Am Wahlabend das indubio-Spezial verpasst? Schade, aber kein Beinbruch: Hier Saures zur Wahl in einer komprimierten Rezension.
19:00 Uhr. Die Prognosen sind bereits eine Stunde alt, als Moderator Burkhard Müller-Ullrich mit seinem indubio-Spezial „Saures zur Wahl“ auf Sendung geht. Markus Vahlefeld und Roger Letsch referieren zunächst den Stand der Dinge, wenig später spricht Peter Hahne mit Blick auf das Wahlchaos in der Hauptstadt von einer „Bananenrepublik im Endstadium“ und unhaltbaren Zuständen, die ein schlechtes Licht auf den Zustand unserer Demokratie würfen. Wir hätten uns längst ans schlechte Regieren und an die Schlampereien gewöhnt, lebten mittlerweile in einer „Stimmungsdemokratie“. Roger Letsch konstatiert, die SPD habe Protagonisten wie Esken und Kühnert in den Keller gesperrt, sodass Scholz ungestört geblieben sei. Markus Vahlefeld erinnert daran, dass die beiden „Volksparteien“ seit 2005 satte 35% eingebüßt haben und zusammen nur noch auf die Hälfte der Stimmen kommen.
19:27 Uhr. Henryk M. Broder ist in der Leitung. Er tut sich den Wahlabend in der Glotze an („Mit jeder Minute, die ich fernsehe, weiß ich weniger“) und ist dennoch aufgeräumter Stimmung. Das Wahlergebnis sei „keine Katastrophe, kein Beinbruch“. Zu dieser Zeit krebst Die Linke in den Hochrechnungen bei 5,0% herum und Broder möchte mit seiner Schadenfreude nicht hinterm Berg halten, er hielte es „für schick und geradezu ein Zeichen göttlicher Gerechtigkeit, wenn Die Linke nicht bei 4,1% scheitern würde, sondern bei 4,9.“ Sahra Wagenknecht habe schon gesagt, das Ergebnis sei „genau das, was wir uns erarbeitet haben.“ Damit dürfte sie in ihrer Partei – wie sonst auch – eher allein stehen. Vahlefeld konstatiert, dass Wagenknecht in der Linken die gleiche Rolle einnehme wie Maaßen in der CDU, Sarrazin in der SPD und Palmer bei den Grünen, schon gar nicht mehr dabei, sondern daneben stehend.
19:40 Uhr. Boris Reitschuster spricht von einem „Wahlsieg der Medien, insbesondere der Öffentlich-Rechtlichen“ und hinsichtlich der Lage in Berlin und der erneuten großen Mehrheit für die Parteien, die für das Chaos Verantwortung tragen, von „Masochismus beim Wähler“. Die Corona-Politik habe offensichtlich keine Rolle gespielt, die Deutschen sich daran gewöhnt, dass man ihnen Grundrechte mal zuteilt, mal nimmt. Ulrike Stockmann berichtet aus der Redaktion in Berlin von Unregelmäßigkeiten. Hörer erzählen, dass etwa in zwei Berliner Bezirken die Stimmzettel vertauscht worden waren, Personalausweise im Wahllokal nicht kontrolliert wurden und eine Briefwahl nicht funktioniert habe.
19:54 Uhr. Michael Klonovsky, der in Chemnitz kandidiert, sagt, dass er aktuell knapp vorn liegt, aber nicht gackern wolle, bevor das Ei gelegt sei. Immerhin sei dort für die AfD noch ein Straßenwahlkampf möglich, ohne dass die Polizei eingreifen muss. Er würde schon gern in den Bundestag einziehen, es selbst machen, statt nur Reden zu schreiben, und „für gehörige Wogen der Entrüstung sorgen.“
„Riesenklatsche für Söder“
Die zweite Stunde beginnt. In Landshut poltert Josef Kraus, lange Jahre Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, auf bayerisch-zünftige Art los. Wenn jetzt versucht werde, Laschet die Schuld für das Wahldesaster in die Schuhe zu schieben, nach dem Motto „Söder hätte besser abgeschnitten“, solle man sich mal anschauen, dass die CSU auf 32% abgestürzt sei – eine „Riesenklatsche für Söder“.
