Thomas Rietzschel / 27.07.2018 / 11:00 / Foto: W.Weis / 26 / Seite ausdrucken

Bayreuth: Das Theater vor dem Theater

Es wagnert wieder sehr in der Hitze des Sommers. Bei 32 Grad im Schatten wurden am Mittwoch die Bayreuther Festspiele zum 107. Mal eröffnet. Buntes Gewimmel auf dem grünen Hügel. Wer glaubte, auf sich halten zu müssen, war dabei – wir mittendrin, wenn auch nur draußen vor der Tür.

Die harten Holzsitze, mit denen der Komponist sein Publikum noch postum in die Zucht nimmt, wollten wir uns nicht antun, nicht für einen „Lohengrin“ ohne Schwan und mit dem edlen Ritter im Blaumann, verkleidet als Elektriker. Man muss nicht jede politisch verkrampfte Aufführung gesehen haben, um zu wissen, dass es sich bei den belehrenden Inszenierungen des Regietheaters um die Verzweiflungstaten der Einfallslosen handelt.

Doch Bayreuth wäre nicht Bayreuth, wenn es nicht auch das Theater vor dem Theater gäbe, die Gesellschaftskomödie der Festspielbesucher. Um sie zu erleben, haben wir uns unter die Zaungäste gemischt. Ein alter Freund, der legendäre Hotelier Andreas Pflaum, übernahm die Führung. Bei ihm sind alle abgestiegen, die dem Wagner-Festival einst Glanz und Glamour verliehen, Franz-Josef Strauß ebenso wie Rudolf Augstein, Brecht, Sartre und die Beauvoir, der Aga Khan und die Begum, Pompidou, Gorbatschow und Plácido Domingo.

Schon auf dem Weg zum Hügel hatte uns Pflaum erzählt, wie sich die Schaulustigen damals an den Absperrgittern um die Freifläche vor dem Festspielhaus drängten, wie sie klatschten und den Berühmtheiten zujubelten.

Männer und Frauen, die aussahen, als ob sie etwas darstellten

Jetzt gelang es dem Freund, uns selbst in diesen inneren Bereich zu lotsen. Links grüßten die Oetkers, rechts ging die Familie Sixt ihrer Wege. Ringsum flanierten Männer und Frauen, die aussahen, als ob sie etwas darstellten. Manche posierten vor den Kameras der Journalisten, bisweilen lautstark dazu ermuntert, öfter unaufgefordert.

Wir sahen Thomas Gottschalk mit seiner Frau Thea, Christian Lindner mit seiner Neuen und Markus Söder, wie er sich schnell aus dem Staub machte, weil ihn eine Gruppe von Demonstranten mit dem Ruf „No Söder“ empfing. Professionell gewandt präsentierte sich dagegen die schöne Dagmar Wöhrl, während Ursula von der Leyen schnurstracks an die Absperrung eilte, um einem verdutzten Zuschauer ihr Autogramm anzubieten. Gleich mehrfach drehte sich Désirée Nick elegant an der Front der Fotografen vorbei.

Auch Angela Merkel, diesmal froschgrün eingekleidet von den Schultern bis zu den Schuhen, positionierte sich auf dem leicht erhöhten Podest vor dem Haupteingang des Theaters. Zwei, drei ältere Herrschaften begannen zu klatschen, hörten aber sofort auf, als sie von den Umstehenden verwundert angeschaut wurden.

Die Zeiten sind eben nicht mehr so. Vor ein paar Jahren, erinnerte sich unser Begleiter, sei das noch anders gewesen. Zu Hunderten hätten sie der Kanzlerin applaudiert. Nun wurde sie nur noch angestarrt. Ihr rascher Rückzug ins Innere des Hauses beendete die Peinlichkeit. Als sie nachher in der ersten Pause an die gedeckte Tafel in das Festspielrestaurant eilte, ging sie vorsorglich hinter den breiten Rücken ihrer Begleiter in Deckung. Warum auch nicht. Schließlich war sie bereits in den Ferien und zusammen mit ihrem Mann als Privatperson nach Bayreuth gekommen.

Adenauer und Kohl blieben dem Theater fern

Andere Kanzler vor ihr haben das nicht getan. Bismarck lag der Komponist ganz und gar nicht. Adenauer und Kohl haben sich nie auf dem Grünen Hügel blicken lassen. Schmidt kam einmal. Schröder sagte einen geplanten Besuch in letzter Minute ab. Einzig Adolf Hitler hielt Bayreuth über die Jahre seiner Herrschaft die Treue. Auf dem Balkon des Wagner-Theaters ließ er sich von den Volksgenossen feiern. Die Festspiele gerieten in den Verdacht einer Propagandaveranstaltung.

