Vera Lengsfeld / 31.07.2018 / 14:30 / 9 / Seite ausdrucken

Bayreuth: Ein Geniestreich und ein Irrlicht

Nein, ich bin keine Wagnerianerin. Jahrelang fing Wagner bei mir mit dem Fliegenden Holländer an und hörte mit ihm auf. Ich habe mehrere Inszenierungen dieser Oper gesehen, weil das Lied des Seemanns für sein Mädchen eines der schönsten Liebeslieder ist, das ich kenne. Was ich sonst so vernommen habe, Ausschnitte aus dem Ring der Nibelungen, Parzival oder den Meistersingern, war mir zu dramatisch, zu düster, zu schwülstig. Es machte mir keine Lust auf mehr.

Aber dann habe ich auf MDR Kultur immer wieder Ausschnitte eines Interviews mit Neo Rauch über die Musik des Lohengrin gehört, die er in seinem Atelier abspielte, um sich Inspirationen für sein Bühnenbild zu holen, das er für die diesjährigen Bayreuther Festspiele entworfen hat. Die Rede war auch von Rosa Loys hinreißenden Kostümentwürfen, von der magischen Wirkung der Lohengrin-Musik und der Farbe Blau, die Rauch und Loy, wie vorher Thomas Mann und Friedrich Nietzsche, mit ihr assoziierten. Ich hörte mir die Ouvertüre an – heutzutage ist das dank YouTube ja kein Problem mehr – und war fasziniert. Ich verstand plötzlich, warum Neo Rauch gesagt hat, die Musik hätte sich in ihn hineinmassiert. Spontan fasste ich den Entschluss, mir die Inszenierung anzusehen.

Das Publikum von Bayreuth erscheint schon Stunden vorher. Sehen und gesehen werden! Es ist festlich gekleidet, anders als die verlotterten Operngänger in Berlin. Die frohe Erwartung, die über der Menge liegt, ist ansteckend. Wie bei Goethe erwartet jedermann ein Fest. Ich hatte mir am Abend zuvor die Aufführung auf 3sat angesehen und einige Kritiken und Interpretationen gelesen, war also vorbereitet.

Unten, auf den teuren Plätzen, saß das angejahrte Stammpublikum. Oben, auf der Galerie, drängten sich überwiegend jüngere Musikenthusiasten. Aber ob alt, ob jung, ob Stammgast oder Neuling – alle waren von der ersten Minute an gebannt. Der Vorhang ging auf, und die Bühne in rauchblauen Tönen aller Schattierungen übte einen unwiderstehlichen Zauber aus. Ich verstand, warum Christian Thielemann gesagt hat, dass er den Lohengrin in dieser Inszenierung anders dirigiert hat, als vorher.

Linke Folklore und Wagners revolutionäre Aktivitäten

Neo Rauch hatte im Interview von der Energie gesprochen, die von der Musik ausgeht. Deshalb hat er sich für eine Art Transformatorstation als Bühnenbild entschieden, die im Laufe des Stückes immer wieder verwandelt wird. Ich hatte den Fehler gemacht und das Programm gelesen. Darin hatte der Regisseur Yuval Sharon Lohengrin mit Lenin verglichen. Wie Lenin, „das Muster visionärer Führer“ das Land elektrifizieren musste, so musste Lohengrin „Strom ins finstere Brabant“ bringen. Dann wurde diese linke Folklore auch noch mit Wagners revolutionären Aktivitäten in Verbindung gebracht.

So ein Schmarren. Wagner hat an einer bürgerlichen Revolution teilgenommen, die nichts mit Lenins bolschewistischem Putsch zu tun hatte. Wagner ging es um Freiheit: Freiheit der Meinung, der Presse, von Fürstenwillkür. Wenn ich mich recht erinnere, hatte die 1848er Revolution keinen, „visionären Führer“, sondern wurde vom Volk getragen, vor dessen Toten am Ende der Preußische König den Hut ziehen musste.

