Ich mache es nicht mehr. Ich nehme die Älteste mit ihren knapp 18 Lenzen nicht mehr mit zum Einkauf.
Da stehen wir vor dem Kühlregal des Discounters unserer Wahl und ich will gerade „Bergbauern-Aufschnitt aus garantiert tierischem Anbau“ in den Wagen laden, als sie mich in den Arm kneift. „Die kannst Du nicht nehmen, die ist total billig“, sagt sie. „Es ist Fleisch und es ist günstig, das stimmt“, gebe ich zu, „da es aber hier so hübsch liegt und ein lächelnder Bauer und eine grinsende Kuh auf der Packung ist, vertraue ich darauf, dass ich nicht daran sterben werde.“ „Das kommt bestimmt aus irgendeinem osteuropäischen Land“ beharrt sie, „die gehen mit Tieren nicht so gut um!“ Ich drehe die Plastikverpackung. „Stimmt. Thüringen!“, bestätige ich ihr. „Dann geht es den Tieren in Thüringen eben nicht so gut“, stellt sie fest und greift zu einer anderen Aufschnittpackung, die doppelt so teuer ist, dafür aber weniger Inhalt hat. „Das ist besser“, belehrt sie mich. „Aber nicht für meinen Geldbeutel“, belehre ich zurück. „Entweder die – oder gar keine Wurst“, schlägt sie vor. „Wurst müsste eh teurer sein, so klimaschädlich wie die Tierhaltung ist“, erklärt sie mir, in dem vollen Bewusstsein, dass nicht sie es ist, die in dreißig Metern den Einkauf bezahlen wird. „Dann keine Wurst“, nehme ich ihren Vorschlag an, „geht Käse?“
Sie sieht mich an: „Das Gleiche. Milchprodukte sind viel zu günstig und ebenso klimaschädlich, besser wäre es, die direkt beim Erzeuger zu kaufen“, doziert sie weiter und ich verkneife mir die Erklärung, dass Kühe in unserer Stadt sehr dünn gesät sind und ich aufs Land fahren müsste und mir einen Milchbauern suchen müsste, der noch ein paar Gläser und Kannen und Flaschen Milch, Butter, Käse und Joghurt für mich übrig hat, die er mir zu einem aberwitzigen Preis verkauft, weil die Eltern ebenso umweltbewusster Töchter, die in der Schule einmal weniger aus dem Fenster gesehen haben und deswegen höhere Bildungsabschlüsse und hochbezahltere Jobs als ich haben, vor mir da waren und den verdammten Bauernhof bereits leergekauft haben. Und da habe ich die Spritkosten für den Diesel noch nicht einmal eingerechnet. Dann eben keine Milchprodukte. „Okay, kein Käse“, sage ich und schaue in den Wagen.
„Kakao wächst nicht in unseren Breiten“
„Da liegt Tee für Dich“, stelle ich fest, „das geht aber auch nicht!“ Sie sieht mich irritiert an. „Weil?“ „Weil“, erkläre ich, „in unseren Breiten kein anständiger Tee wächst. Du hast hier einen Assam-Tee. Der heißt deswegen so, weil er in Assam angebaut wird, das, entgegen landläufiger Meinungen, nicht in Thüringen, sondern in Indien liegt. CO2-Verbrauch durch Anbau und Transport? Hmm? Kein schlechtes Gewissen?“ Madame legt die Stirne in Falten. „Doch. Habe ich. Ich bringe ihn zurück ins Regal“, sagt sie und fügt hinzu: „Dann trinke ich eben Kaff…“ und dann verstummt sie. „Genau“, bemerke ich fröhlich, „Kaffee ist noch vor Rohöl der am meisten gehandelte Rohstoff auf der Welt. Wenn wir uns klimaneutral und umweltfreundlich ernähren wollen, dann kannst Du Tee und Kaffee von der Karte streichen. Außer, Du willst Brennnesseltee. Den gibt’s bei uns. Schmeckt aber grauenhaft!“ Sie sieht mich mit einer Mischung aus Wut und Verblüffung an.
„Und weil wir gerade dabei sind – hier ist die Schokolade. Kakao wächst nicht in unseren Breiten“, ergänze ich gutgelaunt und drücke ihr ihre beiden Schokoladentafeln in die Hand. Ihre Lippen bilden einen Strich. Ich greife zu dem Schokobrotaufstrich: „Und weil wir gerade dabei sind: Palmöl und Kakao. Noch Fragen?“ Sie schnappt sich auch noch den Schokobrotaufstrich und stapft ärgerlich davon.
Als sie wiederkommt, hat sie Brombeermarmelade und Bananen in der Hand und will beides in den Wagen legen. „Brombeermarmelade ist in Ordnung, auch wenn ich Dir jetzt die Zuckerdiskussion erspare, aber Bananen? Hmm? Wo wachsen die denn?“, will ich von ihr wissen. „In Thüringen“, gibt sie patzig zurück, „irgendetwas muss ich ja essen!“ „In Ordnung“, zeige ich mich großzügig, „einigen wir uns darauf, dass Bananen in Thüringen wachsen.“ Denn ich mag sie und will keinen Streit, und hier geht es ja um eine grundsätzliche Diskussion und dass wir uns umwelt- und klimabewusster ernähren wollen. Mein kalifornischer Wein wandert aber ebenso zurück ins Regal wie die deutschen Krabben, die in Marokko gepult und wieder zurückverschifft werden. Als sie das bisher präferierte vierlagige Toilettenpapier einpacken will, zeige ich kurz zu dem sehr viel günstigeren Recycling-Papier und hänge ein „kann man auch falten, dann ist es zweilagig“ hintendran, ernte aber nur einen Blick, wie ihn wohl Hitler Ribbentrop zugeworfen haben mag, als dieser die englische Kriegserklärung verlas und gebe meinen Widerstand sofort auf. Ich begnüge mich damit, moralischer Sieger zu sein und sie weiß es. Das genügt mir für den Augenblick.
An der Kasse greife ich zu den Zigaretten meiner Lieblingsmarke. Meine Klimaschützerin hat aber genau darauf gewartet. „Na?“, bemerkt sie spöttisch, „Tabak aus Thüringen, hu?“ Sie grinst dabei und schwenkt die Bananen. „Nein“, gebe ich zu, „Tabak wächst in Deutschland vor allem in Baden-Württemberg und zwar bereits seit in etwa 300 Jahren. Die pflanzen da einen gar nicht mal so schlechten Virgin- und Burleytabak. Und ich wette, der Tabak dieses hübschen Päckchens Feinstauberzeuger deutscher Güte stammt zumindest zu einem Teil aus der dortigen Ernte. Ich rauche umweltfreundlich und klimaneutral!“
„Was Du alles weißt“, brummt sie schlecht gelaunt und wir tragen unsere aus Klimagründen bewusst spärlichen Einkäufe in einer freundlichen Papiertüte ans Auto. „Das kommt daher…“, erkläre ich, „…dass ich auch freitags in die Schule gegangen bin.“ „Keiner mag Klugscheißer!“, giftet sie zurück und ich überlege mir kurz, ob ich sie die zwei Kilometer nach Hause laufen lasse, wegen Klima und so. Aber ich muss den Diesel ja so oder so bewegen. Sie darf mitfahren. Diesmal. Ich mag sie.
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