Georg Etscheit / 26.05.2022 / 16:00 / Foto: Thamizhpparithi Maari / 17 / Seite ausdrucken

Bayerische Staatsoper: Der queere Musentempel

In Ermangelung besserer Ideen traktieren Kulturschaffende ihr Publikum immer öfter mit der Zurschaustellung ihrer privaten Vorlieben.

„Aufgrund von Filmszenen mit expliziten Inhalten, die in der Inszenierung zu sehen sind, empfehlen wir, diese Vorstellung erst ab 18 Jahren zu besuchen.“ Eine Operninszenierung nicht jugendfrei? Das kann als Premiere gelten, und so war der jüngste Skandal an der Bayerischen Staatsoper vorprogrammiert.

In einer Neuproduktion von Hector Berlioz‘ Opernschinken „Die Trojaner“ über den Mythos des Trojanischen Krieges hatte der von Intendant Serge Dorny verpflichtete Regisseur und Schwulen-Aktivist Christophe Honoré ein paar freizügige Homosexfilmchen platziert, die zeigen sollten, dass echte Kämpfer auch ganz lieb und zärtlich zueinander sein können. Schon während der Aufführung und noch mehr beim Erscheinen des Regieteams nach Vorstellung empörten sich etliche Zuschauer darüber, was zwei Münchner Musikkritiker (entgegengesetzter sexueller Präferenz) dazu veranlasste, indigniert „homophobe“ Äußerungen zu konstatieren. 

Bei näherer Betrachtung dürfte es sich weniger um „Hatespeech“ gegenüber Schwulen gehandelt haben, als um Äußerungen wie „Des kennas dahoam machen, aber ned hier“, mit denen die betreffenden Opernbesucher eher ein ästhetisches Unbehagen zum Ausdruck bringen wollten und eine Abwehr gegenüber Regisseuren, die es unentwegt darauf abgesehen haben, ihr Publikum als intolerante Spießer abzustempeln. Übrigens bekennt sich der Autor dieser Zeilen dazu, gelegentlich selbst abwehrende Gefühle beim Anblick offensiver Heterosexualität zu empfinden, ohne deswegen „heterophob“ zu sein.

Ethnisch ausgewogene Aufmerksamkeitsökonomie

Honoré hatte nicht nur in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie alles richtig gemacht, sondern auch hinsichtlich der Diversität, weil es in seinen Opernpornos auch ethnisch vorbildlich ausgewogen zugeht. Das führt unmittelbar zum nächsten Akt: In der ersten Ausgabe ihres neuen Maifestivals huldigt die Staatsoper dem österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas, einem Star der zeitgenössischen, „ernsten“ Musik. Neben seiner Oper „Bluthaus“ gibt es ein umfangreiches Beiprogramm, in dem unter anderem der Dokumentarfilm „The Artist & The Pervert“ gezeigt wird. Darin geht es um die sadomasochistische Beziehung des Komponisten mit seiner afroamerikanischen Frau Mollena.  

Vor sechs Jahren hatte Haas einige Aufmerksamkeit erregt, als er sich in einem in der „Zeit“ veröffentlichten Interview unter dem Titel „Scham ja, Schuld nein“ öffentlich zu der SM-Beziehung mit Mollena Williams-Haas bekannte, ihres Zeichens „Kink-Lehrerin“, was so viel heißt wie „Lehrerin von Sex der etwas anderen Art“ und „Mrs. Leather 2010“. Manchmal wird sie auch, weniger explizit, als „Perfomerin“ oder „Sexualpädagogin“ bezeichnet. Aus seinen Einlassungen geht hervor, dass es Haas nach langen Jahren der Selbstverleugnung in New York, wo er an der Columbia-Universität als Kompositionsprofessor lehrt, endlich geschafft habe, seine wahren sexuellen Bedürfnisse auszuleben, wobei er selbst als „Dominus“, seine Frau als Sklavin oder „Muse“ agiert. Angeblich handelt es sich um eine vertraglich fixierte, sogenannte 24/7/365-Beziehung, also kein Rollenspiel, sondern eine sadomasochistische Rund-um-die-Uhr-Beziehungskiste.

Vom Milieu erwartungsgemäß bejubelt

Offenherzig plaudert Haas in einem FAZ-Interview auch über seine verkorkste Kindheit. Sein Vater sei überzeugter Nazi, er selbst noch bis zu seinem Studienbeginn entsprechend „indoktriniert“ gewesen. Schuldgefühle wegen seiner Familie sowie seine lange unterdrückte SM-Neigung seien wichtige Quellen der „Dunkelheit in meiner Musik“. Zwei Jahre nach seinem Selbst-Outing kam dann beim Pornofilmfestival in Berlin der Streifen „The Artist & The Pervert“ heraus, der als bester Dokumentarfilm prämiert und von Kritikern erwartungsgemäß bejubelt wurde.