Was immer Sharon geglaubt hat, sagen zu müssen: Seine Inszenierung steht für sich. Es ist das Wunderbare an Kunst, dass sie ein Eigenleben führt, unabhängig vom Künstler. Im Lohengrin hat die Zusammenarbeit von Regisseur, Bühnen- und Kostümbildnern, dem Dirigenten und den Sängern zu einer magischen Verschmelzung geführt, der sich niemand entziehen konnte. Es ist eine geniale Inszenierung, bei der Geschmack, Raffinesse und Eleganz ein fulminantes Comeback feiern. Ich bin überzeugt, dass in diesem Fall Aschersleben, Zwickau und Dresden New York inspiriert haben. Alle Kommentare, die ich in der Pause hören konnte, waren voller Lob. Besonders Wagner-Enthusiasten, die in den vergangenen Jahren allerlei Regietheater-Inszenierungen von Heiner Müller bis Christoph Schlingensief über sich ergehen lassen mussten, waren fasziniert.

Der Beginn des zweiten Aktes, die Auseinandersetzung zwischen Friedrich und Ortrud, als das Trafohäuschen als Rapunzel-Turm in der von zartem Dunst überzogenen Traumlandschaft auftaucht und Elsa am Fenster erscheint, ist überwältigend. Die folgende Szene zwischen Elsa und Ortrud kann an Intensität kaum übertroffen werden. Man vergaß die Luft, die auf der Galerie zum Ersticken war, man vergaß die harten Bänke, ja die Welt, man staunte, was Musik vermag.

Die Kanzlerin fand die Aufführung „toll“

Im zweiten Teil des zweiten Aktes wird das Blau durch ein leuchtendes Rostorange gebrochen. Damit deutet sich die Unvereinbarkeit des Paares Lohengrin/Elsa, die im dritten Akt unübersehbar wird, optisch bereits an. Auch Elsas immer noch blaues Gewand weist ein zartgelbes Futter auf, ein Hinweis auf ihre innere Ablösung.

Von den hervorragenden Sängern einen besonders hervorzuheben, wäre ungerecht gegenüber allen anderen. Aber außer ihrer wunderbaren Stimme bietet Anja Harteros anmutige Bewegungen und eine elegante Silhouette, was dem dritten Akt noch ein besonderes Flair verleiht.

Das Schlafzimmer von Lohengrin und Elsa flammte rostorange, als Ausdruck des Dramas, das sich zwischen beiden abspielt. Am Ende ist es bei der Trennung die Farbe von Elsas Kleid. Lohengrin offenbart mit seinem Namen und seinem Stand zugleich die Unerfüllbarkeit seiner Ansprüche. Er lädt Elsa beim Abschied noch ein Päckchen auf, das sie künftig tragen muss.

Zum Schluss präsentiert Lohengrin auch noch den „Herrscher von Brabant“. Der kommt als giftgrünes, gesichtsloses Irrlicht auf die Bühne. Seltsamerweise habe ich diese deutliche Botschaft in den Rezensionen nirgends erwähnt gefunden. Die Kanzlerin, nach der Premiere befragt, fand die Aufführung „toll“, wird kolportiert. Da kann sie das giftgrüne Irrlicht nicht verstanden haben.

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Klaus-Dieter Weng / 01.08.2018