Die Hochrechnungen von ARD und ZDF sehen mittlerweile beide die SPD knapp vorn. Vera Lengsfeld, die sich für Laschet eingesetzt hat, vermutet, dass die CDU jetzt wohl eine „Jamaika-Koalition“ anpeile und zu massiven Zugeständnissen an die Grünen bereit sei. Verheerend, denn diese strebten mit einem Klima-Ministerium mit Vetorecht eine Art Nebenregierung an und würden so zum bestimmenden Faktor. Aus Warschau meldet sich die polnische Politologin und Journalistin Aleksandra Rybinska. Sie bemängelt, dass die Außenpolitik im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt habe, außerdem habe Scholz kein Schattenkabinett vorgestellt und man habe in Polen keine Vorstellung davon, was nun passiere.
20:19 Uhr. Gunter Weißgerber, fast zwei Jahrzehnte Parlamentarier und 2019 aus der SPD ausgetreten, wird aus dem sächsischen Grimma zugeschaltet. Wenigstens ziehe Baerbock nicht ins Kanzleramt ein, eine absolut grüne Regierung wäre verheerend gewesen, nichtsdestotrotz werde es „so grün, dass uns das Lachen vergehen wird“, aber es sei alles vorauszusehen gewesen. Ihm als Ex-Sozi täte es nur noch leid, was die SPD mit sich veranstalte. Früher habe man sich dort um Arbeitsplätze gesorgt, heute sei schon die Rede von der Arbeit „rechts“, auch wer nur rechnen könne, sei „rechts“. Es sei fraglich, ob Scholz „den ganzen grünen Bettnässern" in seiner Partei widerstehen könne. „Wir leben in einem Narrenstaat.“
„Groupie kriegt ein Interview“
Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel ist hartgesotten, hat die Politiker-Statements im Fernsehen verfolgt, „Gewäsch und unerträgliche Floskeln“. Aus Laschets Rede will er herausgehört haben, dass dieser Kanzler werden wolle, also „Jamaika“ anstrebe, was mit Habeck wohl möglich sei. Die Frage sei nur: Wie grün wird Jamaika? Scholz, der u.a. während 9/11 Innensenator in Hamburg war, mit dem Handling der G20-Krawalle in Hamburg sowie mit Wirecard, Cum-ex etc. einiges auf dem Kerbholz habe, profitierte von einer „Verzweiflungswanderung“ und davon, dass die Medien auf ihn gesetzt hätten, als Baerbock sich selbst demontierte.
20:34 Uhr. Prof. Werner Patzelt, derzeit in Budapest, glaubt, dass Scholz das Schicksal Helmut Schmidts teilen wird, er werde entweder den Linken in der Partei nachgeben oder die Basis verlieren und dann „als roter Mohr seine Schuldigkeit getan haben“. Die Grünen seien die Partei der Besserverdienenden und des akademisch gebildeten Mittelstands und eher ein Kandidat für „Jamaika“. Mit Steinhöfel ist er sich einig, dass die sogenannten „Trielle“ einen Vorteil für Rot-Grün bedeutet haben und schlecht für die FDP waren, die nur unwesentlich schlechter abschnitt als die Öko-Partei und doch unter ihren Möglichkeiten blieb.
Birgit Kelle zappt zwischen den Sendern hin und her. Wie die öffentlich-rechtliche Reporterin mit der grünen Spitzenkandidatin Jarasch in Berlin gesprochen habe (Steinhöfel: „Groupie kriegt ein Interview“) sei unerträglich, aber symptomatisch für die grüne Schlagseite des ÖRR gewesen. Reitschuster amüsiert sich über Jaraschs Aussage über Berlin als „grüne Hauptstadt“ – nicht mal halbwegs eine Wahl organisieren können, aber die Welt retten wollen!
„Wir senden aus guten Gründen aus der Schweiz“
In Frankfurt am Main stellt Erika Steinbach in ihrer Philippika fest, dass es, erstens, in Deutschland keine Volksparteien mehr gibt und, zweitens, sich die AfD trotz massiven medialen Gegenwinds (entweder ignoriert oder dämonisiert) tapfer geschlagen hat, das sei schon ein „Mirakel“: „Es war eine Medienschlacht“, in weiten Teilen nicht neutral, die Reduzierung auf zwei oder drei Parteien nicht fair. Sie spricht von einer „Mediokratie“ und stellt fest, dass die CDU ihren Abstieg Merkel und deren Unterstützern zu verdanken habe. Sie bewundere „die Leidensfähigkeit“ der Parteimitglieder wie Birgit Kelle und dass diese es dort noch aushalte.
