Wie artikuliert man eigene Ressentiments und schützt sich dabei gegen den Verdacht, welche zu haben? Ganz einfach: Man versteckt sich hinter Leuten, die genau das gesagt oder geschrieben haben, was man selber vor sich hingrummelt.
Ein Meister in der Disziplin der Auto-Exkulpation ist Jakob Augstein. In seiner neuen Kolumne führt er aus, welche Gefahren die Verjudung der Sitten für die politische Kultur mit sich bringt und nennt diesen Prozeß, der bereits ausführlich vom „Völkischen Beobachter" gewürdigt wurde, „die Israelisierung der Welt".
Aber wir wollen dem Freitag-Verleger nicht Unrecht tun. Nicht er hat den Begriff erfunden, sondern ein französischer Journalist, der vor einem Jahr einen Artikel veröffentlicht hat, an den Augstein aus aktuellem Anlass grade denken musste. Das klingt dann so:
Vor einem Jahr erschien in der französischen Tageszeitung "Le Monde" ein Artikel des französischen Journalisten Christophe Ayad. Die Überschrift lautete "Die Israelisierung der Welt". "Le Monde" ist keine antisemitische Zeitung und Ayad, der das außenpolitische Ressort seiner Zeitung leitet, ist kein Antisemit. Es ging in diesem Text nicht um irgendeine jüdische Weltverschwörung. Und auch nicht um die angeblich übergroße Macht irgendeiner jüdischen Lobby. Es ging um eine bestimmte Art und Weise, die Welt zu betrachten, mit Konflikten umzugehen, Politik zu betreiben, die der Nahostexperte Ayad in einem westlichen Land zum ersten Mal in Israel beobachtet hatte und die sich nun ausbreitete. An diesen Artikel musste ich denken, als bekannt wurde, dass Donald Trump Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkennen will: Die Welt war auf dem Weg der Israelisierung ein großes Stück vorangekommen.
Über Ayad gibt es einen kurzen Eintrag auf Wikipedia. Er hat u.a. einen Preis für eine Reportage über den Zoo in Gaza bekommen. Wenn Augstein nun schreibt, Ayad sei „kein Antisemit" und Le Monde „keine antisemitische Zeitung", dann meint er nicht Ayad und Le Monde, sondern sich selbst und sein eigenes Geschmiere, wie z.B. den Satz: „Wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin dessen Willen.“ Und jetzt steht eben nicht die Israelisierung der deutschen Politik, sondern der ganzen Welt an. Ayad hat es beizeiten gemerkt und Augstein ist der Artikel aus Le Monde noch rechzeitig eingefallen, um erklären zu können, was hinter der Anerkennung von Jerusalem als Israels „Haupstadt" steckt. Das ist doch eine hübsche Art der zeitversetzten Arbeitsteilung.
Augsteins zweiter Kronzeuge für die „Israelisierung der Welt" ist noch glaubwürdiger, denn es handelt sich um eine israelische Soziologin, die ihrerseits Ayad „zustimmend zitiert". Das ist natürlich nicht zu toppen.
Als Vordenker ist Augstein Mittelmaß, als Trittbrettfahrer aber Spitze. Dass er keine Ahnung hat, worüber er schreibt, versteht sich von alleine. Wie jeder Antisemit ist auch er davon überzeugt, dass an allem die Juden schuld sind, auch daran, dass die arabischen Einwohner von Jerusalem „an den nationalen Wahlen nicht teilnehmen (dürfen) – weil sie keine israelische Staatsbürgerschaft besitzen".
Der Satz würde seinen ganzen Charme verlieren, wenn Augstein sagen würde, dass die arabischen Einwohner von Jerusalem deswegen an den nationalen Wahlen nicht teilnehmen können, weil sie keine israelische Staatsbrügerschaft besitzen wollen. Sie anzunehmen würde eine Anerkennung der israelischen Souveränität und Verrat am Kampf um die Befreiung von der zionistschen Besatzung bedeuten. Aus Sicht der Palästinenser ein legitimes Motiv.
Die arabischen Einwohner von Jerusalem könnten freilich, auch ohne die israelische Staatsbrügerschaft, an den Kommunalwahlen zum Jerusalemer Stadtrat teilnehmen, aber auch das wollen sie mehrheitlich nicht. Es würde als Kollaboration verstanden werden. Das wiederum könnte die Lebenserwartung des Verräters erheblich verkürzen.
Falls Augstein wissen möchte, warum das so ist, könnte er die israelische Soziologin fragen.
PS. Augstein twittert: "Bei aller Empörung – das Verbrennen ausländischer Fahnen ist nicht grundsätzlich verboten. Mal einen Blick ins StGB werfen, §104." Stimmt. Es ist auch nicht grundsätzlich verboten, ein mieser Antisemit zu sein.