Ohne ein Wagnerianer zu sein (ich liebe auch Verdi), entrückt und berauscht mich seine Musik wie die keines anderen Komponisten, und Tristan ist für mich die größe Oper überhaupt. In Bayreuth war ich noch nie, obwohl ich allein schon wegen der Akustik gern einmal eine Aufführung miterleben würde - aber dann nur mit Schlafmaske, denn was man auf den Bühnen heute sieht, hat mit den Stücken oft nichts mehr zu tun. Die Regisseure inszenieren ihre Idee von dem Stück und nicht das Stück selbst. Den Lohengrin haben wir (meine Frau und ich) uns auf 3-sat angeschaut, und vom Bühnenbild und den albernen Kostümen waren wir gar nicht “bezaubert”.  Beim Luftkampf zwischen Lohengrin und Telramund bekamen wir sogar einen Lachanfall. Man sitzt ja vor dem Fernsehgerät und muss sich nicht beherrschen. Wenn man Wagners Text gut kennt, und man muss sich bei ihm gut vorbereiten, dann fallen einem die Brüche zwischen seiner Intention und der Interpretation des Regisseurs sofort auf, und man ist verärgert. Schade, dass Sie nicht die alte Götz-Friedrich-Inszenierung der DO Berlin gesehen haben. Dann hätten Sie jetzt sehr gut vergleichen können. Aber auch die derzeitige Produktion ist wesentlich besser, finden wir, als die Bayreuther. Es ist schade, dass sich Regisseure überhaupt keine Gedanken über das junge Publikum machen, das ein Stück ja zunächst einmal werkgetreu erleben muss, bevor es sich dann mit gewagten Interpretationen beschäftigen kann. Unseren beiden Söhnen konnten wir die Liebe zur Oper leider nicht vermitteln, aber ab und zu gehen sie wenigstens in konzertante Aufführungen. Ich freue mich, jetzt auch diese Facette Ihrer Persönlichkeit entdeckt zu haben, und haben Sie Mut zum “Ring” - aktueller denn je!

Uli Schauerte / 01.08.2018

Wagners Genie ist so gigantisch, daß es sich auch bei Leuten herumgesprochen hat, die ihn nicht verdient haben und auch noch stolz darauf sind, dass sie keinen Schimmer von ihm haben. Das ist aber noch lange kein Grund, solchen Leuten ein Forum zu bieten, um über Wagner zu schreiben. Noch gibt es genügend Wissende. Wenn Frau Lengsfeld also bislang weder Zeit noch Lust hatte, sich dem Sujet zu widmen und en passant zu entdecken, dass es der Ring DES (nicht DER) Nibelungen (Alberich) und bei W. auch nicht Parzival, sondern Parsifal heißt: kein Problem. Aber wie anmaßend ist, trotzdem öffentlich darüber schwadronieren.

Peter Swoboda / 31.07.2018

Liebe Frau Lengsfeld, vielen Dank für die tollen Tipps. Sowohl in der Literatur als auch jetzt für diese Kritik.

Richard Kaufmann / 31.07.2018

Nun, ich bin auch kejn Wagnerianer. Seine Art von Romantik mag ich nicht. Dennoch wollte ichauch einmal auf den Grünen Hügel. Man bewirbt sich Jahr für Jahr, und wenn die Schläfen ergraut sind, ist man endlich an der Reihe. Bei Frau Lengsfeld ist das anders herum.

Andreas Rühl / 31.07.2018

Habe als alter Wagnerianer diesmal buchstaeblich in die röhre geguckt. Diese Inszenierung ist an daemlichkeit und duemmlichkeit kaum zu toppen, wobei ich schon letztes Jahr dasselbe ueber den tristan der unbegabten wagner Verwandten (?!)  gesagt habe, aber noch der groesste Schwachsinn ist unterbietbar. Die umdeutung des Lohengrin in eine genderprobkematik ist hahbebuechen. Ortrud als feministische lebensberaterin passt, wenn man feministinnen für Abgrundtief boese hält. Eine Zumutung der herzog wollfrosch. Albern und verblödet. Die Kostueme haesslich, die buehnenbilder sinnlos, die personenfuehrung dilettantisch. Lohengrin war nicht Textsicher, die Meier hat nur geschrien, einzig der koenig und Elsa haben ueberzeugt. Eine katastrophenpermiere.

Stefan Arndt-Hasler / 31.07.2018

Herzlichen Dank, Frau Lengsfeld, können wir mehr ‚Kultur‘ von Ihnen bekommen? Wäre wirklich prima. Herzliche Grüsse aus dem Zürcher Feierabend, Stefan Arndt

Alex Meier / 31.07.2018

Ich lese gleich weiter, aber die Oper heißt „Ring des Nibelungen“...

Stefan Teschner / 31.07.2018

;-) Liebe Frau Lengsfeld, Sie haben sich die Sensibiltät für subtile Anspielungen bewahrt..

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