Der Boden war fortan historisch kontaminiert, keine Bühne, auf der sich die Kanzler der Bundesrepublik noch blicken lassen wollten. Erst Angela Merkel setzt sich wieder über das Tabu hinweg. Und sicher tat sie das zuerst als eine bekennende Liebhaberin der Musik Richard Wagners, aus persönlichen Gründen, nicht aus politischen Erwägungen.

Da es der Regierungschefin aber schlichtweg unmöglich ist, in der Öffentlichkeit ausschließlich als Privatperson aufzutreten, hat sie mit ihrer alljährlichen Pilgerreise nach Bayreuth auch die Tradition der staatspolitisch überhöhten Wagner-Festspiele aufleben lassen, bewusster von Jahr zu Jahr. Ohne sich viel um die Geschichte zu kümmern, nutzte sie ihre Auftritte in der fränkischen Provinz, um sich als politische Autorität ins Rampenlicht zu rücken. Die Vorfahrt in der noblen Karosse, die Absperrungen, die herausgehobenen Auftritte vor der Aufführung, die ganze Inszenierung verriet die Absicht. Daran hat sich nichts geändert.

Eine Reiterstaffel war auch da

Zwar ist Angela Merkel in diesem Jahr wesentlich bescheidener in einem VW-Bus angekommen, doch wurde abermals ein Sicherheitsaufwand betrieben, der nicht nur die Zuschauer, sondern mehr noch die auflaufenden Politiker in dem Bewusstsein bestärken mochte, ganz besondere Persönlichkeiten zu sein. Weiträumig waren Polizisten in Stellung gegangen, viele mit umgehängten Schnellfeuerwaffen. Dreißig Schuss enthalte jedes Magazin, verriet uns einer.

Dazu Dutzende von BKA-Beamten, unter deren Sakkos sich die Revolver abzeichneten. Sogar eine Reiterstaffel hatte man aus München nach Bayreuth verlegt. Das alles erfüllte seinen Zweck, indem es Eindruck machte. Aber war der Einsatz auch nötig? Bedurften die Gäste des Schutzes tatsächlich? Das Profil des Geländes lässt keinen LKW-Anschlag zu. Und wann hätte man je etwas davon gehört, dass Angela Merkel, Markus Söder, Jens Spahn oder Ursula von der Leyen tätlich bedroht worden wären?

Nein, zu beschützen war da niemand. Außer dem fehlenden Applaus und der geschrumpften Zahl Schaulustiger gab es nichts, das die Politiker in Angst und Schrecken hätte versetzen können. Der maßlose Einsatz der Sicherheitskräfte war vielmehr Teil  jener staatspolitischen Inszenierung, zu der die Bayreuther Festspiele unter der Kanzlerschaft Angela Merkels zunehmend entartet sind. Ihre Politik hat sich Wagner unter den Nagel gerissen. Die Kosten dafür gehen zulasten des Steuerzahlers.

Mögen Angela Merkel und Gatte die Eintrittskarten auch aus der privaten Schatulle bezahlt haben. Auf dem Rest der Ausgaben, auf ein paar hunderttausend Euro oder mehr noch, bleibt die öffentliche Hand sitzen. Aber dafür wurde uns nun immerhin ein Theater vor dem Theater geboten, das die Verhältnis treffender darstellte als die Premiere des mühsam aktualisierten „Lohengrin“, die alberne Verkleidung des romantischen Helden als Elektriker im Blaumann. 

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Joe Haeusler / 27.07.2018

Was mir zu diesem Mumienschanz einfällt: Der Steuerzahler sponsert eine Karte für dieses Spektakel mit ca. 500 Euro, Security exklusive. Ist halt die gr00ße KKKULTUR für die Adabeis, die sich dann über die 5 Euro je Besucher aufregen können, die der Staat für die öffentliche Sicherheit bei Sportveranstaltungen (Fussball) aufwendet.

Gabriele Schulze / 27.07.2018

Bin Wagner-Banausin, gönne mir aber hin und wieder eine der grandiosen Ouvertüren. Angela Merkel, walküresk! Ist's vorbei mit des Kaisers neue Kleider? Das Volk jubelt nicht mehr? Na, dann muß man eben für teuer Geld Sicherheit herankarren, um Wichtigkeit zu demonstrieren. Oder ahnt man den Wind of Change und befürchtet einen autochthonen Einzelfall?

