jetzt allerorten auftauchenden Luther-Kitsch am besten gleich in die Tonne treten. Der Kern der lutherischen Freiheitsbotschaft  wird hier, wie es scheint, nicht mehr verstanden.

Nun spricht aber einiges dafür, dass sowohl Bedford-Strohm wie auch Kardinal Marx ihrem Vorgehen keine grundsätzliche Bedeutung beimessen. Wenn dem so ist, sollte man von ihnen erwarten, dass sie auch in der Lage sind, dies deutlich zu machen und zu zeigen, dass das Kreuz für sie keine Nebensache darstellt, sondern wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil einer im Laufe von Jahrhunderten gewachsenen  christlichen Identität ist und aus diesem Grunde nicht mir nichts dir nichts preisgegeben werden kann. Der Verzicht auf das Tragen des Kreuzes  hat wenig mit „Respekt“ oder freundlichem Entgegenkommen zu tun, sondern ist schlicht ein Akt geistiger Unterwerfung.  

Man braucht durchaus kein Evangelikaler oder christlicher Fundamentalist zu sein, um dies zu beanstanden und von seinen kirchlichen Vertretern etwas mehr Haltung, etwas mehr  Grundsatztreue einzufordern. Dass gewählte Repräsentanten zu den Prinzipien und Symbolen der Gemeinschaft stehen, für die sie sprechen, sollte im Grunde eine Selbstverständlichkeit sein, sowohl auf kirchlicher wie auf politischer Ebene. Von dem Palästinabesuch hochbezahlter Kirchenrepräsentanten kann man eine theologisch durchdachte, konsequente und auch würdige Haltung erwarten. Bedford-Strohm, der erst jüngst in anderem Zusammenhang forderte, „klare Kante“ zu zeigen, hätte hier Gelegenheit gehabt zu demonstrieren, was er darunter versteht: indem er, zusammen mit Freund Marx, auf die von islamischer Seite angetragene Zumutung des Kreuzverzichts mit einem couragierten und souveränen Besuchsverzicht geantwortet hätte.

Dr. Hermann Detering ist evangelischer Theologe und Autor. Lebt heute in der Altmark. Website: www.hermann-detering.de.
Veröffentlichungen unter anderem: „Die Lust der Welt und die Kunst der Entsagung“, Gütersloher Verlagshaus 2013. „O du lieber Augustin - Falsche Bekenntnisse“, Alibri, Herbst 2014

Foto: toutlecine Link"> via Wikimedia

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Paul Franke / 08.11.2016

Danke, lieber Herr Detering für diesen Text. Man könnte sich schämen für dieses Bild auf dem Tempelberg, aber fremdschämen ist eitel und nutzlos. Und von diesen Repräsentanten der großen Kirchen ist Scham nicht zu erwarten. “Klare Kante gegen rechts” zu zeigen ist billig und risikolos, da man sich in einer Reihe mit fast allen Parteien, Gewerkschaften, Landesregierungen und Bundesregierung weiß. Riskanter wäte schon eine “klare Kante” gegen dem militanten Islamismus zu zeigen oder auch eine “klare Kante” gegen den Linksextremismus. Weiß Herr B.-Str.  nicht, dass alle kommunistischen Staaten -also die “reinen” Linken - alle christlichen Kirchen bis auf das Blut bekämpft und in manchen Staaten fast vernichtet hatten? Allein aus dem heutigen Sachsen-Anhalt wurden in den 50er Jahren ca 18 evangelische Pastoren und Angestellte in der DDR verhaftet und verurteilt. Wer gedenkt eigentlich der christlichen Bekenner und Märtyrer unter dem Kommunismus? Aber vielleicht vielleicht genießt Bischof B.-Str. auch die Gnade der späten Geburt ....!

Matthias Böhnki / 08.11.2016

Der Atheist steht daneben und versteht die Welt nicht mehr. Irgendwann, in 500 oder 1000 Jahren wird man über unsere jetzige Zeit sagen : Meine Güte, in welchem Mittelalter haben die denn gelebt ?! Unfaßbar, mit was ( Religion und alles, was damit zu tun hat ) befassen wir uns in Zeiten, in denen man tunlichst dafür sorgen sollte, die ganz profanen irdischen Lebensbedingungen von demnächst bald 10 Mrd. Erdenbewohnern zu sichern. Marx schrieb in seiner “Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie” bereits 1844: “........Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist…...“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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