Ein älterer weißer Mann mit Nazi-Vergangenheit, der seine farbige Frau, Abkömmling einstiger Sklaven, dominiert? Eine Frau, die, wie die Kritikerin der FAZ notierte, ihren manchmal fünfzehn Stunden am Tag tondichtenden Herrn und Meister bekocht und ihm „den Haushalt vom Leib“ hält? Widerspricht das nicht all den mühsam errichteten Konstrukten politischer Korrektheit? Weit gefehlt, denn im Gewande einer BDSM-Beziehung wird die 50er-Jahre-Heimchen-am-Herd-Konstellation inklusive häuslicher Gewalt plötzlich wieder zum allseits akzeptierten Rollenmodell. Zum Vorbild sogar, denn die beiden führten „eine harmonischere und ebenbürtigere Beziehung als viele hetero-normative Paare“, heißt es in einer Filmbesprechung. „Zwar sieht man Mollena Williams-Haas, wie sie kocht, ihren Mann auf Reisen begleitet und ihn managt, doch sieht man sie auch bei ihren kraftvollen Bühnenauftritten und wie sie ihrem Mann unverblümt ihre Meinung sagt.“ 

Man will es gar nicht wissen

Was sich abspielt, wenn Haas einmal den Griffel und das Notenpapier zur Seite legt und sich den dunklen Seiten seiner Persönlichkeit widmet, will man gar nicht so genau wissen, es langt schon ein Blick auf eine Szene, die Haas und seine Gattin in inniger Umarmung beim gemeinsamen Bad im Whirlpool zeigt. Glücklicherweise wird nur im Intro des Films allerlei exotisches Sex-Spielzeug eingeblendet. Ansonsten, so lesen wir, „werden die beiden Hauptdarsteller in keiner Szene des Films entblößt oder unangenehm zur Schau gestellt“.

Wozu auch, denn das besorgen die beiden Protagonisten schon selbst, wobei Haas geschickt und mit sicherem Gespür für Selbstmarketing mit dem Kult der Abweichung spielt. Und Journalisten und Kritiker nichts anderes zu tun haben, als jeden persönlichen Spleen und jede Peinlichkeit zur ultima ratio persönlichen Freiheitsstrebens und gesellschaftlicher Relevanz zu verklären. Beim jüngsten Berliner Theatertreffen feierte sich die Branche selbst als Hort der Freiheit und Demokratie und pochte auf ihre „Systemrelevanz“. Dabei sind die Theater, auch die Musiktheater, gerade dabei, sich selbst abzuschaffen, indem sie noch die letzten Reste eines bildungsbürgerlichen Publikums vergraulen.  

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sybille eden / 26.05.2022

Die wollen auch kein ” bildungbürgerliches Publikum” mehr ! Es geht auch hier um “Tranformation”. Ich nenne es die “Trafo-Kultur”.

Lars Schweitzer / 26.05.2022

Niemand will es sehen, alle dürfen es bezahlen.

Peter Krämer / 26.05.2022

Ich bin für eine Kultur, die sich selbst aus diversen Einnahmen finanziert, aber ohne Staatsknete.

Peter Rosé / 26.05.2022

Gäbe es keine Opernhäuser mehr, wäre dies m. E. kein großer Verlust: Der gebildete Bürger (nicht Bildungsbürger, dieser Begriff ist ein Schutzschild des Banausentums) könnte sich die zahlreichen Opernaufnahmen (ich empfehle «Les Troyens» in einer alten (fast) ungekürzten Covent Garden Aufnahme von Philips mit Colin Davis ) zuhause im bequemen Sessel über Kopfhörer anhören, mit Klavierauszug oder Partitur. Ein wenig vorherige Lektüre in einer mehrbändigen Enzyklopädie des Musiktheaters oder sogar spezielle Studien könnten dann den Hintergrund bilden. Das Geschehen auf der Bühne lenkt ohnehin von der eigenen Phantasie ab. Natürlich verstoße ich hiermit gegen das seit Wagner eherne Gesetzt, dass das “Drama” auch der Bühne bedarf. Allerdings hatte bereits Wieland Wagner eine sehr spezielle Vorstellung von “Bühne”, und warum sollte man nicht seine eigen Phantasie (gesteuert von der Musik und dem Textfluss) als Bühne ansehen.  Dass die Opernregisseure darob einen Veitstanz aufführen werden, ist verständlich, basiert ihr Status letztlich (wenn auch meist uneingestanden) doch auf den Heiligen Schriften des Bayreuther Sachsen. Mit dieser Art “individueller” Bühne wäre allerdings allen gedient, und die “Queeren” unter den Gebildeten könnten sich dann auch ihre speziellen Leckerchen vorstellen, z. B. beim Gesang Brangänes im des 2. Aktes des “Tristan”.

Arne Ausländer / 26.05.2022

Wenn Variationen gewalttätiger Demütigung zu den “normalen Initiationen” beim Eintritt in karrierefördernde “harmlose” Verbindungen und Fraternitäten gehören (oft genug traditionell “men only”), werden diejenigen, die solches für sich als “völlig normal” hinnahmen, wenig Verständnis haben für den Unwillen vieler, ungefragt Sexszenen (welcher Art auch immer) vor die Nase gesetzt zu bekommen. “Wenn die wüßten, wie brutal das Leben wirklich ist…”, mögen die denken. Das größere Rätsel ist die paradoxe Gleichzeitigkeit der Norm hypersensibler Vermeidung jeglicher denkbarer emotionaler Verletzungen. Kein Wunder, daß da viele ihr Denken einfach abschalten. Und genau das dürfte Zweck des ganzen Theaters sein. Erfolgreich - wie man beim Corona-Zirkus erleben mußte: fast alle machen jeden Schwachsinn mit, wenn er nur passend serviert wird. Was schon sind schwule Sexszenen im Theater gegen “wirksame und effektive” Spritzen in den Arm?

Bernhard Maxara / 26.05.2022

So gewährt doch der Kunst endlich die Freiheit, die ihr zukommt, - die Freiheit von allen Subventionen!

Ludwig Luhmann / 26.05.2022

Wegen diesen besessenen Aufdringlingen sage schon gar nicht mehr “die können mich mal am Arsch lecken”!

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