Die dritte und letzte Stunde bricht an. Broder hat sich „die entsetzliche Berliner Runde“ (Moderator Burkhard Müller-Ullrich) zugemutet: „Da sitzt eine Gruppe von Losern, die Federn gelassen haben, und spreizen sich wie Pfaue.“ Paul Brandenburg fragt sich, was nun noch folgen mag: „Angela Merkel, die große alte Dame des Sozialismus, tritt ab und die Menschen möchten, dass ihre Politik fortgesetzt wird.“ Merkels wahrer Erbe sei eben nicht Laschet, sondern der linke Totalitarismus der Grünen. Und hätte Baerbock sich nicht als „Knallcharge“ entlarvt, bekämen wir jetzt möglicherweise einen Kanzler Habeck und hätten ein ganz anderes Ergebnis. So habe sich Scholz als am Merkel-ähnlichsten verkaufen können. Ergo: „Wir werden jetzt in den nächsten Jahren mehr von all dem bekommen, was die letzten achtzehn Monate zur Hölle gemacht hat“, meint Brandenburg, nämlich „die hassgetriebene Autoritätspolitik einer Saskia Esken, die geballte Inkompetenz einer Annalena Baerbock“, härtere Zensur im Netz, Sendungen wie seine oder indubio könnten für illegal erklärt werden (Einwurf Müller-Ullrich: „Wir senden aus guten Gründen aus der Schweiz…“) und so weiter, sodass es egal sei, ob die CDU nochmal in die Regierung gelange. Birgit Kelle fände es besser, wenn die Union in die Opposition ginge, um sich zu erneuern, und auch Paul Brandenburg hofft, dass CDU und AfD Ballast abwerfen und sich „als konservative Kräfte neu erfinden“.
21:22 Uhr. Marc Jongen („Parteiphilosoph“ der AfD) meint, Scholz verkörpere einen Sozialismus mit bürgerlichem Gesicht. Überhaupt sei den Leuten die Persönlichkeit („Mutti“) wichtiger als die Politik, was noch ein böses Erwachen zeitigen werde. Paul Brandenburg sieht die Deutschen auf dem Weg in die absolute Abhängigkeit, den Nanny-Staat, in Kollektivismus und Bevormundung. Sie wollten offenbar wie Kleinkinder behandelt werden. Jongen beklagt die unfaire Berichterstattung in den Medien über seine Partei, räumt aber ein, dass sich die AfD weiter professionalisieren müsse, die Partei sei sehr heterogen, die Parlamentarier seien, anders als bei der Konkurrenz, keine Berufspolitiker. Er hoffe, dass die CDU in sich gehe und eines Tages vielleicht ein Ansprechpartner für die AfD sein könnte.
Und Merkel schnauft durch ihre FFP2-Maske
Endspurt. Christoph Kramer, der die Kommentare in den sozialen Medien verfolgt, schildert aus der Redaktion das Hörer-Echo, einer habe nach eigener Aussage „keine Sekunde fürs Fernsehen verschwendet“. Auch berichten Hörer von diversen Unregelmäßigkeiten in Berlin. (An dieser Stelle schlägt Birgit Kelle vor, demnächst Wahlbeobachter nach Berlin zu entsenden.) Insbesondere die Grünen kämen in den Kommentaren schlecht weg, auch die CDU, die sich viele auf die Oppositionsbänke wünschen.
Matthias Burchardt, Philosoph und Publizist, gibt zu, große Schwierigkeiten zu haben, sich „auf ein indubio-fähiges Niveau zu begeben" und „nicht albern, zynisch, ironisch oder sarkastisch zu sein“. Im Grunde interessiere ihn nicht die Bohne, wer genau demnächst die digital-diverse Klimademokratie herbeiführe. Der Wahlkampf sei unendlich langweilig gewesen, die Spitzenkandidaten sämtlich „uncharismatische, jämmerliche, austauschbare Figuren“, wichtige Themen wie die Spaltung der Gesellschaft, Bildung, der Niedergang der Kultur, Ökonomie und Migration komplett ausgeklammert worden. Die Leute wollten wohl „im Kokon der political correctness überwintern und vielleicht verrecken“.
Scholz oder Laschet, das sei doch schnurz. Angesichts dessen neige man eben zur Unsachlichkeit. Ihm, Matthias Burchardt, habe immerhin folgende Szene am Wahlabend eine gewisse Genugtuung bereitet: Merkel, während Laschet ihr dankt, „durch ihre FFP2-Maske schnaufend, während man sah, wie das Ding sich immer wieder zusammen- und auseinandergebläht hat.“ Er hätte sich gewünscht, das über zwölf Stunden zu verfolgen.
Ein tröstliches Bild zum Abschluss des „Podcasts des wackeren Nein“.