Robert Bauer / 27.07.2018

Ermutigend zu erfahren, daß Partei- und Staatsführung in brüderlicher Verbundenheit mit den Wirtschafts- und sonstigen Eliten die schöne Tradition des Führers hochhalten.

Sabine Schönfelder / 27.07.2018

Als Frau Merkel antrat, vor so vielen Jahren ( erinnert sich noch jemand?), mit 'Prinz-Löwenherz- Frisur' imschlechtsitzenden Hosenanzug, dachte ein jeder, diese Frau ist völlig uneitel. Ihre wahre Größe, so mutmaßteder Laie, muß in ihrer geistigen Kompetenz liegen. Heute wissen wir, und wir hätten es aufgrund unserer Geschichte auch schon damals wissen können, manchmal sind es einfach nur glückliche Umstände und ein bißchen Intrige, die die Menschen zur Macht tragen. Frau Merkels Eitelkeit macht sich nicht an Petitessenwie Kleider, Geld, Autos oder vordergründigem kapitalistischen Schnick-Schnack fest. Nein. Begehrlich aus ihrer Sozialisation betrachtet, sind Macht, Beachtung, Prestige, weltweite Wichtigkeit und Anerkennung. Sie führt, die anderen fügen sich. Wie ist egal, Hauptsache das! Gönnen wir ihr die ( schwindende) Beachtung und hoffen wir, daß die Wagneroper samt ihren singenden Elektrikern das Sitzfleisch der Prominenz nicht allzu sehrmalträtierte!

U. Unger / 27.07.2018

Danke Herr Rietzschel, für diesen Bericht aus erster Hand. Nicht nur der Inhalt des Stückes, sondern auch das formvollendete Auftreten, unserer in ihrer Kanzlerinnenmärchenwelt lebenden Angela, sind mir nach Ihrem schriftlichen Bericht so präsent, als hätte ich Fotos oder gar Filme de Veranstaltung gesehen. Fatalerweise kamen mir beim Lesen immer wieder Bilder aus Dokumentationen von einer Zeit, Sie wissen schon. Möglicherweise der Grund warum Merkels Vorgänger restriktiv bis gar nicht bei diesem geschichtsbehafteten Event dabei waren. Desinteresse an Kunst und Musik darf man wohl fairerweise keinem der Bundeskanzler vor Merkel unterstellen. Als möglichen Hauptgrund kann ich mir persönlich gute Geschichtskenntnisse, politisches Kalkül, und vor allem die Rücksichtnahme gegenüber den Nachfahren der Opfer der Naziherrschaft vorstellen. Was auch immer den jeweiligen Bundeskanzler bewogen hat, Bayreuth auszulassen ist mir im Einzelfall egal, aber ich fand es jedes Mal gut und richtig. Angela Merkel setzt als Kanzlerin meiner Meinung nach die neuen Maßstäbe eines geschichtslosen und skrupellosen Tollpatsches im Amt. Passt psychiatrisch ganz hervorragend in mein persönliches Bild, was hier schon ausführlicher und härter in meinen Kommentaren beschrieben wurde. Mich überrascht im Zusammenhang mit besagter Dame nur noch eins, dass ihr niemand den Stuhl unter dem verlängerten Rücken wegzuziehen bereit ist. An der Aufzählung anderer Namen, Sie Schelm Herr Rietzschel, glaube ich einen versteckten Hinweis zu entdecken, wer die wahren Merkelklatscher außerhalb der CDU sind. Daran, dass die Tage der "Froschkönigin" gezählt sein könnten, mag ich nun vorerst nicht glauben. Daher werde ich mich nun gezielt nach einer persönlichen Abwahlalternative dieser unsäglichen Regierung umsehen. Einen Ruck durch anstehende Landtagswahlen sehe ich auch nicht, da mich zunehmend der Gedanke an mögliche Wahlfälschungen okkupiert hat.

Patricia Steinkirchner / 27.07.2018

Nun, inzwischen könnte man gut auf beide Formen des Theaters verzichten - auf die Inszenierungen eigentlich seit Jahrzehnten. Ich habe zwei Vorstellungen gesehen (mühsam genug, Karten zu bekommen) und brauche das nicht mehr. Die grandiose Musik (klar, muss man mögen, was ich tue) wird verdorben durch die unsäglichen Inszenierungen, grauenhaften Bühnenbilder etc.. Wer keine Karten bekommt, versäumt nichts!

Kopp Harald / 27.07.2018

Meine schwäbische Schwiegermutter sagt dazu einfach : Mache lau

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