Von Erik Lommatzsch
Mit dem Lernen oder Auffrischen des einst erworbenen Wissens soll man ja bekanntlich erst aufhören, wenn der Typ mit dem Kapuzenmantel und der Sense anklopft (und vielleicht nicht einmal dann). Da trifft es sich gut, dass man ab und an Dinge hört und sieht, die einen spontan ins eigene Hinterkopfarchiv treiben, weil sich soeben Vernommenes an ein – möglicherweise – punktgenau charakterisierendes Fremdwort krallt.
Bei dem erwähnten Fremdwort handelt es sich um „absurd“. Der gute alte Duden lässt uns wissen: Aus dem Lateinischen stammt es und bedeutet „sinnwidrig, sinnlos“. Als Beispiel für die Verwendung des Wortes wird „absurdes Drama“ angeführt. Und da geht es weiter: „Drama“ wiederum stammt, ebenfalls laut Duden, aus dem Griechischen und bezeichnet ein „Schauspiel; erregendes oder trauriges Geschehen“. Und in exakt dieser prägnanten Kürze – als „absurdes Drama“ – lässt sich der schon angemeldete und nun verkündete „Bayernplan“ überschreiben.
CDU und CSU verabschieden ein gemeinsames Programm für die anstehende Bundestagswahl. Wohlwissend, dass es in beiden Unionsparteien (ja, es sind zwei Parteien!) rumort, verkündet die CSU in einem gesonderten Papier abweichende Positionen. Genannt wird in den Medien vor allem der in der Ausarbeitung auf Seite 16 ausformulierte Punkt: „Für Ordnung und Begrenzung bei der Zuwanderung ist eine Obergrenze unabdingbar“. „Familien zuerst“, „Sicherheit durch Stärke“, „Damit Deutschland Deutschland bleibt“ und andere Leckerli für lästige, aber als Wähler benötigte Unlinke werden offeriert.
Vorsichtig ausgedrückt heißt so etwas „Stimmenfang“. Der Konservative (oder, Himmel, gar der sich bislang mittig verortende Längerhierlebende) wird für mehr als etwas beschränkt gehalten. Denn er ist meist (oder pessimistischer: hoffentlich) durchaus in der Lage zu erkennen, ob die hübsch beschrifteten Geschenkboxen wenigstens etwas klappern. Wenn sie leer sind, tun sie es nicht.
Unverbindliches Angebot an die Wähler
Offensichtlicher geht es kaum. Die CSU war nicht in der Lage, eine große Anzahl von politischen Zielen in das gemeinsame Unionswahlprogramm einzubringen. Ob diese Positionen ernsthaft eingebracht werden sollten, steht in den Sternen. Aber das ist auch unwichtig. Jeder weiß: Diese Ziele werden im Falle der Bildung einer unionsgeführten nächsten Bundesregierung höchstens als „Forderungen“ noch einmal laut vorgetragen – ohne jegliche praktische Auswirkung. Jeder weiß: Die CSU hat gesagt (und zwar laut!), wo sie steht. Sieht man die Dinge genauso, kann man also, bitteschön, guten Gewissens sein Kreuz bei der Union machen. Es gibt ja die kämpferische CSU. Immerhin ist der „Bayernplan“ mit „Klar für unser Land“ untertitelt. Unwillkürlich denkt man hier an die „klare Kante“, die in letzter Zeit so gern gezeigt wird.
Oben steht es schon einmal: Es sind zwei Parteien. CDU und CSU. Im Bund hat man sich von Anfang an auf eine Koexistenz geeinigt, die Christsozialen bleiben in Bayern, die Christdemokraten geben sich mit einer Existenz in den anderen Ländern zufrieden. Im Bundestag lebt man in Fraktionsgemeinschaft. Nur einmal war bisher, für wenige Tage, Ende des Jahres 1976, die Möglichkeit im Raum, diese Vereinbarungen aufzulösen. Ginge es der CSU um die Sache, liegt sie bei Positionen, die in der gegenwärtigen Situation in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen sind, deutlich quer zur CDU – sie könnte bundesweit als CSU antreten und um Stimmen werben, die sie im Verwirklichen eben dieser Positionen unterstützen. Aber nein, man bleibt verbunden.
Bühnenreif, leider auf der falschen Bühne
Laut Horst Seehofer handelt es sich beim „Bayernplan“ um „unser Angebot an die Wähler“. Was genau beinhaltet das „Angebot“? Dass man nachlesen kann, was die CSU verwirklichen würde, wenn sie könnte – wobei sie deutlich zu erkennen gibt, dass sie nicht können wird? An der Zeit, derartiges zu diskutieren, ist es momentan nicht. In Fortführung des Satzes vom „Angebot an die Wähler“ sagte Seehofer, „alles andere“ stehe „nach dem Wahltag an. Jetzt wollen wir erstmal die Wahl gewinnen.“ Schlichte Gemüter fragen sich nach solchen Sätzen, ob sie nicht noch ein nachgesetztes „Prost!“ gehört haben.
Bühnenreif, wenn auch sicher den Spannungsbogen nicht allzu stark strapazierend, ist die „Bayernplan“-Sache in jedem Fall. Wäre es wirklich nur ein absurdes Drama für einen abendlichen Kulturhöhepunkt, könnte man sich zurücklehnen und genießen. Das einzige Unwohlsein wäre dann lediglich durch die in Zuschauerräumen stets anwesende Gattung schwergewichtig- schnaufender, bonbonpapierknisternder Theaterbesucherinnen verursacht.
Bedauerlicherweise findet das absurde CSU-Drama jedoch auf der Bühne statt, auf der die Weichen für die Zukunft unseres Landes nachhaltig und vor allem größtenteils irreversibel gestellt werden. Leider ist es eben nicht nur eine bayerische Posse („derb-komisches Bühnenstück“, natürlich noch einmal Duden), sondern ein absurdes Drama, symptomatisch für die – sollen wir hier schon wieder das Wort „absurde“ einflechten? – Politik der „Alternativlosigkeit“. Aber nun ist es wirklich genug mit den Fremdworten.
Erik Lommatzsch ist Historiker und lebt in Leipzig.